OGH 14Os121/17a

OGH14Os121/17a13.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Zach, LL.M. (WU) als Schriftführerin in der Strafsache gegen Liban H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Liban H*****, Yuusuf Y***** und Ahmed A***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Juli 2017, GZ 144 Hv 80/17s‑126, und weiters über die Beschwerde des Angeklagten Liban H***** gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung

nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, der Angeklagten Liban H*****, Yuusuf Y***** und Ahmed A*****, deren Verteidiger Dr. Scheimpflug, Mag. Baier und Mag. Kohlhofer sowie der Privatbeteiligtenvertreterin Mag. Harrich zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00121.17A.0213.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Liban H***** und Ahmed A***** werden verworfen.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Yuusuf Y***** und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) des Erstgenannten und des Angeklagten Ahmed A***** aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Für das ihnen jeweils zur Last liegende Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB werden Yuusuf Y***** nach § 143 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und Ahmed A***** nach § 143 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 JGG unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 4. Mai 2017, AZ 39 U 153/16p, zu einer (Zusatz‑)Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Die Anrechnung der Vorhaft wird dem Erstgericht überlassen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Yuusuf Y***** verworfen.

Mit ihren Berufungen gegen den Strafausspruch werden Yuusuf Y***** und Ahmed A***** ebenso auf die

Strafneubemessung verwiesen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diese Angeklagten betreffenden Berufung.

Der gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung des Angeklagten Liban H***** und der diesen Angeklagten betreffenden Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.

Den Berufungen der Angeklagten Yuusuf Y***** und Ahmed A***** gegen den Zuspruch an den Privatbeteiligten Abdi S***** wird nicht Folge gegeben.

Der Beschwerde des Angeklagten Liban H***** wird nicht Folge gegeben.

Den Angeklagten Liban H*****, Yuusuf Y***** und Ahmed A***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen relevant – Liban H*****, Yuusuf Y***** und Ahmed A***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I), Liban H***** zudem des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt und hiefür jeweils nach dem § 143 Abs 1 StGB, Liban H***** unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB, Ahmed A***** unter Anwendung von § 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 JGG zu Freiheitsstrafen in der Dauer von Liban H***** sechs Jahren, Yuusuf Y***** vier Jahren und Ahmed A***** 2 Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben in W*****

(I) Liban H*****, Yuusuf Y***** und Ahmed A***** am 17. Februar 2017 im einverständlichen Zusammenwirken Abdi S***** mit Gewalt gegen seine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Apple-iPad, ein Mobiltelefon, eine Flasche Wodka und Frauenkleidung, weggenommen, indem Liban H***** dem Genannten zwei Faustschläge ins Gesicht versetzte, Yuusuf Y***** ihm den Mund zuhielt und mit dem Griff seiner mitgeführten CO2-Pistole gegen dessen rechte Schläfe schlug, einer der Angeklagten einen Fuß auf seinen Hals stellte und ein anderer einen Polster auf sein Gesicht drückte, alle drei Angeklagten ihn abwechselnd fest hielten und ihm Schläge und Tritte versetzten, Yuusuf Y***** ihm den Lauf der eben angeführten Pistole gegen die Stirn drückte und einer der Angeklagten rief: „Hol Messer, hol Messer, der beschmutzt unsere Ehre und Religion, wir lassen ihn nicht leben!“;

(IV) Liban H***** am 30. Juli 2016 Shahid N***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm einen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte, wodurch der Genannte eine offene Wunde an der Unterlippe erlitt.

Gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I) richten sich die von Liban H*****, aus den Gründen der Z 5 und 9 lit b, von Yuusuf Y***** aus jenen der Z 5, 9 lit a, 10 und 11 und von Ahmed A***** aus jenen der Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden.

