OGH 2Ob133/19a

OGH2Ob133/19a19.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pensionsversicherungsanstalt, Linz, Bahnhofplatz 8, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. M***** S*****, 2. Dr. C***** S*****, und 3. Dr. J***** S*****, alle vertreten durch Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwalt in Linz, wegen 55.896,58 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. April 2019, GZ 2 R 63/19a‑25, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 28. Jänner 2019, GZ 9 Cg 22/15b‑21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00133.19A.0919.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.351,11 EUR (darin 225,18 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Patientin eines Facharztes für Gynäkologie setzte sich nach einer Krebsdiagnose im März 2010 über dessen Rat zu einer weiteren medizinischen Abklärung ihrer Krebserkrankung und einer stationären Therapie hinweg, heiratete im Mai 2010 und gebar im Dezember 2010 ihren zweiten Sohn. Sie verstarb im Februar 2011 an ihrer Krebserkrankung. Aufgrund eines Behandlungsfehlers des Arztes hätte die Erkrankung früher diagnostiziert und behandelt werden können. Die Beklagten sind die Erben des Arztes.

Im Verfahren 4 Cg 163/13y des Landesgerichts Steyr machten die Hinterbliebenen mit Klage vom 23. 12. 2013 Ansprüche gegen die Verlassenschaft nach dem mittlerweile verstorbenen Arzt geltend, von denen – mit einer geringfügigen Ausnahme – lediglich jene des älteren Sohnes erfolgreich waren (vgl 5 Ob 41/17s).

Noch während dieses Prozesses begehrte die Klägerin mit ihrer am 24. 6. 2015 eingebrachten Klage unter Berufung auf die Legalzession des § 332 ASVG den Ersatz von zwei Dritteln der von ihr an den Witwer und die beiden Söhne der Patientin erbrachten Hinterbliebenenleistungen sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Leistungen der Klägerin an die Hinterbliebenen zu zwei Dritteln.

Die Beklagten wendeten ein, der atypische Kausalverlauf sei dem behandelnden Arzt nicht zuzurechnen.

In der Tagsatzung vom 19. 10. 2015 vereinbarten die Parteien Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf ein im Parallelverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten zur Kausalitätsfrage. Nach Beendigung des Parallelverfahrens beantragte die Klägerin am 25. 1. 2018 die Fortsetzung des Verfahrens. In der darauffolgenden Tagsatzung wendeten die Beklagten die mangelnde Aktivlegitimation der Klägerin hinsichtlich der an den älteren Sohn der Patientin zu erbringenden Leistungen ein, da eine „Zession zur Begründung seiner Anspruchsposition“ im Parallelverfahren erfolgt sei und „somit dessen Anspruchsposition einschließlich der Zession dort rechtskräftig entschieden“ worden sei. Dabei beriefen sie sich auf eine Abtretungserklärung vom 1. 3. 2016.

Das Erstgericht gab den Zahlungs‑ und Feststellungsbegehren hinsichtlich der Ansprüche des älteren Sohnes der Patientin statt und wies das Mehrbegehren betreffend die Ansprüche des Witwers und des jüngeren Sohnes ab.

Das nur von den Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Selbst die von den Beklagten behauptete Abtretung der Ansprüche der Klägerin würde am Ausgang des Verfahrens nichts ändern, weil die Aktivlegitimation der Klägerin nach § 234 ZPO erhalten bliebe.

Aufgrund eines entsprechenden Antrags der Beklagten ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision nachträglich zu. Es sei bisher nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung gewesen, ob § 234 ZPO auch auf die Veräußerung der streitverfangenen Sache während eines Ruhens des Verfahrens anzuwenden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

1. Gemäß § 234 ZPO hat die Veräußerung einer streitverfangenen Sache oder Forderung auf den Prozess keinen Einfluss. Eine Sache ist streitverfangen immer dann, wenn die Sachbefugnis des Klägers oder des Beklagten im Prozess auf den Rechtsbeziehungen zu dieser Sache beruht, gleichgültig, ob sich das Sachantragsbegehren unmittelbar schon in seinem Wortlaut auf diese Sache erstreckt (RS0039303). „Veräußerung“ ist jeder Wechsel in der Rechtszuständigkeit an der vom Klagebegehren betroffenen Sache oder Forderung außerhalb einer Gesamtrechtsnachfolge (RS0039302). Durch die Veräußerung nach Eintritt der Streitanhängigkeit hat der Veräußerer zwar seine Sachlegitimation verloren, das Prozessführungsrecht aber behalten und kann infolge dessen im eigenen Namen als Partei über das ihm nunmehr fremde Privatrecht weiter prozessieren (RS0039323). Die Änderung der Rechtszuständigkeit nach Streitanhängigkeit ist daher für die materiell‑rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs ohne Bedeutung (RS0039242 [T11]).

2. Die Streitanhängigkeit endet nicht nur mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft der Sachentscheidung, sondern auch in bestimmten Fällen der Prozessbeendigung ohne Sachentscheidung, nämlich im Fall eines Vergleichs, einer Klagsrücknahme oder einer rechtskräftigen Klagszurückweisung (4 Ob 60/18d; 3 Ob 28/06y). Umstände, die bloß einen Stillstand des Verfahrens bewirken, beenden oder unterbrechen die Streitanhängigkeit hingegen nicht. Dies gilt nach der Rechtsprechung – selbst für ein jahrzehntelanges – Ruhen des Verfahrens (4 Ob 60/18d mwN; RS0036697).

3. Daher hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass auch bei einem Ruhen des Verfahrens der neuerlichen Prozessführung durch den Erwerber einer dort streitverfangenen Sache oder Forderung das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit entgegensteht. Dies sowohl in Fällen der Veräußerung vor Eintritt des Ruhens (4 Ob 60/18d; 6 Ob 183/14a; 3 Ob 28/06y ua) als auch in Fällen der Veräußerung während des bereits eingetretenen Ruhens (2 Ob 694/86). Ebenso bei Abtretung einer Forderung während eines aufgrund der Konkurseröffnung unterbrochenen Verfahrens (3 Ob 232/05x).

4. Die Ansicht des Berufungsgerichts, eine allfällige (Rück‑)Zession der auf die Klägerin gemäß § 332 ASVG übergegangenen Ansprüche nach § 1327 ABGB an die Hinterbliebenen sei gemäß § 234 ZPO für die materiell‑rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs auch dann ohne Bedeutung, wenn diese Abtretung während des Ruhens des vorliegenden Verfahrens erfolgte, entspricht daher bereits existierender höchstgerichtlicher Judikatur.

5. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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