OGH 10ObS98/18m

OGH10ObS98/18m22.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. S*****, vertreten durch Dr. H. Burmann em – Dr. P. Wallnöfer – Dr. R. Bacher – Mag. E. Suitner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2018, GZ 25 Rs 28/18f‑10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 8. März 2018, GZ 48 Cgs 185/17t‑5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00098.18M.0122.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ein tägliches Wochengeld in der Höhe von 43,10 EUR vom 15. 9. 2017 bis zum 2. 10. 2017 unter Anrechnung des bereits rechtskräftig zuerkannten Tagsatzes von 27,56 EUR zu bezahlen.

2. Hingegen wird das Mehrbegehren auf Zahlung eines höheren Wochengeldtagsatzes als 43,10 EUR für den Zeitraum vom 15. 9. 2017 bis zum 2. 10. 2017 abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 609,67 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 101,61 EUR USt) sowie die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 69,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Höhe eines der Klägerin dem Grunde nach unstrittig zustehenden Anspruchs auf Wochengeld für den Zeitraum eines individuellen Beschäftigungsverbots von 15. 9. 2017 bis 2. 10. 2017.

Die Klägerin war von 1. 1. 2015 bis 31. 8. 2017 in Deutschland beschäftigt. Ihr erstes Kind wurde am 8. 3. 2016 geboren. Von diesem Zeitpunkt an bis zum 25. 7. 2017 befand sich die Klägerin in Karenz. Vom 26. 7. 2017 bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zum deutschen Arbeitgeber mit 31. 8. 2017 verbrauchte sie ihren offenen Resturlaub, wofür sie vom deutschen Arbeitgeber ein Urlaubsentgelt von 7.729,01 EUR gezahlt erhielt.

Vom 1. 9. 2017 bis zum 14. 9. 2017 war die in Österreich wohnhafte Klägerin bei einem österreichischen Dienstgeber im Inland als Dienstnehmerin beschäftigt. Sie verdiente in diesem Zeitraum unstrittig 2.025,90 EUR netto. Der Arbeitsverdienst der Klägerin wurde nach Kalendermonaten bemessen und abgerechnet.

Am 15. 9. 2017 musste die Klägerin aufgrund von Komplikationen bei einer neuen Schwangerschaft einen vorzeitigen Mutterschutz bis 2. 10. 2017 in Anspruch nehmen.

Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass für die Berechnung des Wochengeldes nur der in Österreich erzielte Arbeitsverdienst von 2.025,90 EUR heranzuziehen und weiters gemäß § 28 der Satzung der Beklagten ein Zuschlag von 17 % für Sonderzahlungen gebührt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. 11. 2017 gab die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter dem Antrag der Klägerin vom 15. 9. 2017 auf Auszahlung von Wochengeld in Höhe von 22,11 EUR täglich von 15. 9. 2017 bis 2. 10. 2017 statt.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin den Zuspruch eines täglichen Wochengeldes von 80,55 EUR für diesen Zeitraum. Das Unionsrecht gebiete, auch 37 Tage der Beschäftigung in Deutschland von 26. 7. 2017 bis 31. 8. 2017 (gemeint: nach Ende der Karenz) zu berücksichtigen und das in Österreich erzielte Einkommen auch auf diese Zeiten der Beschäftigung in Deutschland hochzurechnen.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Klägerin lediglich im Kalendermonat des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft ein Einkommen erzielt habe. Dieser Verdienst gelte als im letzten vollen Kalendermonat vor dem Eintritt des Versicherungsfalls als erzielt. Die deutschen Beschäftigungszeiten seien nicht zu berücksichtigen. Der allein zu berücksichtigende österreichische Verdienst sei durch die 92 Tage des Bemessungszeitraums zu dividieren, woraus sich der Wochengeldanspruch der Klägerin errechne.

Das Erstgericht sprach der Klägerin ein tägliches Wochengeld von 27,56 EUR für den Zeitraum von 15. 9. 2017 bis 2. 10. 2017 zu. Im Umfang dieses Zuspruchs erwuchs das Urteil unangefochten in Rechtskraft.

Hingegen wies das Erstgericht das Mehrbegehren auf Zuerkennung eines Wochengeldes von täglich (weiteren) 52,99 EUR ab. Die Beschäftigungszeiten der Klägerin in Deutschland von 26. 7. 2017 bis 31. 8. 2017 seien zwar wie inländische Beschäftigungszeiten zu behandeln, sodass die in diesem Zeitraum liegenden Tage bei der Berechnung des Anspruchs nicht gezählt werden dürften. Dies gelte jedoch nur für den Zeitraum 26. 7. 2017 bis 31. 7. 2017, weil der im September 2017 in Österreich erzielte Arbeitsverdienst gemäß § 162 Abs 3 Satz 3 ASVG als im Monat August 2017 verdient gelte. Der Wochengeldanspruch der Klägerin errechne sich daher wie folgt: 2.025,90 : 86 (92 Tage des Beobachtungszeitraums 1. 6. 2017 bis 31. 8. 2017 abzüglich der „neutralen“ Beschäftigungszeit vom 26. 7.–31. 7. 2017, das sind sechs Tage) x 1,17 = 27,56 EUR.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung Folge und erkannte der Klägerin ein Wochengeld von 80,55 EUR täglich für den Zeitraum 15. 9. 2017 bis 2. 10. 2017 zu. Die in Deutschland im Beobachtungszeitraum liegenden Beschäftigungszeiten seien infolge des Unionsrechts zur Gänze wie inländische Beschäftigungszeiten zu behandeln. Der im September 2017 erzielte Arbeitsverdienst der Klägerin könne nicht auf August 2017 umgelegt werden. Bei der Berechnung sei nicht auf Beschäftigungstage, sondern auf Kalendertage abzustellen. Der Anspruch der Klägerin errechne sich wie folgt: 2.025,90 EUR : 14 Kalendertage (Erwerbstätigkeit in Österreich) x 1,17 = 169,30 EUR täglich.

Da die Klägerin selbst nur die Zuerkennung eines täglichen Wochengeldes von 80,55 EUR anstrebe, könne ihr auch nur dieser Betrag zuerkannt werden. Die Revision sei zulässig, weil der hier interessierenden Frage Auswirkungen über den Einzelfall hinaus zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten, mit der diese die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung zulässig und teilweise berechtigt.

Die Revisionswerberin führt aus, dass der Zeitraum der Karenz der Klägerin von 1. 6. 2017 bis 25. 7. 2017 als längerer Urlaub ohne Entgeltanspruch nicht als Zeit einer Erwerbstätigkeit anzusehen, sondern zur Gänze in den Beobachtungszeitraum einzubeziehen sei. Dies wäre auch bei einem reinen Inlandssachverhalt der Fall gewesen. Zu Unrecht berufe sich das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz vom 9. 7. 1998, 12 Rs 133/98k, weil dieser Entscheidung kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen sei. Dass der Klägerin aufgrund des Ausnahmefalls des § 162 Abs 3 Satz 3 ASVG Wochengeld zuzuerkennen sei, rechtfertige nicht ein Abgehen von der gesetzlich gebotenen Durchschnittsbetrachtung.

Dazu ist auszuführen:

1. Die hier allein strittige Höhe des Wochengeldanspruchs regelt im konkreten Fall § 84 Abs 1 B‑KUVG iVm § 162 ASVG in der hier anwendbaren Fassung BGBl I 2017/30. Diese Bestimmung lautet auszugsweise (Satzbezeichnungen durch den Senat):

(3)  Das Wochengeld gebührt in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teiles des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge; die auf diesen Zeitraum entfallenden Sonderzahlungen sind nach Maßgabe des Abs 4 zu berücksichtigen. [Satz 1] … Wurde von Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, lediglich im Kalendermonat des Eintrittes des Versicherungsfalles der Mutterschaft ein Arbeitsverdienst erzielt, so gilt dieser für die Ermittlung des durchschnittlichen in den letzten drei Kalendermonaten gebührenden Arbeitsverdienstes als im letzten vollen Kalendermonat vor dem Eintritt des Versicherungsfalles erzielt. [Satz 3] … Fallen in den für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes maßgebenden Zeitraum

a) Zeiten der im § 11 Abs 3 bezeichneten Art,

b) … ,

so bleiben diese Zeiten bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht. [Satz 6] .“

2.1 Der Versicherungsfall der Mutterschaft trat am 15. 9. 2017 (§ 120 Z 3 ASVG) ein, sodass der Beobachtungszeitraum des § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG im Zeitraum von 1. 6. 2017 bis zum 31. 8. 2017 liegt. Die Klägerin war in diesem Zeitraum in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Da sie aber die Zuerkennung einer Leistung des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit begehrt, liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt im Sinn des Art 2 Abs 1 VO 883/2004 vor. Damit ist der persönliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 eröffnet.

