European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00029.16W.0428.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antragsteller hat die Kosten seines erfolglosen Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung:
Der Antragsteller (Vater) verpflichtete sich in einer vor dem Magistrat Graz am 4. 7. 2000 abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung ‑ unter Zugrundelegung eines damaligen monatlichen Nettoeinkommens von umgerechnet rund 1.235 EUR und drei weiteren Unterhaltspflichten ‑ zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von umgerechnet 181,68 EUR an den Antragsgegner, seinen Sohn. Nach einem Unfall im Jahr 2013 ist der Vater dauerhaft massiv gesundheitlich beeinträchtigt. Neben Pflegegeld der Stufe 4 bezieht er eine Invaliditätspension, die für Jänner bis März 2014 rund 1.184 EUR monatlich betrug, ab April 2014 1.011 EUR; dazu kommen die gesetzlichen Sonderzahlungen. Weitere Sorgepflichten treffen den Vater nicht mehr. Der Sohn ist geistig behindert und erwerbsunfähig. Er besucht im Rahmen der Behindertenhilfe eine Tageswerkstätte, wo er ein monatliches Taschengeld von rund 60 EUR erhält. Seine Mutter, in deren Haushalt er betreut und versorgt wird, erhält für ihn die erhöhte Familienbeihilfe und Pflegegeld der Stufe 2. Darüber hinaus erhält der Antragsgegner eine Freizeitassistenz im Umfang von 220 Stunden jährlich und ‑ über einen Verein ‑ eine Familienentlastung, die von der Stadt Graz gezahlt wird. Einen Antrag auf Mindestsicherung nach dem StMSG hat der Sohn nicht gestellt.
Der Antragsteller begehrte nun die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung „auf Null“, was er mit beiderseits veränderten Verhältnissen begründete. Einerseits sei er nicht mehr erwerbsfähig und beziehe nur geringe Einkünfte. Andererseits sei der Antragsgegner durch verschiedene Sozialleistungen ausreichend versorgt. Er habe als geistig Behinderter Anspruch auf Leistungen nach dem StMSG und dem StBHG, wobei etwa die Mindestsicherung derzeit 814 EUR pro Monat betrage. Insgesamt würde sich ein Eigeneinkommen des Antragsgegners von zumindest 860 EUR monatlich ergeben. Auch wenn er diese Beihilfen tatsächlich nicht beziehe, habe er sich ihren fiktiven Bezug anrechnen zu lassen, zumal die Inanspruchnahme lediglich entsprechende Antragstellungen erfordere. Nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen wären die genannten öffentlich‑rechtlichen Ansprüche ohne Berücksichtigung allfälliger Unterhaltsansprüche zu gewähren und stellten ein Eigeneinkommen des Antragsgegners dar, das ‑ gemeinsam mit dem weiters bezogenen Pflegegeld ‑ eine ausreichende Versorgung ermögliche.
Der Antragsgegner wandte dagegen ein, dass er keineswegs ausreichend versorgt sei. Er sei vielmehr auf die Unterhaltsleistungen des Vaters dringend angewiesen.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf „Unterhaltsenthebung“ (auch) für die Zeit ab 1. 1. 2014 ab. Neben ganz allgemeinen Ausführungen zur Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern gelangte es zum Ergebnis, dass der bisher „festgesetzte“ Unterhalt im Hinblick auf den Durchschnittsbedarf der Altersgruppe 19 bis 28 Jahre zur Deckung der Bedürfnisse des behinderten Antragsgegners weiterhin als unbedingt notwendig erachtet werde. Das Pflegegeld stehe aufgrund einer Legalzession der betreuenden Person zu; die Freizeitassistenz bzw Familienentlastung erfolge aufgrund der Behinderung und entlaste die betreuende Mutter. Lediglich das Taschengeld stelle anrechenbares Eigeneinkommen dar. Der Restunterhaltsanspruch des Kindes liege jedenfalls über dem Unterhaltstitel.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs letztlich für zulässig. Grundsätzlich könnten sowohl öffentlich‑rechtliche Leistungen nach dem StMSG als auch solche nach dem StBHG Einkommen des Unterhaltsberechtigten darstellen und unterhaltsentlastend wirken, zumal in beiden Gesetzen weder eine Rückersatz‑ noch eine (Legal‑)Zessionsregelung vorgesehen und keineswegs beabsichtigt sei, dem Unterhaltsberechtigten einen Anspruch auf Doppelversorgung zu verschaffen. Zu berücksichtigen seien allerdings nur tatsächliche Einkünfte. Eine Anspannungsobliegenheit zur Erzielung möglicher und zumutbarer Einkünfte bestehe für das Kind vor Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht. Daher sei auch die vom Vater geforderte „Anspannung“ auf Inanspruchnahme der genannten öffentlich‑rechtlichen Leistungen zu verneinen. Ausgehend von einem monatlichen Einkommen des Antragstellers von 1.180 EUR ergebe sich rechnerisch ein Unterhaltsanspruch des Antragsgegners von 260 EUR monatlich. In diesem Betrag finde der bisher vom Antragsteller zu leistende Unterhalt von 181,68 EUR selbst unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens des Antragsgegners (Taschengeld) in Höhe von rund 60 EUR monatlich Deckung. Auch die Belastungsgrenze werde in keiner Weise unterschritten. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil auch die Rechtsansicht vertreten werden könnte, dass es sich bei der Antragstellung auf Leistungen nach dem StMSG und dem StBHG um dem unterhaltsberechtigten Kind zumutbare Bemühungen, und damit um „leicht erzielbare Einkünfte“ handeln könnte, wobei der Oberste Gerichtshof diese Frage noch nicht entschieden habe.
