European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00119.18T.0827.000
Spruch:
Der Antrag festzustellen, dass die dem Kollektivvertrag für die Dienstnehmerlnnen der Privatkrankenanstalten Österreichs unterliegenden Dienstnehmerlnnen gemäß § 15 dieses Kollektivvertrags Anspruch auf ein Urlaubsgeld und eine Weihnachtsremuneration in Höhe eines monatlichen Grundgehalts zuzüglich Funktionszulage, Überstundenpauschale, Pflegedienstzulage und sämtliche dem jeweiligen Dienstnehmer tatsächlich ständig gewährten, monatlich gleichbleibenden Zulagen auf Basis des Durchschnitts der in den letzten drei, der Auszahlung vorangegangenen Monate haben, wobei die den Dienstnehmerlnnen gewährten variablen, leistungsabhängigen Zulagen, wie insbesondere Nacht- oder Sonntagszulagen sowie eine Überstundenentlohnung nach § 13a dieses Kollektivvertrags (mit Ausnahme von Überstundenpauschalen) nicht einzubeziehen sind, wird abgewiesen.
Begründung:
Die Kollektivvertragsfähigkeit der Parteien ergibt sich aus § 4 Abs 2 ArbVG. Beide sind daher im Sinn des § 54 Abs 2 erster Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert.
Der Kollektivvertrag für die Dienstnehmer der Privatkrankenanstalten Österreichs enthielt im Jahr 1992 unter „§ 15 Urlaubsgeld (13. Monatsbezug) und Weihnachtsremuneration (14. Monatsbezug)“ in Abs 1 folgende Bestimmung: „Allen Dienstnehmern gebührt jährlich ein Urlaubsgeld und eine Weihnachtsremuneration in Höhe eines laufenden Monatsentgeltes (Funktionszulage, Überstundenpauschale, Pflegedienstzulage und sämtliche dem jeweiligen Dienstnehmer tatsächlich gewährten kollektivvertraglichen Zulagen inbegriffen). Der Anspruch auf Urlaubsgeld und Weihnachtsremuneration gebührt nicht, wenn der Dienstnehmer schuldhaft entlassen wird oder ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder die Kündigungsfrist nicht einhält.“
1993 beschlossen die Kollektivvertragsparteien eine „Abänderung bzw Ergänzung zum Kollektivvertrag“. Diese Vereinbarung enthält folgende Bestimmung:
„ 4. In die ERGÄNZUNGEN ZUM KOLLEKTIVVERTRAG (einvernehmliche Auslegung der Vertragspartner) wird folgender Text aufgenommen:
zu § 1 5 Urlaubsgeld (13. Monatsbezug) und Weihnachtsremuneration (14. Monatsbezug):
Die einvernehmliche Auslegung des § 15 durch die Kollektivvertragspartner ist die, dass zur Berechnung des 13. und 14. Monatsgehalts das Grundgehalt sowie alle ständig gewährten, monatlich gleichbleibenden Zulagen herangezogen werden; über den Text des Kollektivvertrages hinaus auch die nicht kollektivvertraglichen Überzahlungen und Zulagen, wie immer sie bezeichnet sind. Nicht vereinbart ist die Einrechnung variabler, leistungsabhängiger Zulagen wie Nach t‑ oder Sonntagszulagen sowie Überstundenentgelte.“
In den Jahren 1994 bis 1997 wurden jeweils Änderungen des Kollektivvertrags zwischen den Kollektivvertragsparteien vereinbart, die jedoch § 15 nicht berührten.
1998 beinhaltete der Kollektivvertragsabschluss (mittlerweile „Kollektivvertrag für die DienstnehmerInnen der Privatkrankenanstalten Österreichs“) nicht nur Abänderungen, sondern den gesamten konsolidierten Text des Kollektivvertrags; dieser wurde hinterlegt und veröffentlicht. § 15 Abs 1 entsprach unverändert der Fassung von 1992. Die Ergänzung zum Kollektivvertrag aus dem Jahr 1993 fand in die konsolidierte Fassung des Jahres 1998 keinen Eingang.
In den Folgejahren beinhaltete der Kollektivvertragsabschluss jeweils wiederum den gesamten Kollektivvertragstext. § 15 Abs 1 blieb bis 2015 unverändert. Die Ergänzung aus dem Jahr 1993 findet sich in keinem dieser Kollektivverträge. In einem Schreiben der Antragsgegnerin aus dem Jahr 2003 bestätigte diese allerdings, dass die einvernehmliche Auslegung des § 15 aus dem Jahr 1993 noch aufrecht sei. 2016 wurde § 15 Abs 1 insoweit geändert, als der zweite Satz entfiel. Der erste Satz über die Berechnung der Sonderzahlungen blieb unverändert.
