OGH 10ObS144/15x

OGH10ObS144/15x13.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Herbert Felsberger und Dr. Sabine Gauper‑Müller, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Widerruf und Rückersatz von Kinderbetreuungsgeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 15. Oktober 2015, GZ 6 Rs 45/15g‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 29. April 2015, GZ 30 Cgs 1/15m, 30 Cgs 17/15i‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00144.15X.0413.000

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG (Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B‑VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag,

§ 2 Abs 6 erster Satz Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 2001/103 idF BGBl I 2009/116, als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Begründung

Nach der Geburt ihres Sohnes M***** am 22. 11. 2013 beantragte die Klägerin am 6. 3. 2014 einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld, das von der Beklagten mit formlosem Schreiben vom 12. 3. 2014 für den Zeitraum 15. 2. 2014 bis 21. 11. 2014 gewährt und mit 66 EUR täglich bemessen wurde. Sie lebte nach der Geburt mit ihrem Sohn, ihrer Tochter und ihrem Ehemann in H***** 27, G*****. Alle Familienmitglieder waren mit Hauptwohnsitz an dieser Adresse gemeldet.

Mitte Juni 2014 verzog die Klägerin mit ihren Kindern und ihrem Ehemann in eine Eigentumswohnung in S*****. Seit 18. 6. 2014 leben sie, ihr Ehemann und ihre Kinder in dieser Wohnung im gemeinsamen Haushalt.

Mit 18. 6. 2014 meldeten die Klägerin und ihr Ehemann den Hauptwohnsitz von G***** auf S***** um. Die Tochter war schon zuvor auf diese Anschrift umgemeldet worden.

2014 war über das Unternehmen, in dem der Ehemann der Klägerin in leitender Position tätig war, ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das brachte große finanzielle Sorgen für die Familie. Aufgrund dieser Situation vergaß die Klägerin, auch ihren Sohn mit Hauptwohnsitz in S***** anzumelden. Erst über Anregung der Gebietskrankenkasse meldete die Klägerin am 20. 11. 2014 ihren Sohn mit Hauptwohnsitz in S***** an. Sie bezog im Zeitraum vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 durchgehend für ihren Sohn die Familienbeihilfe.

Mit Bescheid vom 28. 11. 2014 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin vom März 2014 auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 ab.

Mit Bescheid vom 30. 1. 2015 verpflichtete die Beklagte die Klägerin zum Ersatz des vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 10.296 EUR.

Die Klägerin bekämpfte beide Bescheide mit gesondert eingebrachten Klagen.

Das Erstgericht sprach mit Urteil aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für ihren Sohn vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 zu Recht bestehe und die Klägerin nicht zum Rückersatz des Betrags von 10.296 EUR verpflichtet sei.

Das Berufungsgericht wies in Abänderung des Urteils des Erstgerichts das Klagebegehren, es werde dem Antrag der Klägerin vom 6. 3. 2014 auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 stattgegeben und der Bescheid der beklagten Partei vom 30. 1. 2015, mit welchem die Klägerin zum Ersatz des für den Zeitraum 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von insgesamt 10.296 EUR verpflichtet worden ist, werde ersatzlos behoben, ab und sprach aus, dass das mit Schreiben der Beklagten vom 12. 3. 2014 der Klägerin zuerkannte Kinderbetreuungsgeld von täglich 66 EUR für den Zeitraum 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 widerrufen wird, und erkannte die Klägerin schuldig, der beklagten Partei 10.296 EUR binnen vier Wochen zu zahlen. Da die Klägerin und ihr Sohn vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 nicht an der Adresse des gemeinsamen Haushalts hauptwohnsitzlich gemeldet gewesen seien, sei die Voraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 iVm § 2 Abs 6 erster Satz KBGG für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in diesem Zeitraum nicht erfüllt gewesen. Nach § 27 Abs 3 Z 3, § 30 Abs 2 und § 31 Abs 2 KBGG sei daher die bereits ausgezahlte Leistung für diesen Zeitraum von der Beklagten zu widerrufen und die ausgezahlte Leistung rückzufordern gewesen. Eine Verschuldensprüfung sei bei den Rückforderungstatbeständen des § 31 Abs 2 KBGG nicht vorzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof unter dem Aspekt des aus dem Gleichheitssatz (Art 7 B‑VG; Art 2 StGG) abgeleiteten Sachlichkeitsgebots, das es dem Gesetzgeber verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (zB VfSlg 11.369/1987; 17.931/2006), Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs 6 erster Satz KBGG in der geltenden und im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung hat.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

1.1. Eine Voraussetzung des Anspruchs eines Elternteils auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind ist, dass der Elternteil mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2005/100). Diese Anspruchsvoraussetzung muss auch für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens erfüllt sein (§ 24 Abs 1 Z 1 KBGG).

