OGH 9ObA148/17f

OGH9ObA148/17f21.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer und Harald Kohlruss in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O***** P*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Hon.‑Prof. Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, wegen 92.663,71 EUR sA (Revisionsinteresse: 37.997,04 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. Oktober 2017, GZ 6 Ra 63/17m‑29, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Februar 2017, GZ 34 Cga 34/16z-25, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00148.17F.0321.000

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass es – unter Wiederherstellung des Ersturteils – insgesamt zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 92.663,71 EUR brutto samt 9,08 % Zinsen aus 60.277,27 EUR ab 1. 3. 2016, aus 2.698,87 EUR ab 1. 4. 2016, aus 2.698,87 EUR ab 1. 5. 2016, aus 2.698,87 EUR ab 1. 6. 2016, aus 5.397,74 EUR ab 1. 7. 2016, aus 2.698,87 EUR ab 1. 8. 2016, aus 2.698,87 EUR ab 1. 9. 2016, aus 2.698,87 EUR ab 1. 10. 2016, aus 2.698,87 EUR ab 1. 11. 2016, aus 5.397,74 EUR ab 1. 12. 2016 und aus 2.698,87 EUR ab 1. 1. 2017 und ihre mit 18.129,70 EUR (darin enthalten 2.779,00 EUR Barauslagen und 2.558,45 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu zahlen.“

Die beklagte Partei ist weiter schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.262,32 EUR (darin 543,72 EUR USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung sowie die mit 5.063,26 EUR (darin 2.861 EUR Barauslagen, 367,04 EUR USt) bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger (geb 1966) war seit 1. 2. 1990 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 24. 7. 2013 durch Entlassung. Der Kläger begehrte zu AZ 32 Cga 136/13f des Erstgerichts die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis zur Beklagten mangels Entlassungsgrund über den 24. 7. 2013 hinaus aufrecht bestehe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Urteil vom 13. 7. 2015 statt (nicht rechtskräftig).

Die Beklagte zog im Hinblick auf ihre Entgeltzahlungspflicht (§ 61 Abs 1 ASGG) ab September 2014 vom laufenden Arbeitsentgelt des Klägers und den Sonderzahlungen monatlich 3.000 EUR brutto ab.

Der Kläger begehrte mit der vorliegenden, am 14. 3. 2016 eingebrachten Klage unter Berücksichtigung des Einkommens aus einer geringfügigen Beschäftigung zuletzt 92.663,71 EUR brutto an Gehaltsdifferenzen für den Zeitraum 1. 9. 2014 bis 31. 12. 2016.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, der Kläger wäre verpflichtet und es wäre ihm auch zumutbar gewesen, umgehend nach Ausspruch der Entlassung am 24. 7. 2013 die Arbeitssuche aufzunehmen und einer Ersatzbeschäftigung nachzugehen. Spätestens ab September 2014 habe er es absichtlich verabsäumt, eine adäquate Ersatzbeschäftigung aufzunehmen und sich aktiv zu bewerben, dies offenbar wegen der aus seiner Sicht gegebenen Zahlungsverpflichtung der Beklagten, um diese zu schädigen. Er hätte innerhalb eines Jahres nach Entlassung eine adäquate Beschäftigung mit einem mehr als 30 % verringerten Gehalt aufnehmen können, eine solche Tätigkeit wäre auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen gewesen. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, ein fiktives Einkommen von 3.000 EUR brutto monatlich auf das laufende Gehalt und die Sonderzahlungen anzurechnen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf noch folgende Feststellungen:

Der Kläger verbrachte die ersten Jahre als Angestellter bei der Beklagten am Schalter und vertretungsweise als Kassier. In der Folge wechselte er in die Kreditabteilung und verrichtete dort administrative Tätigkeiten, ua die Bearbeitung von Privatkrediten. Anschließend war er zehn Jahre in der Rechtsabteilung tätig. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Klagen und Exekutionsanträge bei Gericht einzubringen, Privatkonkurse abzuwickeln und Forderungsanmeldungen durchzuführen. Des weiteren war der Kläger, in Kooperation mit einer Rechtsanwaltskanzlei, mit der Abwicklung von Firmenkonkursen betraut. Seit September 2007 ist er aufgrund einer zunehmenden Burnout-Problematik begünstigter Behinderter im Sinne des BEinstG. Wegen einer Umstrukturierung im Zuge eines Eigentümerwechsels war der Kläger seit Ende 2008 dem Personalpool der Beklagten zugeteilt. In dieser Zeit beschränkte sich sein Tätigkeitsbereich auf untergeordnete Arbeiten wie beispielsweise die Eingabe von Sachbearbeitercodes, Archivrecherchen und die Kontenlegitimation.

Während seines vom 2. 4. 2013 bis 30. 8. 2014 dauernden Krankenstandes wurde der Kläger am 24. 7. 2013 entlassen. Er befand sich in ärztlicher Behandlung. In der Zeit vom Entlassungstag bis zum Ende des Krankenstandes unternahm er keinen Versuch, eine andere Arbeitsstelle zu finden. Nach Beendigung des Krankenstandes meldete sich der Kläger arbeitslos und bezog Arbeitslosenunterstützung. Dabei stand er im ständigen Kontakt mit der zuständigen Betreuungsperson des AMS. Aufgrund der gesundheitlichen Vorgeschichte befand sich der Kläger in einer Spezialberatung für berufliche Rehabilitation. Ziel der Betreuung war es, den Kläger entsprechend seiner Kenntnisse, Fähigkeiten und Wünsche mit der Realität am Arbeitsmarkt vertraut zu machen. Hierzu fanden in regelmäßigen Abstand von vier Wochen Vermittlungsgespräche zwischen dem Kläger und dem zuständigen Betreuer des AMS statt, bei denen versucht wurde, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Durch die Eingabe der Daten und Qualifikationen des Klägers wurde nach geeigneten Arbeitsangeboten gesucht. Oberste Priorität war es, eine Stelle als Bankangestellter am Wohnort des Klägers zu finden. Angesichts der schlechten Arbeitsentwicklung im Bankensektor blieb dies jedoch erfolglos. Dem Kläger wurden keine offenen Stellen angeboten, auf die er sich bewerben konnte. Eine vom AMS angebotene Perspektivenentwicklung, die im Wesentlichen eine Berufsorientierung, Leistungsfeststellung und Umschulungsalternativen beinhaltet, nahm der Kläger nicht in Anspruch.

In weiterer Folge konzentrierte sich die Jobsuche des Klägers auf Inserate in Zeitungen und Internetplattformen. Auf einer dieser Internetplattformen meldete sich der Kläger als Arbeitssuchender und stellte seine Daten online, was ergebnislos blieb. Konkrete, aktive Bewerbungsversuche wurden jedoch nicht unternommen.

Weil auch diese Maßnahmen keine adäquaten Stellen ergaben, versuchte der Kläger, letztlich ohne Erfolg, über persönliche Kontakte eine Beschäftigung im öffentlichen Bereich zu erlangen.

Der Erfolg über persönliche Kontakte eine Anstellung zu finden, kann gleich hoch sein wie beim allgemeinen Bewerbungsverhalten. Die Bemühungen des Klägers, eine Ersatzbeschäftigung zu erlangen, beschränkten sich geographisch auf Klagenfurt, Klagenfurt Land, St. Veit an der Glan und Feldkirchen.