Im Kollektivvertrag 2017 wurde § 15 Abs 1 wie folgt geändert:
„Allen Dienstnehmern gebühren jährlich ein Urlaubsgeld und eine Weihnachtsremuneration in der Höhe eines laufenden Monatsentgeltes (Funktionszulage, Überstundenpauschale, Pflegedienstzulage und sämtliche dem jeweiligen Dienstnehmer tatsächlich gewährte kollektivvertragliche Zulagen inbegriffen).
Für die Berechnung des laufenden Monatsentgelts des Urlaubsgeldes und der Weihnachtsremuneration ist der Durchschnitt der in den letzten drei der Auszahlung vorangegangenen Monate heranzuziehen (Bsp: Für die Zahlung des Urlaubsgeldes Ende Juni ist das durchschnittliche Entgelt der Monate März, April und Mai maßgebend).“
Diese Regelung findet sich auch in den nachfolgenden Kollektivverträgen.
Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass die dem Kollektivvertrag für die Dienstnehmerlnnen der Privatkrankenanstalten Österreichs unterliegenden Dienstnehmerlnnen gemäß § 15 dieses Kollektivvertrags Anspruch auf ein Urlaubsgeld und eine Weihnachtsremuneration in Höhe eines monatlichen Grundgehalts zuzüglich Funktionszulage, Überstundenpauschale, Pflegedienstzulage und sämtliche dem jeweiligen Dienstnehmer tatsächlich ständig gewährten, monatlich gleichbleibenden Zulagen auf Basis des Durchschnitts der in den letzten drei, der Auszahlung vorangegangenen Monate haben, wobei die den Dienstnehmerlnnen gewährten variablen, leistungsabhängigen Zulagen, wie insbesondere Nacht- oder Sonntagszulagen sowie eine Überstundenentlohnung nach § 13a dieses Kollektivvertrags (mit Ausnahme von Überstundenpauschalen) nicht einzubeziehen sind.
Er bringt vor, dass die „Ergänzung zum Kollektivvertrag“ aus dem Jahr 1993 in der Folge weder verändert, noch ergänzt oder gestrichen worden sei. Hätten die Kollektivvertragsparteien eine Änderung gewollt, hätten sie den Wortlaut des § 15 geändert, dessen erster Satz sei jedoch unverändert geblieben. Die Ergänzung im Jahr 2017 sei vor dem Hintergrund erfolgt, dass Unklarheit darüber bestanden habe, ob bei der Berechnung der Sonderzahlungen bei abweichenden Monatsentgelten ein Durchschnitt der letzten Monate zu bilden sei oder das letzte Monatsentgelt zugrunde zu legen sei.
Dessen ungeachtet habe der Antragsgegner dem Wunsch des Antragstellers auf Klarstellung über die Auslegung des § 15 im Kollektivvertragstext abgelehnt. Der Antragsgegner behaupte, dass entgegen dem Wortlaut der authentischen Interpretation auch variable Zulagen in die Bemessungsgrundlage aufzunehmen seien. Daraus ergebe sich das rechtliche Interesse des Antragstellers an der begehrten Feststellung.
Kollektivverträge seien wie Gesetze auszulegen. Von den Kollektivvertragsparteien gemeinsam verfasste Erläuterungen könnten, soweit sie zugänglich seien, dann zur Interpretation herangezogen werden, wenn der Inhalt im möglichen Wortsinn des Kollektivvertrags Deckung finde. Dies gelte für „objektives“ historisches Material – im Gegensatz zu subjektiven Ansichten und Aufzeichnungen – wie etwa gemeinsame Stellungnahmen und Erläuterungen der Parteien. Kollektivvertragsparteien könnten im Rahmen der Vertragsfreiheit auch einvernehmlich festlegen, wie ihre Vereinbarungen auszulegen seien. Eine solche authentische Interpretation stelle einen Akt der Rechtsetzung dar und entfalte bei gehöriger Kundmachung Normwirkung. Bei der Ergänzung im Jahr 1993 handle es sich um eine authentische Interpretation der Kollektivvertragsparteien, die auch kundgemacht worden sei. Diese gelte ab Inkrafttreten des „erklärten Gesetzes“. Auch in den nachfolgenden Fassungen sei die in Form einer authentischen Auslegung erfolgte einvernehmliche Interpretation nicht abgeändert, ergänzt oder aufgehoben worden, was ebenfalls für deren Gültigkeit auch noch betreffend des nunmehr in Kraft getretenen Kollektivvertrags spreche. Vom Antragsgegner sei in einem Schreiben aus dem Jahr 2003 die einvernehmliche Auslegung sogar bestätigt worden.
