OGH 15Os2/18k

OGH15Os2/18k14.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bahaddin A***** wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 11. Oktober 2017, GZ 25 Hv 64/17m‑99, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00002.18K.0314.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde Bahaddin A***** der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

Danach hat er gewerbsmäßig in N*****, S***** und an anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung bestehend aus Mehmet Ar*****, Yilmaz Ar*****, Coskun K*****, Aleko Ke*****, Ivov I*****, Bahaddin A***** und anderen teils bekannten, teils unbekannten Mittätern im bewussten und gewollten arbeitsteiligen Zusammenwirken (§ 12 StGB) die rechtswidrige Einreise von Fremden, die über keine gültigen Reisedokumente für die Einreise in einen oder den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder den Schengenraum verfügten, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs, nämlich aus Serbien über Kroatien und Slowenien nach Österreich mit dem Vorsatz gefördert, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, wobei er die Tat jeweils in Bezug auf mindestens drei Fremde beging, und zwar

V./ gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Yilmaz Ar*****

2./ am 9. März 2017 die türkischen Staatsangehörigen Riyat C*****, Zahide Bektasli C***** und Sara Denise C***** aus Kroatien nach Slowenien und weiter nach Österreich, wobei Yilmaz Ar***** die Genannten im Auftrag von Ivov I***** in Slowenien abholen und nach Österreich bringen sollte, diese Schleppung von Bahaddin A***** mitorganisiert wurde, die Fremden aber bereits von der slowenischen Polizei beim Grenzübertritt aus Kroatien nach Slowenien betreten wurden, sodass es nicht zur Weiterschleppung kam;

4./ am 16. April 2017 die türkischen Staatsangehörigen Avaz Ak*****, Serivan Ak*****, Muhammed Mervan Ak*****, Ramazan Ak*****, Serivan Ay***** und Mahsum S*****, die jedoch bei der Einreise nach Slowenien zurückgewiesen wurden, wobei Bahaddin A***** der Organisator war und Yilmaz Ar***** als Schlepperfahrer bereit stand;

VI./ gemeinsam mit den abgesondert verfolgten Yilmaz Ar***** und Mehmet Ar***** am 8. Jänner 2017 sechs unbekannt gebliebene türkische Staatsangehörige aus Kroatien, über Slowenien und Österreich nach Deutschland, wobei Yilmaz Ar***** der unmittelbare Schlepperfahrer war, Mehmet Ar***** das Begleitfahrzeug lenkte und Bahaddin A***** in der Organisation der Fahrt in Kroatien bzw Slowenien tätig war.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die nominell auf Z 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

Mit dem Hinweis darauf, dass der Angeklagte den erhebenden Beamten vor dem 16. April 2017 (V./4./) unbekannt gewesen wäre, dem Vorbringen, dass „bloße Mitwisserschaft weder unmittelbare Mittäterschaft noch Beitragstäterschaft“ begründe, und mit beweiswürdigenden Erwägungen zum Beweiswert der Angaben des (ursprünglich) Mitangeklagten Yilmaz Ar***** sowie zur Frage der Zuordnung eines bei den Taten verwendeten Mobiltelefons, gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, beim Obersten Gerichtshof solche erheblichen Bedenken zu wecken.

Dass der (ursprünglich) Erstangeklagte Mehmet Ar***** den Beschwerdeführer erst nach dem Jänner 2017 kennengelernt hat, haben die Tatrichter ohnehin mit erwogen (US 7; der Sache nach Z 5 zweiter Fall). Auch liegt keine Unvollständigkeit darin, dass sich das Erstgericht mit in der Hauptverhandlung vorgelegten – in der Beschwerde nicht näher spezifizierten – Urkunden zu dem Angeklagten angeblich zugekommenen „Geldeinkünften legaler Herkunft“ nicht auseinandergesetzt hat, stehen solche doch den Konstatierungen zum gewerbsmäßigen Handeln des A***** nicht erörterungsbedürftig entgegen.

Entgegen der weiteren Kritik der Beschwerde wurden die Konstatierungen über das vom Angeklagten bei den Schleppungen verwendete kroatische Mobiltelefon (US 5) nicht unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), sondern von den Tatrichtern ohne Verstoß gegen die Grundsätze logischen Denkens und grundlegende Erfahrungssätze – unter Verwerfung der Verantwortung des Angeklagten – auf die Angaben des Yilmaz Ar***** und die dokumentierten Telefonkontakte mit der Geschleppten Zahide C***** gegründet. Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) wiederum liegt nur vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099547). Die von den Erstrichtern – wie hier – aus den erhobenen Beweisen mängelfrei gezogenen Schlussfolgerungen können indes nicht unter dem Aspekt einer Aktenwidrigkeit angefochten werden (RIS‑Justiz RS0099524).

