OGH 1Ob168/18i

OGH1Ob168/18i17.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*, und 2. H*, beide *, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P*, vertreten durch Dr. Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, wegen 100.800 EUR sA und Feststellung (Streitwert 20.000 EUR), über den Rekurs der erstklagenden Partei und den außerordentlichen Revisionsrekurs der zweitklagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 30. Juli 2018, GZ 4 R 72/18p‑28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E123264

 

Spruch:

Der Rekurs der erstklagenden Partei und der außerordentliche Revisionsrekurs der zweitklagenden Partei werden zurückgewiesen.

Die Anträge der klagenden Parteien auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 B‑VG vor dem VfGH sowie eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV vor dem EuGH werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Kläger stützen ihre Klage darauf, dass der Erstkläger von der Beklagten als Geschäftsführerin einer Gesellschaft (nachfolgend kurz „Käuferin“ genannt) arglistig zum Verkauf von Liegenschaften und – damit zusammenhängend – die Zweitklägerin (Mutter des Erstklägers) zur Aufgabe von an diesen Liegenschaften bestehenden Rechten (ua Dienstbarkeiten) „verleitet“ worden seien. Die Beklagte habe ua die ab 2012 fehlende Geschäftsfähigkeit des Erstklägers ausgenutzt und diesen sowie die Zweitklägerin arglistig über verschiedene für den Verkauf der Liegenschaft und die Aufgabe der daran bestehenden Rechte relevante Umstände getäuscht. Die Klage ist auf den Ersatz der dadurch verursachten Kosten gerichtet.

Das Erstgericht unterbrach das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung eines gegen die Käuferin geführten und ua auf die Feststellung der Nichtigkeit der von den Klägern abgeschlossenen Vereinbarungen gerichteten Verfahrens. Dagegen erhoben beide Kläger Rekurs. Gleichzeitig beantragten sie, das Rekursgericht möge beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung des § 190 ZPO wegen Verfassungswidrigkeit stellen und ein Vorabentscheidungsverfahren beim „Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“ einleiten. Die Kläger beantragten gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG auch unmittelbar beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 190 ZPO. Aufgrund dieses Antrags hielt das Rekursgericht mit dem Rekursverfahren bis zum Einlangen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs über die von den Klägern erhobene „Gesetzesbeschwerde“ inne. Nachdem das Rekursgericht davon verständigt wurde, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung des Antrags mangels Erfolgsaussicht abgelehnt hatte, nahm es das Rekursverfahren wieder auf. Es gab dem Rekurs der Zweitklägerin keine Folge und sprach aus, dass der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei. Aufgrund des vom Erstkläger erhobenen Rekurses verständigte das Rekursgericht das für ihn zuständige Pflegschaftsgericht nach § 6a ZPO und unterbrach das Verfahren über seinen Rekurs bis zur Mitteilung des Pflegschaftsgerichts über die nach dieser Bestimmung getroffene Maßnahme.

Dagegen richtet sich das als außerordentlicher Revisionsrekurs bezeichnete gemeinsame Rechtsmittel der Kläger, wobei sich der Erstkläger (nur) gegen die Verständigung des Pflegschaftsgerichts und die damit einhergehende Unterbrechung des Rekursverfahrens (Punkt 2 des angefochtenen Beschlusses) und die Zweitklägerin (nur) gegen die Entscheidung über ihren Rekurs (Punkt 3 der angefochtenen Entscheidung) wendet. Beide Kläger beantragen außerdem, dass die Rechtssache gemäß Art 89 B‑VG dem Verfassungsgerichtshof bzw gemäß Art 267 AEUV dem EuGH zur Prüfung vorgelegt werde.

Die Beklagte beantragt, dem (richtig) Rekurs des Erstklägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rechtsmittel sind unzulässig.

1. Vorauszuschicken ist, dass die beiden Kläger zwar jeweils unterschiedliche Punkte des angefochtenen Beschlusses bekämpfen, ihre Rechtsmittel inhaltlich aber nicht getrennt ausführen. Diese sind vielmehr derart miteinander vermengt, dass kaum beurteilt werden kann, welche Ausführungen sich auf welches Rechtsmittel beziehen, was noch dadurch erschwert wird, dass beide Rechtsmittel jeweils (unterschiedliche) Verfahrensunterbrechungen betreffen.

2. Gegenstand des außerordentlichen Revisionsrekurses der Zweitklägerin ist die Entscheidung des Rekursgerichts, mit der die vom Erstgericht ausgesprochene Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung eines gegen die Käuferin geführten Verfahrens nach § 190 ZPO bestätigt wurde. Dagegen ist der Revisionsrekurs nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig. Dass – so die Revisionsrekurswerberin – der Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluss aus formellen Gründen zurückgewiesen worden wäre, sodass die „ordentliche Revision“ [richtig: der außerordentliche Revisionsrekurs] zulässig sei, ist unrichtig, weil sich das Rekursgericht mit dem Rekurs der Zweitklägerin inhaltlich auseinandersetzte und meritorisch über diesen entschied. Die Bestätigung eines erstinstanzlichen Unterbrechungs-beschlusses kann der in § 528 Abs 2 Z 2 ZPO als Ausnahme normierten Zurückweisung einer Klage aus formellen Gründen nicht gleichgehalten werden (RIS‑Justiz RS0037059 [T1]). Der Revisionsrekurs der Zweitklägerin ist daher als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen.