Vom 2. 12. 2014 bis zum 1. 3. 2015 befand sich der Kläger aufgrund einer schweren Operation erneut im Krankenstand und war nach seiner Genesung wieder arbeitslos gemeldet. Weil sich der Kläger in Richtung Selbstständigkeit entwickeln wollte und er im reinen Bankenbereich von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht gewesen wäre, erfolgte am 19. 3. 2015 eine Erstinformation zu dem vom AMS angebotenen Unternehmensgründungsprogramm, was vom AMS im Hinblick auf die berufliche Karriereentwicklung des Klägers als positiv, engagiert und ausreichend bewertet wurde. Aufgrund des anhängigen Gerichtsverfahrens nahm der Kläger in Abstimmung mit dem AMS zu dieser Zeit an diesem Programm jedoch nicht teil. Er gab gegenüber dem AMS zu verstehen, dass er das Gerichtsverfahren abwarten und im Anschluss seine Arbeit bei der Beklagten fortsetzen möchte. Nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens zu AZ 32 Cga 136/13f erklärte der Kläger mit Schreiben vom 9. 11. 2015 gegenüber der Beklagten seine ausdrückliche Arbeitsbereitschaft, was diese mit Schreiben vom 18. 11. 2015 ablehnte und erklärte, keine Arbeitsleistungen des Klägers entgegenzunehmen.

Dem Kläger ging es während seiner Arbeitslosigkeit vorrangig um den Abschluss des Gerichtsverfahrens und nicht so sehr um eine Arbeitsvermittlung.

Vom 27. 8. 2015 bis 16. 9. 2015 nahm der Kläger im Rahmen einer vom AMS angebotenen Bewerbungsberatung teil, deren Ziel es war, die Eigenaktivitäten für Bewerbungen zu stärken und neue Suchkanäle zu lukrieren. Beginnend mit 12. 4. 2016 nahm der Kläger am Unternehmensgründungsprogramm teil. Dabei wurde in Zusammenarbeit mit einer Unternehmensentwicklungsagentur ein Finanzplan erstellt und eine Markterhebung zur Realisierbarkeit durchgeführt, was diese positiv bewertete und letztlich in der Selbstständigkeit des Klägers endete.

Am 1. 6. 2015 nahm der Kläger ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei einer Immobilien GmbH an (monatlicher Verdienst ab 1. 1. 2016: 301,13 EUR brutto). Die Initiative für das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses ging dabei von ihrem alleinigen Geschäftsführer und Anteilseigner aus. Aufgabe des Klägers war, Steuererklärungen vorzubereiten, Unterlagen für den Steuerberater übersichtlich aufzubereiten und die laufenden Einnahmen und Ausgaben laufend zu erfassen, vorzubereiten und zu saldieren. Für diese Tätigkeiten musste er zwischen fünf und zehn Stunden monatlich aufwenden. Eine über das geringfügige Beschäftigungsverhältnis hinaus gehende Anstellung war aufgrund des mangelnden Bedarfs nicht möglich.

Seit April 2016 ist der Kläger neben dieser Beschäftigung als selbstständiger Berater für Lichttherapie tätig. Die Einkünfte aus der Selbstständigkeit liegen zwischen 1.500 und 3.000 EUR, werden jedoch von den damit zusammenhängenden Aufwendungen aufgewogen. Aus dieser Tätigkeit erzielte der Kläger keinen Gewinn, im Jahr 2016 betrug der Verlust 4.110,54 EUR.

Als qualifizierter Bank- und Wirtschaftskaufmann, mit Praxis und Erfahrung in einem breiten banken-, finanzdienstleistungs- und immobilienspezifischen Spektrum, wie Kreditmanagement und Liegenschaftsbewertung, mit Kompetenz für Projektverantwortung und leitenden Funktionen, ist der Kläger im Hinblick auf die Brüche in der Erwerbskarriere seit dem 4. Quartal 2006, die herabgesetzte psychische Belastbarkeit sowie das zunehmende erhöhte Lebensalter von 50 Lebensjahren schwer vermittelbar.

Die Erlangung eines einkommensmäßig gleichwertigen Arbeitsplatzes wie bei der Beklagten ist innerhalb eines Prognosezeitraums von 12 bis 18 Monaten mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Chance, dass der Kläger im allgemeinen Bankenbereich, auf bankintern spezialisiertem Niveau oder in leitenden Funktionen innerhalb eines Jahres eine Arbeitsstelle findet, liegt bei unter 30 %.

Der Kläger hätte ab September 2014, entsprechendes Engagement sowie berufliche und geographische Mobilität mit Bereitschaft für Wochen-, Monats- oder Saisonpendeln vorausgesetzt, gute Chancen zur Aufnahme einer Beschäftigung innerhalb von durchschnittlich drei Monaten in den Berufsbereichen Buchhaltung, Kalkulation und Kostenrechnung, Personalverrechnung, Versicherungsvermittlung, -vertretung, Telefonverkauf, Callcenter Agent, Hotelkaufmann und Fertigungsarbeiter in der Produktion gehabt. Diese Beschäftigungsmöglichkeiten hat der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit noch immer. Eine Tätigkeit als Versicherungsvermittler oder Finanzdienstleister in diesem Bereich war und ist dem Kläger aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung jederzeit zumutbar. Da der Kläger keine Prüfung und keine Ausbildung als Lohn- und Gehaltsverrechner hat, war ihm die Ausübung einer solchen Tätigkeit zwar grundsätzlich zumutbar, jedoch wäre hierzu eine sechs- bis neunmonatige Einschulung mit anschließender Prüfung erforderlich gewesen. Eine Stelle im Bereich der Buchhaltung hätte der Kläger innerhalb von zwei bis drei Monaten in Wien, Oberösterreich, Salzburg erlangen können. Innerhalb von zwei bis drei Monaten hätte der Kläger bei entsprechendem Bewerbungsverhalten eine Stelle als kaufmännischer Angestellter im Rechnungswesen und in der Versicherungsvermittlung im Raum Kärnten aufnehmen können, dies mit einem Bruttomonatsgehalt von ca 2.000 EUR. Die dafür notwendigen Produktkenntnisse hätte der Kläger innerhalb von drei bis fünf Monaten im Rahmen des Dienstverhältnisses erwerben können. Potentielle Arbeitgeber wären Versicherungen und Versicherungsmakler.

In der Zusammenschau aller dem Kläger zumutbaren Verdienstmöglichkeiten unter Einbeziehung der Anlernberufe hätte er ein monatliches Gehalt von 2.000 EUR brutto verdienen können. Dies bedeutet gegenüber dem letzten Einkommen des Klägers eine Nettoeinkommensverringerung von rund 44 % inklusive Sonderzahlungen oder 51 % exklusive Sonderzahlungen. Zusätzlich wäre gegenüber dem letzten Dienstverhältnis bei der Beklagten mit einer qualitativen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch differenzierte und höhere körperliche Anforderungen sowie durch notwendige geographische und berufliche Mobilität zu rechnen gewesen.

Die Offenlegung des anhängigen Gerichtsverfahrens sowie des Gesundheitszustands des Klägers hätte beim Versuch, eine Beschäftigung zu finden, zu einer Einschränkung der Vermittlungschancen geführt. Hätte der Kläger auch einem allfälligen zukünftigen Arbeitgeber mitgeteilt, dass er das Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten aufrecht erhalten möchte, wäre es dem Kläger nicht gelungen, eine Ersatzbeschäftigung zu finden.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass beim Kläger nicht von einem absichtlichen Versäumen des Erwerbs iSd § 1155 Abs 1 2. HS ABGB gesprochen werden könne. Die Offenlegung des anhängigen Gerichtsverfahrens sowie des Gesundheitszustands des Klägers beim Versuch, eine Beschäftigung zu finden, hätte zu einer Einschränkung der Vermittlungschancen geführt. Hätte der Kläger einem allfälligen zukünftigen Arbeitgeber mitgeteilt, dass er das Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten aufrecht erhalten möchte, wäre es ihm nicht gelungen, eine Ersatzbeschäftigung zu finden. Der Kläger habe bei einem Einstellungsgespräch auch nicht verschweigen müssen und dürfen, dass er in einem aufrechten Arbeitsverhältnis stehe und daher gezwungen sein könne, das Ersatzbeschäftigungsverhältnis gleichsam ohne Vorwarnung wieder aufzulösen. Daraus ergebe sich, dass er auch bei entsprechenden Bemühungen eine solche Stelle mit einem entsprechenden Verdienst nicht erhalten hätte.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung teilweise Folge, verpflichtete die Beklagte nur zur Zahlung von 54.666,67 EUR brutto sA und wies das Mehrbegehren von 37.997,04 EUR brutto sA ab. Sei der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses strittig, müsse der Dienstnehmer nicht damit rechnen, dass während des Prozesses die Arbeitsleistung eingefordert werde, weil der Arbeitgeber zu erkennen gegeben habe, dass ein Arbeitsverhältnis nach seiner Ansicht nicht bestehe. Die Aufnahme einer Ersatzbeschäftigung sei in diesen Fällen nicht unzumutbar.

Dem Kläger sei eine Arbeitsplatzsuche nach Beendigung seines Krankenstandes zum 1. 3. 2015 zumutbar gewesen. Es stehe fest, dass er weder aktive Bewerbungsversuche für eine unselbständige Tätigkeit unternommen noch Schritte gesetzt habe, eine seiner Qualifikation und bisherigen Beschäftigung entsprechende Tätigkeit zu finden. Ab diesem Zeitpunkt sei von einem absichtlichen Versäumen iSd § 1155 Abs 1 2. HS ABGB auszugehen. Unter Berücksichtigung einer Arbeitsplatzsuchzeit von zwei bis drei Monaten habe er sich ab Juni 2015 die Anrechnung eines fiktiven Einkommens von 2.000 EUR gefallen zu lassen. Sein eingeschränkter Gesundheitszustand sei im Suchzeitraum bereits berücksichtigt. Eine Offenbarungspflicht habe darüber hinaus nicht bestanden. Sofern sich der Kläger dennoch veranlasst gesehen hätte, offenzulegen, dass er sein Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten aufrecht erhalten möchte, hätte er lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es ihm geradezu darauf ankomme, kein Zwischenarbeitsverhältnis einzugehen. Die auf die Offenlegung des Gerichtsverfahrens bezogene Feststellung sei überdies überschießend. Hinweise, die die Zumutbarkeit eines Ersatzarbeitsplatzes ausschließen würden, seien im erstinstanzlichen Verfahren nicht erkennbar gewesen. Die Stellung des Klägers als begünstigter Behinderter habe bereits als Erschwerungsgrund bei der Vermittlungsmöglichkeit Berücksichtigung gefunden. Der besondere Kündigungsschutz für begünstigte Behinderte gelte erst nach vier Jahren, sodass die Zugehörigkeit des Klägers zum Kreis der begünstigten Behinderten nicht als zusätzliches wesentliches Vermittlungshindernis gewertet werden könne. Bezüglich der Zumutbarkeit seien lediglich Arbeitsplatzmöglichkeiten in Kärnten berücksichtigt worden. Es würden ihm nur solche Arbeitsplätze zugemutet, die seiner Berufsausbildung – unter Berücksichtigung des Karriereknicks des Klägers – entsprechen. Der Einkommensverlust liege unter dem nach § 21 Abs 3 AlVG entstehenden Verlust aus der Ermittlung des Grundbetrags.

In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer gänzlichen Klagsstattgebung.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt .

1.  Gemäß § 61 Abs 1 Z 1 ASGG hemmt die rechtzeitige Erhebung der Berufung gegen das erste Urteil des Gerichts erster Instanz nur den Eintritt der Rechtskraft, nicht jedoch den Eintritt der Verbindlichkeit der Feststellung, den der Rechtsgestaltungswirkung oder den der Vollstreckbarkeit in Rechtsstreitigkeiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und daraus abgeleitete Ansprüche auf das rückständige laufende Arbeitsentgelt. Gemäß Abs 2 leg cit besteht die Verbindlichkeitswirkung grundsätzlich auch, wenn das Urteil inzwischen aufgehoben oder durch ein anderes Urteil ersetzt worden ist, bis zur Beendigung des Verfahrens weiter.

Nach der Rechtsprechung ermöglicht der vorläufige Weiterbestand des Arbeitsverhältnisses aufgrund der gemäß § 61 Abs 1 Z 1 ASGG eintretenden Verbindlichkeitswirkung die Anwendbarkeit des § 1155 ABGB, der ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraussetzt (s RIS‑Justiz RS0113094).