Rechtliche Beurteilung

Nur jener des Zweitgenannten kommt teilweise Berechtigung zu.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Liban H*****:

Die Mängelrüge (Z 5) stellt dem Urteilssachverhalt abweichende eigene Annahmen gegenüber und behauptet davon ausgehend, das Erstgericht habe weder ausreichende Feststellungen dazu getroffen, dass Liban H***** Kenntnis von der mitgeführten Waffe hatte und mit auf Wegnahme oder Abnötigung fremder beweglicher Sachen unter Einsatz von Gewalt und gefährlicher Drohung gerichtetem Vorsatz handelte (der Sache nach Z 9 lit a), noch seine diesbezügliche Überzeugung begründet (Z 5 vierter Fall). Indem sie dabei aber sowohl die – hinreichenden – Konstatierungen der Tatrichter zum objektiven Tatgeschehen und zur subjektiven Tatseite (US 8 ff iVm US 17, 19 f) als auch deren Begründung (US 12 ff; zum Einsatz der Waffe vgl va US 18, zum gemeinsamen Tatentschluss: US 17 und zur subjektiven Tatseite: US 19 f) zur Gänze ignoriert, argumentiert sie prozessordnungswidrig nicht auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe und verfehlt solcherart sowohl den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit als auch jenen der Mängelrüge (RIS-Justiz RS0119370, RS0099810).

Gestützt auf Z 9 lit b vertritt die Beschwerde– ohne jede Bezugnahme auf den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund – unter Berufung auf die angeblich zu einer Körperverletzung geständige Verantwortung des Beschwerdeführers (vgl aber US 14) die Ansicht, das Beweisverfahren habe „nicht mit der für das Strafverfahren notwendigen Sicherheit ergeben“, dass dem Tatopfer die im Spruch genannten Gegenstände „in Raubabsicht“ und nicht (bloß) mit dem Ziel weggenommen wurden, dass es keine Hilfe holen könne.

Sie bekämpft mit diesem Vorbringen ebenso wie mit der – gleichfalls bloß unter Hinweis auf „das Beweisverfahren“ und die Einlassung des Angeklagten aufgestellten – Behauptung, es bestünden „erhebliche Bedenken“ gegen die Feststellungen zu einem vorsätzlich begangenen schweren Raub, unzulässig die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ahmed A*****:

Entgegen dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 vierter Fall) haben sich die Tatrichter mit der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und dargelegt, aus welchen Gründen sie dieser insgesamt nicht zu folgen vermochten (US 15, 17 ff). Einer gesonderten Erörterung einzelner – von der Rüge relevierter –

Details der Aussage bedurfte es daher nicht (RIS-Justiz RS0098642 [T1]).

Indem die Beschwerde im Folgenden aus Passagen der – im Urteil erörterten und für glaubwürdig befundenen (US 12 ff, 17 f, 19) – Angaben des Tatopfers andere Schlüsse als jene des Erstgerichts zieht, erschöpft auch sie sich in unzulässiger Beweiswürdigungskritik, ohne einen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 geltend zu machen.

Die weitere Mängelrüge nimmt – wie jene des Erstangeklagten – prozessordnungswidrig nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, indem sie den Vorwurf fehlender „bzw“ offenbar unzureichender (Z 5 vierter Fall) Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite ausschließlich daraus ableitet, dass Abdi S***** – eigenen Angaben zufolge – während der Vorgänge ein Polster aufs Gesicht gedrückt wurde, weshalb er die Durchsuchung seiner Kästen zwar hören, aber nicht sehen konnte, wie viele Personen daran beteiligt waren und ob der Beschwerdeführer darunter war.

