OGH 10ObS61/18w

OGH10ObS61/18w26.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Puttinger Vogl Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, 5020 Salzburg, Engelbert-Weiß-Weg 10, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 1. März 2018, GZ 12 Rs 16/18m‑14, womit das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. September 2017, GZ 31 Cgs 79/17b‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00061.18W.0626.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 4.788,84 EUR für den Zeitraum von 10. 10. 2016 bis 1. 1. 2017 zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Kostenbeitrag für die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen in Höhe von 952,02 EUR (darin enthalten 158,65 EUR USt) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu leisten.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezog für ihre am 12. 5. 2016 geborene Tochter E***** einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld ab deren Geburt.

Mit Bescheid vom 1. 6. 2017 forderte die beklagte Salzburger Gebietskrankenkasse das für den Zeitraum von 10. 10. 2016 bis 31. 10. 2016 ausbezahlte Kinderbetreuungsgeld zurück und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz des Rückforderungsbetrags von 1.254,22 EUR. Weiters wurde der Antrag der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von 1. 11. 2016 bis 1. 1. 2017 abgewiesen.

Der Rückforderungsbetrag von 1.254,22 EUR wurde von der beklagten Partei durch Aufrechnung mit dem laufenden Bezug an Kinderbetreuungsgeld einbehalten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren auf Zahlung des Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von insgesamt 4.788,84 EUR für den Zeitraum von 10. 10. 2016 bis 1. 1. 2017. Sie brachte im Wesentlichen vor, sie habe durchgehend mit ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt gewohnt. Die nach § 2 Abs 6 KBGG erforderliche gemeinsame „hauptwohnsitzliche“ Meldung sei jedoch aus rechtlichen Gründen unmöglich gewesen, weil der ebenfalls obsorgeberechtigte Kindesvater einer Ummeldung des Kindes nicht zugestimmt habe.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung und wendete im Wesentlichen ein, Anspruchsvoraussetzung für das Kinderbetreuungsgeld sei die dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft des bezugsberechtigten Elternteils mit dem Kind an derselben Wohnadresse und (kumulativ) die hauptwohnsitzliche Meldung beider an dieser Adresse (§ 2 Abs 6 KBGG). Eine rechtliche Unmöglichkeit der gemeinsamen hauptwohnsitzlichen Meldung der Klägerin und ihrer Tochter liege nicht vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es legte seiner Entscheidung im Wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde:

Nach der Geburt ihrer Tochter am 12. 5. 2016 wohnte die Klägerin mit dem Kind und dessen Vater (ihrem damaligen Lebensgefährten) in S***** (Bundesland Salzburg). An dieser Adresse war das Kind vom 24. 5. 2016 bis zum 2. 1. 2017 als Hauptwohnsitz gemeldet. Die Obsorge kam beiden Eltern gemeinsam zu. Am 23. 9. 2016 griff der Vater des Kindes die Klägerin zum wiederholten Mal tätlich an. Am nächsten Tag zog sie gemeinsam mit dem Kind zu einer Verwandten nach St. M***** (Bundesland Oberösterreich). Am 4. 10. 2016 erkundigte sie sich im Rahmen des Amtstags beim Bezirksgericht über eine etwaige Auflösung des bisher gemeinsamen Haushalts mit dem Vater des Kindes. Sie wurde dahingehend beraten, dass sie eine einvernehmliche Lösung über den nunmehrigen Wohnsitz des Kindes herstellen sollte. Eine derartige Einigung war für sie aber nicht erzielbar. Als sie am 10. 10. 2016 für sich entschieden hatte, nicht mehr zum Vater des Kindes zurückzukehren, meldete sie sich noch an diesem Tag an ihrer neuen Wohnadresse in St. M***** (als Hauptwohnsitz) an, hielt aber ihren bisherigen Wohnsitz in S*****, als Nebenwohnsitz aufrecht. Am 8. 11. 2016 stellte sie beim Bezirksgericht, das für ihren früheren Wohnsitzort zuständig ist, den Antrag auf Feststellung des Aufenthaltorts des Kindes. Es wurde ihr erklärt, dass sie das Kind bis zur Entscheidung des Gerichts nicht ummelden dürfe, weil der Vater im Fall einer Ummeldung im Nachhinein wegen des Aufenthaltsbestimmungsrechts „Probleme machen“ könnte. Mit Beschluss des Bezirksgerichts T***** vom 22. 12. 2016 wurde der Hauptaufenthalt des Kindes im Haushalt der Klägerin festgelegt. Dieser Beschluss wurde ihr am 29. 12. 2016 zugestellt. Infolge der Feiertage konnte sie die Ummeldung ihrer Tochter erst am 2. 1. 2017 durchführen. Dass die Klägerin und ihre Tochter im anspruchsrelevanten Zeitraum durchgehend tatsächlich im gemeinsamen Haushalt gewohnt haben, ist unstrittig.

Rechtlich ging das Erstgericht im Wesentlichen davon aus, die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG seien erfüllt. Die Absicht, einen neuen Wohnsitz in St. M***** zu begründen, sei bei der Klägerin und ihrer Tochter zeitgleich vorhanden gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Ausgehend von einer gemeinsamen Obsorge beider Elternteile habe die Klägerin die Entscheidung über die Verlegung des Wohnsitzes bzw die Begründung eines neuen Hauptwohnsitzes für das Kind nicht allein treffen können, sondern nur unter Berücksichtigung der Zustimmungs- und Genehmigungserfordernisse nach den §§ 137 bzw 181 ABGB. Weil die Herstellung des Einvernehmens mit dem Vater des Kindes als gemeinsam obsorgeberechtigten Elternteil nicht erzielbar und eine gerichtliche Entscheidung erst am 22. 12. 2016 gefällt worden war, wäre davor die Anmeldung des Hauptwohnsitzes des Kindes in St. M***** nicht zulässig gewesen. Eine – rechtlich zulässige – gemeinsame Hauptwohnsitzmeldung wäre überhaupt nur dann möglich gewesen, wenn die Klägerin ihren Hauptwohnsitz nicht verlegt hätte, sondern bei dem Vater des Kindes verblieben wäre und zum Schutz vor Gewalt gegen diesen eine Wegweisung und ein Betretungsverbot (§ 38a SPG) bzw eine einstweilige Verfügung (§ 382b EO) beantragt hätte. Auch im Hinblick auf die vom Gesetzgeber intendierte Verwaltungsvereinfachung sei davon auszugehen, dass derartige Konstellationen bei Schaffung des § 2 Abs 6 KBGG nicht bedacht worden seien. Der Verfassungsgerichtshof sei in seinem Erkenntnis vom 14. 10. 2016, G 121/2016, davon ausgegangen, dass das Anspruchskriterium der übereinstimmenden Hauptwohn-sitzmeldung leicht zu erfüllen sei, während die (nachträgliche) Ermittlung der Haushaltszugehörigkeit von Elternteil oder Kind für die Gebietskrankenkassen einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen könnte. Sei aber – wie hier – das Anspruchskriterium einer gemeinsamen hauptwohnsitzlichen Meldung nicht leicht zu erfüllen, mangle es an einem notwendigen Ausnahmetatbestand, der ein ansonsten sachlich nicht gerechtfertigtes Ergebnis verhindern könnte. Das Anspruchskriterium der gemeinsamen hauptwohnsitzlichen Meldung in § 2 Abs 6 KBGG sei somit teleologisch zumindest auf jene Fälle zu reduzieren, in denen übereinstimmende Hauptwohnsitzmeldungen rechtlich unmöglich seien. Selbst wenn aber eine Ummeldung des Kindes rechtlich doch zulässig gewesen sein sollte, wäre der Klägerin im Hinblick auf die gegebenen Umstände (insbesondere im Hinblick auf die Auskunft des Bezirksgerichts), die Ummeldung nicht zumutbar gewesen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung sowohl zur Reichweite des Einvernehmlichkeitsgebots (§ 137 ABGB) als auch zu den Rechtsfolgen fehlenden Einvernehmens bei Verlegung des Wohnsitzes des Kindes im Inland durch einen gemeinsam obsorgeberechtigten Elternteil fehle, ebenso zu der vom Berufungsgericht vorgenommenen teleologischen Reduktion des § 2 Abs 6 KBGG.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der beklagten Partei ist zulässig und im Sinn des Abänderungsantrags auch berechtigt.

1.1. Der Zweck des als Familienleistung konzipierten Kinderbetreuungsgeldes ist, es einem Elternteil zu ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen, die Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls finanzielle Nachteile, die der Verzicht auf ein (Voll‑)Erwerbseinkommen bedeutet, abzumildern. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Betreuungsleistungen von jenem Elternteil erbracht werden, der mit dem Kind einen gemeinsamen Haushalt führt.