2.  Gemäß § 1155 Abs 1 ABGB gebührt dem Dienstnehmer das Entgelt auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Dienstgebers liegen, daran verhindert worden ist; er muss sich jedoch anrechnen, was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.

Nach der Rechtsprechung besteht die Einrechnungsverpflichtung grundsätzlich auch bei Annahmeverzug des Dienstgebers, zB bei ungerechtfertigter Entlassung (s RIS‑Justiz RS0021454; 9 ObA 24/01x [Entlassungsanfechtung]; 9 ObA 81/10t [Unwirksamkeit einer Kündigung]; 9 ObA 90/13w [Kündigungsanfechtung]).

Ganz allgemein gilt nach dem strittigen dritten Fall des § 1155 Abs 1 2. HS ABGB, dass ein absichtliches Versäumen nicht erst vorliegt, wenn der Arbeitnehmer ein ihm konkret angebotenes zumutbares Vertragsanbot ausschlägt, um die Anrechnung zu verhindern, sondern bereits dann, wenn er keine Bemühungen anstellt, eine Zwischenarbeit zu finden, obwohl ihm bekannt sein muss, dass solche Bemühungen durchaus erfolgsversprechend sein können (9 ObA 90/13w mwN). Von einem absichtlichen Versäumen des Erwerbs ist daher auch dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer in der Einschätzung aller Umstände, insbesondere der Tatsache, dass er an seinem Arbeitsplatz keinesfalls benötigt wird, und bei Vorhandensein reeller Chancen keine Anstrengungen unternimmt, sich eine Ersatzbeschäftigung zu verschaffen, die ihm nach Treu und Glauben zumutbar ist und die seiner Qualifikation und seiner bisherigen Beschäftigung im Rahmen des Arbeitsvertrags entspricht (9 ObA 114/87; RIS‑Justiz RS0028604, zuletzt 9 ObA 90/13w mwN).

Die Behauptungs‑ und Beweislast für die Anrechnungsvoraussetzungen trifft den Arbeitgeber (RIS‑Justiz RS0021543; RS0021599).

3.  Im Revisionsverfahren ist nicht mehr zweifelhaft, dass dem Kläger eine Arbeitsplatzsuche vor Beendigung seines (zweiten) Krankenstandes zum 1. 3. 2015 nicht zumutbar war.

Für den Folgezeitraum ab April 2015 steht fest, dass es dem Kläger möglich gewesen wäre, innerhalb von zwei bis drei Monaten bei entsprechendem Bewerbungsverhalten eine Stelle als kaufmännischer Angestellter im Rechnungswesen und in der Versicherungsvermittlung im Raum Kärnten mit einem Bruttomonatsgehalt von ca 2.000 EUR aufzunehmen, woraus das Berufungsgericht die Obliegenheit des Klägers zum Eingehen eines Zwischendienstverhältnisses ab Juni 2015 ableitete. Dabei dürfen mehrere Aspekte jedoch nicht übersehen werden:

