European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122898
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Über Antrag des Vaters ließ das Rekursgericht nachträglich den Revisionsrekurs zu, weil es eine Klarstellung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung zum betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell für erforderlich hielt.
2. Der Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen diesem nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
3. Die Anwendung des sogenannten „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“, das zu einem Entfall des Geldunterhaltsanspruchs des Kindes führt, setzt nach der jüngeren, mittlerweile gefestigten Rechtsprechung voraus, dass die Betreuungs‑ und Naturalleistungen in etwa gleichwertig sowie die Einkommen der Eltern etwa gleich hoch sind oder jeweils einen über der Luxusgrenze liegenden Unterhaltsanspruch zulassen. Ins Gewicht fallende Einkommensunterschiede führen zu einem – hier vom Vater angestrebten – Restgeldunterhaltsanspruch gegen den besser verdienenden Elternteil (1 Ob 158/15i, 8 Ob 89/17x je mwN; RIS‑Justiz RS0131331 [T2], RS0131786).
4. Der Oberste Gerichtshof hat anhand der jeweils festgestellten Betreuungstage ein Betreuungsverhältnis von 43:57 (4 Ob 16/13a) oder 4:3 (4 Ob 206/15w, RIS‑Justiz RS0130654) als annähernd gleichwertig beurteilt. Einer Kritik im Schrifttum (siehe Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8, 111) folgend wurde bereits ausgesprochen, dass eine Differenz von einem Drittel zwischen den jeweiligen Betreuungsleistungen einen nicht unbeträchtlichen Abstand zu einer annähernd gleichteiligen Betreuung schafft (4 Ob 206/15w). Zu 8 Ob 89/17x lehnte der Oberste Gerichtshof die (offenbar auf 5 Ob 2/12y zurückgeführte) Ansicht ab, eine Betreuung sei bereits dann gleichwertig, wenn kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuungsleistung erbringe.
5. Das Kind hat den Lebensmittelpunkt bei der Mutter, die die schulischen Belange organisiert und das tägliche Leben koordiniert. Der Vater hat ein 14‑tägiges Kontaktrecht von Freitag 17:00/17:30 Uhr bis Sonntag 18:00/19:30 Uhr. Die weiteren Kontakte richten sich nach dem Dienstplan der Mutter. Dabei ist ein Kontaktrecht von 17:00/17:30 Uhr des Vorabends bis 19:30 Uhr des Folgetages vorgesehen. Außerhalb dieser regelmäßigen Kontakte verbrachte das Kind die Sommerferien 2017 von 24. 7. 2017 bis 6. 8. 2017 durchgehend bei der Mutter und eine Woche durchgehend beim Vater. Insgesamt betreute der Vater das Kind 2017 an 133 Tagen.
6. Der Vater gesteht in seinem Revisionsrekurs ausdrücklich zu, dass sich nach den (als richtig bezeichneten) Feststellungen des Erstgerichts ein Betreuungsverhältnis von 64 % (Mutter) zu 36 % (Vater) ergibt. Dieser Schlüssel erreicht daher nicht einmal jenes Ausmaß, das der Oberste Gerichtshof in jüngeren Entscheidungen als (noch) ausreichend für eine „annähernd gleichteilige“ Betreuung befunden hat. Zudem müssen im unterhaltsrechtlichen Betreuungsmodell nicht nur die Betreuungs‑, sondern auch die Naturalunterhaltsleistungen gleichwertig sein. Mit den Aufenthalten beim Vater ist der Bedarf nach Wohn‑ und Nahrungsversorgung erfüllt. Darüber hinausgehende bedarfsdeckende Naturalunterhaltsleistungen des Vaters, die denen der Mutter gleichwertig sind, werden im Revisionsrekurs aber gar nicht angesprochen.
7. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, das die Anwendung des unterhaltsrechtlichen Betreuungsmodells mit einem Restgeldunterhaltsanspruch ablehnte, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung. Einer Klarstellung oder Abgrenzung der in der höchstgerichtlichen Judikatur verwendeten Begriffe „völlig gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“ bedarf es in diesem Fall nicht.
8. Betreut und versorgt der geldunterhaltspflichtige Elternteil das Kind im Rahmen des üblichen Kontaktrechts in seinem Haushalt, hat dies keine Auswirkungen auf seine Unterhaltspflicht. Üblich ist nach ständiger Rechtsprechung ein Kontaktrecht von zwei Tagen alle zwei Wochen sowie von vier Wochen in den Ferien, also etwa an 80 Tagen im Jahr. Pro wöchentlichem Betreuungstag, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß hinaus beim zahlenden Elternteil aufhält, wird in der Regel ein Abschlag von etwa 10 % vom Geldunterhalt vorgenommen (10 Ob 17/15w mwN; 1 Ob 158/15i).
9. Dem Vater ist zuzugeben, dass dieser – vom Rekursgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte – Ansatz nur eine Richtschnur und tendenziell eher die Untergrenze darstellt (RIS‑Justiz RS0128043). Maßgebliches Kriterium für die Minderung der Geldunterhaltspflicht bleibt aber, ob durch die Betreuungsleistungen eine nennenswerte Ersparnis des anderen Elternteils eintritt, etwa für Lebensmittel, Taschengeld, Wäsche und Freizeitaktivitäten (RIS‑Justiz RS0047452 [T9]; 10 Ob 41/17b). Welche Aufwendungen für Taschengeld oder sonstige (außer‑)schulische Aktivitäten sich die Mutter in jener Zeit, in der sich das Kind über das übliche Kontaktausmaß hinaus beim Vater aufhielt, erspart hat, behauptet(e) der Vater, der für die eine Reduktion des Geldunterhalts bewirkenden Umstände behauptungs- und beweispflichtig ist (vgl RIS‑Justiz RS0006261 [T8]), nicht.
10. Der Vater hat das Kind zusätzlich zu den üblichen 80 Kontaktrechtstagen pro Jahr an 53 Tagen in seinem Haushalt betreut, was nach Wochen gerechnet etwa einem ganzen zusätzlichen Besuchstag entspricht.
11. Unterhaltsentscheidungen sind grundsätzlich Ermessensentscheidungen (RIS‑Justiz RS0047419 [T23]). Der Revisionsrekurs zeigt weder eine Aktenwidrigkeit oder Mangelhaftigkeit der zweiten Instanz noch eine Überschreitung des Ermessensspielraums dadurch auf, dass sich das Rekursgericht bei der Reduktion des Geldunterhalts an dem in der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochenen Prozentabzug für einen ganzen zusätzlichen Besuchstag pro Woche orientiert hat.
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