OGH 10ObS45/19v

OGH10ObS45/19v30.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei V*****, Tschechische Republik, vertreten durch Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in Retz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva‑Maria Bachmann‑Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2019, GZ 10 Rs 121/18i‑10, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 4. September 2018, GZ 14 Cgs 83/18z‑6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00045.19V.0730.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld von täglich 33,88 EUR für den Zeitraum von 27. 8. 2017 bis 31. 12. 2017.

Die Klägerin und ihr Ehemann sind die Eltern des am ***** 2017 geborenen Sohnes M*****. Die Klägerin und das Kind sind am selben Wohnsitz in der Tschechischen Republik hauptwohnsitzlich gemeldet. Der Ehemann der Klägerin pendelt von Montag bis Donnerstag zwischen seinem Wohnsitz in der Tschechischen Republik und seiner Arbeitsstätte in Österreich. Er übernachtet jedoch stets in der Ehewohnung in der Tschechischen Republik und hält sich auch an den Wochenenden regelmäßig dort auf. Er ist an der Adresse seiner Betriebsstätte in Österreich hauptwohnsitzlich gemeldet.

Im Zeitraum August bis Dezember 2017 bezog der Ehegatte der Klägerin die Familienbeihilfe für das Kind M*****, seit Jänner 2018 wird die Familienbeihilfe von der Klägerin bezogen.

Mit Bescheid vom 7. 5. 2018 wies die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft den Antrag der Klägerin vom 13. 9. 2017 auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum 27. 8. 2017 bis 31. 12. 2017 mit der Begründung ab, mangels gemeinsamen Wohnsitzes der Klägerin und ihres Ehemannes sei § 2 Abs 8 KBGG über getrennt lebende Eltern anzuwenden. Demnach bestehe kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, weil die Familienbeihilfe in diesem Zeitraum nicht von der Klägerin bezogen worden sei.

In ihrer dagegen erhobenen Klage bringt die Klägerin zusammengefasst vor, ihr Ehemann und sie lebten nicht getrennt, sondern gemeinsam mit dem Kind in einer Mietwohnung an der Adresse O***** (Tschechische Republik).

Die Beklagte bringt vor, das Kind sei an der Adresse der hauptwohnsitzlichen Meldung des Ehemanns der Klägerin in Österreich hauptwohnsitzlich gemeldet worden; dieser habe auch die Familienbeihilfe bezogen. Es sei daher davon auszugehen, dass sich das Kind dort aufgehalten habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf Grundlage des oben festgestellten Sachverhalts statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es stellte ergänzend fest, dass sich der tatsächliche gemeinsame Lebensmittelpunkt der Klägerin und ihres Sohns in der Ehewohnung an der Adresse V***** in Z***** befinde. Sie seien jedoch an der Adresse O*****, hauptwohnsitzlich gemeldet.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, mangels Übereinstimmung der Hauptwohnsitzmeldung mit dem tatsächlichen Wohnort erfülle die Klägerin nicht das Erfordernis des gemeinsamen Haushalts mit ihrem Kind im Sinn des § 2 Abs 6 KBGG. Auf Fragen im Zusammenhang mit § 2 Abs 8 KBGG komme es nicht an.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie zusammengefasst vorbringt, nach tschechischem Melderecht sei es bis vor Kurzem, jedenfalls auch noch im fraglichen Zeitraum, gar nicht möglich gewesen, eine Hauptwohnsitzmeldung an einer Adresse vorzunehmen, an der sich eine Person nur aufgrund eines Mietverhältnisses aufhalte. Dies sei hinsichtlich der Adresse V***** der Klägerin und des Kindes der Fall gewesen. An der Adresse O***** befinde sich die Eigentumswohnung ihrer Eltern, sodass sie dort zulässigerweise hauptwohnsitzlich gemeldet gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die – beantwortete – Revision der Klägerin ist zulässig. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1. Gemäß § 2 Abs 1 Z 2 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, wenn er mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer Haushalt im Sinn dieses Gesetzes liegt gemäß § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG in der hier (gemäß § 50 Abs 19 KBGG) anzuwendenden Fassung BGBl I 2016/53 nur dann vor, „wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Wohnadresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind“.

