OGH 12Os103/17i

OGH12Os103/17i16.11.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer in der Strafsache gegen Misa P***** und einen weiteren Angeklagten wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall und Abs 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Murat K***** sowie über die Berufung des Angeklagten Misa P***** gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Jugendschöffengericht vom 15. Mai 2017, GZ 61 Hv 31/17p‑76, sowie über die Beschwerden der Genannten gegen unter einem gefasste Beschlüsse auf Verlängerung von Probezeiten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00103.17I.1116.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Taten unter § 143 Abs 2 erster Fall StGB und demzufolge auch in den Strafaussprüchen sowie im Adhäsionserkenntnis und die Beschlüsse auf Verlängerung von Probezeiten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

Mit ihren Berufungen und ihren Beschwerden werden die Angeklagten auf die Aufhebung verwiesen.

Dem Angeklagten Murat K***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Misa P***** und Murat K***** jeweils des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie als Mittäter am 22. Jänner 2017 in S***** der Mitarbeiterin des Wettlokals „F*****“ Danijela Pi***** dadurch, dass Misa P***** einen Schuss aus einer Schreckschusspistole abgab, zu Danijela Pi***** unter Vorhalt der Schreckschusspistole in jugoslawischer Sprache sagte: „Hure, ich mach dich jetzt fertig, gib mir Geld, gib mir Geld. Ich knall dich jetzt ab.“, sich der Genannten weiter annäherte und einen zweiten Schuss aus der nun auf ihren Kopf gerichteten Schreckschusspistole abgab, während sich Murat K***** hinter die Schank begab und 6.500 Euro Bargeld aus dem unversperrten Tresor sowie eine Kellnerbrieftasche samt 1.500 Euro Bargeld an sich nahm, somit mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, wobei sie den Raub unter Verwendung einer Waffe verübten und „die ausgeübte Gewalt bei Danijela Pi***** eine krankheitswertige posttraumatische Belastungsstörung, sohin eine schwere Körperverletzung, zur Folge hatte“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Murat K*****, mit der er sich gegen die Annahme (auch) von Gewalt als Raubmittel wendet und den Entfall der Qualifikation des § 143 Abs 2 erster Fall StGB anstrebt.

Dem ersteren Anfechtungsziel ist zu entgegnen, dass Gewalt und Drohung beim Verbrechen des Raubes rechtlich gleichwertige Begehungsformen sind. Es handelt sich um einen alternativen Mischtatbestand, bei dem die irrtümliche Annahme nur einer der beiden urteilsmäßig festgestellten Alternativen nicht gesondert mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden kann (RIS‑Justiz RS0093803).

Zutreffend zeigt die Rüge hingegen auf, dass die angefochtene Entscheidung in Ansehung der Subsumtion des Tatverhaltens unter § 143 Abs 2 erster Fall StGB an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen leidet:

Raub mit schweren Folgen nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB liegt vor, wenn der Räuber durch die Gewaltanwendung, durch die er in den Besitz der Beute gelangen will, vorsätzlich oder fahrlässig eine schwere Verletzung (§ 84 Abs 1 StGB) herbeiführt ( Eder‑Rieder in WK 2 StGB § 143 Rz 23). Der schwere Erfolg ist daher dem Täter nur bei deliktsspezifischem Zusammenhang zwischen Gewalthandlung und Verletzung bzw Gesundheitsschädigung einerseits und zudem nur dann zuzurechnen, wenn er ihn zumindest fahrlässig zu verantworten hat (§ 7 Abs 2 StGB). Ist eine Gesundheitsschädigung im Sinn des § 84 Abs 1 StGB nicht auf Gewaltanwendung, sondern auf die durch die gefährliche Drohung als Raubmittel hervorgerufene Belastungssituation zurückzuführen, wird dadurch die Qualifikation des § 143 Abs 2 erster Fall StGB nicht begründet (RIS‑Justiz RS0111354).

Unter Gewalt als Begehungsmittel des Raubes ist die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines tatsächlich geleisteten oder eines erwarteten Widerstands zu verstehen (RIS‑Justiz RS0093906). Eine Schussabgabe, mit der eine Einwirkung auf eine angezielte Person angestrebt wird, ist grundsätzlich als Gewalt anzusehen (12 Os 101/07f mwN), während die Abgabe eines „Warnschusses“ eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben darstellt (vgl 13 Os 60/08k; RIS‑Justiz RS0092873).

