European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00068.18S.0516.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.017,90 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 169,65 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde ***** 2012 im Krankenhaus der Beklagten geboren. Aufgrund der Vorgeschichte der Mutter wäre ein Kaiserschnitt indiziert gewesen, den die Ärzte aber trotz des von ihr geäußerten Wunsches ablehnten. Bei der Geburt kam es zu einer Schulterdystokie, die beim Kläger zu einer Armlähmung führte. Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach nicht mehr strittig.
Mit einer beim Bezirksgericht Zell am See am 2. Juli 2014 eingebrachten Klage begehrte der Kläger zunächst ein Schmerzengeld von 9.000 EUR und die mit 2.000 EUR bewertete Feststellung der Haftung der Beklagten für Spät- und Dauerfolgen. Die Beklagte bestritt Grund und Höhe des Begehrens. Nach Erstattung eines medizinischen Gutachtens dehnte die Klagevertreterin in der Verhandlung vom 12. Oktober 2016 das Zahlungsbegehren auf 23.220 EUR aus. Die Beklagte sprach sich unter Hinweis auf das Überschreiten der sachlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts gegen die Klageänderung aus, worauf das Erstgericht sie mit Beschluss vom 13. Oktober 2016 nicht zuließ. Mit unbekämpft gebliebenem Urteil vom 5. Jänner 2017 gab es dem ursprünglichen Klagebegehren statt.
Schon vor diesem Urteil hatte der Kläger am 12. Dezember 2016 beim Erstgericht eine weitere Klage auf Zahlung von 14.220 EUR erhoben. Zur Begründung stützte er sich auf das im Vorverfahren eingeholte Gutachten. Dass der Schmerzengeldanspruch höher als zunächst angenommen sei, habe sich erst aus diesem Gutachten ergeben. Eine Nachklage sei zulässig, weil sich die Beklagte im Vorverfahren gegen eine Klageänderung ausgesprochen habe. Daher sei dort keine Globalbemessung möglich gewesen.
Die Beklagte wandte ein, dass der Grundsatz der Globalbemessung einer Nachklage entgegenstehe. Da die Mutter des Klägers die Verletzungsfolgen gekannt habe, falle es dem Kläger zur Last, dass nicht von Anfang an das gesamte Schmerzengeld geltend gemacht worden sei. Zudem wäre im Vorverfahren eine Ausdehnung um 4.000 EUR möglich gewesen. Jedenfalls diesen Teilbetrag könne der Kläger nun nicht mehr fordern. Insofern sei auch Verjährung eingetreten.
Das Erstgericht gab dem Klagebehren statt. Die Eltern des Klägers hätten über keine medizinischen Kenntnisse verfügt. Es gebe keinen Anhaltspunkt, dass sie schon bei Klageeinbringung das Ausmaß der (auch künftigen) Schmerzen hätten abschätzen können. Vielmehr sei ihnen die Ermittlung des Schmerzengeldes erst aufgrund des im Vorverfahren eingeholten Gutachtens möglich gewesen. Da die Ausdehnung der Klage wegen des Widerspruchs der Beklagten nicht zuzulassen gewesen sei, sei die Nachklage möglich.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision zu.