1.2. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 59 f) halten zu dieser Anspruchsvoraussetzung fest, dass sich die Voraussetzung des gemeinsamen Haushalts der beziehenden Person mit dem Kind im Normalfall aus den Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe ergibt, jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit auch im KBGG festgelegt wird. Nach den Erläuterungen im Durchführungserlass zum KBGG (abgedruckt in Ehmer ua, KBGG² 281 f) ist unter gemeinsamem Haushalt eine Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen, wofür eine idente Hauptwohnsitzmeldung von Antragsteller/in und Kind ein Indiz bildet.

1.3. Zweck des als Familienleistung konzipierten Kinderbetreuungsgeldes ist, es einem Elternteil zu ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen, die Betreuungs‑ und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls finanzielle Nachteile, die der Verzicht auf ein (Voll‑)Erwerbseinkommen bedeutet, abzumildern. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Betreuungsleistungen von jenem Elternteil erbracht werden, der mit dem Kind einen gemeinsamen Haushalt führt.

2.1. Der durch BGBl I 2009/116 eingefügte § 2 Abs 6 KBGG lautet:

„(6) Ein gemeinsamer Haushalt im Sinne dieses Gesetzes liegt nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als dreimonatiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer der Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst.“

§ 2 Abs 6 KBGG ist auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens anzuwenden (§ 24d Abs 1 KBGG).

2.2. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 9) führen zu § 2 Abs 6 KBGG aus:

„Nach dem Meldegesetz ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ('Lebensmittelpunkt') liegt. Bei getrennten Hauptwohnsitzmeldungen des beziehenden Elternteiles und des Kindes einerseits und der gegenteiligen Angaben (zB gemeinsamer Lebensmittelpunkt und gemeinsamer Haushalt an einer der beiden Adressen) bei den Krankenversicherungsträgern andererseits, handelt es sich um einen aufklärungsbedürftigen Widerspruch. Damit entstehen in den meisten Fällen unnötige Belastungen der Eltern und der Behörden. Durch die Klarstellung, dass ein gemeinsamer Haushalt eine auf längere Zeit gerichtete Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft mit dementsprechenden Hauptwohnsitzmeldungen des Elternteiles und des Kindes an derselben Adresse voraussetzt, wird eine Entlastung der Eltern und der Krankenversicherungsträger erreicht. Der gemeinsame Haushalt kann bereits ab dem ersten Tag der Abwesenheit des Elternteiles bzw. des Kindes aufgelöst sein. Für Zeiträume bis drei Monate ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob der gemeinsame Haushalt aufgelöst ist. Ab einer (tatsächlichen oder voraussichtlichen) Abwesenheit von mehr als drei Monaten ist der Zeitraum von einer derartigen Dauer, dass für die Zeit der Abwesenheit von keinem gemeinsamen Haushalt auszugehen ist, für die Behörden entfallen daher aufwendige Prüftätigkeiten.“

2.3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bringt das Abstellen auf die „hauptwohnsitzliche Meldung“ zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber den melderechtlichen Hauptwohnsitzbegriff des § 1 Abs 7 MeldeG 1991 anwenden wollte und nicht jenen des Art 6 Abs 3 B‑VG, der eine „Unterkunft“ nicht voraussetzt (10 ObS 69/14s).

3.1. Während eine idente Hauptwohnsitzmeldung vom Elternteil, der die Leistung beantragt und bezieht, und Kind vor der KBGG‑Novelle BGBl I 2009/116 lediglich ein Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts bildete, muss nach der geltenden Rechtslage kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen, damit die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts von Elternteil und Kind erfüllt ist.