Damit ergebe sich, dass § 15 des Kollektivvertrags nicht so auszulegen sei, dass bei der Berechnung der Sonderzahlungen neben den in § 15 ausdrücklich aufgezählten Entgeltsbestandteilen auch noch sämtliche kollektivvertragliche Zulagen – sowohl fixe als auch variable – zu berücksichtigen seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass ausschließlich die ständig gewährten, monatlich gleichbleibenden Zulagen herangezogen werden, und nicht Nacht‑, Sonntagszulagen oder Überstundenentgelte.
Der Antragsgegner bestritt. In keinem einzigen Kollektivvertrag außer dem des Jahres 1993 sei die vom Antragsteller behauptete „authentische Interpretation“ hinterlegt oder kundgemacht worden. Zum Kollektivvertrag existierten insgesamt drei Erläuterungen, die beiden ersten seien erstmals 1992 eingefügt worden und stünden bis heute in Geltung. Die Erläuterungen zu § 15 des Kollektivvertrags finde sich nur in dem Kollektivvertrag aus 1993. Darüber hinaus habe sich 1998 die Praxis der Kundmachung der Kollektivverträge geändert. Seit damals würden die Kollektivverträge in ihrem gesamten Text kundgemacht. In der Fassung 1998 finde sich jedoch nur die Erläuterung zu den Zulagen. Die Erläuterung zur Sonderfreizeit habe in § 16 Eingang gefunden. Die Erläuterung zu § 15 sei nicht übernommen worden. Daraus lasse sich ableiten, dass dies auch dem Willen der Kollektivvertragsparteien entsprochen habe.
Die Auslegung der Bestimmung habe sich am Wortlaut zu orientieren. Aus diesem ergebe sich, dass zur Höhe der Sonderzahlungen auf das laufende Monatsentgelt verwiesen werde. Der Begriff „Entgelt“ werde weit ausgelegt. Darunter werde jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekomme, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stelle, verstanden. Neben dem eigentlichen Gehalt betreffe dies auch das Entgelt für tatsächliche Mehrleistungen, die variabel seien. Auch die Entlohnung für geleistete Überstunden stelle laufendes Monatsentgelt dar.
In Klammer würden einzelne Positionen, die in die Berechnung einzubeziehen seien, angeführt. Die Aufzählung in § 15 Abs 1 des Kollektivvertrags habe rein deklarativen Charakter. Es sollten sämtliche kollektivvertragliche Zulagen unabhängig davon, ob sie Entgeltcharakter oder Aufwandsentschädigung darstellten, monatlich gleichbleibend oder variabel seien, einbezogen werden. Dazu komme, dass seit 2017 die Höhe des laufenden Entgelts auf Basis einer Durchschnittsberechnung der letzten drei Monate zu ermitteln sei. Daraus sei die Absicht der Kollektivvertragsparteien erkennbar, dass gerade nicht nur monatlich gleichbleibende Zulagen, sondern auch variable Zulagen zu berücksichtigen seien. Andernfalls ergebe die Durchschnittsberechnung keinen Sinn.
§ 15 Abs 1 des Kollektivvertrags sei daher nunmehr so auszulegen, dass das für die Sonderzahlungen relevante laufende Monatsentgelt neben dem eigentlichen Gehalt auch sämtliche ordentlichen und außerordentlichen Leistungen zusätzlicher Art – sohin etwa auch das Entgelt für nicht pauschalierte Überstunden – umfasse.
Rechtliche Beurteilung
Der vorliegende Feststellungsantrag ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Person unabhängigen Sachverhalt betreffen.