Im Gegensatz zum Wortlaut des § 2 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2009/116 – demnach lag ein gemeinsamer Haushalt im Sinn dieses Gesetzes nur dann vor, „wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind“ – verlangt diese Bestimmung in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2016/53 bereits ihrem Wortlaut nach ausdrücklich, dass Elternteil und Kind an jener Wohnadresse hauptwohnsitzlich gemeldet sein müssen, an der sie auch tatsächlich in Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft leben.

Dass die „hauptwohnsitzliche Meldung“ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen muss, entsprach aber bereits der Rechtsprechung zur zitierten Vorgängerbestimmung: Demnach muss nach der Rechtslage seit der KBGG‑Novelle BGBl I 2009/116 kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen, damit die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts von Elternteil und Kind erfüllt ist (10 ObS 144/15x; 10 ObS 151/16b SSV‑NF 30/77; 10 ObS 61/18w; 10 ObS 17/19a; vgl bereits 10 ObS 69/14s SSV‑NF 28/46).

1.2. § 2 Abs 1 Z 4 KBGG sieht als eine Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Kinderbetreuungsgeld vor, dass der Elternteil und das Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben müssen. Die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG wird allerdings im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 durch deren Koordinierungsregeln überlagert, im Rahmen derer es zu einem Export des Kinderbetreuungsgeldes in andere Staaten kommen kann (vgl Art 7 VO [EG] 883/2004; Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG² § 2 Rz 42; vgl 10 ObS 117/14z SSV‑NF 29/13).

1.3. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine aus der VO (EG) 883/2004 abgeleitete Verpflichtung Österreichs zum Export von Kinderbetreuungsgeld an einen Elternteil mit Hauptwohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zu prüfen ist, stellt sich die Frage nach der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gemäß § 2 Abs 6 KBGG. Es liegt nämlich auf der Hand, dass ein Elternteil, dessen Hauptwohnsitz nicht in Österreich liegt, keine „hauptwohnsitzliche Meldung“ nach dem österreichischen MeldeG erlangen kann.

Es bedarf daher der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gemäß § 2 Abs 1 Z 6 KBGG.

1.4. Der Wortlaut des § 2 Abs 6 KBGG („hauptwohnsitzlich gemeldet“) verweist nicht ausdrücklich auf das österreichische MeldeG. Eine Auslegung dahin, dass eine Meldung oder Registrierung des Hauptwohnsitzes (iSd § 1 Abs 7 MeldeG) einer Person in einem dem österreichischen Melderecht vergleichbaren, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingerichteten System der Voraussetzung des § 2 Abs 5 KBGG entspricht, erscheint damit nicht ausgeschlossen.

1.5. Für ein derartiges Verständnis spricht insbesondere der Gesetzeszweck.

1.5.1. Zweck des Abstellens auf die „hauptwohnsitzliche Meldung“ ist – ausweislich der Materialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  9 zu BGBl I 2009/116) – eine Entlastung des Krankenversicherungsträgers, aber auch der Eltern durch die Standardisierung des Nachweises des gemeinsamen Lebensmittelpunkts und des gemeinsamen Haushalts an einer bestimmten Adresse. Nichts anderes kann für § 2 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2016/53 gelten.

1.5.2. Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 14. 10. 2016, G 121/2016, VfSlg 20.096, dient die gemeinsame Hautptwohnsitzmeldung, die den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen dokumentiere, der leichteren Administrierbarkeit bei der Beurteilung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld. Der Gesetzgeber habe damit eine Regelung getroffen, die insbesondere Gesichtspunkten der administrativen Handhabbarkeit und Verwaltungsökonomie Rechnung trage.