2.2 Die VO 883/2004 gilt gemäß ihrem Art 3 Abs 1 lit b für alle Rechtsvorschriften, die Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft betreffen. Der Begriff „Leistungen bei Mutterschaft“ ist unionsrechtlich zu bestimmen und nicht unter Zugrundelegung der entsprechenden Kriterien des nationalen Rechts auszulegen (Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 3 VO 883/2004 Rz 8 mwN). Leistungen bei Mutterschaft stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entbindung (10 ObS 148/14h, SSV‑NF 29/59, mwH). Das Wochengeld unterfällt unionsrechtlich dem Versicherungsfall der Mutterschaft, weil es dem Ausgleich von Einkommensverlusten infolge Schwangerschaft und Geburt dient (RIS‑Justiz RS0117195; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union7 Rz 277 mH auf EuGH C‑43/99, Leclere/Deaconescu). Damit ist im konkreten Fall auch der sachliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 eröffnet.

3. Die Koordinierung von Leistungen ua bei Mutterschaft regeln die Bestimmungen der Art 17 ff in Titel III Kapitel 1 der VO 883/2004 . Art 21 VO 883/2004 konkretisiert das Prinzip des Exports von Geldleistungen (vgl auch Art 7 VO 883/2004 ). Die Parteien stellen nicht in Frage, dass das Wochengeld als Geldleistung im Sinn des Art 21 VO 883/2004 anzusehen ist (zum unionsrechtlichen Begriff der Geldleistung vgl nur EuGH Rs C‑466/04, Herrera, Rn 30). Sie legen der Berechnung des Anspruchs der Klägerin übereinstimmend unter Anwendung des Art 21 Abs 2 VO 883/2004 auch nur den von ihr in Österreich im September 2017 erzielten Arbeitsverdienst zugrunde, sodass darauf nicht weiter eingegangen werden muss.

4.1 Das in Art 5 VO 883/2004 enthaltene Gebot der Tatbestandsgleichstellung erfordert, dass jeder Mitgliedstaat (bzw dessen zuständiger Träger) bei der Anwendung und Auslegung des eigenen Rechts der sozialen Sicherheit die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats verwirklichten Rechtstatbestände oder die in einem anderen Mitgliedstaat verwirklichten Sachverhalte berücksichtigt, als hätten sich diese nach den eigenen Rechtsvorschriften oder auf dem eigenen Staatsgebiet ereignet, sofern es sich um gleichartige Verhältnisse oder entsprechende Sachverhalte handelt (10 ObS 148/14h, SSV‑NF 29/59; Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 5 VO 883/2004 Rz 9 mwN; zB Berücksichtigung von vergleichbaren Zeiten und Einkommen im anderen Vertragsstaat bei der Gewährung von Familienleistungen, EuGH C‑257/10, Bergström, Rn 52; zur Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat und sonstiger fristverlängernder Umstände bei der Prüfung eines Anspruchs auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, EuGH C‑20/85, Roviello, Rn 17, 18; EuGH C‑523/13, Larcher, Zur Gleichstellung von Altersteilzeit, Tenor Nr 2).

4.2 Art 5 VO 883/2004 ist unmittelbar primärrechtlich fundiert, diese Bestimmung stärkt und effektuiert das Prinzip der Gleichbehandlung, ist aber speziell dem Recht auf Freizügigkeit verpflichtet. Der Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung ist der allgemeinste Grundsatz zum Äquivalenzprinzip. Er verwirklicht neben der rechtlichen Gleichbehandlung (Art 4 VO 883/2004 ) die faktische Gleichstellung der Personen, die Freizügigkeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wahrgenommen haben (Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 5 VO 883/2004 Rz 2, 3 mwH). Das Ziel des Art 5 VO 883/2004 ist, wie sich aus dem 9. Erwägungsgrund der Verordnung ergibt, dass der Unionsgesetzgeber den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entwickelten Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen, Einkünften und Sachverhalten einführen wollte, damit dieser unter Beachtung des Inhalts und des Geistes der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgeformt wird (EuGH Rs C‑453/14, Knauer, Rn 31).