Trotz des Grundsatzes der Globalbemessung sei eine weitere Klage möglich, wenn verfahrensrechtliche Vorschriften eine Ausdehnung des zunächst eingeklagten, angesichts der erlittenen Schmerzen aber zu geringen Ersatzbetrags verhindert hätten. Im konkreten Fall hätten die Eltern des Klägers den Schmerzengeldanspruch erst nach Vorliegen des Gutachtens im Vorprozess abschließend beurteilen können; eine Ausdehnung der Klage sei aber am Widerspruch der Beklagten gescheitert. Damit sei die Nachklage zulässig. Das gelte auch für den Teilbetrag von 4.000 EUR, der schon im Vorprozess hätte geltend gemacht werden können. Eine andere Beurteilung führte zu einem unverständlichen Wertungswiderspruch. Die Revision sei zulässig, weil zur letztgenannten Frage Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
In ihrer Revision hält die Beklagte daran fest, dass der Kläger schon von Anfang an den vollen Betrag hätte einklagen können, weswegen die Nachklage zur Gänze abzuweisen sei. Jedenfalls gelte das aber für einen Teilbetrag von 4.000 EUR, weil insofern schon im Vorverfahren eine Ausdehnung möglich gewesen wäre. In Bezug auf diesen Betrag sei der Anspruch zudem verjährt.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Wenn keine besonderen Gründe für eine zeitliche Einschränkung bestehen, ist das Schmerzengeld grundsätzlich global zu bemessen (RIS-Justiz RS0031196, RS0031055). Dadurch soll insbesondere verhindert werden, dass der Schädiger ständig neuen Forderungen ausgesetzt ist, obwohl die Verletzungsfolgen schon im ersten Prozess hinreichend überschaubar waren (2 Ob 242/98x mwN; zuletzt etwa 10 Ob 89/15h). Begehrt der Kläger in einem weiteren Verfahren ergänzendes Schmerzengeld, so hat er darzulegen, aufgrund welcher besonderen Umstände eine solche „Nachklage“ ausnahmsweise gerechtfertigt ist (2 Ob 44/14f ZVR 2015/93 [ Huber ] mwN). Solche Umstände können auch im Prozessrecht begründet sein (RIS‑Justiz RS0110739). Eine Nachklage kommt hier insbesondere dann in Betracht, wenn der Kläger im Vorprozess aufgrund verfahrensrechtlicher Vorschriften an der Ausdehnung seines Begehrens gehindert war und ihm nicht vorgeworfen werden kann, nicht gleich den höheren Betrag eingeklagt zu haben (6 Ob 204/98p; 2 Ob 173/01g; 2 Ob 103/10a).
2. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen auf dieser Grundlage die Möglichkeit einer Nachklage bejaht. Die in der Revision vorgebrachten Einwände können nicht überzeugen.
2.1. Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, nicht gleich einen höheren Betrag eingeklagt zu haben.
(a) Das Einklagen eines geringeren Betrags ist nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn das Ausmaß der Beeinträchtigungen bei Einbringen der Klage noch nicht vollständig überblickt werden konnte (6 Ob 204/98p; 2 Ob 173/01g, 7 Ob 270/04p). Das trifft bei der Bemessung des Schmerzengeldes im Regelfall zu, weil dessen konkrete Höhe typischerweise nicht ohne Einholung eines Gutachtens zu den Verletzungsfolgen ermittelt werden kann. Die in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen betrafen daher regelmäßig Fälle, in denen die Nachklage auf den – aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht aufgreifbaren – Ergebnissen eines im ersten Verfahren eingeholten Gutachtens beruhte (6 Ob 204/98p; 2 Ob 173/01g, 2 Ob 103/10a).
(b) Vorwerfbar ist das Einklagen eines zu geringen Betrags in diesem Zusammenhang nur dann, wenn sich aus den unstrittigen Verletzungsfolgen ohne jeden Zweifel ein unverhältnismäßig höheres Schmerzengeld ergeben hätte. Denn der Geschädigte muss schon aus Kostengründen ein Überklagen vermeiden, weswegen es ihm im Zweifel nicht zur Last fallen kann, wenn er zunächst einen geringeren Betrag geltend macht und das Begehren erst nach Vorliegen eines Gutachtens ausdehnt oder erforderlichenfalls eine zweite Klage erhebt. Interessen des Schädigers werden durch die Möglichkeit einer zweiten Klage nicht wesentlich beeinträchtigt, weil er es ohnehin in der Hand hat, die Notwendigkeit einer solchen Klage durch Zustimmung zu einer Ausdehnung des ursprünglichen Begehrens entfallen zu lassen. Dass der Geschädigte ihm durch tatsächliche Vornahme der Ausdehnung Gelegenheit dazu geben muss, hat der Senat bereits ausgesprochen (2 Ob 44/14f ZVR 2015/93 [zust Huber ]; anders noch 6 Ob 204/98p).
