European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00055.16F.0330.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung
Das Erstgericht erhöhte rückwirkend ab 1. 1. 2011 den vom Vater den Minderjährigen zu leistenden Geldunterhalt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts im bekämpften Umfang auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Erstgericht habe die Betreuungsleistungen des Vaters nach Stunden ermittelt und sei hochgerechnet auf ein wöchentliches Besuchsrecht von rund 2,5 Tagen gekommen. Im Hinblick darauf habe es eine 15 % Reduktion der sich nach der Prozentwertmethode ergebenen Unterhaltsbeträge als gerechtfertigt erachtet. Diese Methode sei verfehlt. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts habe der Vater während der gesamten Bemessungsperiode seine Kinder an 160 Tagen pro Jahr betreut, der eine Betreuungsleistung der Mutter von rund 200 Tagen gegenüberstehe. In der gesamten Bemessungsperiode habe daher kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuung durchgeführt. Nach neuerer höchstgerichtlicher Rechtsprechung sei das als etwa gleichteilige Betreuung zu beurteilen. Bei dieser Konstellation wäre daher das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell anzuwenden. Dessen Grundgedanke sei der Umstand, dass es bei gemeinsamer Betreuung des Kindes keinen unterhaltsrechtlich privilegierten Domizilelternteil im Sinn des § 231 Abs 2 ABGB mehr gebe, der durch seine Betreuungsleistungen ‑ abschließend ‑ Unterhalt erbringe und daher keine Geldunterhaltsverpflichtung mehr zu tragen habe. Voraussetzung für die Anwendung dieses Modells sei ein annähernd gleiches Einkommen der Eltern, weil man vom besonderen Fall einer völligen Bedarfsdeckung im Weg von Naturalleistungen nur dann ausgehen könne, wenn beiden Elternteilen ein annähernd gleich hohes Einkommen zur Verfügung stünde; andernfalls bleibe der besserverdienende Elternteil geldunterhaltspflichtig. Ein gleichhohes Einkommen sei auch dann gegeben, wenn das Einkommen eines Elternteils das des anderen nicht beträchtlich übersteige, wobei Unterschiede bis zu einem Drittel hinzunehmen seien. Da das Erstgericht die Einkommensverhältnisse der Mutter im relevanten Bemessungszeitraum nicht festgestellt habe, sei eine Aufhebung unvermeidlich.
Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Judikatur zur Frage der Anrechnung überdurchschnittlicher Betreuungsleistungen auf die Unterhaltspflicht weder einheitlich noch gefestigt sei.
Mit ihrem vom Vater beantworteten Revisionsrekurs begehren die Minderjährigen, den angefochtenen Beschluss im Sinn einer Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist unzulässig.
Die Rechtsmittelwerber machen in ihrer Rechtsrüge bloß geltend, im angefochtenen Beschluss sei „richtig die Auffassung erkannt [worden], dass grundsätzlich das neue betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell anzuwenden wäre. Im gegenständlichen Fall ist jedoch die Bemessung des Erstgerichts mit der Berücksichtigung von 15 % richtig. Aufgrund der vorliegenden Beweise der Besuchskontakte ist der Unterhalt der Minderjährigen von je 15 % zu reduzieren. Diese Bemessung entspricht auch der ständigen Rechtsprechung“.
§ 65 Abs 3 Z 4 AußStrG umreißt, wie eine Rechtsrüge auszuführen ist. Der Revisionsrekurswerber muss konkret, wenngleich „ohne Weitläufigkeit“, darlegen, aus welchen Gründen das Rekursgericht „die Sache“ ‑ ausgehend vom festgestellten Sachverhalt ‑ rechtlich unrichtig beurteilt habe; die bloße Behauptung ein Anspruch sei nicht berechtigt, genügt ebensowenig wie das Aufstellen einer unrichtigen Rechtsbehauptung oder die Wiedergabe von „Leerformeln“ (vgl Schramm in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 65 Rz 24 mwN).
Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen der Rechtsmittelwerber nicht, legen sie doch die Gründe, weshalb das „grundsätzlich“ anzuwendende unterhaltsrechtliche Betreuungsmodell im zu entscheidenden Fall nicht anzuwenden ist, nicht dar.
Das Rechtsmittel ist daher mangels einer gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge zurückzuweisen.
Im Übrigen entspricht die vom Rekursgericht vertretene Auffassung der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs:
1. Gemäß § 231 Abs 2 Satz 1 ABGB ‑ der § 140 Abs 2 ABGB aF entspricht ‑ leistet der Elternteil, der das Kind betreut, dadurch seinen Unterhaltsbeitrag, während der andere Elternteil, mit dem das Kind nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, geldunterhaltspflichtig ist. Kinderbetreuung im eigenen Haushalt wird also vom Gesetz grundsätzlich als voller Unterhaltsbeitrag des betreffenden Elternteils gewertet und der Leistung von Geldunterhalt gleichgestellt. Betreut und versorgt der geldunterhaltspflichtige Elternteil das Kind im Rahmen des üblichen Kontaktrechts in seinem Haushalt, hat dies keine Auswirkungen auf seine Unterhaltspflicht. Üblich ist nach ständiger Rechtsprechung ein Kontaktrecht von zwei Tagen alle zwei Wochen sowie von vier Wochen in den Ferien, also an etwa 80 Tagen pro Jahr (1 Ob 158/15i mwN). Ein die übliche Dauer überschreitendes Kontaktrecht führt nach der Rechtsprechung häufig zu einer Reduktion der Geldunterhaltspflicht um 10 bis 20 % pro weiterem Wochentag der Betreuung. Je mehr sich die Situation allerdings einer gemeinsamen gleichwertigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern annähert, umso weniger wird ein Prozentabzug pro zusätzlichem Kontakttag zu unterhaltsneutralen Tagen den wechselseitigen Leistungen gerecht (vgl 5 Ob 2/12y).
2. Die jüngere Rechtsprechung tendiert in den Fällen, in denen beide Elternteile gleichwertige bedarfsdeckende Naturalleistungen und Betreuungsleistungen erbringen und über vergleichbare Einkommen verfügen, zum „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell“, bei dem die Unterhaltsbefreiung, die § 231 Abs 2 ABGB an die Betreuung knüpft, nicht mehr allein dem hauptbetreuenden Elternteil zugute kommt, sondern die Unterhaltsbelastung im Verhältnis von Leistungsfähigkeit und Betreuungslast auf beide Elternteile aufgeteilt wird (vgl 10 Ob 17/15w mwN; Kolmasch in Zak 2015/460; Gitschthaler in EF‑Z 2016/3).
3. Bei gleichwertigen Betreuungs‑ und Naturalunterhaltsleistungen besteht somit kein Geldunterhaltsanspruch, wenn das Einkommen der Eltern etwa gleich hoch ist. Trägt ein Elternteil überwiegend neben der Betreuung im Haushalt zusätzlich die notwendigen Aufwendungen für Bekleidung, Schuhwerk und alle größeren, längerlebigen Anschaffungen, führt dies zu einem Ausgleichsanspruch gegen den minderleistenden Elternteil (4 Ob 206/15w; 4 Ob 16/13a).
4. Nach der Entscheidung 4 Ob 16/13a liegt eine etwa gleichteilige Betreuung dann vor, wenn kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuung durchführt.
5. In der Entscheidung 4 Ob 206/15w erachtete der Oberste Gerichtshof eine Relation von 209 zu 156 Betreuungstagen, somit etwa ein Verhältnis von 4:3, noch als annähernd gleichteilige Betreuung.
6. Folglich ergibt sich im vorliegenden Fall aus der Betreuungslage (200 zu 160 Betreuungstagen) noch kein Ausgleichsanspruch gegen den (bloß geringfügig minderbetreuenden) Vater.
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