1.2. Voraussetzung des Anspruchs eines Elternteils auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind ist daher, dass der Elternteil mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2005/100). Diese Anspruchsvoraussetzung muss auch für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens erfüllt sein (§ 24 Abs 1 Z 1 KBGG).

2.1. Der mit der Novelle BGBl I 2009/116 eingefügte § 2 Abs 6 KBGG lautet:

„(6) Ein gemeinsamer Haushalt im Sinne dieses Gesetzes liegt nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als dreimonatiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer der Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst.“

2.2. § 2 Abs 6 KBGG ist auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens anzuwenden (§ 24d Abs 1 KBGG idF BGBl I 2013/117 bzw § 24e KBGG idF BGBl I 2016/53).

3.1. Während eine idente Hauptwohnsitzmeldung vom Elternteil, der die Leistung beantragt und bezieht, und dem Kind vor der KBGG‑Novelle BGBl I 2009/116 lediglich ein Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts bildete, muss nach der Rechtslage seit dem BGBl I 2009/116 kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen, damit die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts von Elternteil und Kind erfüllt ist.

3.2. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  9) führen zu § 2 Abs 6 KBGG aus:

„Nach dem Meldegesetz ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ('Lebensmittelpunkt') liegt. Bei getrennten Hauptwohnsitzmeldungen des beziehenden Elternteiles und des Kindes einerseits und der gegenteiligen Angaben (zB gemeinsamer Lebensmittelpunkt und gemeinsamer Haushalt an einer der beiden Adressen) bei den Krankenversicherungsträgern andererseits, handelt es sich um einen aufklärungsbedürftigen Widerspruch. Damit entstehen in den meisten Fällen unnötige Belastungen der Eltern und der Behörden. Durch die Klarstellung, dass ein gemeinsamer Haushalt eine auf längere Zeit gerichtete Wohn-und Wirtschaftsgemeinschaft mit dementsprechenden Hauptwohnsitzmeldungen des Elternteiles und des Kindes an derselben Adresse voraussetzt, wird eine Entlastung der Eltern und der Krankenversicherungsträger erreicht.

Der gemeinsame Haushalt kann bereits ab dem ersten Tag der Abwesenheit des Elternteiles bzw. des Kindes aufgelöst sein. Für Zeiträume bis drei Monate ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob der gemeinsame Haushalt aufgelöst ist. Ab einer (tatsächlichen oder voraussichtlichen) Abwesenheit von mehr als drei Monaten ist der Zeitraum von einer derartigen Dauer, dass für die Zeit der Abwesenheit von keinem gemeinsamen Haushalt auszugehen ist, für die Behörden entfallen daher aufwendige Prüftätigkeiten.“

§ 2 Abs 6 idF BGBl I 116/2009 trat mit 1. 1. 2010 in Kraft (§ 49 Abs 19 KBGG).

4.1. Am 13. 4. 2016 stellte der Oberste Gerichtshof den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge § 2 Abs 6 erster Satz KBGG, idF BGBl I 116/2009 als verfassungswidrig aufheben (10 ObS 144/15x). Als Begründung wurde ausgeführt, das Erfordernis der hauptwohnsitzlichen Meldung von Elternteil und Kind an derselben Adresse stehe in Widerspruch zu dem aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Sachlichkeitsgebot. Zwar dürften vom Gesetzgeber auf Verwaltungsvereinfachung zielende pauschalierende Regelungen getroffen werden; diese Erlaubnis finde jedoch ihre Grenzen dort, wo andere Überlegungen, die gegen die Regelung sprechen, größeres Gewicht beizumessen sei als den verwaltungsökonomischen. Die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 6 erster Satz KBGG wirke nur partiell vereinfachend, nehme aber mitunter schwere nachteilige Rechtsfolgen für den beziehenden Elternteil in Kauf.

