OGH 12Os55/18g

OGH12Os55/18g5.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart von OKontr. Trsek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nikola N***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Momir S***** sowie über die Berufung des Angeklagten Nikola N***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. März 2018, GZ 65 Hv 174/17h‑111, sowie über den Antrag des Angeklagten Momir S***** auf

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das genannte Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00055.18G.0705.000

 

Spruch:

Die

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Momir S***** und die Berufung des Angeklagten Nikola N***** werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Momir S***** werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Nikola N***** und Momir S***** fallen auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Schuldsprüche weiterer Angeklagter sowie in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthält, wurden Nikola N***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG (I./A./1./) und Momir S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG, § 15 Abs 1 StGB als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB (III./) schuldig erkannt und zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Danach haben – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde relevant – als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung in W*****

I./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (§ 28b SMG)

A./ in einem nicht mehr feststellbaren Zeitraum bis 24. Oktober 2017 anderen in vielfachen Angriffen gewinnbringend durch Verkauf überlassen bzw zu überlassen versucht, nämlich Heroin mit einem durchschnittlich angenommenen Wirkstoffgehalt von 12,53 % Heroin (Diacetylmorphin), 0,26 % Monoacetylmorphin und 0,79 % Acetylcodein, und zwar

...

2./ Ivan D*****, teilweise in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Ivan Z***** als Mittäter (§ 12 StGB) zumindest 150 Gramm, nämlich

a./ Hakan O***** zumindest 10,4 Gramm;

b./ Dejan H***** zumindest 7 Gramm;

c./ David Hu***** zumindest 1 Gramm;

d./ unbekannten Abnehmern zumindest 121,3 Gramm;

e./ 10,3 Gramm, wobei es beim Versuch blieb, weil er festgenommen wurde;

III./ im Oktober 2017 Momir S***** zu den unter I./A./2./ beschriebenen Handlungen beigetragen, indem er im Zuge eines Treffens in Serbien Ivan D***** bestärkte nach Österreich zu reisen, wobei er wusste, dass der Genannte dort für Suchtgiftverkäufe eingesetzt werden wird.

 

Rechtliche Beurteilung

Zur Berufung des Angeklagten Nikola N*****:

Nach dem Inhalt des Protokolls über die (unter Beiziehung eines Dolmetschers für die serbische Sprache durchgeführte) Hauptverhandlung verzichtete der Angeklagte Nikola N***** nach Verkündung des Urteils und erteilter Rechtsmittelbelehrung sowie nach Rücksprache mit seinem Verteidiger auf Rechtsmittel (ON 110 S 41).

Dessen ungeachtet meldete er mit Eingabe vom 5. März 2018 (ON 113a) eine Berufung an („Berufung für die Höhe für die Haftstrafe […]“), welche sein „Anwalt“ noch schriftlich ausführen („nachschicken“) würde.

Ein – von der hier nicht in Frage stehenden Prozessfähigkeit abhängiger – Rechtsmittelverzicht ist unwiderruflich, dessen Motiv ohne Bedeutung (RIS‑Justiz RS0099945, RS0116751). Eine für die Verzichtserklärung ursächliche fehlerhafte Rechtsbelehrung (vgl RIS‑Justiz RS0100103) wird im Übrigen nicht behauptet.

Die Anmeldung der Berufung des Angeklagten N***** war daher gemäß den §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0100042 [T3]).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Momir S***** und dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Dieser Angeklagte meldete gegen das angefochtene Urteil innerhalb der Frist des § 284 Abs 1 StPO Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, ohne Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt zu bezeichnen (ON 113).

Nach Zustellung der Urteilsausfertigung (ON 111) an den Wahlverteidiger Dr. K***** am 27. März 2018 (ERV‑Zustellnachweis im AB‑Bogen ON 1 S 30) teilte dieser dem Erstgericht mit Eingabe vom 6. April 2018 mit, dass das Vollmachtsverhältnis „mit sofortiger Wirkung“ aufgelöst sei und „ihm“ (= dem Angeklagten) „ein Verteidiger im Rahmen der Verfahrenshilfe beigestellt werden“ möge (ON 124).

Am 9. April 2018 beschloss der Vorsitzende die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 61 Abs 3 zweiter Fall StPO (ON 124 S 1 [unten]), welcher das angemeldete Rechtsmittel – nach neuerlicher Urteilszustellung an diesen am 12. April 2018 – schriftlich ausführte, wobei diese Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde beim Erstgericht (erst) am 25. April 2018 elektronisch eingebracht wurde (ON 129).

Die Generalprokuratur hat am 16. Mai 2018 zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Momir S***** dahingehend Stellung genommen, dass diese bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen wäre, weil sie verspätet zur Ausführung gebracht worden sei (§ 285d Abs 1 StPO iVm § 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Nach Zustellung dieser Stellungnahme an den Angeklagten brachte dieser gegen die Fristversäumung (§ 285 Abs 1 StPO) – entgegen § 364 Abs 3 erster Satz StPO direkt beim Obersten Gerichtshof (vgl Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 58) – einen Wiedereinsetzungsantrag ein. Diesem kommt keine Berechtigung zu:

Sein Begehren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stützt der Angeklagte darauf, dass seinem neuen (Verfahrenshilfe-)Verteidiger das Urteil am 12. April 2018 (erneut) zugestellt worden sei, und zwar mit dem Auftrag, binnen vier Wochen das angemeldete Rechtsmittel auszuführen; dabei sei dieser weder darüber informiert worden, dass das Urteil bereits an einen Wahlverteidiger zugestellt worden war, noch darüber, dass der Wahlverteidiger sein Mandat zurückgelegt hat. Somit treffe den bestellten Verfahrenshelfer kein höhergradiges Verschulden an der Fristversäumung.

Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Angeklagten – neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen – gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Dabei hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt (RIS‑Justiz RS0101272).

Vorliegend wäre schon der Wahlverteidiger gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO verpflichtet gewesen, die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde – ungeachtet der während der laufenden Rechtsmittelfrist erfolgten Vollmachtskündigung und des Antrags auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers und dessen tatsächlicher Bestellung – auszuführen (RIS‑Justiz RS0125686), zumal ihm anlässlich der Vollmachtsauflösung die Vornahme weiterer Prozesshandlungen vom Angeklagten nicht ausdrücklich untersagt wurde (vgl ON 124). Dass die Rechtsmittelausführung in Folge eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses nicht möglich gewesen wäre, wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht behauptet.

Damit wurde die bereits mit Ablauf des 24. April 2018 endende Frist des § 285 Abs 1 erster Satz StPO nicht gewahrt. Der Lauf der durch eine Zustellung an den Verteidiger ausgelösten Frist wird nämlich nicht dadurch unterbrochen oder gehemmt, dass die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird (§ 63 Abs 2 erster Satz StPO). Gleiches gilt für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, weil § 63 Abs 1 StPO Fälle bereits erfolgter Zustellung an den Wahlverteidiger nicht umfasst (RIS‑Justiz RS0125686 [T1], RS0116182 [T12, T13]). Auf die verspätete Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Momir S***** war somit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über dessen Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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