Die Tatrichter stützten ihre Überzeugung, nach der Ahmed A***** während der Gewaltausübung und der Drohung (mit einer Waffe) gegen Abdi S***** dessen Kästen durchsuchte und ihm sodann Damenbekleidung und eine Wodkaflasche wegnahm, demgegenüber nicht nur auf die Angaben des Tatopfers, sondern auch auf die – zur Wegnahme des Alkohols geständige – Einlassung des Beschwerdeführers und die Angaben des Zweitangeklagten Yuusuf Y***** im Verein mit dem Umstand, dass die Kleidung – nach den Depositionen des Abdi S***** – in Kästen verwahrt war (US 12 f, 17, 19), und zogen auf dieser Basis aus dem objektiven Täterverhalten den Schluss auf das Vorliegen auch der subjektiven Tatseite, wobei sie insoweit zudem auf die für „durchaus glaubwürdig“ erachteten Depositionen des Viertangeklagten Zabir Ab***** verwiesen, welcher die gewaltsame Wegnahme von Gegenständen als schon vom ursprünglichen Tatplan umfasst bezeichnet hatte (US 17 f, 19 f). Diese – von der Beschwerde gänzlich übergangenen – Erwägungen sind unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt eine Verurteilung wegen der Vergehen des Diebstahls nach (gemeint) § 127 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB an und vertritt dazu die Ansicht, es fehle „in rechtlicher Hinsicht am Vorsatz eines Verhaltens, welches im Ergebnis als Raub zu qualifizieren ist“. Aus welchem Grund die Feststellungen, nach denen es den Angeklagten darauf ankam, dem Tatopfer durch die gegen ihn gerichtete Drohung und die Gewaltanwendung (jeweils mit einer Waffe; vgl US 10, 19) fremde bewegliche Sachen wegzunehmen und sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern (vgl erneut US 10 iVm US 17, 19 f), für die vorgenommene Subsumtion nicht ausreichend sein sollten, legt sie nicht dar und argumentiert solcherart gleichfalls nicht auf Basis des Urteilssachverhalts in seiner Gesamtheit, womit sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit verfehlt (erneut RIS-Justiz RS0099810).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Yuusuf Y*****:

Auch die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) dieses Angeklagten vermag nicht darzulegen, dass die Ableitung der Feststellungen zum Raubvorsatz aus dem zuvor detailliert beschriebenem objektiven Täterverhalten unter Berücksichtigung der oben wiedergegebenen Angaben des Angeklagten Zabir Ab***** (vgl erneut US 17 f, 19 f) den Gesetzen logischen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechen würde.

Entgegen ihrem Standpunkt brachten die Tatrichter deutlich genug ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass Liban H*****, Yuusuf Y***** und Ahmed A***** noch während des Tatgeschehens spontan den auf die gemeinsame Begehung eines schweren Raubes gerichteten Vorsatz fassten und jeder der drei Beteiligten in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken diesbezügliche Ausführungshandlungen setzte, indem er – (auch) zum Zweck der Sachwegnahme – entweder (fortgesetzt) Gewalt gegen das Opfer ausübte, dieses (mit einer Waffe) bedrohte oder die Wohnung (währenddessen) nach Wertgegenständen durchsuchte, welche sich die Angeklagten in der Folge mit Bereicherungsvorsatz zueigneten (US 9 f, 17 f, 19 f, 22). Solcherart gingen sie – der Beschwerdeauffassung zuwider – von Mit- und nicht von Neben- oder Mehrtäterschaft aus (vgl zum Ganzen Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 24 ff). Weshalb auf dieser Grundlage weitergehende – „konkrete individuelle“ – Feststellungen „zum objektiven Verhalten des Zweitangeklagten gerade in jener Zeitspanne, in welcher er nach den Überlegungen des Erstgerichts den Diebstahlsvorsatz gefasst haben soll“, für die vorgenommene Subsumtion erforderlich gewesen wären, erklärt die Rüge (der Sache nach Z 9 lit a) nicht. Ebensowenig legt sie dar, inwieferne das Erstgericht unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall verpflichtet gewesen wäre, über die – alle drei der oben genannten, gemeinschaftlich agierenden Mittäter betreffenden – beweiswürdigenden Ausführungen hinaus, „individuelle“ Überlegungen zur subjektiven Tatseite des Beschwerdeführers anzustellen.

Die dazu ins Treffen geführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zum AZ 4 Os 131/33 betrifft einen anders gelagerten Urteilssachverhalt, bei dem die Angeklagten gerade kein Begehungsmittel des § 142 StGB einsetzten, um dem Opfer fremde bewegliche Sachen wegzunehmen, den Diebstahlsvorsatz vielmehr erst nach Gewaltanwendung fassten, und vermag daher den Beschwerdestandpunkt nicht zu stützen.

Die Rechts- und die gegen die Annahme der Qualifikation nach § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 9 lit a und 10) verfehlen gleichermaßen den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.