Rechtliche Beurteilung
Der ‑ nicht beantwortete ‑ Revisionsrekurs des Antragstellers ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Wie der Oberste Gerichtshof in anderem Zusammenhang schon ausgesprochen hat, besteht zwar grundsätzlich keine „Anspannungsobliegenheit“ des an sich nicht selbsterhaltungsfähigen Kindes, sich um Erwerbseinkünfte zu bemühen; Bemühungen um leicht erzielbare Erträgnisse können ihm aber zugemutet werden (vgl 6 Ob 70/01i = SZ 74/154 mwN; 9 Ob 261/97s ist allerdings nicht einschlägig). Auch ein nach § 231 Abs 1 ABGB unterhaltsberechtigtes Kind, das Anspruch auf öffentlich‑rechtliche Leistungen hat, die unterhaltsrechtlich als Eigeneinkommen zu qualifizieren sind, trifft es im Verhältnis zum Unterhaltspflichtigen in der Regel die Obliegenheit, derartige Leistungen zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, widrigenfalls es (in Anwendung des „Anspannungsgrundsatzes“) so zu behandeln ist, als würde es die ihm zustehenden und ohne weiteres verfügbaren Leistungen beziehen.
Vorweg ist weiters darauf hinzuweisen, dass die Annahmen der Vorinstanzen über das vom Antragsteller im maßgeblichen Zeitraum bezogene Einkommen unklar sind und nicht übereinstimmen. Während das Erstgericht für die Monate Jänner bis März 2014 von einem monatlichen Bezug von 1.847,97 EUR und ab April 2014 von 1.675,53 EUR „zuzüglich der gesetzlichen Sonderzahlungen“ ausgeht, von dem ‑ zutreffenderweise ‑ jeweils das nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage fallende Pflegegeld (664,30 EUR/Monat) in Abzug zu bringen sei, spricht das Rekursgericht von einem „unbekämpft mit 1.180 EUR monatlich festgestellten Einkommen“. Eine exakte Klarstellung ist aber nicht erforderlich, weil sich auch bei Zugrundelegung des niedrigsten der hier in Betracht kommenden Werte nach der Prozentwertmethode ein Unterhaltsbeitrag ergibt, der den titulierten Betrag von 181,68 EUR monatlich deutlich übersteigt. Der Revisionsrekurswerber behauptet auch gar nicht, dass seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im hier zu untersuchenden Zeitraum nicht hinreichen würde.
Zum Verhältnis der einem Unterhaltsberechtigten zukommenden ‑ oder im Sinne der vorstehenden Ausführungen zumindest leicht in Anspruch zu nehmenden ‑ öffentlich‑rechtlichen (Sozial‑)Leistungen hat bereits das Rekursgericht in seinem Beschluss, mit dem der Revisionsrekurs nachträglich für zulässig erklärt wurde, auf die einschlägige Judikatur des Obersten Gerichtshofs hingewiesen. Dienen derartige Sozialleistungen nicht der Deckung eines bestimmten Sonderbedarfs, sind sie grundsätzlich als Eigeneinkommen zu qualifizieren und bei der Frage nach einer (teilweisen) Selbsterhaltungsfähigkeit zu berücksichtigen (vgl nur RIS‑Justiz RS0080395). Der Bezug solcher Leistungen verhindert daher regelmäßig die Möglichkeit des Unterhaltsgläubigers, den Unterhaltsanspruch insoweit gegenüber dem Unterhaltspflichtigen (vgl RIS‑Justiz RS0009583, RS0047347) geltend zu machen; auf eine „Doppelversorgung“ hat der Unterhaltsberechtigte keinen Anspruch. Eine solche Doppelversorgung wird im Ergebnis auch ausgeschlossen, wenn Sozialhilfegesetze eine (aufgeschobene) Legalzession der bestehenden gesetzlichen Unterhaltsansprüche anordnen. Sieht das jeweilige Sozialhilfegesetz weder eine den Sozialhilfeempfänger treffende Rückzahlungsverpflichtung noch eine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vor, kann also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) „zurückgefordert“ werden, ist sie als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen (RIS‑Justiz RS0118565 [T2]). In den übrigen Fällen bleibt der volle Unterhaltsanspruch bestehen, weshalb dann auch eine Abänderung bereits geschaffener Unterhaltstitel nur aus anderen Gründen ‑ nicht aber wegen des Sozialhilfebezugs durch den Unterhaltsberechtigten ‑ in Betracht kommt.
