OGH 11Os120/19k

OGH11Os120/19k8.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Sysel in der Strafsache gegen Beata P***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Mai 2019, GZ 42 Hv 25/19f‑23a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00120.19K.1008.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Beata P***** des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie vom 1. November 1991 bis zum 31. Mai 2015 in W***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verfügungsberechtigte der Pensionsversicherungsanstalt durch Täuschung über anspruchsbegründende Tatsachen zu Handlungen, nämlich zur Gewährung und laufenden Auszahlung von Ausgleichszulage zu ihrer österreichischen Witwenpension, verleitet, wodurch der genannte Rechtsträger in einem (somit 5.000 Euro übersteigenden) Betrag von zusammen 72.583,79 Euro am Vermögen geschädigt wurde.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

 

Ihrer Erledigung sei vorangestellt:

Nach § 292 Abs 1 ASVG hat der Pensionsberechtigte, solange er seinen (seit BGBl 1996/411: gewöhnlichen, seit BGBl I 2010/111 darüber hinaus: rechtmäßigen) Aufenthalt im Inland hat, Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension, wenn die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293 ASVG) erreicht.

Den Urteilsfeststellungen (US 3 f) zufolge bezog die Angeklagte vom 1. November 1991 bis zum 31. Mai 2015 zu ihrer österreichischen Witwenpension (nach ASVG) insgesamt 72.583,79 Euro an (monatlicher) Ausgleichszulage. Während dieses (gesamten) Zeitraums hatte sie ihren Lebensmittelpunkt in Breslau (Polen); dort ging sie einer Erwerbstätigkeit nach, aus der sie ein (der Höhe nach nicht festgestelltes) Einkommen bezog. „Dazwischen“ hielt sie sich zwar „immer wieder“, jedoch stets nur vorübergehend kurz in Österreich auf, indem sie „die Wochenenden“ „in ihrer Wohnung in Wien“ verbrachte. Bei wiederkehrenden Befragungen zum (weiteren) Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen seitens der Pensionsversicherungsanstalt aber verschwieg sie „regelmäßig“ ihre in Polen erzielten Einkünfte und bestätigte „laufend“ wahrheitswidrig, ihr Lebensmittelpunkt sei in Wien gelegen. Durch diese (solcherart im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit gesetzten) Täuschungshandlungen verleitete sie Verfügungsberechtigte der Pensionsversicherungsanstalt – mit entsprechender, auch ihre unrechtmäßige Bereicherung umfassender Willensausrichtung und der Intention, dass dieser Rechtsträger dadurch sukzessive „in einem Betrag von insgesamt über € 72.000 geschädigt“ werde (US 4, 7) – zur Gewährung und fortlaufenden (monatlichen) Ausbezahlung von Ausgleichszulage.

Das Schöffengericht ging – auf Basis des Urteilssachverhalts rechtsrichtig ( Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV-Komm § 292 ASVG Rz 8 f mwN) – davon aus, dass die Angeklagte während des (gesamten) festgestellten Zeitraums ihren gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 66 Abs 2 JN) nicht im Inland hatte. Vom 1. August 1996 (Inkrafttreten des § 292 Abs 1 ASVG idF BGBl 1996/411) bis zum 31. Mai 2015 schloss – nach dem eingangs Gesagten – bereits dies den Anspruch auf Ausgleichszulage zur Gänze aus. Vom 1. November 1991 bis zum 31. Juli 1996 kam es für diesen Anspruch zwar (demgegenüber) darauf an, ob und wie lange sich die Pensionsberechtigte in den einzelnen Kalendermonaten tatsächlich in Österreich aufhielt (§ 292 Abs 1 ASVG idF vor BGBl 1996/411; 10 ObS 262/93). Selbst der Wegfall sämtlicher vor dem 1. August 1996 gesetzten Ausführungshandlungen aber würde nichts an der Strafbarkeit der (einen) Tat ändern (RIS-Justiz RS0127374). Auch bei Abzug des (weil die Höhe weder der Witwenpension noch der übrigen Einkünfte festgestellt wurde:) gesamten auf den betreffenden (45-monatigen) Zeitraum entfallenden Ausgleichszulagenrichtsatzes vom festgestellten (Gesamt-)Betrag an im Tatzeitraum bezogener Ausgleichszulage (72.583,79 Euro) würde der tatbestandsrelevante (§ 146 StGB) Schaden die Qualifikationsgrenze des § 147 Abs 2 StGB (von 5.000 Euro) keineswegs unterschreiten. Hiervon ausgehend wurde dieser Schaden – unter Zugrundelegung des Urteilssachverhalts (US 3 f) – schon allein durch die konstatierten Täuschungen über den Lebensmittelpunkt der Angeklagten bewirkt.