4.2. Mit Erkenntnis vom 14. 10. 2016, G 121/2016, wies der Verfassungsgerichtshof diesen Antrag ab. Die Begründung des Verfassungsgerichtshofs lässt sich dahin zusammenfassen, dass der Gesetzgeber auf den Regelfall abstellen darf, wonach grundsätzlich leistungsbeziehende Eltern gesetzeskonform den Hauptwohnsitz an jener Adresse melden, an der sich der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen befindet und dass diese Meldung – sofern sie mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt leben – mit der Adresse der hauptwohnsitzlichen Meldung des Kindes zusammenfällt. Die Anknüpfung an die gemeinsame Hautptwohnsitzmeldung, die diesen Umstand dokumentiert, dient der leichteren Administrierbarkeit bei der Beurteilung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld. Der Gesetzgeber hat damit eine Regelung getroffen, die insbesondere Gesichtspunkten der administrativen Handhabbarkeit und Verwaltungsökonomie Rechnung trägt. Dem Gesetzgeber ist daher nicht entgegenzutreten, wenn er für die Gewährung einer Leistung, die zudem nur für einen begrenzten Zeitraum gebührt, ein leicht zu erfüllendes Anspruchskriterium festlegt. Demgegenüber ist davon auszugehen, dass die Ermittlung der Haushaltszugehörigkeit von Elternteil oder Kind (sofern Zweifel entstanden sind) einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen kann. Dass der Gesetzgeber keine Ausnahmen vom Erfordernis der hauptwohnsitzlichen Meldung vorgesehen hat, um unvermeidbare Härtefälle abzufedern und keine Möglichkeit eröffnet, das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts auf andere Weise nachzuweisen, macht die Regelung nicht unsachlich. Hinzu kommt, das der Gesetzgeber im Rahmen der Rückforderung gewisse Möglichkeiten der Abfederung von Härtefällen vorsieht.

5.1. Seit diesem Erkenntnis erfuhr § 2 Abs 6 KBGG mit der Novelle BGBl I 2016/53 eine Änderung dahin, dass nach dem ersten Satz folgender Satz eingefügt wurde:

„Eine höchstens bis zu 10 Tagen verspätet erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse schadet nicht.“ Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Novelle wird durch diese Änderung „eine großzügige Nachfrist bei der verspäteten Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an der Wohnadresse geschaffen“ (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  4).

5.2 Weiters wurde mit der Novelle BGBl I 2016/53 in § 2 Abs 6 4. Satz KBGG für kranke Kinder eine Sonderregelung geschaffen, die den Fortbezug des Kinderbetreuungsgeldes auch bei einem 91 Tage übersteigenden Krankenhausaufenthalt unter der Voraussetzung einer mindestens vier Stunden täglich andauernden Betreuung und Pflege des Kindes durch den bezugsberechtigten Elternteil ermöglicht.

5.3. § 2 Abs 6 idF BGBl I 53/2016 trat mit 1. 1. 2017 in Kraft und gilt für Bezugszeiträume ab 1. 1. 2017 (§ 50 Abs 19 KBGG), ist also für den vorliegenden Fall nur auf den letzten Tag des strittigen Bezugszeitraums (den 1. 1. 2017) anwendbar.

6. Aus der unter 2.–4. dargestellten Rechtslage ist abzuleiten, dass für eine teleologische Reduktion des § 2 Abs 6 KBGG im Sinn einer sich aus dem Gesetzeszweck ergebenden notwendigen Einschränkung auf einen engeren Anwendungsbereich kein Raum bleibt:

Zwar soll die teleologische Reduktion dazu dienen, sich durch eine undifferenzierte Gesetzesanwendung ergebende unverständliche, nicht sachgerechte oder ungerechte Ergebnisse zu vermeiden und das Fehlen einer nach dem Gesetzeszweck notwendigen Ausnahme zu korrigieren (RIS‑Justiz RS0008979; VwGH 2003/08/0015 VwSlg 16.789 A/2005; Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 7 Rz 20). Das Fehlen einer gesetzlichen Ausnahmevorschrift für den vorliegenden Fall steht allerdings nicht im Widerspruch zum erkennbaren Gesetzeszweck. § 2 Abs 6 KBGG wurde gerade für jene Fälle geschaffen, in denen es – wie hier – zu einem Auseinanderfallen des tatsächlichen gemeinsamen Wohnsitzes des bezugsberechtigten Elternteils und des Kindes kommt. Das Ziel und der Zweck dieser Regelung liegen nach dem Erkenntnis des VfGH und den Gesetzesmaterialien allein darin, den Krankenversicherungsträgern Verwaltungsaufwand zu ersparen, indem aufwendige Prüftätigkeiten vermieden werden und so eine Entlastung der Krankenversicherungsträger erreicht wird (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  9). Dass dabei – unvermeidbar – Härtefälle auftreten und keine Möglichkeit gegeben ist, das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts auf andere Weise nachzuweisen, hat der Verfassungsgerichtshof unter den Gesichtspunkten der administrativen Handhabbarkeit und der Verwaltungsökonomie ausdrücklich als nicht unsachlich erachtet. Zudem hat der Gesetzgeber seit Ergehen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs mit Geltung ab 1. 1. 2017 zwei Ausnahmefälle normiert, indem er eine in den Gesetzesmaterialien als „großzügig“ bezeichnete Nachfrist von 10 Tagen für die Erbringung des Meldenachweises eröffnet und eine abfedernde Regelung für kranke Kinder, in Spitalspflege getroffen hat. Auch bei diesen Ausnahmeregelungen hat er aber jeweils darauf Bedacht genommen bzw Vorsorge dafür getroffen, dass keine aufwendigen Prüftätigkeiten und kein erheblicher Verwaltungsaufwand entsteht. So kann die Nachfrist bei verspäteter Meldung durch einfaches Vergleichen des Meldenachweises und des am Antrag auf Kinderbetreuungsgeld aufscheinenden Datums erbracht werden. Der Nachweis der Voraussetzungen für die für kranke Kinder geschaffenen Ausnahmeregelung ist vom Elternteil durch eine Bestätigung des Krankenhauses zu erbringen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  4).