Feststellungsanträge nach § 54 Abs 2 ASGG sind nach dem Vorbild des § 228 ZPO gestaltet. Nach dieser Bestimmung kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an der Feststellung besteht (8 ObA 17/17h mwN). Feststellungsanträge zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, denen eine bloß theoretische Bedeutung zukommt, erfüllen nach ständiger Rechtsprechung die Voraussetzungen des rechtlichen Interesses nicht, weil abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht feststellungsfähig sind (9 ObA 18/16m; RS0109383; vgl auch Neumayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm³ § 54 ASGG Rz 6). In diesem Sinn wurde bereits ausgesprochen, dass es nicht Aufgabe der Rechtsprechung ist, den Anwendungsbereich unbestimmter Gesetzesbegriffe ohne Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen besonderen Umstände generell und abstrakt einzugrenzen oder die möglichen Fallgruppen zu variieren und jeweils rechtlich zu beurteilen (RS0085664). Der Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG muss ebenso wie eine Feststellungsklage der Prävention und der Prozessökonomie dienen. Insofern unterscheidet sich das Modell des besonderen Feststellungsverfahrens nach § 54 Abs 2 ASGG von einer reinen Gutachtertätigkeit (RS0109383). Für ein Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG eignen sich daher nur Sachverhalte, aus denen eindeutige Rechtsfragen abgeleitet werden können (RS0085635). Der Umfang der Prüfungspflicht des Obersten Gerichtshofs hat sich dabei im Rahmen der vom Antrag umrissenen relevanten Fragestellungen zu halten.
2. Der Antragsteller hat sich im vorliegenden Fall zur Begründung des Feststellungsinteresses darauf berufen, dass mehrere Arbeitgeber, auf die der Kollektivvertrag für die DienstnehmerInnen der Privatkrankenanstalten Österreichs anzuwenden ist, mit der Forderung von Arbeitnehmerseite konfrontiert seien, auch variable Zulagen in die Bemessungsgrundlage für die Sonderzahlungen aufzunehmen. Ausgehend davon sind vom Gegenstand des Rechtsstreits auf Arbeitgeberseite und auf Arbeitnehmerseite jeweils zumindest drei Personen betroffen. Insoweit ist ein konkretes Feststellungsinteresse dargelegt.
Dagegen ist zur abstrakten Frage, welche Entgeltbestandteile grundsätzlich zur Bemessung der Sonderzahlungen heranzuziehen sind, insbesondere inwieweit auch eine Überstundenentlohnung nach § 13a des Kollektivvertrags Teil der Bemessungsgrundlage ist, vom Antragsteller kein ein konkretes rechtliches Interesse begründender Sachverhalt vorgebracht worden. Auf das Vorbringen des Antragsgegners in diesem Zusammenhang kommt es nicht an.
Soweit daher der Antrag über die Frage der Einbeziehung von variablen Zulagen hinausgeht, ist er aufgrund des nicht dargelegten rechtlichen Interesses an der begehrten konkreten Feststellung abzuweisen.
3. Zur Begründung für die Nichteinbeziehung variabler, leistungsabhängiger Zulagen beruft sich der Antragsteller auf die in der Änderung des Kollektivvertrags 1993 enthaltene authentische Interpretation der Kollektivvertragsparteien zu § 15 Abs 1 des Kollektivvertrags.
Von einer authentischen Interpretation spricht man dann, wenn das zur Aufstellung oder Änderung der Grundnorm berechtigte Organ bestimmt, in welchem Sinn sie zu verstehen ist (RS0008904). Kollektivvertragsparteien können im Rahmen der Vertragsfreiheit einvernehmlich festlegen, wie eine Vereinbarung auszulegen ist. Insoweit ist also auch eine authentische Interpretation bei Kollektivverträgen möglich (vgl Kodek in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 8 ABGB Rz 18). Ebenso wie die authentische Interpretation eines Gesetzes nur durch ein gehörig kundgemachtes Gesetz erfolgen kann, bedarf die authentische Interpretation eines Kollektivvertrags durch die Kollektivvertragsparteien zur Entfaltung der Normwirkung die Kundmachung ihres Abschlusses (RS0050921). „Authentische Interpretationen“ durch die Kollektivvertragsparteien treten nicht neben die üblichen Interpretationsmethoden, sondern stellen – unter der Voraussetzung der ordnungsgemäßen Kundmachung – einen Akt der Rechtsetzung dar und entfalten somit Normwirkung (RS0050921 [T2]).