3.2.1. Nach § 31 Abs 2 erster Fall KBGG besteht die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch dann, wenn rückwirkend eine Tatsache festgestellt wurde, bei deren Vorliegen kein Anspruch besteht. Als rückwirkend festgestellte Tatsachen im Sinn dieser Bestimmung gelten alle für die Zuerkennung des Anspruchs maßgeblichen Umstände, die mit Rückwirkung erst zu einem nach der Zuerkennung liegenden Zeitpunkt, zB durch Gerichtsurteil oder Entscheidung einer Behörde, festgestellt wurden. Dieser Rückforderungstatbestand normiert nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine objektive Rückzahlungsverpflichtung, die nur davon abhängig ist, dass sich nachträglich eine (ursprünglich nicht bekannte) Tatsache herausstellte, bei deren Vorliegen kein Anspruch auf die Leistung besteht (10 ObS 106/13f, SSV‑NF 27/63; 10 ObS 91/11x, SSV‑NF 25/102; 10 ObS 54/10d, SSV‑NF 24/86).

3.2.2. Dementsprechend ordnet § 30 Abs 2 KBGG an, dass die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung einer Leistung nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt (10 ObS 91/11x, SSV‑NF 25/102).

3.2.3. Der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 erster Fall KBGG bezieht sich nicht nur auf Umstände, die bei Gewährung des Anspruchs schon verwirklicht, jedoch nicht bekannt waren und daher nicht berücksichtigt werden konnten, sondern auch auf solche, die erst nach der Gewährung des Anspruchs entstehen und den Sozialversicherungsträger zu einem Widerruf oder einer rückwirkenden Berichtigung der Bemessung berechtigen (10 ObS 157/14g).

4. Nach der geltenden Rechtslage ist die Klägerin gemäß § 31 Abs 2 erster Fall KBGG verpflichtet, das von ihr während des Zeitraums, in dem sie mit ihrem Sohn zwar tatsächlich im gemeinsamen Haushalt lebte, aber an dessen Adresse nur sie, nicht jedoch das Kind hauptwohnsitzlich gemeldet waren, bezogene Kinderbetreuungsgeld zurückzuzahlen, weil sie in diesem Zeitraum die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 und Abs 6 KBGG nicht erfüllte. Ob sie die Ummeldung ihres Sohnes schuldhaft unterlassen hat, ist für den (verschuldensunabhängigen) Rückforderungsanspruch der beklagten Partei nicht erheblich.

5.1. Anlass, an der Sachlichkeit des § 2 Abs 6 erster Satz KBGG zu zweifeln, besteht aus folgenden Gründen.

5.2. Die vom Gesetzgeber mit der Regelung bezweckte „Entlastung der Eltern und der Krankenversicherungsträger“ tritt nur ein, wenn die Hauptwohnsitzmeldungen von Elternteil und Kind nicht übereinstimmen. Nur in diesem Fall, der einfach durch eine Abfrage im Zentralen Melderegister festzustellen ist, bedarf es keiner Prüfung, ob der Elternteil und das Kind tatsächlich zusammenleben. Sonst indizieren übereinstimmende Hauptwohnsitzmeldungen lediglich das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts an dieser Adresse, beweisen diese Anspruchsvoraussetzung aber nicht, die eine Betreuung des Kindes durch den die Leistung beziehenden Elternteil sichern soll.

5.3. Gemäß § 3 Abs 1 MeldeG 1991 ist innerhalb von drei Tagen zu melden, wer in einer Wohnung Unterkunft nimmt. Wer seine Unterkunft in einer Wohnung aufgibt, ist innerhalb von drei Tagen davor oder danach bei der Meldebehörde abzumelden (§ 4 Abs 1 MeldeG 1991).

5.4. Die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG ist jedoch schon an dem Tag nicht (mehr) erfüllt, an dem ein beziehender Elternteil und Kind ihren gemeinsamen Haushalt in eine andere Wohnung verlegen, und zwar selbst dann, wenn sich die andere Wohnung im selben Gebäude wie die aufgegebene befindet (vgl § 3 Abs 2 MeldeG 1991).