Mit ihrem Vorwurf fehlender Feststellungen zu einer auf den Einsatz eines der Begehungsmittel des § 142 StGB und die Verwendung einer Waffe gerichteten Täterintention rekurrieren sie nämlich jeweils nur auf einzelne Urteilspassagen (US 10) und übergehen sowohl die Konstatierungen, nach denen es der Beschwerdeführer selbst war, der Abdi S***** mit der CO2-Pistole bedrohte und ihm mit deren Griff gegen die Schläfe schlug (US 9), als auch die – im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen verdeutlichten – bereits oben zitierten Urteilsannahmen, wonach es den drei Angeklagten darauf ankam, dem Opfer durch die – solcherart jeweils unter Verwendung einer Waffe erfolgte – Drohung und Gewaltanwendung (zum nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch einer Waffe beim Raub vgl Eder/Rieder in WK² StGB § 143 Rz 12 mwN) fremde bewegliche Sachen wegzunehmen (vgl ein weiteres Mal US 10 iVm US 17, 19 f).

Soweit die Rechtsrüge „anmerkt“, dass

die– gleichwohl vom Schuldspruch umfasste – Wegnahme von Frauenkleidern nach den Feststellungen nicht mit Bereicherungsvorsatz erfolgte (US 10), bezieht sie sich nicht auf eine für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache. Wegfall oder Hinzukommen von Beutestücken können nämlich nicht Gegenstand eines (Teil‑)Freispruchs sein, weil § 142 StGB– ebenso wie § 127 StGB – alle Gegenstände eines einzigen räuberischen Zugriffs (derselben Tat im materiellen Sinn) unter den Begriff „einer“ fremden beweglichen Sache zusammenfasst, womit sie weder unter dem Gesichtspunkt der Identität von Anklage- und Urteilsgegenstand beachtlich sind, noch den dem materiellen Tatbegriff zugrundeliegenden historischen Sachverhalt verändern ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 516, 522; zum Ganzen: RIS-Justiz RS0120128, RS0118720, RS0117261).

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Liban H***** und Ahmed A***** waren daher zur Gänze, jene des Angeklagten Yuusuf Y***** war im eben erörterten Umfang zu verwerfen.

Die Sanktionsrüge (Z 11) des Letztgenannten kritisiert demgegenüber mit Recht, dass das Erstgericht die fehlende Reue sowie Aspekte der Einlassung des Beschwerdeführers (wonach er selbst „nur ein Opfer des Überfalls gewesen sei“, Abdi S***** einer falschen Aussage bezichtigte und ihm unterstellte, er „würde sich für die in der Wohnung zwischen ihnen beiden entstandene Situation schämen“), im Ergebnis also dessen leugnende Verantwortung, bei der Ausmessung der Strafe zu seinem Nachteil in Anschlag brachte und solcherart zu Unrecht als eine hiefür entscheidende Tatsache wertete (US 27 f; Z 11 zweiter Fall), widerspricht dies doch dem – verfassungsrechtlich aus Art 6 MRK und Art 90 Abs 2 B‑VG abzuleitenden, einfachgesetzlich durch § 7 Abs 2 erster Satz StPO normierten  – Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (RIS‑Justiz RS0090897; vgl zur Falschbezichtigung eines Zeugen auch

13 Os 65/14d, 13 Os 66/14a).

 

Zur amtswegigen Maßnahme:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zudem, dass dem Ahmed A***** betreffenden Strafausspruch aus den zur Sanktionsrüge des Yuusuf Y***** dargelegten Gründen gleichfalls schon durch die im Rahmen der diesbezüglichen Strafbemessungserwägungen zu seinem Nachteil erfolgte Berücksichtigung des Umstandes, dass er „während der gesamten Verhandlung keinen Anflug von Reue oder Opferempathie zeigte“ (US 28 f), bewirkte – von diesem Angeklagten nicht geltend gemachte – Nichtigkeit (§ 281 Abs 1

Z 11 zweiter Fall StPO) anhaftet, die sich zu seinem Nachteil auswirkt und demnach von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 

290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Diese Gesetzesverletzungen erfordern die Aufhebung der Yuusuf Y***** und Ahmed A***** betreffenden Strafaussprüche samt der Vorhaftanrechnung, ohne dass es eines Eingehens auf das weitere Vorbringen der Sanktionsrüge des Erstgenannten bedurfte.