(c) Im vorliegenden Fall war der Kläger als Kleinkind naturgemäß nicht in der Lage, Angaben zu seinen Schmerzen zu machen. Für seine Mutter waren die konkreten Verletzungsfolgen, auch und gerade in Bezug auf die Schmerzperioden, vor Einlangen des Gutachtens nicht abschätzbar. Auf dieser Grundlage ist die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die – nachträglich betrachtet – zu geringe Höhe des ursprünglichen Begehrens den Eltern des Klägers nicht vorgeworfen werden könne, nicht zu beanstanden.
2.2. Der Nachklage steht auch nicht teilweise entgegen, dass im Vorprozess nach § 235 Abs 3 ZPO iVm § 49 Abs 1 JN eine Ausdehnung um 4.000 EUR möglich gewesen wäre.
(a) Die Rechtsprechung zur grundsätzlichen Unzulässigkeit von Nachklagen folgt daraus, dass das Schmerzengeld nach Möglichkeit in einem einzigen Verfahren global bemessen werden soll. Um das zu ermöglichen, muss der Geschädigte nach Vorliegen eines unerwartet günstigen Gutachtens eine Ausdehnung der Klage auf den danach angemessenen Betrag versuchen (2 Ob 44/14f). Nur wenn das aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt, kann er den weiteren Betrag mit neuer Klage geltend machen.
(b) Zweck der Ausdehnungsobliegenheit ist daher die Ermöglichung einer Globalbemessung. Dieser Zweck kann von vornherein nicht erreicht werden, wenn der Kläger einen die bezirksgerichtliche Wertgrenze übersteigenden Betrag geltend machen will und der Beklagte einer solchen Ausdehnung des Begehrens nicht zustimmt. Unter diesen Umständen wäre die Annahme einer Obliegenheit, die Klage wenigstens bis zur bezirksgerichtlichen Wertgrenze auszudehnen, ein bloßer Formalismus, der durch keine materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründe gedeckt wäre. Denn auch insofern ist kein schützenswertes Interesse des Schädigers erkennbar: Das zweite Verfahren wird nur aufgrund seiner prozessualen Disposition erforderlich, und dort muss jedenfalls eine Globalbemessung erfolgen. Dass dabei auch über einen Teilbetrag abzusprechen ist, der theoretisch schon im ersten Verfahren hätte erledigt werden können, begründet angesichts des Zwecks der Ausdehnungsobliegenheit keinen tragfähigen Unterschied.
3. Auch der Verjährungseinwand ist nicht berechtigt.
3.1. Bei Verbindung einer rechtzeitigen Leistungsklage mit einer später erfolgreichen Feststellungsklage wird die nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgte Ausdehnung eines Schmerzengeldbegehrens auch dann als zulässig angesehen, wenn sie nicht auf neue Schadenswirkungen, sondern auf die Ergebnisse eines für den Kläger (unverhofft) günstigen Sachverständigengutachtens gestützt wird (2 Ob 33/09f mwN; RIS-Justiz RS0031702 [T3]). Das bedeutet, dass sich die Unterbrechungswirkung des Feststellungsbegehrens auch auf die erst im Wege der Klageausdehnung geltend gemachten Schmerzengeldansprüche bezieht (2 Ob 167/11i).
3.2. Tritt aber die Unterbrechungswirkung ein, so begründet es aus verjährungsrechtlicher Sicht keinen relevanten Unterschied, ob der Geschädigte zur Durchsetzung des weiteren Anspruchs die Klage ausdehnt oder – wie hier – innerhalb angemessener Frist eine zweite Klage erhebt. Denn die Verjährung ist eine Frage des materiellen Rechts, die nicht davon abhängt, wie dieser Anspruch prozessual durchgesetzt wird. Dem Erfolg einer weiteren Klage könnte daher zwar der Grundsatz der Globalbemessung entgegenstehen (oben 1.), für die Verjährung gilt aber der Grundsatz, dass sowohl die Ausdehnung als auch das Erheben einer weiteren Klage als (neuerliches) Belangen im Sinn von § 1497 ABGB anzusehen sind. War die Verjährung unterbrochen, muss der Verjährungseinwand in beiden Fällen scheitern.
4. Aus diesen Gründen hat die ausschließlich auf die Unzulässigkeit einer Nachklage und auf Verjährung gestützte Revision keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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