OGH 14Os21/19y

OGH14Os21/19y25.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Binder in der Strafsache gegen Manfred H* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Manfred H* und Gebhard J* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 29. August 2018, GZ 222 Hv 24/18v‑28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E125449

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Manfred H* und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Manfred H* (zu 1) und Gebhard J* (zu 2 iVm § 12 zweiter Fall StGB) jeweils eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben am 18. November 2017 in P*

1/ H* als Beamter der Polizeiinspektion P* mit dem Vorsatz, dadurch Friedrich S* an dessen Recht auf Datenschutz (§ 1 DSG) zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ohne dienstliches Erfordernis „mit dem Vorsatz, die erlangten Daten an Gebhard J* weiterzugeben“, „personenbezogene Daten“ (gemeint [vgl US 3]: zur Identität und zu allenfalls strafrechtlich relevantem „Vorleben“) des S* durch Abfragen im „Kfz‑Zentralregister“, im EKIS, im Strafregister, im polizeilichen Protokollierungssystem (PAD) sowie durch telefonische Anfrage bei einer anderen Polizeiinspektion „ermittelte und Gebhard J* über das Ergebnis dieser Abfragen informierte“;

2/ J* den H* wissentlich zur Begehung der von Punkt 1 erfassten strafbaren Handlung bestimmt, indem er ihn aufforderte, „personenbezogene Daten“ des S* zu „ermitteln und ihn über das Ergebnis der Ermittlungen zu informieren“, wobei er wusste, dass dadurch das Recht des S* auf Datenschutz verletzt werden würde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die von H* aus Z 5, 5a und 9 lit a sowie von J* aus Z 5, 9 lit a und 11, jeweils des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten.

Zutreffend releviert die Mängelrüge des Angeklagten H* einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der Feststellung, der Beschwerdeführer habe „wissentlich (§ 5 Abs 3 StPO) seine Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte – konkret Ermittlungen – vorzunehmen“, missbraucht (US 4) und der wesentlichen Begründungspassage dazu, aus einem vom Beschwerdeführer darüber erst Stunden später angefertigten Aktenvermerk sei abzuleiten, dass er diesen zur Rechtfertigung verfasst habe, „nachdem ihm bewusst wurde, dass er zu Unrecht Abfragen getätigt hatte“ (US 6). Diese Erwägung ist nach den Kriterien logischen Denkens und allgemeiner Lebenserfahrung (vgl RIS‑Justiz RS0117402) nicht mit der Konstatierung zur Tatzeit gegebener Wissentlichkeit in Bezug auf den Befugnismissbrauch in Einklang zu bringen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten J*, der mangels Geltendmachung von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Das Erstgericht stellte fest, J* habe bemerkt, dass seine Schwiegertochter (deren Ehe zu seinem Sohn bereits zerrüttet gewesen sei) von einem Mann besucht worden sei, „den sie via Internet“ kennengelernt habe. J* habe vermutet, dass „der Besucher seine Schwiegertochter finanziell ausnützen könnte“, weil diese ihr „Konto überzogen haben soll“. „Konkrete Beweise für die Richtigkeit dieser Vermutung hatte der Angeklagte nicht, womit auch kein für die Einleitung von Ermittlungen rechtfertigender Anfangsverdacht bestand“. J* habe den Entschluss gefasst, „Erkundigungen über die Identität und das Vorleben dieses Mannes einzuholen“. Er habe daher seinen ehemaligen Kollegen H* unter Bekanntgabe des Autokennzeichens ersucht, „Daten zum Vorleben dieses Besuchers zu erheben“. Als Grund habe er mitgeteilt, er vermute, „dass es sich um einen Heiratsschwindler handeln könnte, weil seine Schwiegertochter in der letzten Zeit erhöhten Geldbedarf gehabt“ habe. J* habe gewusst, dass „H* nicht berechtigt war, auf Grund bloßer Vermutungen Erhebungen über persönliche Daten des Besuchers seiner“ Schwiegertochter einzuholen. H* habe dann die – oben wiedergegebenen – Abfragen und eine telefonische Anfrage bei einer anderen Polizeiinspektion durchgeführt (US 3 f).

Solcherart bringt das Erstgericht, welches sich auch im Rahmen der Beweiswürdigung vor allem mit dem Fehlen eines „Ermittlungen“ rechtfertigenden „Anfangsverdachts“ beschäftigt (US 5 f), nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, ob J* mit dem Wissen handelte, sein Ersuchen werde zum (zumindest vorsätzlichen) Fehlgebrauch der Befugnis des H*, Ermittlungen zur Aufklärung eines Anfangsverdachts zu führen (vgl § 1 Abs 2 StPO), bewirken oder ob er bloß von „Nachforschungen“ zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht vorlag (§ 91 Abs 2 letzter Satz StPO), ausging. Die Annahme, das Wissen des J* habe sich auf (hier festgestellt: wissentlichen) Befugnismissbrauch des H* bezogen (US 4), bleibt demnach ohne ausreichenden Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090).

Der von H* aufgezeigte Begründungsmangel und der J* betreffende Rechtsfehler erfordern die sofortige Aufhebung des gesamten Urteils samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e, teils iVm § 290 StPO).

Auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H* war daher nicht einzugehen. Er war mit seiner Berufung, ebenso wie der Angeklagte J* mit seinen Rechtsmitteln auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein:

1/ Das vom Erstgericht in objektiver Hinsicht festgestellte Verhalten des H* bestand ausschließlich in der Nutzung behördeninterner Informationsquellen im Sinn des § 91 Abs 2 letzter Satz StPO. Um solche handelt es sich nämlich bei den im Urteil genannten Datenbanken („Kfz‑Zentralregister“ [vgl § 47 Abs 4 KFG: „zentrale Zulassungsevidenz“], EKIS, Strafregister und PAD [zum Inhalt der „Zentralen Informationssammlung“ nach § 57 SPG Dorer/Pollirer/Weiss/Knyrim, DSG2 § 57 SPG Anm 1]). Gleiches gilt für die (offenbar auf Auskunft aus dem dort geführten Protokollierungssystem [PAD] gerichtete) Anfrage bei einer anderen Polizeiinspektion, ob gegen S* Verfahren, insbesondere aufgrund von Anzeigen „wegen Heiratsschwindel (Betruges)“, anhängig seien.

Der Gesetzeswortlaut schränkt nämlich nicht auf Informationsquellen ein, die sich (von vornherein) im Verfügungsbereich der mit einer Anzeige befassten (Strafverfolgungs‑)Behörde selbst befinden. Ebenso wenig legen Text und Regelungszweck der Vorschrift eine Reduktion des Behördenbegriffs auf Strafverfolgungsbehörden nahe (vgl aber Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.4 f), denn ein Bedarf, das Substrat einer etwa den Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt oder der falschen Beweisaussage vage erhebenden Anzeige möglichst rasch und schonend für den Angezeigten abzuklären, um dadurch allenfalls einen Anfangsverdacht ausschließen zu können (vgl EBRV 181 BlgNR 25. GP , 2 f), besteht unabhängig von der Art des Verfahrens, in dem dieses Verhalten gesetzt worden sein soll.

Informationsquellen im Sinn des § 91 Abs 2 letzter Satz StPO sind daher alle Aufzeichnungen oder Speicherungen von Informationen, die bereits Gegenstand der Datenverarbeitung irgendeiner Behörde waren. Ob die Nutzung durch den mit der Anzeige befassten Beamten im Wege unmittelbarer Abfrage (elektronischer Datenbanken) oder durch schriftliches oder mündliches (telefonisches) Auskunftsersuchen erfolgt, ist nicht von Bedeutung, weil aus den technischen Möglichkeiten des Zugriffs auf Informationen für die (rechtliche) Auslegung des Begriffs „behördenintern“ und die Grenzen der Nutzungsbefugnis nichts zu gewinnen ist (Fuchs, Beginn des Strafverfahrens und Beschuldigtenstellung, in Lewisch/Nordmeyer [Hrsg], Liber Amicorum Eckart Ratz, 31 [37 f]; Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1.02 § 91 Rz 5b; vgl auch Stricker, Aktuelle Probleme im Strafprozess, in Schriftenreihe des BMVRDJ, Band 165, 5 [12], der zumindest die Abfrage des Strafregisters für zulässig hält; restriktiver in Bezug auf die Aktenbeischaffung Vogl, WK‑StPO § 91 Rz 11; Nimmervoll, Das Strafverfahren2 Kap I Rz 209).

Die in den Gesetzesmaterialien (EBRV 181 BlgNR 25. GP , 3) und im Einführungserlass zum StPRÄG 2014 (BMJ-S578.028/0021-IV3/2014, 7) vorgeschlagene (jedoch bei den angeführten Praxisbeispielen im Ergebnis nicht konsequent verfolgte) Abgrenzung der Nutzungsbefugnis anhand des datenschutzrechtlichen Begriffs des „Auftraggebers“ kommt hingegen nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass dieser Begriff durch jenen des „Verantwortlichen“ ersetzt wurde (vgl EBRV 1664 BlgNR 25. GP , 29), ist nicht ersichtlich, weshalb die Festlegung eines Adressaten der datenschutzrechtlichen Pflichten (Hödl in Knyrim, Der DatKomm Art 4 DSGVO Rz 77) Bedeutung im hier maßgeblichen Regelungszusammenhang haben soll. Zudem würde dies zu unsachgemäßen Ergebnissen führen: So wäre das (nur) von der Landespolizeidirektion Wien als Verantwortlicher geführte (§ 1 Abs 2 StRegG) Strafregister bloß dann eine behördeninterne Informationsquelle, wenn auch der Einsicht nehmende Beamte dieser angehörte. Für Beamte einer anderen Sicherheitsbehörde wäre die Abfrage hingegen keine Maßnahme im Sinn des § 91 Abs 2 letzter Satz StPO.

Für den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies, dass auch die Anfrage bei einer anderen Polizeiinspektion, ob gegen S* Verfahren, insbesondere aufgrund von Anzeigen „wegen Heiratsschwindel (Betruges)“, anhängig seien, die Nutzung einer behördeninternen Informationsquelle ist. Dienten die inkriminierten Nachforschungen der Klärung, ob ein Anfangsverdacht vorlag, stellen sie keine Ermittlungen im Rahmen eines Strafverfahrens dar (vgl § 1 Abs 2 und § 91 Abs 2 letzter Satz StPO). Befugnisfehlgebrauch läge in diesem Fall vor, wenn von vornherein keine Anhaltspunkte für einen Sachverhalt vorlagen, der in Richtung eines Geschehens deutete, das – als erwiesen angenommen – (zumindest) einem Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumierbar war (vgl RIS‑Justiz RS0127791), also die Abklärung, ob überhaupt ein Anfangsverdacht vorlag, nicht in Betracht kam. Das Bestehen eines Anfangsverdachts ist hingegen keine gesetzliche Voraussetzung für die Vornahme derartiger „Nachforschungen“. Missbrauch der Amtsgewalt verlangt das Wissen um das Fehlen dieser gesetzlichen Voraussetzungen, was insbesondere bei ausschließlich aus privaten Gründen motiviertem Handeln der Fall sein kann (vgl 17 Os 9/17b; 17 Os 13/17s).

2/ Bleibt mit Blick auf die erstinstanzlichen Feststellungen (US 3 f) und die Stellungnahme der Generalprokuratur anzumerken, dass ein Beamter bei der Weitergabe amtsgeheimer Informationen (anders als beim Beschaffen der Daten) in der Regel keine im Sinn des § 302 Abs 1 StGB tatbildliche Befugnis in Anspruch nimmt (vgl RIS‑Justiz RS0096646; Informationsweitergabe etwa im Rahmen der Amtshilfe, der Akteneinsicht oder in Erfüllung von Informationspflichten nach dem SPG [vgl §§ 22 Abs 4 und 56 Abs 1 SPG] steht hier nach dem Urteilssachverhalt nicht in Rede). Strafbarkeit nach § 302 Abs 1 StGB kommt insoweit (nur) dann in Betracht, wenn der Beamte dabei eine ihm im Zusammenhang mit einem (anderen) Amtsgeschäft zukommende Befugnis missbraucht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er die ihn treffende Pflicht, alles zu unterlassen, was den Zweck der (hoheitlichen) Maßnahme vereiteln könnte, verletzt. Eine solche Pflicht ergibt sich jedoch nur aus den dem Beamten konkret übertragenen Aufgaben, nicht aus seiner abstrakten Befugnis (15 Os 52/07x, EvBl 2008/24, 118; 13 Os 16/02; 12 Os 116/88; vgl RIS‑Justiz RS0126993 [wo ein enger Zusammenhang des Geheimnisverrats mit den vom Beamten zu besorgenden Aufgaben gefordert wird]; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch11 § 302 Rz 24b; Hinterhofer/Rosbaud BT II6 § 310 Rz 17; ähnlich Kienapfel/Schmoller BT III2 § 302 Rz 28). Möglicher Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes ist dabei übrigens (nicht das Recht des Betroffenen auf Datenschutz, sondern) der Anspruch des Staates auf Erreichung des mit der (hoheitlichen) Maßnahme verfolgten Zwecks (wie etwa das Recht auf Strafverfolgung oder auf Steuereinhebung).

Wird aber durch den Geheimnisverrat selbst nicht Missbrauch der Amtsgewalt begründet, kommt insoweit Strafbarkeit wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 StGB in Frage und zwar unabhängig von einer Strafbarkeit des Beschaffens der Daten nach § 302 Abs 1 StGB. Denn die Subsidiaritätsklausel des § 310 Abs 1 StGB erfasst bloß (Schein‑)Idealkonkurrenz (arg: „die Tat“; Hinterhofer/Rosbaud BT II6 § 302 Rz 68). Scheinkonkurrenz nach einem anderen Typus, insbesondere in Form einer Konsumtion der Datenweitergabe als strafloser Nachtat, scheitert in aller Regel daran, dass diese eine weitergehende Beeinträchtigung des Rechts auf Datenschutz des Betroffenen bewirkt (vgl 17 Os 43/14y, EvBl 2015/78, 521 = SSt 2015/4 [zum Verhältnis von § 302 StGB und § 51 DSG idF BGBl I 2009/133]; zu den Voraussetzungen strafloser Nachtat vgl RIS‑Justiz RS0118182; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 66 mwN).

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