Weder für die Schuld- noch für die Subsumtionsfrage bedeutsam – somit nicht entscheidend (RIS‑Justiz RS0117264) – ist demnach, ob die Angeklagte im Tatzeitraum einer Erwerbstätigkeit nachging, wie hoch ihr daraus erzieltes Einkommen war und ob auch dies Gegenstand ihrer Täuschungen war. Die (sachverhaltsmäßig bejahte) Berufstätigkeit der Angeklagten in Polen bildete bloß einen von mehreren erheblichen Umständen, der erst in der Gesamtschau mit anderen zur Annahme führte, dass sie einen inländischen Lebensmittelpunkt wahrheitswidrig vorspiegelte (US 5), ohne dass das Erstgericht darin erkennbar eine notwendige Bedingung für Letzteres erblickt hätte (RIS-Justiz RS0116737).

Soweit die Mängel- und die Tatsachenrüge Feststellungen zur Erwerbstätigkeit der Angeklagten bekämpfen, verfehlen sie daher (von vornherein) den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 391).

Indem die Beschwerde (nominell Z 5, inhaltlich als Rechtsrüge) diesbezügliche Feststellungen vermisst, erklärt sie (demgemäß) nicht deren Schuld- oder Subsumtionsrelevanz (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).

Soweit das Rechtsmittel die Konstatierungen zum gewöhnlichen Aufenthalt der Angeklagten während des Tatzeitraums im Ausland (US 4) und zur Täuschung (§ 146 StGB) hierüber bekämpft, sei erwidert:

Die diesen Urteilsannahmen entgegenstehende (auf der Richtigkeit ihrer Angaben gegenüber der Pensionsversicherungsanstalt beharrende) Verantwortung der Angeklagten hat das Erstgericht keineswegs „übergangen“ (Z 5 zweiter Fall), sondern als durch sonstige Beweismittel widerlegt erachtet (US 4 ff).

Die Wahrheitswidrigkeit ihrer (gegenüber der Pensionsversicherungsanstalt getätigten) diesbezüglichen Angaben leitete das Schöffengericht nicht allein daraus ab, dass ihr Sohn Michael P***** (entgegen ihren seinerzeitigen Behauptungen) niemals in Wien, sondern stets in Breslau zur Schule gegangen sei (US 5). Es folgerte sie vielmehr – von der Mängelrüge prozessordnungswidrig missachtet (RIS-Justiz RS0119370) – aus einer vernetzten Betrachtung einer Vielzahl von Beweisergebnissen sowie daran geknüpften Plausibilitätserwägungen (US 4 ff).

Im Hinblick darauf stehen Verfahrensergebnisse, wonach der Sohn der Angeklagten (erst) im Jahr 2001 geboren wurde, keineswegs der Annahme entgegen (Z 5 zweiter Fall), ihr Lebensmittelpunkt sei auch zuvor außerhalb Österreichs gelegen gewesen.

