OGH 8ObA57/18t

OGH8ObA57/18t24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Mag. Alexander Abele in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** M*****, vertreten durch Mag. Andreas Wimmer, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagte Partei e***** GmbH, *****, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen 2.364,82 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juni 2018, GZ 11 Ra 6/18h‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. November 2017, GZ 18 Cga 68/17p‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00057.18T.0924.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger war bei der Beklagten als Leiharbeiter beschäftigt und ab 6. 2. 2017 in einem Industriebetrieb tätig. In diesem Beschäftigerbetrieb war er aus den Erfahrungen vorangegangener Einsätze als jähzornig und als extremer Heißsporn bekannt. Es fanden deswegen Gespräche mit dem für ihn zuständigen Abteilungsleiter statt, in denen der Kläger immer wieder zusagte, sich zusammenzunehmen.

Am 23. 3. 2017 kam es im Beschäftigerbetrieb zu Unstimmigkeiten zwischen dem Kläger und einem Techniker, die darin gipfelten, dass der Kläger eine Maschinentüre zuknallte und den Techniker von sich wegschubste. Dieser stolperte und musste einige Schritte zurückweichen, kam aber nicht zu Sturz. Unmittelbar nach dem Vorfall versöhnten sich die Kontrahenten mit einem Händeschütteln.

Zu diesem Zeitpunkt war der für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zuständige Abteilungsleiter, der auch Ansprechpartner der Beklagten war, im Urlaub. Der Vorfall wurde ihm nach seiner Rückkehr am 3. 4. 2017 um die Mitte seiner ersten Arbeitswoche berichtet. Er wollte zunächst in Gesprächen mit den beiden Beteiligten den Sachverhalt eruieren, wobei das Gespräch mit dem Kläger wegen der Schichteinteilung erst am 10. 4. 2017 stattfand. Unmittelbar danach informierte der Abteilungsleiter die Beklagte, deren Geschäftsführer noch am selben Tag die Entlassung des Klägers aussprach. Der Beschäftigerbetrieb wollte den Kläger wegen der Gefährlichkeit der bedienten Maschinen nicht mehr einsetzen.

Das Erstgericht wies das auf Kündigungsentschädigung wegen unberechtigter bzw verspäteter Entlassung gerichtete Klagebegehren ab.

Der Kläger habe mit seinem Verhalten den Entlassungsgrund einer tätlichen Ehrenbeleidigung im Sinne des § 82 lit g GewO 1859 erfüllt. Da die Beklagte als Dienstgeberin erst am 10. 4. 2017 von dem Vorfall Kenntnis erlangt habe, sei die Entlassung auch rechtzeitig ausgesprochen worden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, inwieweit sich der Dienstgeber eines Leiharbeitnehmers für die Beurteilung, ob eine Entlassung rechtzeitig ausgesprochen wurde, eine im Bereich des Beschäftigerunternehmens gelegene Verzögerung zurechnen lassen müsse.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Klägers, in der er sich sowohl gegen die Bejahung des Entlassungsgrundes als auch gegen die Beurteilung der Entlassung als rechtzeitig wendet, ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die über die konkreten Umstände des Anlassfalls hinaus relevanten Grundsatzfragen sind in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt.

1. Ob das festgestellte Verhalten eines Arbeitnehmers den Arbeitgeber zur Entlassung berechtigt, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0029630 [T4]). Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen (RIS‑Justiz RS0111817 [T3]). Eine solche zeigt die Revision hier nicht auf.

Wesentlich für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit einer Ehrenbeleidigung und die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sind Umstände wie die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, sein Bildungsgrad, die Art des Betriebes, der dort herrschende Umgangston, die Gelegenheit, bei der die Äußerung gefallen ist und das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers (RIS‑Justiz RS0029630).

Nach den hier getroffenen Feststellungen hat der Kläger bereits in der Vergangenheit zu Beanstandungen wegen seines Jähzorns Anlass gegeben, er wurde deswegen ermahnt, dennoch hat er aus nichtigem Anlass einen Arbeitskollegen körperlich angegriffen. Wird dazu noch berücksichtigt, dass die Beklagte ihn im selben Beschäftigerbetrieb wegen dieses Vorfalls künftig nicht mehr einsetzen hätte können, ist das rechtliche Ergebnis der Vorinstanzen durchaus vertretbar.

2. Auch die Beurteilung, ob der Ausspruch der Entlassung verspätet erfolgt ist und der Dienstnehmer berechtigt davon ausgehen durfte, der Dienstgeber hätte auf die Geltendmachung des Entlassungsrechts verzichtet, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RIS‑Justiz RS0029249 [T17]).

Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Ausspruchs der Entlassung ist insoweit nicht maßgeblich, wann der Dienstnehmer den Entlassungsgrund setzte, sondern wann dem Dienstgeber der Entlassungsgrund bekannt wurde (RIS‑Justiz RS0029348 [T5, T6]). Das Erfordernis der Unverzüglichkeit der vorzeitigen Auflösung darf nicht überspannt werden (ua Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 25 AngG Rz 32 mwN). Wesentliches Kriterium für die Unschädlichkeit eines Zuwartens mit der Entlassung ist, ob die Verzögerung aufgrund der Sachlage begründet war (RIS‑Justiz RS0031571; RS0029328 [T2, T16]).

Der Dienstgeber muss sich auch den Kenntnisstand eines Stellvertreters oder eines mit Personalagenden befassten leitenden Angestellten zurechnen lassen, wenn dieser die Information nicht unverzüglich weitergeleitet hat. Das gilt auch dann, wenn diese Person selbst nicht zum Ausspruch von Entlassungen berechtigt ist; die Kenntnis eines sonstigen Vorgesetzten reicht hingegen nicht (RIS‑Justiz RS0029321 [T5]).

Nach diesen in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen kommt es auf die vom Berufungsgericht für erheblich befundene Rechtsfrage hier nicht an.

Selbst wenn hier der Beklagten die Angestellten des Beschäftigerbetriebs so wie ihre eigenen zugerechnet würden, könnte den Vorinstanzen keine unvertretbare Rechtsansicht vorgeworfen werden.

Die etwas mehr als einwöchige Abwesenheit des für Personalentscheidungen befugten Abteilungsleiters nach dem Vorfall wegen dessen Erkrankung begründete keine Verwirkung des Entlassungsrechts. Auf den Kenntnisstand anderer maßgeblicher Personen hat sich der Kläger nicht berufen. Bei unklaren Verhältnissen ist einem Arbeitgeber– gerade im Interesse des beschuldigten Arbeitnehmers – außerdem eine angemessene Zeitspanne zur Aufklärung zuzubilligen, die hier aus objektiven Gründen (Schichtdienst, Wochenende) rund fünf Tage gedauert hat; dass gerade dieser Zeitraum überlang gewesen sei, wird selbst in der Revision nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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