Im vorliegenden Fall hat sich der Antragsteller darauf berufen, dass es der Antragsgegner ohne vernünftigen Grund unterlassen habe, Anträge auf Gewährung von Sozialleistungen nach dem StMSG und dem StBHG zu stellen. Im Zusammenhang mit Geldansprüchen nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz (StBHG) verweist der Revisionsrekurswerber insbesondere auf die „Hilfe zum Lebensunterhalt“ gemäß § 9 leg cit und die in § 10 leg cit angeführten Richtsätze. Für den Bezug derartiger Leistungen sind Unterhaltsansprüche gemäß § 231 ABGB ohne Bedeutung (§ 11 Abs 2 Z 5 leg cit). Das StBHG sieht auch weder einen Regress noch ‑ abgesehen von § 39 Abs 3 für Pensions‑ und Schadenersatzansprüche ‑ eine Legalzession vor. Da der Antragsgegner in Haushaltsgemeinschaft (mit seiner Mutter) lebt und Familienbeihilfe bezieht, ist der Richtsatz nach § 10 Abs 1 Z 1 lit d StBHG heranzuziehen, der nach § 1 Z 4 der StBHG‑RSVO für 2014 384 EUR und für 2015 393 EUR monatlich beträgt. Da diese Beträge jährlich 14x auszuzahlen sind (§ 31 StBHG) könnte der Antragsgegner durchschnittlich (maximal) 448 EUR (2014) bzw 458,50 EUR (2015) pro Monat beziehen.
Zum Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetz (StMSG) ist vorerst zu bemerken, das Leistungen nach diesem Gesetz gegenüber solchen nach dem StBHG subsidiär sind (§ 5 Abs 1 StBMG), sodass sich die Anspruchsberechtigung nach dem letztgenannten Gesetz entsprechend verringert. Unrichtig ist die Rechtsbehauptung des Revisionsrekurswerbers, dass bei Leistungen nach dem StMSG weder eine Rückersatz‑ noch eine Legalzessionsregelung vorgesehen sei und somit das Bestehen von Unterhaltsforderungen die Mindestsicherung nicht tangiere.
§ 8 StMSG sah in der bis 30. 6. 2014 geltenden Fassung im Zusammenhang mit den Anspruchsvoraus-setzungen zwar keine „Rechtsverfolgungspflicht“ im Bezug auf Unterhaltsforderungen vor; das Gesetz statuierte aber in § 17 Abs 1 Z 2 unter anderem eine Ersatzpflicht der unterhaltspflichtigen Eltern gegenüber dem Träger der Mindestsicherung, soweit sich der geschuldete ‑ aber nicht bezahlte ‑ Unterhalt mit den erbrachten Leistungen deckt. Angesichts der gesetzlichen Ersatzpflicht kann sich der Antragsteller im Sinne der dargelegten Judikatur somit nicht darauf berufen, seine Unterhaltspflicht sei erloschen, weil sein Sohn entsprechende Leistungen aus der Mindestsicherung beantragen könnte; der Unterhaltspflichtige soll ja von seiner Unterhaltsschuld gerade nicht endgültig entlastet werden.
Für die Zeit ab 1. 7. 2014 geht die Forderung nach einer „Anspannung“ des Antragsgegners im Sinne einer Antragstellung nach dem StMSG schon deshalb ins Leere, weil § 8 Abs 1 leg cit seither nur nichttitulierte Unterhalts-ansprüche von der generellen Rechtsverfolgungspflicht zur Befriedigung des Unterhaltsbedarfs ausnimmt. Dass eine Rechtsverfolgung aussichtslos gewesen wäre, kann angesichts des festgestellten Einkommens des Vaters zweifellos nicht gesagt werden. Im Falle einer Antragstellung wäre dem Sohn daher mit Erfolg entgegengehalten worden, er könne die Mindestsicherung jedenfalls insoweit nicht in Anspruch nehmen, als der titulierte Unterhalt hereingebracht werden kann. Soweit nun der Unterhaltsberechtigte die dem titulierten Betrag entsprechende Mindestsicherung gar nicht erhalten kann, könnte sich auch durch den Bezug darüber hinausgehender Leistungen die Unterhaltspflicht des Antragstellers nicht verringern. Jedenfalls in Höhe titulierter Ansprüche soll die Mindestsicherung den unterhaltspflichtigen Elternteil erkennbar nicht entlasten.
Ein rechtlicher Grund für eine Verminderung der titulierten Unterhaltspflicht des Vaters liegt somit nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf den mangelnden Erfolg des Revisionsrekurswerbers (§ 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG e contrario).
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