Nach den Urteilsfeststellungen kam Misa P***** (neuerlich) in das Lokal, zog die Schreckschusspistole und gab sogleich einen Schuss in Richtung der Decke ab. Er sagte zu Danijela Pi***** unter Vorhalt der Schreckschusspistole in jugoslawischer Sprache: „Hure, ich mach dich jetzt fertig, gib mir Geld, gib mir Geld. Ich knall dich jetzt ab.“ Danijela Pi***** ging sofort in Deckung, indem sie die Hände schützend seitlich neben den Kopf hielt und sich zur Ecke zwischen Wand und Spielautomaten drehte. Sie stand somit mit dem Rücken in Richtung Misa P*****. Dieser fuchtelte mit der Schreckschusspistole herum und gab einen weiteren Schuss direkt in die Richtung von Danijela Pi***** ab (US 5). Bei ihr entwickelte sich „im Anschluss an den bewaffneten Raubüberfall am 22. Jänner 2017 eine (krankheitswertige) posttraumatische Belastungsstörung. Danijela Pi***** litt infolge des Vorfalls einen Tag an psychischen Leidenszuständen vergleichbar mit körperlich schweren Schmerzen, sieben bis zehn Tage an psychischen Leidenszuständen vergleichbar mit körperlich mittelschweren Schmerzen und zwei bis drei Wochen an psychischen Schmerzen vergleichbar mit körperlich leichten und abklingenden Schmerzen“ (US 6).

Zur subjektiven Tatseite stellte das Erstgericht fest, dass beide Angeklagten dem Opfer durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben sowie unter Einsatz von Gewalt Bargeld wegnehmen wollten, dazu tatplangemäß die Schreckschusspistole einsetzten und „physische Gewalt ausübten (tatsächliche Abgabe von Schüssen)“ (US 5).

Solcherart geht aus dem Urteilssachverhalt nicht mit hinlänglicher Deutlichkeit hervor, dass durch die Abgabe eines Schusses mit einer Schreckschusspistole (wobei die solcherart bezeichneten Waffen beim Abfeuern einen sehr lauten Knall erzeugen, aber im Gegensatz zu echten Schusswaffen keine Projektile verschießen, sondern verschiedene Arten von Reizgas‑ oder Kartuschenmunition) „in die Richtung“ (US 5) des Opfers eine physische Einwirkung auf dieses angestrebt wurde. Überdies ist den Feststellungen nicht zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Gesundheitsschädigung nicht auf die durch die gefährliche Drohung als Raubmittel hervorgerufene Belastungssituation zurückzuführen ist (vgl 11 Os 153/98).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zudem davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dieses, eine Subsumtion nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB hindernde Feststellungsdefizit (Z 10) auch in Ansehung des Angeklagten Misa P*****, der selbst keine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat, vorliegt. Zufolge des aus der Berücksichtigung der „mehrfache(n) Qualifikation“ als erschwerend (US 10) resultierenden konkreten Nachteils für den Genannten (vgl Ratz , WK‑StPO § 290 Rz 22 ff), war insoweit amtswegiges Vorgehen geboten.

Das angefochtene Urteil war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung in dem im Spruch angeführten Umfang aufzuheben (§ 285e StPO teils iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Mit ihren Berufungen und ihren impliziten Beschwerden (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) waren die Angeklagten auf die Aufhebung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

 

Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang ist hinzuzufügen:

1./ Wie der Rechtsmittelwerber zutreffend aufzeigt, enthält die angefochtene Entscheidung in Ansehung der Qualifikation des § 143 Abs 2 erster Fall StGB überdies keine Feststellungen zur subjektiven Tatseite.

2./ Schmerzen haben (auch ohne Objektivierung einer pathologischen Veränderung des Körpers) die Qualität einer Schädigung an der Gesundheit im Sinn des § 83 StGB, wenn ein vom Opfer als Leiden empfundener Schmerzzustand von einiger Dauer vorliegt, welcher die Einwirkung auf seinen Körper überdauert und solcherart einer krankheitswertigen körperlichen (oder seelischen) Störung entspricht ( Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 83 Rz 17; RIS‑Justiz RS0092422 [T2]). Allmählich abklingende Schmerzen stellen bis zu ihrer Bedeutungslosigkeit eine Gesundheitsstörung dar (RIS‑Justiz RS0092648). In Ansehung der festgestellten „krankheitswertige(n) posttraumatische(n) Belastungsstörung“ lagen nach dem Urteilssachverhalt jedoch lediglich Schmerzperioden von insgesamt zumindest 22 Tagen vor. Dem angefochtenen Urteil sind daher insoweit ausreichende Feststellungen zu einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB) nicht zu entnehmen.

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