OGH 3Ob155/17s

OGH3Ob155/17s24.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung, Jugendwohlfahrt), Salzburg, Karl-Wurmb-Straße 17, gegen den Antragsgegner K*, vertreten durch die Korn und Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Kostenersatz gemäß § 43 B‑KJHG 2013, über den Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 22. Juni 2017, GZ 21 R 112/17t‑75, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 26. Jänner 2017, GZ 1 Pu 463/15f‑71, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120771

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Den Gegenstand des Verfahrens bildet ein Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers, den Vater gemäß § 30 Abs 3 B‑KJHG iVm § 49 Abs 2 S.KJHG (vgl zu diesen bundes‑ bzw landesgesetzlichen Bestimmungen 4 Ob 191/15i) zum Ersatz der seinem damals minderjährigen Sohn gewährten vollen Erziehung zu verpflichten. Im zweiten Rechtsgang ist (nach wie vor) strittig, ob der Vater für den Zeitraum September 2015 (Beginn des Bezugs von Lehrlingsentschädigung durch den Sohn) bis einschließlich Dezember 2015 (Ende der vollen Erziehung und Rückkehr des Sohnes in den Haushalt der Mutter) über den bereits rechtskräftig zugesprochenen Kostenersatz von 200 EUR monatlich weitere 280 EUR monatlich leisten muss. Beide Vorinstanzen verpflichteten den Vater zu monatlichen Beträgen von 480 EUR.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, seine Kostenersatzverpflichtung auf nur je 200 EUR monatlich zu reduzieren; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Selbst bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn ein Streitfall trotz neuer Sachverhaltselemente bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (2 Ob 58/14i; 3 Ob 78/14p; RIS‑Justiz RS0042656 [T48]; jüngst 3 Ob 126/17a). Letzteres trifft hier aus den nachstehenden Erwägungen zu, weshalb das Rechtsmittel ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts als nicht zulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 71 Abs 3 AußStrG):

1. Mit seinem zentralen Einwand, mangels Kostenersatzpflicht des Minderjährigen nach der aktuellen Rechtslage habe das betreute Kind durch die volle Erziehung keinen Mehraufwand, sodass dessen Deckung keinen Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern begründe, übersieht der Vater Folgendes:

1.1. Er beruft sich damit offenkundig auf folgende Judikatur: Soweit die Unterhaltsbedürfnisse einer Person infolge einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung von einem Dritten gedeckt werden, bestehen keine Unterhaltsansprüche gegen einen nach Privatrecht Unterhaltspflichtigen, weil kein Anspruch auf Doppelversorgung besteht (RIS‑Justiz RS0080395).

Allerdings kann dieser Grundsatz dort nicht angewendet werden, wo der Gesetzgeber durch Anordnung aufgeschobener (also erst mit Verständigung des Unterhaltsverpflichteten durch den Sozialhilfeträger bewirkter) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat (RIS‑Justiz RS0063121). Nur wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine den Sozialhilfeempfänger betreffende Rückzahlungsverpflichtung oder keine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) zurückgefordert werden kann, ist sie als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen (RIS‑Justiz RS0118565 [T2]; RS0047347 [T3]). In den übrigen Fällen bleibt der volle Unterhaltsanspruch bestehen (1 Ob 29/16w).

1.2. Da sowohl § 30 Abs 4 B‑KJHG als auch § 49 Abs 2 S.KJHG eine (aufgeschobene) Legalzession vorsehen, brachte die fehlende Kostenersatzpflicht des Sohnes nach diesen Gesetzen seinen Unterhaltsanspruch nicht zum Erlöschen.

2. Der Vater erblickt eine unsachliche Differenzierung darin, dass dem Sohn trotz weitgehender Deckung seiner grundsätzlichen Bedürfnisse durch die Erziehungshilfe die Lehrlingsentschädigung zur Gänze verbleibe, während er ab dem Zeitpunkt, ab dem er wieder bei einem Elternteil untergebracht sei, oder allenfalls sich selbst in einer eigenen Wohnung versorge, einen Teil der Lehrlingsentschädigung zur Abdeckung der alltäglichen Bedürfnisse verwenden müsse. Soweit erkennbar stößt sich der Vater an einer seines Erachtens nicht erfolgten Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung während der vollen Erziehung zu Lasten der Unterhaltspflichtigen.