Bei der damit notwendig gewordenen Strafneubemessung war bei diesen beiden Angeklagten die brutale Vorgangsweise (§ 33 Abs 1 Z 6 StGB), die in der sexuellen Ausrichtung des Opfers gelegenen, solcherart besonders verwerflichen Beweggründe für die Tat (US 8, 10; § 33 Abs 1 Z 5 StGB), dessen Verletzung (US 9; RIS-Justiz RS0090709) sowie der Einsatz beider Nötigungsmittel des § 142 StGB (RIS-Justiz RS0126145, RS0118774) erschwerend, mildernd dagegen bei Yuusuf Y***** dessen bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), bei Ahmed A***** dessen Alter unter 21 Jahren und der durch Bekanntgabe der Identität des Viertangeklagten Zabir Ab***** geleistete Beitrag zur Wahrheitsfindung (US 25, 28). Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungsgründe war zudem bei beiden Genannten das Zusammenwirken von drei Personen gegen ein Opfer als das Tatunrecht aggravierend zu werten.

Für eine vom Erstgericht angenommene „führende Beteiligung“ des Yuusuf Y***** am Raub bieten die Entscheidungsgründe – entgegen der Ansicht des Erstgerichts  – zwar keine Anhaltspunkte (vgl dazu Ebner in WK² StGB § 33 Rz 16; RIS-Justiz RS0120361). Dass es aber dieser Angeklagte war, der sich durch die Vorspiegelung, an einer sexuellen Begegnung Interesse zu haben, das Vertrauen des Opfers erschlich und dieses Vertrauen sodann zur (solcherart heimtückischen) Tatbegehung ausnützte, aggraviert jedoch – im Verhältnis zu den Mittätern – das Gewicht des Erschwerungsgrundes des § 33 Abs 1 Z 6 StGB.

Bei Ahmed A***** war weiters zu berücksichtigen, dass das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 4. Mai 2017, AZ 39 U 153/16p, mit dem er wegen am 10. März und 23. Mai 2016 begangener Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden war, zwischenzeitig, nämlich am 19. Juli 2017, in Rechtskraft erwachsen ist. Mit Blick auf den aktuellen Tatzeitpunkt (17. Februar 2017) liegen nunmehr die Voraussetzungen des § 

31 StGB vor, womit auf diese Verurteilung Bedacht zu nehmen war (Ratz in WK² § 31 Rz 3 mwN).

Die in jenem Verfahren geständige Verantwortung dieses Angeklagten erhöht (wenn auch nicht wesentlich) das Gewicht des Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 17 StGB, das damit vorliegende Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei Vergehen war dagegen zusätzlich als erschwerend zu werten (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB).

Aus dem hinsichtlich beider Beschwerdeführer konstatierten Nachtatverhalten (US 27 f) hat der Oberste Gerichtshof aus den in der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Yuusuf Y***** genannten Gründen (vgl auch Ebner in WK² StGB § 32 Rz 37 ff sowie erneut 13 Os 65/14d, 13 Os 66/14a) keine für die Strafbemessung relevanten Schlüsse gezogen.

Eine in der Berufung des Letztgenannten geltend gemachte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen infolge verspäteter Ausfertigung des verkündeten Urteils, welche den in der Berufung reklamierten Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB begründen würde, kann mit Blick auf die nicht unangemessene Gesamtdauer des Verfahrens, die Beteiligung mehrerer Angeklagter und den relativ komplexen Sachverhalt bei überdurchschnittlichem Aktenumfang trotz Überschreitung der vierwöchigen Frist des § 270 Abs 1 StPO nicht ersehen werden.

Längere Phasen gerichtlicher oder behördlicher Inaktivität liegen auch sonst nicht vor.

Entgegen den Berufungsausführungen des Ahmed A***** wirkt sich dessen – nicht von Reue getragenes (US 28; vgl auch ON 125 S 17) – Teilgeständnis zur Wegnahme einer Flasche Wodka nicht zusätzlich mildernd im Sinn des § 34 Abs 1 Z 17 StGB aus. Dass die beim Raub verwendete CO2‑Pistole nicht geladen gewesen wäre, ist den Entscheidungsgründen, die insoweit nur eine Vermutung des Opfers wiedergeben (US 13), nicht zu entnehmen. Im Übrigen wäre auch dieser Umstand – schon mit Blick auf den Gebrauch der Waffe (auch) zur Gewaltanwendung (US 9) – nicht als mildernd zu werten.