7. Sprechen der Gesetzeswortlaut und die klare gesetzgeberische Absicht gegen eine teleologische Reduktion des § 2 Abs 6 KBGG, kommt sie nicht in Betracht (vgl P. Bydlinski in KBB4 § 7 ABGB Rz 5 mwN).

8. Auf die Reichweite des Einvernehmlichkeitsgebots (§ 137 ABGB) bzw die Rechtsfolgen fehlenden Einvernehmens bei Verlegung des Wohnsitzes des Kindes im Inland durch einen gemeinsam obsorgeberechtigten Elternteil muss daher nicht abschließend eingegangen werden. Klarzustellen ist nur, dass das Innenverhältnis zwischen gemeinsam obsorgeberechtigten Eltern im Fall einer Wohnsitzverlegung des Kindes und die Sorge, es könnte vor Vorliegen einer Entscheidung des Gerichts über den Hauptaufenthalt des Kindes durch Handlungen eines Elternteils (hier der Mutter) in das Obsorgerecht des anderen Elternteils eingegriffen werden, von den (verwaltungsrechtlichen) Meldevorschriften für Minderjährige zu trennen ist. Meldungen nach dem MeldeG stellen ganz allgemein eher auf das (faktische) Zusammenleben von Erziehungsberechtigten und Kindern ab (vgl ErläutRV 279 BlgNR 18. GP  16). Die Meldepflicht für einen Minderjährigen trifft nach § 7 Abs 2 MeldeG denjenigen, dem Pflege und Erziehung zustehen; nimmt ein Minderjähriger nicht bei oder mit einer solchen Person Unterkunft, trifft die Meldepflicht den Unterkunftgeber. § 7 MeldeG setzt somit gar nicht voraus, dass der Meldepflichtige die (alleinige oder gemeinsame) Obsorge innehat. Zweifellos kam der Klägerin im maßgebenden Zeitraum die Pflege und Erziehung für ihre Tochter zu. Die von der Klägerin behauptete „rechtliche Unmöglichkeit“ der Meldung des Kindes mangels Einverständnis des (mit ihr gemeinsam obsorgeberechtigten) Vaters liegt jedenfalls nicht vor.

9. Der Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abzuweisen war.

10. Zur Kostenentscheidung:

Unterliegt der Versicherte im gerichtlichen Verfahren zur Gänze, hat er dem Grunde und der Höhe nach einen nach den in § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG genannten Maßstäben zu beurteilenden Kostenersatzanspruch. Nach dieser Bestimmung setzt ein Kostenersatzanspruch nach Billigkeit voraus, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatz nahelegen und auch tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen.

Wenngleich die Klägerin in der Revision nicht vorgebracht hat, dass ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Kostenersatzanspruch nahelegen, ergeben sich dafür aus dem Akt (ihrer Parteieneinvernahme) ausreichende Anhaltspunkte, sodass vom Erfordernis der Bescheinigung abgesehen werden kann (10 ObS 139/12g, SSV‑NF 26/70 mwN). Die rechtlichen Schwierigkeiten des Falls ergeben sich daraus, dass die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung abhing. Es entspricht daher der Billigkeit, der zur Gänze unterlegenen Klägerin die Hälfte der Kosten ihres Vertreters zuzusprechen (RIS‑Justiz RS0085871).

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