4.3 Vor diesem Hintergrund sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass die von der Klägerin in Deutschland zurückgelegten Beschäftigungszeiten für die Berechnung der Höhe des Wochengeldes gemäß Art 5 VO 883/2004 so zu behandeln sind, als wären sie im Inland zurückgelegt worden. Im Beobachtungszeitraum liegende Zeiten einer in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen versicherungspflichtigen Beschäftigung können nicht so behandelt werden, als hätte die Klägerin in ihnen nicht gearbeitet. Vielmehr sind die auf die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat der Union entfallenden Kalendertage für die Berechnung des Wochengeldanspruchs von der Gesamtanzahl der im Beobachtungszeitraum liegenden Kalendertage abzuziehen (zu „neutralisieren“; Drs in SV‑Komm [191. Lfg] § 162 Rz 64 mwH; Schober in Sonntag, ASVG9 § 162 Rz 30).

5.1 Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit charakterisiert, dass die Klägerin im gesamten Beobachtungszeitraum von 1. 6. 2017 bis 31. 8. 2017 in Deutschland beschäftigt war. Nur im Monat September 2017, in dem der Versicherungsfall der Mutterschaft eintrat, war sie in Österreich beschäftigt.

5.2 Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Wochengeld daher nur auf den Sonderfall (10 ObS 287/02g, SSV‑NF 16/116) des § 162 Abs 3 Satz 3 ASVG stützen. Dieser wurde vom Gesetzgeber zur Vermeidung von nicht beabsichtigten Härtefällen geschaffen. Auch Mütter, die erst im Monat des Eintritts des Versicherungsfalls ein Dienstverhältnis begonnen und daher im Beobachtungszeitraum keinen Arbeitsverdienst erzielt haben, sollten auf diese Weise in den Genuss eines Wochengeldanspruchs gelangen (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP  32 zu dem mit der 50. ASVG‑Novelle, BGBl 1991/676 geschaffenen damaligen Satz 2 in § 162 Abs 3 ASVG).

5.3 Die Klägerin hat zwar ihr österreichisches Dienstverhältnis erst im Monat des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft begonnen. Sie war aber vorher in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt und nicht – wie im Regelfall der Anwendung der Sonderbestimmung des § 162 Abs 3 Satz 3 ASVG – erwerbslos. Bei einem reinen Inlandssachverhalt wäre der nur im Monat des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft erzielte und gemäß § 162 Abs 3 Satz 3 ASVG für die Berechnung des Wochengeldes heranzuziehende Arbeitsverdienst durch sämtliche im Beobachtungszeitraum von drei Monaten liegenden Kalendertage zu dividieren (Drs in SV‑Komm Rz 62 und 66; zur Berechnung allgemein 10 ObS 85/87, SSV‑NF 1/38; RIS‑Justiz RS0084099). Diese Berechnungsmethode kann im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden, weil die Klägerin im Beobachtungszeitraum nicht erwerbslos war.

5.4 Umgekehrt darf der Umstand, dass die Klägerin in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt war und diese Zeiten infolge der Anwendung des Unionsrechts zu berücksichtigen sind (Art 3 AEUV; Art 5 VO 883/2004 ) nicht dazu führen, dass die für die Klägerin günstigere Sonderregelung des § 162 Abs 3 Satz 3 ASVG deshalb nicht zur Anwendung käme. Denn ungeachtet des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts genießt das für einen Sozialleistungsberechtigten im Einzelfall günstigere innerstaatliche Recht Vorrang, weil das Koordinierungsrecht der Europäischen Union niemals rechtsverkürzend, sondern stets nur rechtserweiternd wirkt (sog „Petroni‑Prinzip“, stRsp des EuGH seit C‑24/75, Petroni; aus jüngerer Zeit etwa C‑548/11, Mulders, Rn 46; C‑466/15, Adrien ua, Rn 28; Eichenhofer, Europäisches Sozialrecht7 Rz 88; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 5 VO 883/2004 Rz 8, jeweils mwH).

