European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0240DS00001.19K.0626.000
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Der Beschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwältin ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
Danach hat sie dadurch, dass sie im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** N***** vertrat und in deren Auftrag am 2. März 2017 unter anderem eine Scheidungsvereinbarung gemäß § 55a EheG verfasste, welche auch Regelungen betreffend das Kontaktrecht hinsichtlich des minderjährigen Sohnes ***** enthielt, und in der Folge im zur Durchsetzung dieses Kontaktrechts geführten Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** am 28. August 2017 als Vertreterin des C***** gegen N***** einschritt, gegen (das Verbot der Doppelvertretung nach) § 10 RAO und § 10 RL‑BA 2015 verstoßen.
Die Beschuldigte wurde hiefür nach § 38 Abs 2 iVm § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 2.500 Euro verurteilt. Bei der Strafbemessung wertete der Disziplinarrat die Unbescholtenheit und das Tatsachengeständnis als mildernd, als erschwerend hingegen das Vorliegen von zwei Disziplinartatbeständen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Berufung der Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656) und die Strafe; sie schlägt fehl.
Mit der Behauptung, dass die Beschuldigte keine Möglichkeit gehabt habe, Fragen an die Zeuginnen N***** und J***** zu stellen, macht die Berufung einen Verfahrensfehler nicht prozessordnungskonform geltend.
Der Disziplinarrat hat – entgegen § 35 DSt – zunächst am 7. Juni 2018 in Abwesenheit der wegen Erkrankung entschuldigten Beschuldigten verhandelt und dabei die genannten Zeuginnen vernommen. Am 18. Juni 2018 wurde die Verhandlung in Anwesenheit der Beschuldigten fortgesetzt, wobei das – ihr zuvor übermittelte – Protokoll des ersten Verhandlungstags vorgetragen wurde und sie keinen Antrag auf ergänzende Vernehmung der Zeuginnen stellte (ON 36 S 1).
Die Berufungswerberin kritisiert – entgegen der Meinung der Generalprokuratur – auch der Sache nach nicht, dass die Verhandlung am 7. Juni 2018 zu Unrecht in ihrer Abwesenheit durchgeführt worden wäre (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO iVm §§ 35 und 77 Abs 3 DSt). Vielmehr reklamiert sie bloß, dass ihr im Zuge der Verhandlung keine Gelegenheit eingeräumt worden sei, diese Zeuginnen zu befragen. Sie übersieht dabei, dass die Durchsetzung des Fragerechts (§ 249 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) nur aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO geltend gemacht werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0121737, RS0120787), die (rechtskundige) Beschuldigte – trotz Kenntnis der Aussagen der Zeuginnen – aber keinen (zur Anfechtung aus Z 4 erforderlichen; vgl RIS‑Justiz RS0099250) Antrag auf neuerliche Vernehmung derselben zwecks Befragung durch sie gestellt hat.
Im Übrigen hat sich die Beschuldigte – soweit rechtlich bedeutsam – im Tatsächlichen geständig verantwortet und sind die Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen auch aus den objektiven Unterlagen ableitbar, sodass einem in diesem Zusammenhang vorliegenden Verfahrensfehler unzweifelhaft auch kein der Beschuldigten nachteiliger Einfluss zukäme (§ 281 Abs 3 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt).
Die Schuldberufung vermag mit der pauschalen Behauptung, die Aussage der Zeugin N***** als einer „ehemaligen ungarischen Prostituierten“ sei sehr fragwürdig, nicht glaubwürdig, realitätsfremd und nur als Racheakt gegen die Beschuldigte zu sehen, keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen des Disziplinarrats zu den entscheidenden Tatsachen zu wecken. Entgegen dem Berufungsvorbringen ist es für die Beurteilung des Verstoßes gegen das Verbot der Doppelvertretung nicht entscheidend, ob der ursprünglichen Vertretungshandlung durch die Beschuldigte eine Beratung voranging oder sie einen von den Parteien bereits beschlossenen Scheidungsvergleich nur „eingedeutscht“ hat, ob die Beschuldigte durch die Doppelvertretung lediglich dem Kindeswohl dienen habe wollen und in wessen Vertretung sie im mit der ursprünglichen Sache zusammenhängenden neuen Rechtsstreit gegen ihre ehemalige Mandantin aufgetreten ist.
Dem als Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu wertenden Vorbringen zuwider ist das in § 10 Abs 1 RAO und § 10 Abs 1 RL-BA 2015 statuierte Verbot, dass ein Anwalt nicht beiden Teilen im selben Rechtsstreit dienen oder Rat erteilen darf, aus rechtspolitischer Sicht weit auszulegen. Es betrifft alle Rechtskonstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen oder sich bereits abzeichnen (RIS‑Justiz RS0117715). Uneigentliche Doppelvertretung nach § 10 Abs 1 erster Satz RAO liegt dabei vor, wenn ein Anwalt eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenparteien in derselben oder einer mit dieser zusammenhängenden Sache vertreten oder beraten hatte (RIS‑Justiz RS0054995). Der Begriff der „Gegenpartei“ ist so weit auszulegen, dass nicht nur auf die formal Prozessbeteiligten, sondern auch auf den Widerstreit in den Interessenlagen abzustellen ist (24 Os 1/14y; 26 Os 3/14g; 28 Os 2/15a, 25 Ds 6/17z). Einer tatsächlichen Interessenbeeinträchtigung oder Schädigung der Partei im materiellen Sinn bedarf es nicht, denn Schutzzweck der genannten Norm ist die Vermeidung schon des Anscheins einer Preisgabe materieller Interessen des ehemaligen Klienten. Durch eine Doppelvertretung wird stets der Anschein erweckt, es würden materielle Interessen des ehemaligen Klienten preisgegeben (RIS-Justiz RS0118082).
Ausgehend von den getroffenen Feststellungen erfolgte der Schuldspruch wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt daher rechtsrichtig.
Der Disziplinarrat hat die besonderen Strafzumessungsgründe richtig dargestellt und gewichtet. Gerade beim Tatbestand der Doppelvertretung wird das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung in die Tätigkeit des Anwaltsstandes erschüttert, zumindest aber erheblich beeinträchtigt, sodass hier ein strenger Maßstab angelegt werden muss (RIS‑Justiz RS0054993). Die vom Disziplinarrat im untersten Bereich des bis 45.000 Euro erreichenden Rahmens (§ 16 Abs 1 Z 2 erster Fall DSt) ausgemessene Geldbuße ist tat- und täteradäquat und trägt auch den finanziellen Verhältnissen der Beschuldigten angemessen Rechnung, sodass sie einer Reduktion nicht zugänglich ist.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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