Die in der Änderung des Kollektivvertrags 1993 enthaltene Ergänzung zum Kollektivvertrag, in der die Parteien einvernehmlich festlegten, wie § 15 Abs 1 des Kollektivvertrags zu verstehen ist, stellt eine derartige authentische Interpretation dar. Auch der Antragsgegner bestreitet nicht, dass diese einvernehmliche Auslegung der Kollektivvertragsparteien ordnungsgemäß kundgemacht wurde. Damit hat diese Regelung aber wie die anderen Änderungen des Kollektivvertrags normative Wirkung erhalten.
4. Da bis 1998 jeweils nur Ergänzungen und Änderungen des Kollektivvertrags vereinbart wurden, hatte dies zunächst keinen Einfluss auf die Wirksamkeit dieser authentischen Interpretation. Dagegen wurde im Jahr 1998 eine konsolidierte Fassung des Gesamtkollektivvertrags kundgemacht, in dem zwar § 15 Abs 1 des Kollektivvertrags unverändert übernommen wurde, die einvernehmliche Interpretation durch die Parteien jedoch nicht enthalten ist. Damit stellt sich die Frage, inwieweit die authentische Interpretation noch normative Wirksamkeit hat.
Für das Verhältnis zweier oder mehrerer normativer Teile von Kollektivverträgen gilt nicht das Günstigkeitsprinzip des § 3 Abs 1 ArbVG, sondern der allgemeine Grundsatz der Normenkonkurrenz, sodass der Abschluss eines Kollektivvertrags oder die Änderung von Kollektivvertragsbestimmungen durch einen neuen Kollektivvertrag den schon bestehenden Kollektivvertrag in diesem Bereich außer Kraft setzen (RS0051025). Allgemein gilt: Die spätere Norm hebt die frühere Norm auf, die spezielle Norm die allgemeinere Norm. Die spätere allgemeinere Norm hebt aber nicht die frühere spezielle Norm auf (vgl 8 ObA 339/99g). Im Zweifel hebt das spätere Gesetz alle, auch die spezielleren Gesetze eines bestimmten Rechtsgebiets dann auf, wenn es selbst eine sogenannte Kodifikation ist, also eine beabsichtigte, vollständige und abschließende Regelung eines ganzen Rechtsgebiets (RS0089000; vgl auch RS0082334 [T1]; vgl auch Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch , § 3 ArbVG, Rz 17).
Durch die Vereinbarung der konsolidierten Fassung des Kollektivvertrags 1998 und der damit verbundenen Kundmachung des Gesamttextes des Kollektivvertrags inklusive Anhängen setzt diese Gesamtregelung sämtliche früheren Vereinbarungen der Kollektivvertragsparteien außer Kraft. Gerade der Umstand, dass die authentische Interpretation 1993 ursprünglich in der Änderung des Kollektivvertrags enthalten war und dort ausdrücklich als Ergänzung zum Kollektivvertrag bezeichnet wurde, machte sie zu einem Bestandteil der früheren Kollektivverträge, denen aber durch die Vereinbarung der konsolidierten Fassung 1998 materiell derogiert wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass die Ergänzung zum Kollektivvertrag aus dem Jahr 1993 nach dem Kollektivvertragsabschluss 1998 keine normative Wirkung mehr hatte.
5. Es ist daher zu prüfen, inwieweit das einmal bestehende Verständnis der Kollektivvertragsparteien über die Auslegung des § 15 Abs 1 des Kollektivvertrags auch noch in der Folge für dessen Interpretation herangezogen werden kann.
Dabei ist davon auszugehen, dass es der ständigen Rechtsprechung entspricht, dass der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den Auslegungsregeln der §§ 6, 7 ABGB auszulegen ist (RS0008807; RS0010088). Den Kollektivvertragsparteien kann dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088). Denn die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Normen besessen haben, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (RS0010088 [T18]). Daher kann auf die Verhandlungsprotokolle der Kollektivvertragsparteien, soweit sie im Vertragstext nicht ihren Niederschlag gefunden haben, nicht Bedacht genommen werden (RS0010089 [T6]). In erster Linie ist der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Eine aus dem Text nicht hervorgehende Absicht der Kollektivvertragspartner hat außer Betracht zu bleiben (RS0010088 [T25]). Ein zwischen denselben Kollektivvertragsparteien abgeschlossener, inzwischen außer Kraft getretener Kollektivvertrag ist nur dann zur Auslegung der Parteienabsicht heranzuziehen, wenn die am Text des geltenden Kollektivvertrags orientierte Auslegung zu keinen eindeutigen Ergebnissen führt. Nur dies wird den an den normierten Teil des Kollektivvertrags zu stellenden Bestimmtheitserfordernissen gerecht und führt nicht zu dem mit dem Gebot der Rechtssicherheit unvereinbaren Ergebnis, dass der Kollektivvertragsinhalt von den Normadressaten nur mit archivarischen Fleiß ermittelt werden kann (RS0010089).