2.1. Die Kostenersatzpflicht des Vaters ist in diesem Zusammenhang nach unterhaltsrechtlichen Kriterien zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0113418). Aus § 231 Abs 3 ABGB folgt, dass die Kosten in erster Linie aus eigenen Einkünften des Kindes zu decken sind. Wenn dem gegenüber die öffentlich-rechtlichen, bundes- und landesgesetzlichen Bestimmungen zur Kinder- und Jugendhilfe eine korrespondierende Kostenersatzpflicht eines Minderjährigen für die volle Erziehung nicht vorsehen, ist darin inhaltlich ein Verzicht auf einen Beitrag des Minderjährigen zu den für ihn aufgewendeten Kosten zu erblicken. Am zivilgesetzlich angeordneten Vorrang der Eigeneinkünfte des Minderjährigen bei der Deckung seiner Bedürfnisse ändert sich dadurch aber nichts, weshalb die vom Sohn erzielte Lehrlingsentschädigung bei der Ermittlung der Unterhalts‑(= Kostenersatz‑)Pflicht des Vaters jedenfalls zu berücksichtigen ist.

2.2. Diese Rechtsansicht vertrat auch das Rekursgericht und gelangte (dennoch) angesichts der enormen Kosten der vollen Erziehung (mindestens 4.300 EUR monatlich) – iSd E 4 Ob 191/15i – zu einer so großen Deckungslücke, die weder durch das Eigeneinkommen des Sohnes (ca 560 EUR durchschnittlich monatlich) noch durch den gegenständlichen Kostenbeitrag des Vaters und auch nicht durch hier nicht relevierte fiktive Beiträge der Mutter geschlossen werden könne.

Davon, dass bei der Ermittlung der Unterhalts-(= Kostenersatz‑)Pflicht des Vaters die Lehrlingsentschädigung des Sohnes nicht berücksichtigt worden wäre, kann daher keine Rede sein. Warum aber trotz der unstrittigen besonderen Bedürfnisse des Sohnes nicht von seinem monatlichen Gesamtunterhaltsbedarf in der Höhe der Kosten der vollen Erziehung, die einer Drittpflege gleichkommt, ausgegangen werden sollte, der nach Abzug der Lehrlingsentschädigung von den zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen zu tragen ist, kann der Revisionsrekurs nicht einmal ansatzweise aufzeigen.

3. Schließlich bemängelt der Vater, das Erstgericht habe Erhebungen und Feststellungen über das Einkommen der Mutter unterlassen.

3.1. Sorgt das Gericht nicht von Amts wegen für eine vollständige Sachaufklärung, stellt dies einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 16 Rz 43). Verfahrensfehler des Erstgerichts wurden aber im Rekurs nicht geltend gemacht. Selbst wenn man dennoch unterstellen wollte, es seien über die in § 55 Abs 3 AußStrG genannten hinaus alle Rechtsmittelgründe von Amts wegen aufzugreifen, sofern dafür gewisse Anhaltspunkte erkennbar werden, welche die Richtigkeit der Entscheidung potenziell zu hindern geeignet sind (RIS‑Justiz RS0126182), wäre für den Vater nichts gewonnen.

3.2. Hier bot das bisherige Verfahren in zwei Rechtsgängen aber weder Anlass für die Annahme, die Mutter beziehe ein Einkommen, noch dafür, dieses könnte eine Höhe erreichen, die eine Reduzierung der nach der Prozentsatzmethode bemessenen Ersatzpflicht des Vaters trotz der bestehenden enormen Deckungslücke rechtfertigen würde. Das Rekursgericht musste daher keine weitere Sachaufklärung in diese Richtung veranlassen. Ein Mangel des Rekursverfahrens ist deshalb im konkreten Einzelfall zu verneinen.

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