Trotz der vorgenommenen Modifizierung und Ergänzung der Strafzumessungsgründe entsprechen mit Blick auf das besondere Gewicht der aufgezeigten erschwerenden Umstände und unter Berücksichtigung der ansonsten zutreffenden erstgerichtlichen Erwägungen zur Strafbemessung – ausgehend von einer Strafdrohung bei Yuusuf Y***** von einem bis zu fünfzehn und bei Ahmed A***** von bis zu fünfzehn Jahren (§ 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 JGG) Freiheitsstrafe – weiterhin die von den Tatrichtern gefundenen Sanktionen (nämlich beim Erstgenannten eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und beim Zweitgenannten eine [nunmehr Zusatz-]Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten) dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten sowie den Täterpersönlichkeiten.

Zu einer bedingten Nachsicht der gesamten oder eines Teils der über Ahmed A***** verhängten Freiheitsstrafe nach § 43 Abs 1 StGB (§ 19 Abs 2 iVm § 5 Z 9 JGG) oder § 43a Abs 4 StGB sah sich der Oberste Gerichtshof nicht bestimmt. Denn mit Blick auf die oben dargestellten Erschwerungsgründe kann von einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Genannte bei bloßer (teilweiser) Sanktionsandrohung keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, keine Rede sein. § 43a Abs 4 StGB kommt zudem – auch bei jungen Erwachsenen – nur in extremen Ausnahmefällen zum Tragen. Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor (vgl zum Ganzen Schroll in WK² JGG § 5 Rz 47 ff; zu § 43a Abs 4 StGB: RIS-Justiz RS0092050; Fabrizy,

StGB12 § 43a Rz 5 mit Verweis auf Konflikt- oder Krisensituationen).

Mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen waren Yuusuf Y***** und Ahmed A***** ebenso auf die Strafneubemessung zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diese Angeklagten betreffenden Berufung.

Die Anrechnung der Vorhaft kommt gemäß § 400 Abs 1 StPO dem Erstgericht zu.

 

Zu der gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung des Angeklagten Liban H***** und der diesen Angeklagten betreffenden Berufung der Staatsanwaltschaft:

Das Erstgericht wertete auch beim Genannten die brutale Vorgangsweise, die in der sexuellen Ausrichtung des Opfers gelegenen, solcherart besonders verwerflichen Beweggründe für die Tat, dessen Verletzung sowie den Einsatz beider Nötigungsmittel des § 142 StGB, sowie zusätzlich dessen einschlägige Vorverurteilung und das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, als mildernd dagegen keinen Umstand.

Entgegen dem Berufungsvorbringen des Angeklagten mindert der Umstand, dass Liban H***** „aus einem gänzlich anderen Kulturkreis stammt und eine gänzlich andere Einstellung zur Homosexualität hat“, welche in seinem Heimatland mit dem Tode bestraft wird, weder das Gewicht des zutreffend angenommenen Erschwerungsgrundes des § 33 Abs 1 Z 5 StGB noch stellt dies gar einen eigenen Milderungsgrund dar, weil die damit angesprochene Nationalität eines Menschen als Gesichtspunkt für die Strafbemessung nicht in Betracht kommt (vgl RIS-Justiz

RS0120234).

Ein – anlässlich der kriminalpolizeilichen Vernehmung erfolgtes – Tatsachengeständnis zur Körperverletzung des Abdi S*****, das Liban H*****, der sich in der Hauptverhandlung mit einem „Versehen“ und einem zur Abwehr eines drohenden Angriffs des Tatopfers gegen den Zweitangeklagten Yuusuf Y***** erfolgten Angriff verantwortete (US 14), nicht aufrecht hielt, vermag gleichfalls keine mildernde Wirkung zu entfalten.

Soweit die Berufung die Ansicht vertritt, der Angeklagte hätte mangels „objektiver Beweise“ für die Begehung eines Raubes unter Verwendung einer Waffe freigesprochen werden müssen, orientiert sie sich nicht am Urteilssachverhalt und entzieht sich daher einer meritorischen Erwiderung.