Der Vorwurf „fehlender bzw. unzureichender“ Begründung (Z 5 vierter Fall) jener Feststellungen nimmt nicht an der Gesamtheit der diesbezüglichen Entscheidungsgründe (US 4 ff) Maß und entzieht sich schon deshalb einer sachlichen Erwiderung (abermals RIS-Justiz RS0119370).

Eine Tatsachenrüge (Z 5a) ist – soweit hier von Interesse (Fehler in der Sachverhaltsermittlung werden nicht behauptet) – nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie anhand konkreten Verweises auf in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswürdigung darlegt, welches von ihr angesprochene Beweisergebnis aus welchem Grund erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit welcher Feststellung über entscheidende Tatsachen wecken soll (RIS-Justiz RS0117446 [T1, T10], RS0117749, RS0118780; 11 Os 29/16y, jüngst 11 Os 116/18w).

Indem sie – ohne Aktenbezug und losgelöst vom Urteilsinhalt – eine eigenständige „Gesamtbetrachtung der Beweisergebnisse“ anstellt und auf dieser Grundlage die Annahme eines „Lebensmittelpunkts“ der Angeklagten im Ausland bezweifelt, wird sie diesen Anfechtungskriterien nicht einmal ansatzweise gerecht. Sie bekämpft damit bloß die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 283 Abs 1 StPO).

Dass die Tochter der Angeklagten seit ihrer Geburt im Jahr 1981 bis zum Jahr „2004/05“ und deren im Jahr 2001 geborener Sohn „bis zu seinem 7. Lebensjahr (= 2007)“ in Wien gelebt hätten, wird nicht aus in der Hauptverhandlung Vorgekommenem entwickelt, sondern bloß behauptet.

Der Umstand, dass seitens der Pensionsversicherungsanstalt eine Niederschrift mit der Angeklagten am (richtig:) 19. Juni 2015 aufgenommen wurde (Beilage ./1 zu ON 23) und ein Gedächtnisprotokoll der dort zuständigen Sachbearbeiterinnen mit 15. Oktober 2015 datiert ist (Beilage ./2 zu ON 23), weckt beim Obersten Gerichtshof ebenso wenig erhebliche Bedenken gegen (irgend-)eine Feststellung über entscheidende Tatsachen wie die Verantwortung der Angeklagten, sie lasse ihre im Jahr 2015 aufgetretene Krebserkrankung deshalb in Wien behandeln, weil sie über „keine Versicherung in Polen“ verfüge (ON 23 S 14).

Das auf Z 9 lit a gestützte Vorbringen versäumt es prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0116565), aus dem Gesetz abgeleitet darzulegen, weshalb es zur rechtsrichtigen Beurteilung der Feststellung folgender Tatumstände bedurft hätte:

- dass die Angeklagte „1980/81 aus Polen nach Österreich zurückgekehrt“ sei,

- dass die Tochter der Angeklagten am 10. November 1981 in Wien geboren worden sei und dort bis zu ihrem 24. Lebensjahr gelebt habe,

- dass der Sohn der Angeklagten am 30. Juni 2001 in Wien geboren worden sei und

- dass die Angeklagte „im Jahre 2015“ an Krebs erkrankt sei und „seither durchgehend in Wien im AKH behandelt“ werde sowie,

- welche „Erwerbsgelegenheit“ die Tochter der Angeklagten „tatsächlich betreibt“.

Soweit sie aus derartigen – überdies ohne Aktenbezug bloß behaupteten – Umständen von jenen des Erstgerichts abweichende Schlüsse (zur „Frage des Lebensmittelpunktes“) zieht und auf dieser Basis eine „Täuschungshandlung“ der Angeklagten bestreitet, geht die Rüge ebenso wenig vom festgestellten Sachverhalt aus wie mit der Kritik, es sei nicht festgestellt worden, dass „die Angeklagte unrichtige Angaben gemacht“ hat (siehe dagegen US 3 f). Damit bringt sie den herangezogenen (materiell‑rechtlichen) Nichtigkeitsgrund – abermals – nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0099810).

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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