OGH 9ObA90/13w

OGH9ObA90/13w26.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Mag. Andreas Hach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** P*****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei D***** KG, *****, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth, Dr. Alexander Neurauter, Dr. Martin Neuwirth, Rechtsanwälte in Wien, wegen 91.673,53 EUR brutto abzüglich 7.720,78 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 77.720,78 EUR brutto abzüglich 7.720,78 EUR netto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 2013, GZ 7 Ra 134/12w‑33, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Ganz allgemein gilt nach dem im Revisionsverfahren strittigen dritten Fall des § 1155 Abs 1, 2. Halbsatz ABGB, dass ein absichtliches Versäumen im Sinn dieser Bestimmung nicht erst vorliegt, wenn der Arbeitnehmer ein ihm konkret angebotenes zumutbares Vertragsanbot ausschlägt, um die Anrechnung zu verhindern (vgl 4 Ob 18/81 = Arb 9992; 4 Ob 40/83 = Arb 10.311), sondern bereits dann, wenn er keine Bemühungen anstellt, eine Zwischenarbeit zu finden, obwohl ihm bekannt sein muss, dass solche Bemühungen durchaus erfolgversprechend sein können ( Schrammel in Klang³ § 1155 ABGB Rz 39; vgl auch Spenling in KBB³ § 1155 Rz 8; RIS‑Justiz RS0021599 [T1]). Von einem „absichtlichen“ Versäumen des Erwerbs ist nach der Rechtsprechung daher auch dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer in der Einschätzung aller Umstände, insbesondere der Tatsache, dass er an seinem Arbeitsplatz keinesfalls benötigt wird, und bei Vorhandensein reeller Chancen keine Anstrengungen unternimmt, sich eine Ersatzbeschäftigung zu verschaffen, die ihm nach Treu und Glauben zumutbar ist und die seiner Qualifikation und seiner bisherigen Beschäftigung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses entspricht (9 ObA 114/87 mwN; 9 ObA 135/03y; RIS‑Justiz RS0028604; Krejci in Rummel³ § 1155 ABGB Rz 28; Löschnigg , Arbeitsrecht 11 460; Rebhahn in ZellKomm² § 1155 ABGB Rz 64 aE). Die Behauptungs‑ und Beweislast für die Anrechnungsvoraussetzungen trifft den Arbeitgeber (RIS‑Justiz RS0021543).

Das Berufungsgericht legte diese Rechtslage seiner Entscheidung zugrunde; ihre Anwendung auf den hier zu beurteilenden Fall stellt eine Frage des Einzelfalls dar, die ‑ von Fällen unvertretbarer Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen ‑ die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann.

Der Revisionswerber führt zusammengefasst aus, dass er keine konkreten Stellenangebote in der Absicht ausgeschlagen habe, die Anrechnung zu verhindern. Er sei auch nicht untätig gewesen, sondern habe sich nach der Kündigung arbeitslos gemeldet, habe alle Termine des AMS wahrgenommen und habe sich mündlich darüber hinaus bei zwei Busunternehmen beworben. Ihm sei es daher nicht darauf angekommen, keinen Verdienst während der Dauer des Kündigungsanfechtungsverfahrens zu erzielen, um die Anrechnung zu verhindern.

Eine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts zeigt der Revisionswerber damit nicht auf. Er bestreitet in der Revision nicht, dass ihm nach Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. 3. 2008 und während des gesamten Kündigungsanfechtungsverfahrens bis zur Wiederaufnahme seiner Arbeit bei der Beklagten im April 2012 völlig klar war, dass die Beklagte seine Arbeitsleistung nicht zulassen werde und dass ihn daher eine Obliegenheit (vgl Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.01 § 1155 Rz 34) zu anderer Erwerbstätigkeit traf. Der Kläger war als Buslenker bei der Beklagten beschäftigt. Es steht fest, dass er während des von ihm gegen die Beklagte letztlich auch erfolgreich geführten Kündigungsanfechtungsverfahrens arbeitslos gemeldet war. Er bewarb sich mündlich bei zwei nicht näher bekannten Busunternehmen, darüber hinaus unternahm er aber keine Anstrengungen, einen nach Einkommen und Arbeitsbedingungen vergleichbaren Arbeitsplatz als Buslenker zu finden. Dies wäre ihm jedoch bei aktiver Arbeitsplatzsuche mit hoher Wahrscheinlichkeit infolge der im Jahr 2008 starken Nachfrage nach Buslenkern im Großraum Wien im Linien‑, wie auch im Gelegenheits‑ und Werksverkehr, schon bis Oktober 2008 gelungen. Der Kläger unterließ die aktive Arbeitsplatzsuche, weil er einerseits damit rechnete, das Kündigungsanfechtungsverfahren zu gewinnen, in absehbarer Zeit wieder bei der Beklagten zu arbeiten und den Lohn von ihr nachgezahlt zu erhalten, und weil er andererseits seine Frau dabei unterstützen wollte, sich selbständig zu machen. Das Berufungsgericht führte dazu aus, dass der Kläger hier schon im Hinblick auf die vierjährige Dauer des Anfechtungsverfahrens verpflichtet gewesen wäre, die sich ihm bietenden reellen Erwerbschancen durch aktives Bewerben wahrzunehmen. Seine rechtliche Beurteilung, dass ‑ jedenfalls ab Oktober 2008 ‑ von einem absichtlichen Versäumen des Klägers im Sinn des § 1155 2. Halbsatz ABGB auszugehen sei, weil der Kläger einen Verdienst durch anderweitige Verwendung (auch) wegen der von ihm ohnehin erwarteten Nachzahlungspflicht der Beklagten unterließ, ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des konkreten Einzelfalls vertretbar.

Stichworte