5.5. Die Normierung der übereinstimmenden Hauptwohnsitzmeldungen in § 2 Abs 6 erster Satz KBGG als mittelbare Anspruchsvoraussetzung wirkt in Verbindung mit § 31 Abs 2 erster Fall KBGG im Ergebnis als Sanktion für die Verletzung von Meldevorschriften selbst dann, wenn die Verletzung nicht schuldhaft erfolgte. Der einzelne beziehende Elternteil, der weiter mit dem Kind tatsächlich zusammenlebt, aber eine Hauptwohnsitzmeldung nur für sich oder nur für das Kind vornimmt, ist zur Rückzahlung von Kinderbetreuungsgeld in unter Umständen beträchtlicher Höhe verpflichtet, obwohl er mit dem Kind zusammenlebt und ihm die Regelung eine „unnötige Belastung“ ersparen soll. Lebt der beziehende Elternteil mit dem Kind nicht mehr im gemeinsamen Haushalt, stimmen ihre Hauptwohnsitzmeldungen aber noch überein, so genügt für die Feststellung des Wegfalls der Anspruchsvoraussetzung nicht eine einfache Abfrage im Zentralen Melderegister. Hat der auszahlende Krankenversicherungsträger kein Anzeichen für eine Aufhebung des gemeinsamen Haushalts, wird es nicht zu Ermittlungen kommen, ob bis zum letzten Tag des Kinderbetreuungsgeldbezugs die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG erfüllt wurde. In der Konstellation der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts bei gleichzeitiger übereinstimmender Hauptwohnsitzmeldungen des beziehenden Elternteils und des Kindes wird es wohl in weit weniger Fällen zu einer Rückforderung der zu Unrecht bezogenen Leistung kommen.

5.6. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs dürfen der Verfahrensökonomie dienende, sohin auf Verwaltungsvereinfachung zielende und zumeist pauschalierende Regelungen vom Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem Gleichheitssatz nur derart getroffen werden, dass diese nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens widersprechen. Der Gleichheitssatz lässt es zwar an sich zu, auf die Praktikabilität des Gesetzes Bedacht zu nehmen. Die Erlaubnis ist nicht schrankenlos; sie findet ihre Grenze dort, wo anderen Überlegungen, die gegen die Regelung sprechen, größeres Gewicht beizumessen ist als den verwaltungsökonomischen (VfSlg 13.726/1994 mwN).

Die vorstehenden Erwägungen lassen die nur partiell vereinfachend wirkende, die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG nicht in allen Fällen gewährleistende und mitunter sehr schwere nachteilige Rechtsfolgen für den beziehenden Elternteil, obwohl er tatsächlich mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, in Kauf nehmende Bestimmung des § 2 Abs 6 erster Satz KBGG nicht als sachlich gerechtfertigt erscheinen. Es erscheint nämlich insbesondere nicht einsichtig, warum in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem objektiv begründete Zweifel an der Richtigkeit der Hauptwohnsitzmeldung einer Person bestehen, im Rahmen des Vorbringens dazu nicht Ermittlungen stattfinden dürfen, um die Frage, ob der beziehende Elternteil mit dem Kind nach ihren tatsächlichen Lebensverhältnissen in einem gemeinsamen Haushalt lebt, objektiv klären zu können. Während nämlich eine Hauptwohnsitzmeldung nach herrschender Ansicht eine Tatbestandswirkung für die Frage entfaltet, welcher Ort als Hauptwohnsitz einer Person gilt, sodass von einem Hauptwohnsitz auch dann auszugehen ist, wenn die Bezeichnung zu Unrecht erfolgt ist (vgl VfGH 11. 3. 2015, E1264/2014 mwN), ist für die Beurteilung der Frage, ob ein gemeinsamer Haushalt besteht, das Bestehen einer Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft aufgrund der tatsächlichen Lebensverhältnisse zu prüfen. Eine idente Hauptwohnsitzmeldung von beziehendem Elternteil und Kind ist zwar ein Indiz, aber kein Beweis für die Haushaltszugehörigkeit des Kindes. Schließlich ist, wie bereits ausgeführt, auch kein sachlicher Zusammenhang zwischen dem ‑ anderen Zielen dienenden ‑ Kinder‑ betreuungsgeldbezug und der Effektuierung von Meldevorschriften erkennbar.

6. Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf § 62 Abs 3 VfGG.

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