Schließlich besteht auch kein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der Konstatierung, dass es dem Angeklagten darauf ankam, sich durch fortgesetzte Begehung derartiger Schleppungshandlungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten eine zusätzliche Einnahmequelle in Höhe von deutlich mehr als 400 Euro monatlich zu verschaffen (US 6), und der beweiswürdigenden Erwägung zur mangelnden Feststellbarkeit der konkreten Höhe der tatsächlich vereinnahmten Einkünfte aus der Schlepperei (US 10).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet – unter Berufung auf eine zur früheren Rechtslage ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (AZ 13 Os 4/13g) – fehlende inländische Gerichtsbarkeit mangels Tatorts in Österreich (§ 67 Abs 2 StGB). Sie leitet dabei aber nicht aus dem Gesetz ab (vgl RIS-Justiz RS0116565), weshalb die österreichischen Strafgesetze auf Basis des nunmehr geltenden, § 114 Abs 7 FPG (wonach die Strafbestimmungen der Abs 1 bis 4 des § 114 FPG für im Ausland begangene Straftaten, unabhängig von den Strafgesetzen des Tatorts, gelten, wenn durch die Tat österreichische Interessen verletzt worden sind) auf die vorliegenden Schlepperfahrten von Kroatien über Slowenien mit Ziel Österreich oder via Österreich nach Deutschland nicht zur Anwendung kommen sollten.

Entgegen dem Vorbringen der Subsumtionsrüge (Z 10) begnügen sich die Konstatierungen zur Gewerbsmäßigkeit (§ 114 Abs 3 Z 1 FPG) nicht mit der bloßen Wiedergabe der verba legalia, sondern konkretisieren diese dergestalt, dass sich der Angeklagte durch die fortgesetzte Begehung derartiger Schleppungshandlungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg eine zusätzliche Einnahmequelle in Höhe von deutlich mehr als 400 Euro monatlich verschaffen wollte (US 6). Weshalb es diesen Konstatierungen – auch mit Blick auf die übrigen Urteilsannahmen (vgl RIS-Justiz RS0099810), wonach der Beschwerdeführer in einer höheren Organisationsebene tätig war, die Zahlungen der Fremden organisierte, die Schlepperlöhne vereinnahmte und sie verteilte (US 12) – an einem Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS-Justiz RS0119090), ist nicht ersichtlich.

Zur Schleppung vom 16. April 2017 (V./4./) behauptet der Rechtsmittelwerber, es seien nicht mindestens drei Personen befördert worden (§ 114 Abs 3 Z 2 FPG), geht dabei aber nicht von den Konstatierungen der Tatrichter aus, wonach sechs Personen türkischer Staatsangehörigkeit, die keine Berechtigung zur Einreise in die Europäische Union hatten, nach Österreich gebracht werden sollten (US 5). Dass der Angeklagte nach dem Scheitern dieser Schleppung die Fahrt mit weiteren Personen fortsetzte, die über gültige Einreisedokumente verfügten, ist für die Subsumtion des (angeklagten und festgestellten) Sachverhalts (Z 10) nicht von Belang.

Bleibt anzumerken, dass der Angeklagte bei rechtsrichtiger Subsumtion zweier Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG (V./2./ und VI./) und eines Verbrechens der (gewerbsmäßigen) Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (V./4./) schuldig zu erkennen gewesen wäre, weil gewerbsmäßige Begehung nach § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB erst ab der dritten Tat vorliegt (15 Os 41/16t; vgl auch RIS-Justiz RS0130965 [T2]; RS0130966 [T3]).

Zu einer amtswegigen Maßnahme (§ 290 Abs 1 StPO) besteht kein Anlass, weil dieser Umstand angesichts der weiteren Subsumtion des Täterverhaltens auch unter Abs 3 Z 2 sowie unter Abs 4 erster Fall des § 114 FPG, der eine höhere Strafdrohung aufweist, auf den Strafrahmen keinen Einfluss hat und die vom Erstgericht herangezogenen Erschwerungsgründe der „Tatmehrheit innerhalb des § 114 FPG“ und der „mehrfachen Deliktsqualifikation“ weiterhin verwirklicht sind. Eine dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Bindung des Oberlandesgerichts an den insoweit verfehlten Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz gemäß § 295 Abs 1 erster Satz StPO besteht bei der Entscheidung über die Berufung nicht (RIS-Justiz RS0118870).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte