European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E126398
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in seinem teilabändernden Punkt 3. und hinsichtlich der Zurückweisung des Rekurses des Antragsgegners aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Das Erstgericht teilte das eheliche Gebrauchsvermögen und die ehelichen Ersparnisse der geschiedenen Ehegatten in bestimmter Weise auf.
Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs des Antragsgegners, mit dem er insbesondere die Erhöhung des ihm zu zahlenden Ausgleichsbetrags um 60.000 EUR anstrebte, zurück und gab dem Rekurs der Antragstellerin teilweise Folge. Es änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahin ab, dass die Antragstellerin verpflichtet wurde, dem Antragsgegner frühestens nach sechs Monaten Zug um Zug gegen Übergabe einer Freilassungserklärung betreffend das auf zwei Liegenschaften intabulierte Simultanpfandrecht für die Kreditforderung einer Bank bis zum Höchstbetrag von 200.000 EUR eine Ausgleichszahlung von 210.000 EUR zu leisten (Punkt 3.); zugleich beseitigte es eine vom Erstgericht angeordnete Verpflichtung des Antragsgegners zur Schad‑ und Klagloshaltung. Zur Zurückweisung des Rekurses stellte es aufgrund der Aktenlage fest, der erstinstanzliche Beschluss sei dem Vertreter des Antragsgegners durch Hinterlegung zugestellt worden, wobei die Abholfrist am 31. 12. 2018 begonnen habe. Rechtlich führte es aus, gemäß § 17 Abs 3 ZustG beginne die Abholfrist mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten werde. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Gemäß § 46 Abs 1 AußStrG betrage die Frist für den Rekurs 14 Tage. Diese habe daher am 14. 1. 2019 geendet, sodass der am 17. 1. 2019 elektronisch eingebrachte Rekurs verspätet sei.
Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig und sprach nachträglich – anlässlich der Zurückweisung der Zulassungsvorstellung des Antragsgegners – ergänzend aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige.
In seinem Revisionsrekurs beantragt der Antragsgegner, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die Entscheidung über seinen Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
1. Weist das Gericht zweiter Instanz „im Rahmen des Rekursverfahrens“ den Rekurs gegen die erstinstanzliche Sachentscheidung wegen Verspätung zurück, ist (auch) dieser Beschluss nur unter den Voraussetzungen des § 62 AußStrG anfechtbar (RIS‑Justiz RS0120565 [T3, T14]; RS0120974 [T7, T8, T9, T12]). Die Anfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses setzt daher voraus, dass die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG abhängt. Eine solche – konkret die verfehlte Zurückweisung eines Rechtsmittels wegen vermeintlicher Verspätung (vgl RS0041365 [T4]) – zeigt der Revisionsrekurs des Antragsgegners auf.
2.1. Nach § 68 AußStrG ist eine Revisionsrekursbeantwortung nur bei Beschlüssen vorgesehen, mit denen „über die Sache“ oder über die Kosten entschieden wurde. Unter „Beschluss über die Sache“ wird jede Entscheidung über den eigentlichen Verfahrensgegenstand, sei diese meritorisch oder zurückweisend verstanden (RS0120860 [T20, T21]). Eine solche Entscheidung liegt nach den Beschlüssen 6 Ob 138/18i (= NZ 2019/25, 74 [Mayr]) und 5 Ob 252/18x nicht vor, wenn das Rekursgericht nur über die prozessuale Frage der Rechtzeitigkeit des Rekurses entschieden hat; das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung des Rekurses ist daher regelmäßig einseitig (RS0120614 [T2]; RS0132250).
2.2. Der Antragsgegner behauptet unter Vorlage von Bescheinigungsmitteln und unter Bezugnahme auf die Einvernahme seines Rechtsvertreters, dass dieser infolge Urlaubs vom 21. 12. 2018 bis 6. 1. 2019 von der Rechtsanwaltskanzlei abwesend gewesen und die mit der Post vorgenommene Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses wirksam erst am 7. 1. 2019 erfolgt sei. Diese Darlegungen im Revisionsrekurs über die Rechtzeitigkeit eines als verspätet zurückgewiesenen Schriftsatzes sind zulässige Neuerungen (vgl 2 Ob 163/07w = SZ 2008/23; RS0041923; Klicka in Rechberger,AußStrG2 § 49 Rz 2).
Auch wenn das Revisionsrekursverfahren einseitig ist, ist gemäß § 52 Abs 1 Satz 2 AußStrG, der im Revisionsrekursverfahren sinngemäß anzuwenden ist (§ 71 Abs 4 AußStrG), den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu Anbringen anderer Parteien zu äußern, soweit dies erforderlich ist, um deren Anspruch auf rechtliches Gehör zu wahren. So ist insbesondere dann eine solche Äußerungsmöglichkeit einzuräumen, wenn das Rechtsmittel zulässige Neuerungen enthält (2 Ob 163/07w; Klicka aaO § 68 Rz 4; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 68 Rz 12). Da das hier der Fall ist, war der Antragstellerin eine Revisionsrekursbeantwortung einzuräumen (vgl 5 Ob 283/06p; 8 Ob 131/08k; 10 Ob 47/09y; 1 Ob 248/15z, in denen jeweils bei Berücksichtigung von Bescheinigungsmitteln im Revisionsrekursverfahren auf die Möglichkeit der Revisionsrekursbeantwortung des Verfahrensgegners Bezug genommen wurde; in diesem Sinn auch 2 Ob 75/10h). Von dieser Möglichkeit machte sie keinen Gebrauch.
3. Im Hinblick auf das Vorbringen im Revisionsrekurs hat der Oberste Gerichtshof, der in Bezug auf die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels auch „Tatsacheninstanz“ mit Erhebungspflichten sein kann (RS0006965 [T13, T16]; RS0036430 [T3]) Einsicht in die vorgelegten Urkunden und in die Protokolle des Erstgerichts über die Vernehmung des Zustellorgans sowie des Rechtsvertreters des Antragsgegners genommen. Aufgrund dieser Erhebungsergebnisse – vor allem der Aussage des Antragsgegnervertreters – steht fest, dass dieser vom 21. 12. 2018 bis einschließlich 6. 1. 2019 auf Urlaub und seine Kanzlei in dieser Zeit geschlossen war. Nach der Rückkehr aus dem Weihnachtsurlaub nahm eine Mitarbeiterin des Rechtsvertreters den mit der Post zugestellten erstinstanzlichen Beschluss am 7. 1. 2019 entgegen.
4. Aus § 7a Abs 4 RAO ergibt sich, dass sowohl die Kanzlei als auch eine allfällige Niederlassung eines Rechtsanwalts Abgabestellen im Sinn des § 13 Abs 4 ZustG sind. Daraus folgt zwar, dass diese als Abgabestelle für eingeschriebene Briefe und Rückscheinsendungen aller Art regelmäßig zur Verfügung stehen müssen; eine Verletzung dieses Gebots kann allerdings lediglich zu disziplinärer Verantwortung führen (RS0112905 [T1]). Eine Zustellfiktion oder eine von den Zustellvorschriften des ZustG abweichende Möglichkeit der Zustellung sieht diese Bestimmung bei einer „physischen“ Zustellung nicht vor (2 Ob 93/08b; 3 Ob 149/08w; 2 Ob 98/10s).
5. Gemäß § 17 Abs 3 Satz 4 ZustG gelten hinterlegte Dokumente als nicht zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger (oder dessen Vertreter) wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte. Die Heilung bewirkt, dass die Rechtsmittelfrist erst mit dem Tag in Gang gesetzt wird, an dem nach Rückkehr an die Abgabestelle die Abholung des Schriftstücks möglich war, wobei es genügt, wenn ein voller Tag der Abholung übrig ist (RS0083966 [T1, T4]).
Nach der Rückkehr des Rechtsvertreters aus dem Urlaub wurde der zunächst von der Zustellerin hinterlegte Beschluss am 7. 1. 2019, dem erstmöglichen Termin, behoben. An diesem Tag wurde die Zustellung wirksam und der Lauf der 14‑tägigen Rekursfrist des § 46 Abs 1 AußStrG in Gang gesetzt, die am 21. 1. 2019 endete. Der vom Antragsgegner durch seinen Vertreter am 17. 1. 2019 im elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte Rekurs ist damit rechtzeitig.
6. Gemäß § 36 Abs 3 AußStrG ist jeder Beschluss nur im Rahmen des Gegenstands des Verfahrens zu fassen, wobei auf die Interessenlage und die zivilrechtlich wirksamen rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen der Parteien Bedacht zu nehmen ist. In Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden können, ist der Beschluss im Rahmen der Anträge zu fassen (§ 36 Abs 4 Satz 1 AußStrG). § 36 Abs 3 und Abs 4 Satz 1 AußStrG sind die Parallelbestimmungen zu § 405 ZPO (1 Ob 58/18p mwN). Sie gelten inhaltlich auch für das Rechtsmittelverfahren (§ 55 Abs 2, § 70 Abs 1 AußStrG).
Der Antragsgegner bekämpft im Revisionsrekurs den Beschluss des Rekursgerichts im gesamten Umfang und beantragt dessen Aufhebung und die inhaltliche Entscheidung über seinen Rekurs. Im Rekurs hatte er im Zusammenhang mit der Übertragung seiner Hälfteanteile an zwei Liegenschaften an die Antragstellerin die Festlegung einer Abwicklung Zug um Zug gegen Sicherstellung des gesamten Ausgleichsbetrags und dessen Erhöhung (um 60.000 EUR) auf 270.000 EUR begehrt. Diesem Begehren könnte die Teilregelung des Rekursgerichts in Punkt 3. entgegenstehen, das in teilweiser Stattgebung des Rekurses der Antragstellerin diese schuldig erkannte, dem Antragsgegner frühestens nach sechs Monaten Zug um Zug gegen Übergabe einer Freilassungserklärung betreffend das auf den beiden Liegenschaften intabulierte Simultanpfandrecht für die Kreditforderungen einer Bank eine Ausgleichszahlung von 210.000 EUR zu leisten. In diesem Fall liegt ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Rekursbegehren des Antragsgegners und der abändernden Entscheidung des Rekursgerichts vor, der nach der Rechtsprechung auch im Außerstreitverfahren den Eintritt der Teilrechtskraft verhindert (vgl RS0007209; RS0007269; RS0013296).
Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben, die Entscheidung des Rekursgerichts betreffend Punkt 3. (insofern ist neuerlich über den Rekurs der Antragstellerin zu entscheiden) und hinsichtlich der Zurückweisung des Rechtsmittels des Antragsgegners aufzuheben und diesem die Sachentscheidung aufzutragen.
7. Der Vorbehalt der Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG (vgl 1 Ob 248/15z).
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