6.1 Der Wochengeldanspruch der Klägerin errechnet sich daher, ausgehend von 92 Kalendertagen im Beobachtungszeitraum 1. 6. 2017 bis 31. 8. 2017 wie folgt:

6.2 Zeitraum 26. 7. 201731. 8. 2017:

Diese Zeit des Bezugs eines Urlaubsentgelts während des Resturlaubsverbrauchs im aufrechten Dienstverhältnis in Deutschland stellt unzweifelhaft eine versicherungspflichtige Beschäftigung der Klägerin dar, die nach den dargelegten Grundsätzen gemäß Art 5 VO 883/2004 als Zeit einer inländischen versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichzuhalten ist. Die (bereits im Verfahren erster Instanz qualifiziert vertretene) Klägerin hat selbst vorgebracht, Beschäftigungszeiten in Deutschland erst ab dem Ende ihrer dortigen Karenz mit 25. 7. 2017, daher nur im Zeitraum 26. 7. 2017 bis 31. 8. 2017 erworben zu haben. Die auf diesen Zeitraum entfallenden 37 Kalendertage sind daher für die Berechnung des Wochengeldanspruchs der Klägerin von der Gesamtanzahl der im Beobachtungszeitraum liegenden Kalendertage abzuziehen (zu „neutralisieren“), um ein unionsrechtskonformes Ergebnis zu erreichen. An diesem Ergebnis ändert die Anordnung in § 162 Abs 3 Satz 3 ASVG, wonach das im Monat des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft zugeflossene Entgelt (tatsächlicher Arbeitsverdienst, Drs in SV‑Komm § 162 ASVG Rz 45 mwH) als (im letzten vollen Kalendermonat) des Beobachtungszeitraums erzielt „gilt“ nichts, weil diese Anordnung lediglich den Zweck verfolgt, einen Arbeitsverdienst für die Berechnung des Wochengeldes heranziehen zu können, der nicht im Beobachtungszeitraum erzielt wurde.

6.3 Zeitraum 1. 6. 201725. 7. 2017:

6.3.1 Zutreffend weist die Revisionswerberin darauf hin, dass das Gleichstellungserfordernis des Art 5 VO 883/2004 nicht dazu führen kann, dass die Zeit der deutschen Karenz der Klägerin von 1. 6. 2016–25. 7. 2017 (55 Kalendertage), in der kein Entgeltanspruch bestand, für die Berechnung des Wochengeldanspruchs außer Betracht bleibt (dass also auch diese Kalendertage von der Gesamtanzahl der im Beobachtungszeitraum liegenden 92 Kalendertage abzuziehen wären).

6.3.2 Gemäß § 162 Abs 3 Satz 6 lit a ASVG (die anderen Tatbestände dieser Bestimmung kommen hier nicht in Frage) haben nur Zeiten der in § 11 Abs 3 ASVG bezeichneten Art bei der Ermittlung des Wochengeldanspruchs „außer Betracht“ zu bleiben. Dazu zählt die Zeit einer Arbeitsunterbrechung infolge Urlaubs ohne Entgeltzahlung, sofern dieser Urlaub die Dauer eines Monats nicht übersteigt (§ 11 Abs 3 lit a ASVG; 10 ObS 445/89, SSV‑NF 4/19). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erlischt durch eine einen Monat übersteigende Karenzierung der beiderseitigen Hauptpflichten (Arbeitspflicht und Entgeltpflicht) die Pflichtversicherung nach dem ASVG (VwGH 92/08/0016; Zehetner in Sonntag, ASVG9 § 11 ASVG Rz 18 mwH; Julcher in SV‑Komm [178. Lfg] § 11 ASVG Rz 29), daher auch im Fall einer Mutterschaftskarenz (§§ 15 ff MSchG; die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung wird in in einem solchen Fall zB durch den Bezug von Kinderbetreuungsgeld ausgelöst, § 8 Z 1 lit f ASVG iVm § 28 KBGG).