1.5.3. Eine derartige Verwaltungsvereinfachung kann aber auch durch den urkundlichen Nachweis einer „hauptwohnsitzlichen Meldung“ nach einem dem österreichischen Melderecht vergleichbaren ausländischen System erzielt werden.

Existiert daher im jeweils zu betrachtenden Mitgliedstaat ein derartiges System, ist die Vornahme einer hauptwohnsitzlichen Meldung entsprechend der Ausgestaltung des jeweiligen Systems Voraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes (vgl Art 5 lit b VO [EG] 883/2004).

1.5.4. Besteht ein derartiges System nicht, oder ermöglicht es keine – im Hinblick auf den Zweck des § 2 Abs 6 KBGG mit dem österreichischen Melderecht vergleichbare – „hauptwohnsitzliche Meldung“, würde dies dazu führen, dass eine vom persönlichen Anwendungsbereich des Art 2 VO (EG) 883/2004 erfasste Person allein aufgrund ihres Wohnsitzes in dem anderen Mitgliedstaat vom Bezug des Kinderbetreuungsgeldes schlechthin ausgeschlossen wäre.

Ein derartiges Ergebnis liefe der Aufhebung der Wohnortklauseln gemäß Art 7 VO (EG) 883/2004 zuwider und wäre daher unionsrechtswidrig.

1.5.5. Soweit aber eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich ist, hat das nationale Gericht die der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechtes unangewendet zu lassen (RS0109951 [T3]; RS0075866 [T4]).

Im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 hat daher bei Fehlen eines dem österreichischen Melderecht vergleichbaren Systems im Wohnsitzmitgliedstaat die Anspruchsvoraussetzung der gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gemäß § 2 Abs 6 KBGG unangewendet zu bleiben.

1.6. Die Revisionswerberin bringt vor, aufgrund des tschechischen Melderechts sei es ihr im fraglichen Zeitraum nicht möglich gewesen, eine Hauptwohnsitzmeldung an der Adresse V***** vorzunehmen, da sie dort in einer Mietwohnung lebe, die nicht zu einer „hauptwohnsitzlichen Meldung“ berechtige.

Trifft dieses Vorbringen zu, so wäre es der Klägerin nach tschechischem Recht nicht möglich gewesen, am Ort ihres Hauptwohnsitzes (iSd § 1 Abs 7 MeldeG) eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ gemäß § 2 Abs 6 KBGG zu erlangen. Es wäre ihr demnach aufgrund der Ausgestaltung des tschechischen Melderechts insofern unmöglich gewesen, die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 iVm § 2 Abs 6 KBGG zu erfüllen.

Wäre dies der Fall, hätte die Anspruchsvoraussetzung, wonach der Elternteil und das Kind an der Adresse ihre dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft auch „hauptwohnsitzlich gemeldet“ sein müssen, unangewendet zu bleiben.

1.7. Ob das Vorbringen der Klägerin zutrifft, kann aber nach dem derzeit festgestellten Sachverhalt nicht beurteilt werden. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren – sofern dazu keine Außerstreitstellungenerfolgen – Feststellungen zu den während des relevanten Zeitraums geltenden tschechischen Meldevorschriften sowie gegebenenfalls auch zu dem von der Klägerin behaupteten Mietverhältnis zu treffen haben.

2.1. Gemäß dem mit 1. 1. 2017 in Kraft getretenen und für Bezugszeiträume ab dem 1. 1. 2017 geltenden § 2 Abs 8 KBGG muss bei getrennt lebenden Eltern der antragstellende Elternteil, der mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, obsorgeberechtigt sein und die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG in eigener Person erfüllen.

Der antragstellende Elternteil muss demnach nicht nur obsorgeberechtigt sein und mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt leben, sondern auch Anspruch auf Familienbeihilfe haben und diese auch tatsächlich beziehen. Hingegen ist es bei gemeinsam lebenden Eltern unerheblich, welcher Elternteil Familienbeihilfe bezieht (Burger‑Ehrnhofer, KBGG und FamZeitbG³ [2017] § 2 KBGG Rz 10, 19).

Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass bei getrennt lebenden Eltern eine Ummeldung des Kindes zum Vater nur deshalb stattfindet, damit dieser Kinderbetreuungsgeld beziehen kann, während die Mutter weiterhin Kinderbetreuungsgeld und/oder andere Leistungen bezieht, die man nur erhält, wenn man mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  4).

2.2. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, auch für die Beurteilung, ob die Eltern des Kindes getrennt lebten, sei § 2 Abs 6 KBGG maßgeblich. Der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin, der im fraglichen Zeitraum die Familienbeihilfe bezogen habe, hauptwohnsitzlich an seiner Betriebsstätte in Österreich gemeldet sei, führe daher dazu, dass ungeachtet der tatsächlichen Verhältnisse von getrennt lebenden Eltern auszugehen sei.

2.3. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 2 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, wenn er mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, wobei § 2 Abs 6 KBGG den gemeinsamen Haushalt im Sinn des KBGG definiert. Wie bereits ausgeführt, ist demnach kumulativ zur faktischen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dem Elternteil und dem Kind die hauptwohnsitzliche Meldung des beziehenden Elternteils und des Kindes an dieser Adresse erforderlich.

Der Wortlaut des § 2 Abs 8 KBGG stellt hingegen rein auf faktische Verhältnisse ab. Ein Hinweis darauf, dass unter „getrennt lebenden“ Eltern auch solche Eltern zu verstehen seien, die zwar faktisch im gemeinsamen Haushalt leben, das Erfordernis einer hauptwohnsitzlichen Meldung des nicht antragstellenden Elternteils an dieser Wohnadresse jedoch nicht erfüllen, findet sich im Wortlaut des Gesetzes nicht. § 2 Abs 8 KBGG bedient sich zudem einer von § 2 Abs 6 KBGG abweichenden Terminologie: Während § 2 Abs 6 KBGG den „gemeinsamen Haushalt“ (für das gesamte KBGG) definiert, stellt § 2 Abs 8 KBGG nicht auf das Fehlen eines „gemeinsamen Haushalts“ der Eltern ab, sondern darauf, dass die Eltern „getrennt leben“. Aus diesem Grund kann das von der Beklagten im vorliegenden Fall angestrebte Auslegungsergebnis auch aus der systematischen Zusammenschau von § 2 Abs 1 Z 2, Abs 6 und Abs 8 KBGG nicht ohne Weiters erschlossen werden. Gerade hinsichtlich einer Leistung wie dem Kinderbetreuungsgeld, die von weiten Teilen der Bevölkerung in Anspruch genommen wird, ist aber zu verlangen, dass die Anspruchsvoraussetzungen verlässlich ermittelt werden können. Allein der angestrebte Zweck der Verwaltungsvereinfachung vermag eine dem Wortlaut und systematischen Zusammenhang nicht zu entnehmende zusätzliche Anspruchsvoraussetzung nicht zu begründen.

Im Ergebnis ist § 2 Abs 8 KBGG daher dahin auszulegen, dass für die Beurteilung, ob getrennt lebende Eltern im Sinn dieser Bestimmung vorliegen, auf die faktischen Verhältnisse abzustellen ist. Der behördlichen Meldung kommt insofern Indizwirkung zu (vgl 10 ObS 57/13z SSV‑NF 27/37; 10 ObS 69/14s SSV‑NF 28/46 je zur Rechtslage vor BGBl I 2009/116; 10 ObS 144/15x ua).

2.4. Im vorliegenden Fall kann nach den getroffenen Feststellungen kein Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin und ihr Ehemann nicht im Sinn des § 2 Abs 8 KBGG „getrennt leben“. Der Umstand, dass im hier zu beurteilenden Zeitraum nicht die Klägerin, sondern ihr Ehemann die Familienbeihilfe für das Kind M***** bezog, führt daher hier nicht zum Anspruchsverlust.

3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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