3. Der Erstkläger wendet sich gegen Punkt 2 des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Rekursgericht gemäß § 6a ZPO das Pflegschaftsgericht verständigte und das Verfahren über seinen Rekurs unterbrach. Damit ist das als außerordentlicher Revisionsrekurs bezeichnete Rechtsmittel richtigerweise als Rekurs zu behandeln. Die Fehlbezeichnung schadet nicht (RIS‑Justiz RS0036258). Da die Partei, deren Verfahrensfähigkeit in Zweifel gezogen wird, im Verfahren über die Unterbrechung gemäß § 190 ZPO (vorerst) als prozessfähig zu behandeln ist (vgl jüngst 1 Ob 129/18d zur Unterbrechung nach § 25 AußStrG), kann der Rekurs des Erstklägers unter diesem Gesichtspunkt inhaltlich behandelt werden.

Das Rekursgericht traf zu der von ihm vorgenommenen Unterbrechung zwar keinen Ausspruch nach § 526 Abs 3 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO. Dieser braucht aber nicht nachgeholt zu werden, wenn das Rechtsmittel ohnehin zurückzuweisen ist (vgl RIS‑Justiz RS0042347). Da der in § 528 ZPO gebrauchte Ausdruck „Revisionsrekurs“ jeden Rekurs gegen eine Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz umfasst (RIS‑Justiz RS0044444 [T3]), muss auch der Rekurs des Erstklägers eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO aufzeigen. Ob das Rekursgericht das Pflegschaftsgericht zu Recht nach § 6a ZPO verständigt und das Verfahren unterbrochen hat, hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab und geht in seiner Bedeutung über den Anlassfall nicht hinaus. Ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof wäre daher nur dann zulässig, wenn dem Rekursgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. Dies ist hier nicht der Fall.

Das Prozessgericht darf die Prozessfähigkeit einer der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegenden Partei, für die kein Sachwalter (nunmehr: gerichtlicher Erwachsenenvertreter) bestellt wurde, nicht selbst prüfen (RIS‑Justiz RS0035270). Liegen Anzeichen dafür vor, dass eine Partei aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit das Gerichtsverfahren nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann, ist vielmehr auch im Rekursverfahren (vgl etwa Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny² § 6a ZPO Rz 1) das zuständige Pflegschaftsgericht gemäß § 6a ZPO zu verständigen. Dieses hat dem Prozessgericht mitzuteilen, ob ein (einstweiliger) Erwachsenenvertreter bestellt oder sonst eine entsprechende Maßnahme getroffen wird (§ 6a Satz 2 ZPO). Bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichts ist das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des § 190 ZPO zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0035234 [T1, T2, T3, T5, T6]; 9 Ob 24/11m).

Das Rekursgericht hat diese Grundsätze seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt. Es ging davon aus, dass bereits in anderen Zivilverfahren, bei denen der Erstkläger Partei ist, die Einleitung eines Verfahrens zur Bestellung eines (nunmehr) gerichtlichen Erwachsenenvertreters angeregt wurde und dass das daraufhin eingeleitete pflegschaftsgerichtliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Dass das Rekursgericht aufgrund dieser Umstände nach § 6a iVm § 190 ZPO vorging, ist daher unbedenklich, zumal sich das Pflegschaftsverfahren – wie sich dem VJ‑Register entnehmen lässt – im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Rekursgericht bereits im Stadium nach der Erstanhörung und (allerdings bekämpfter) Bestellung eines Sachverständigen befand, woraus der Wille des Pflegschaftsgerichts, das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters fortzuführen, erhellt (vgl Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, § 117 AußStrG Rz 26). Hatte nun sogar das (für die Beurteilung der Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters allein zuständige) Pflegschaftsgericht nach Anhörung des Erstklägers (weiter) Bedenken, ob seine Geschäfts‑ und Prozessfähigkeit in ausreichendem Maße vorliegt, ist keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht zu erkennen.

Eine substantiierte Ausführung der Rechtsmittelgründe der Nichtigkeit, der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens kann dem Rekurs des Erstklägers, soweit diesem die genannten Rechtsmittelgründe überhaupt zuzuordnen sind, nicht entnommen werden.

4. Die – offensichtlich von beiden Rechtsmittelwerbern gestellten – Anträge, „die Rechtssache gem Art 89 B‑VG dem Verfassungsgerichtshof bzw gem Art 267 AEUV dem EuGH zur Prüfung [offenbar gemeint: des § 190 ZPO] vorzulegen“, sind schon deshalb zurückzuweisen, weil eine Partei keinen verfahrensrechtlichen Anspruch hat, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV vor dem EuGH zu beantragen (RIS‑Justiz RS0058452). Die Behandlung der „Gesetzesbeschwerde“ der Kläger hat der Verfassungsgerichtshof mangels Erfolgsaussicht ohnehin bereits abgelehnt.

5. Ein Kostenersatzanspruch der Beklagten besteht nicht, weil sie in ihrer Rekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Rekurses des Erstklägers hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979) und keine Zurückweisung des Rekurses beantragt hat (vgl 7 Ob 38/00i mwN).

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