Die einschlägige Vorverurteilung des Berufungswerbers (wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 StGB; Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. April 2014, AZ 051 Hv 110/13p) hat das Erstgericht ohnehin im Sinne des § 33 Abs 1 Z 2 StGB als erschwerend gewertet. Dass er auch mit – im Verhältnis des § 31 StGB zum vorgenannten stehenden – Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Dezember 2013, AZ 041 Hv 67/12i, wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (der Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG und § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG) schuldig erkannt wurde, stellt entgegen dem Berufungsstandpunkt der Staatsanwaltschaft keinen eigenen Erschwerungsgrund dar.

Mit Recht weist die Anklagebehörde demgegenüber darauf hin, dass die Tatbegehung innerhalb einer Probezeit – auch bei (wie hier) gleichzeitigem Widerruf – eine besondere Nachhaltigkeit der wertwidrigen Einstellung des Täters indiziert und daher im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen (§ 32 Abs 2 und 3 StGB) zu berücksichtigen ist (RIS-Justiz RS0091096 [T1, T4]).

Unter Abwägung der demnach vom Erstgericht richtig und vollständig dargestellten Strafzumessungsgründe unter Berücksichtigung des zuletzt aufgezeigten Umstands und des von drei Personen gegen ein Opfer geführten Angriffs erschien dem Senat bei einer Strafdrohung von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe eine solche von sechs Jahren tat- und schuldangemessen sowie der Täterpersönlichkeit entsprechend.

 

Zu den Berufungen der Angeklagten Yuusuf Y***** und Ahmed A***** gegen das Adhäsionserkenntnis:

Das Erstgericht verurteilte die Angeklagten Liban H*****, Yuusuf Y***** und Ahmed A***** zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrags von 2.000 Euro Schmerzengeld an den Privatbeteiligten Abdi S***** und verwies dazu – unter Berufung auf § 1325 ABGB – auf dessen durch die Tat erlittene Verletzungen (Rissquetschwunden an der rechten Stirn und an der linken Unterlippe sowie eine Prellung des Brustkorbs; US 9), eine massive psychische Alteration, die Brutalität der Vorgangsweise der Angeklagten und den Umstand, dass „das Opfer gerade wegen seiner sexuellen Orientierung sein Heimatland verlassen musste und nunmehr auch hier in Österreich von Landsleuten verletzt und massiv gedemütigt wurde“ (US 31).

Die dagegen erhobene Berufung des Ahmed A***** geht ohne inhaltliche Argumentation gegen diese Erwägungen der Tatrichter von der nach dem Vorgesagten nicht zutreffenden Prämisse eines – „zwangsläufig“ auch die Aufhebung des Adhäsionserkenntnisses nach sich ziehenden – Erfolgs der Mängelrüge aus, jene des Yuusuf Y*****

erachtet den Zuspruch unsubstantiiert als „verfehlt und nicht nachvollziehbar ausgemessen“.

Mit Blick auf die – nicht in Zweifel gezogenen – Feststellungen zur Höhe des Werts der Raubbeute von 600 Euro (US 3 und 22) und die konstatierten körperlichen Verletzungen (vgl § 1325 ABGB) samt der damit verbundenen psychischen Beeinträchtigung des Tatopfers (erneut US 9 und 31; vgl dazu RIS-Justiz RS0031191 [T5]; vgl auch 13 Os 13/02) ist der vom Erstgericht in freier Überzeugung (§ 369 Abs 2 StPO, § 273 ZPO) zuerkannte (Teil‑)Betrag von 2.000 Euro nicht zu beanstanden (vgl dazu 15 Os 1/17m).

Den

Berufungen war daher auch insoweit keine Folge zu geben.

 

Zur Beschwerde des Angeklagten Liban H***** gegen den Beschluss auf Widerruf der ihm mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. Februar 2015 zum AZ 184 BE 30/15z gewährten bedingten Entlassung:

Dieser kommt aus den von den Tatrichtern zutreffend genannten Gründen (US 26) keine Berechtigung zu. Schon angesichts des Rückfalls in spezifisch einschlägige, von massiv gesteigerter krimineller Energie getragene Delinquenz bestand kein Zweifel daran, dass der Widerruf zusätzlich zur neuerlichen Verurteilung geboten ist, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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