6.3.3 Da die durch die Karenz bedingte Arbeitsunterbrechung der Klägerin im Sinn des § 162 Abs 3 Satz 6 lit a ASVG schon während des Beobachtungszeitraums des § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG länger als einen Monat dauerte, wäre diese Zeit auch bei einem reinen Inlandssachverhalt nicht bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes „außer Betracht“ zu lassen gewesen. Weder aus Art 4 noch aus Art 5 VO 883/2004 kann der Schluss gezogen werden, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verbrachte und für eine Leistungsberechnung heranzuziehende vergleichbare („entsprechende“) Zeit günstiger behandelt werden sollte, als eine gleichartige inländische Zeit.

6.3.4 Das Argument der Klägerin, sie habe während der Karenz „deutsches Kinderbetreuungsgeld“ bezogen, was – vergleichbar einem österreichischen Bezug von Kinderbetreuungsgeld – bei der Berechnung des Wochengeldes zu berücksichtigen sei, ist nicht zutreffend, worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat. Für Versicherungsfälle ab dem 28. 2. 2017 (§ 698 Abs 2 ASVG) besteht gemäß § 162 Abs 3a Z 2 idF BGBl I 2016/53 kein Anspruch auf Wochengeld aus Kinderbetreuungsgeld mehr, wenn der Versicherungsfall nach Ende des Kinderbetreuungsgeldbezugs eintritt. Dies gilt selbst dann, wenn der Beginn der 32. Woche vor dessen Eintritt in den Zeitraum des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld fällt. Wochengeld steht nur zu, wenn am Tag des Beginns des Beschäftigungsverbots vor der Geburt eines weiteren Kindes Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde (10 ObS 100/17d; Schober in Sonntag, ASVG9 § 162 Rz 33b). Auch unter Berücksichtigung des Art 5 VO 883/2004 könnte daher ein Anspruch auf eine dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbare deutsche Leistung im vorliegenden Fall nicht zu einem Wochengeldanspruch führen, weil der Bezug dieser Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft endete. Es besteht daher auch keine Veranlassung, der nicht näher begründeten Anregung der Klägerin in der Revisionsbeantwortung zu folgen, ein Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union aufgrund der „Diskriminierung bzw unzulässigen Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit“ einzuleiten.

6.3.5 Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man auf Grundlage der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz vom 9. 7. 1998, 12 Rs 133/98k (veröffentlicht in DRdA 1998, 454 [Enzlberger]). Diese ist mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar, weil die damalige Klägerin vor ihrer Beschäftigung in Österreich in Deutschland während des Beobachtungszeitraums durchgehend im Rahmeneines krankenversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses erwerbstätig war.

7. Ergebnis: Erzielen Versicherte während des Beobachtungszeitraums des § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG sowohl aus Beschäftigungen in Österreich als auch in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einen Arbeitsverdienst, so haben die ausländischen Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Höhe des Wochengeldes als „neutrale“ Zeiten unberücksichtigt zu bleiben (sind daher von der Gesamtanzahl der im Beobachtungszeitraum liegenden Kalendertage abzuziehen). Dies gilt nicht für ausländische Zeiten einer Arbeitsunterbrechung infolge Urlaubs ohne Entgeltzahlung, sofern dieser Urlaub die Dauer eines Monats überschreitet.

8. Im konkreten Fall sind daher von der Gesamtanzahl der im Beobachtungszeitraum liegenden 92 Kalendertage 37 Kalendertage der versicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland von 26. 7. 2017–31. 8. 2017 abzuziehen (zu „neutralisieren“), nicht hingegen die auf die Zeit der Karenz der Klägerin in Deutschland entfallenden 55 Kalendertage von 1. 6. 2017 bis 25. 7. 2017. Der Betrag von 2.025,90 EUR netto ist demgemäß durch die Anzahl von 55 Kalendertagen zu dividieren, woraus sich ein Tagessatz von 36,83 EUR und – bei Hinzurechnung des Zuschlags von 17 % für Sonderzahlungen – ein täglicher Wochengeldanspruch von 43,10 EUR errechnet.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und der Klägerin ein Wochengeld von 43,10 EUR täglich für den Zeitraum 15. 9. 2017 bis 2. 10. 2017 zuzuerkennen.

Die Kostenentscheidung beruht für das Rechtsmittelverfahren – für das Verfahren erster Instanz wurden keine Kosten verzeichnet – auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG. Beim Wochengeld handelt es sich um eine wiederkehrende Leistung im Sinn des § 77 Abs 2 ASGG (RIS‑Justiz RS0085788).

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