3.1.  Voranzustellen ist, dass hier keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger arbeitsunwillig gewesen wäre. Im Sinn der genannten Rechtsprechung ist auch nicht ersichtlich, dass er trotz reeller Chancen gar keine Anstrengungen unternommen hätte, eine Ersatzbeschäftigung zu bekommen: Der Kläger stand von Beginn an in Kontakt mit dem AMS, befand sich aufgrund seines Gesundheitszustands in einer Spezialberatung für berufliche Rehabilitation, die ihn „mit der Realität am Arbeitsmarkt vertraut“ machen sollte, konzentrierte seine Jobsuche, nachdem ihm im Bankensektor keine offenen Stellen zur Bewerbung angeboten werden konnten, auf Zeitungsinserate und stellte seine Daten als Arbeitssuchender auf eine Internetplattform. Dies blieb aber ebenso erfolglos wie seine Versuche, über persönliche Kontakte eine Beschäftigung im öffentlichen Bereich zu erlangen. Im noch strittigen Zeitraum nahm er eine ihm angebotene geringfügige Beschäftigung an und nahm ab August 2015 auch an einer Bewerbungsberatung mit dem Ziel teil, neue Suchkanäle zu lukrieren. Dass es ihm in dieser Phase – das Berufungsgericht ging von einem anrechenbaren Erwerb ab Juni 2015 aus – „vorrangig um den Abschluss des Gerichtsverfahrens“ ging, ist nicht von vornherein verwerflich, wenn man bedenkt, dass für den Kläger – anders als in dem der Entscheidung 9 ObA 90/13w zugrunde liegenden Fall – aufgrund der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten in seinem angestammten Tätigkeitsbereich eine berufliche Neuorientierung notwendig war und er angesichts der Dauer des erstinstanzlichen Feststellungsverfahrens mit einem baldigen Verfahrensergebnis rechnen konnte (Ersturteil vom 13. 7. 2015). Der Kläger entwickelte letztlich auch neue Perspektiven, als er sich als Berater für Lichttherapie selbständig machte. Dass ihm schon vor dem im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten in all dieser Zeit zB von seinem AMS-Betreuer nahegelegt worden wäre, sich um eine Stelle als Angestellter im Rechnungswesen oder als Versicherungsvermittler zu bewerben oder dem Kläger solche Stellen angeboten, von ihm aber abgelehnt worden wären, wurde nicht behauptet.

3.2.  Die Obliegenheit, ein Zwischendienstverhältnis einzugehen, besteht auch nur in Bezug auf solche Tätigkeiten, die einem Dienstnehmer zumutbar sind (zB 9 ObA 114/87; 9 ObA 90/13w; Krejci in Rummel , ABGB 3 § 1155 Rz 25 mwN; Rebhahn in ZellKomm 2 § 1155 Rz 53, 62; vgl auch Schrammel in Klang , ABGB 3 § 1155 Rz 39). Die Zumutbarkeit der anderen Beschäftigung wird angenommen, wenn sie der Qualifikation und bisherigen Beschäftigung des Arbeitnehmers entspricht und auch sonst nach Treu und Glauben zumutbar ist (9 ObA 114/87; 9 ObA 90/13w; Rebhahn aaO Rz 62).

Hier ist unter Zumutbarkeitsaspekten nicht nur zu berücksichtigen, dass der Kläger mit der Aufnahme eines ihm möglichen Zwischendienstverhältnisses eine markante Einkommenseinbuße hinzunehmen gehabt hätte (Netto-Einkommensverringerung von 44 % inklusive Sonderzahlungen bzw 51 % exklusive Sonderzahlungen). Es wurde vielmehr auch festgestellt, dass dabei im Vergleich zum Dienstverhältnis des Klägers mit der Beklagten mit einer qualitativen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch differenzierte und höhere körperliche Anforderungen sowie durch notwendige geografische und berufliche Mobilität zu rechnen gewesen wäre. Dies ist bei der Tätigkeit eines Versicherungsvermittlers, die in der Regel mit Außendiensttätigkeiten verbunden ist, auch nachvollziehbar. Teilweise hätten die vom Sachverständigen genannten Stellen die an den Kläger zu stellenden Mobilitätsanforderungen überspannt (zB Stelle im Bereich der Buchhaltung in Wien, Oberösterreich, Salzburg). Teilweise lagen die Stellen auch neben oder unter seiner Qualifikation (zB Callcenter Agent, Fertigungsarbeiter in der Produktion).