Der Text des Kollektivvertrags sieht nun vor, dass die Sonderzahlungen in der Höhe eines laufenden Monatsentgelts zu gewähren sind. „Monatsentgelt“ wird durch den Klammerausdruck dahingehend näher definiert, dass auch Zulagen in das Monatsentgelt eingerechnet werden. Dabei unterscheidet der Kollektivvertrag nicht zwischen variablen leistungsbezogenen und ständig gewährten Zulagen. Vielmehr enthält er ausdrücklich die Formulierung, dass „sämtliche, dem jeweiligen Dienstnehmer tatsächlich gewährten kollektivvertraglichen Zulagen“ inbegriffen sind. Nach dem Wortlaut der Regelung kommt es daher nur darauf an, ob eine Zulage sich aus dem Kollektivvertrag ableiten lässt und dem Dienstnehmer tatsächlich gewährt wird.
Die „Ergänzung“ aus dem Jahr 1993 enthielt gegenüber diesem Text des Kollektivvertrags sowohl eine Ausweitung (nicht kollektivvertragliche Überzahlungen und Zulagen), als auch eine Einschränkung (Nichteinrechnung variabler, leistungsabhängiger Zulagen). Dieses historische Verständnis der Kollektivvertragsparteien entspricht nicht dem Text der Regelung. Selbst wenn daher die Kollektivvertragsparteien auch nach 1998 von einem der außer Kraft getretenen authentischen Interpretation entsprechenden Verständnis des § 15 Abs 1 des Kollektivvertrags ausgegangen sein sollten, deckt sich dieses nicht mehr mit dem Wortlaut des § 15 Abs 1 in der ab 1998 geltenden Fassung des Kollektivvertrags ohne Ergänzung. Damit entspricht dieses Verständnis nicht dem Willen, den der verständige Leser dem Vertragstext entnehmen kann. Auf das, was der Normgeber seinerzeit wirklich gewollt oder später unverbindlich geäußert hat, kommt es aber nicht an (RS0010088 [T30]). Dass die Nacht- und Sonntagszulagen keine „kollektivvertraglichen Zulagen“ darstellen, behauptet auch der Antragsteller nicht.
6. Der Antragsteller vermag keine Argumente zu nennen, warum – von einem einvernehmlichen anderen Verständnis der Kollektivvertragsparteien abgesehen – variable Zulagen nicht in die Sonderzahlungen eingerechnet werden sollten. Gerade die seit dem Kollektivvertrag 2017 in § 15 Abs 1 enthaltene Anordnung einer Durchschnittsberechnung zur Ermittlung der Höhe der Sonderzahlungen auf Grundlage der letzten drei der Auszahlung vorangegangenen Monate, lässt zusätzlich zum Wortlaut auf ein Verständnis, dass auch variable Zulagen einzubeziehen sind, schließen.
Soweit der Antragsteller auf den Schriftwechsel aus dem Jahr 2003 verweist, ist daraus für ihn nichts zu gewinnen. Da eine authentische Interpretation, wie ausgeführt, einer gehörigen Kundmachung bedarf, kann ein Briefwechsel der Kollektivvertragsparteien nicht als gegenüber den Normunterworfenen wirksame authentische Interpretation gewertet werden (9 ObA 168/88). Eine Auslegung im Sinn des sich aus dem Briefwechsel ergebenden Verständnisses scheitert aber wie dargelegt am Wortlaut der Regelung.
Zusammengefasst sind daher sämtliche Zulagen, die sich aus dem Kollektivvertrag ergeben, darunter auch variable und leistungsabhängige Zulagen wie Nacht‑ oder Sonntagszulagen bei Berechnung der Sonderzahlungen zu berücksichtigen. Der Antrag ist daher auch, soweit er darauf gerichtet ist, dass die Sonderzahlungen unter Außerachtlassung dieser Zulagen berechnet werden, nicht berechtigt.
7. Der Antrag des Antragstellers ist daher insgesamt, zum einen wegen des nicht ausreichend dargestellten rechtlichen Interesses, zum anderen wegen inhaltlicher Unbegründetheit abzuweisen.
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