3.3.  Bezüglich der von den Vorinstanzen unterschiedlich beurteilten Frage der Offenlegung des Feststellungsverfahrens bei der Suche nach einer Zwischenarbeit kann es hier auch auf die Art und die Umstände der auszuübenden Tätigkeit ankommen. Die Tätigkeit als Versicherungsvermittler erfordert etwa eine mehrmonatige Einschulungsphase zum Erwerb der Produktkenntnisse. Diesbezüglich kann nicht zweifelhaft sein, dass der Kläger einen neuen Arbeitgeber darauf aufmerksam machen durfte, dass er bei Obsiegen des Gerichtsverfahrens das Zwischendienstverhältnis – schon um die Pflicht zur Leistungsbereitschaft in seinem Stammdienstverhältnis nicht zu verletzen – unverzüglich wieder beenden würde. Eine solche Information bietet dem neuen Arbeitgeber eine Beurteilungsgrundlage dafür, ob er sich dann auf den Aufwand einer Einschulung einlassen möchte. Die Bekanntgabe der Unsicherheit über den Verbleib im Zwischendienstverhältnis wäre daher – anders als etwa bei einschulungsfreien Hilfstätigkeiten – insbesondere bei einer Position wie jene eines Versicherungsvermittlers, deren Ausübung vorerst einen mehrmonatigen Wissenserwerb erfordert, eine Information gewesen, die einem künftigen Arbeitgeber jedenfalls gegeben werden durfte . Aus einer solchen Offenlegung kann entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts auch noch nicht abgeleitet werden, dass ein Arbeitnehmer „den Job eigentlich doch nicht anstrebt“, wird doch dadurch vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass eben ein vorübergehendes Zwischenarbeitsverhältnis angestrebt wird. Es ist auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, während eines laufenden Anfechtungsprozesses bei entsprechender Offenlegung eine Zwischenarbeit zu finden.

3.4.  In gleicher Weise ist ein Dienstnehmer nicht verpflichtet, bei einer Bewerbung allfällige Einschränkungen seines Gesundheitszustands oder eine Eigenschaft als begünstigter Behinderter zu verschweigen, wenn er meint, dass eine solche Information von Nutzen ist, um ihn seiner Verfasstheit entsprechend einzusetzen. Dass eine solche Offenlegung hier den Zweck verfolgt hätte, eine Anstellung iSd § 1155 ABGB „absichtlich zu versäumen“, behauptet die Beklagte nicht. Dass unter Umständen keine entsprechende Offenlegungs pflicht bestanden haben mag (s dazu 9 ObA 107/15y), ist daher nicht entscheidend. Bei Offenlegung des Gerichtsverfahrens wäre ein Bemühen um ein Zwischenarbeitsverhältnis aber nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht erfolgreich gewesen.

In diesem Zusammenhang ist auch von keiner unbeachtlichen überschießenden Feststellung auszugehen, weil der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren zu den Schwierigkeiten, einen Ersatzarbeitsplatz zu finden, auch auf das anhängige Gerichtsverfahren verwiesen hat. Da sich die Feststellungen danach noch im Rahmen der geltend gemachten Einwendung des Klägers halten, können sie nicht unberücksichtigt bleiben (RIS‑Justiz RS0037972 [T1; T9]).

3.5.  Diese Erwägungen gelten nicht minder ab jenem Zeitpunkt, ab dem sich der Kläger mit Förderung und Unterstützung des AMS als Berater für Lichttherapie selbständig machte und dabei Einkünfte zwischen 1.500 und 3.000 EUR monatlich erzielen konnte. Dass diese Tätigkeit nicht von Beginn an gewinnträchtig war, ist kein Umstand, der dem Kläger hier als „absichtliches Versäumen“ einer Erwerbschance iSd § 1155 ABGB ausgelegt werden kann.

4.  In Zusammenschau all dieser Umstände liegt hier daher keine Konstellation vor, in der dem Kläger zum Vorwurf gemacht werden könnte, es während des laufenden Feststellungsverfahrens trotz reeller Chancen ab Juni 2015 „absichtlich“ iSd § 1155 Abs 1 ABGB versäumt zu haben, sich eine zumutbare Ersatzbeschäftigung zu verschaffen. Auf die Frage, ob dem Kläger schon aufgrund seines erhöhten Bestandschutzes ein Zwischendienstverhältnis nicht zumutbar sei (offenlassend 8 ObA 77/06s; s dazu auch Rebhahn aaO Rz 60), braucht danach nicht weiter eingegangen zu werden.

Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben und das Ersturteil in seiner Gesamtheit wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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