OGH 13Os60/08k

OGH13Os60/08k23.7.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juli 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Reginald D***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 erster Fall StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Reginald D***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 19. Februar 2008, GZ 5 Hv 10/08z-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten Reginald D***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch den rechtskräftigen Schuldspruch eines anderen Angeklagten enthaltenden Urteil wurde Reginald D***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 erster Fall StGB (I) sowie des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er am 31. Dezember 2007 in Graz im einverständlichen Zusammenwirken mit einem hiefür zugleich rechtskräftig verurteilten Mittäter

(I) gewerbsmäßig mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz andere durch die wahrheitswidrige Behauptung, ihnen Marihuana zu verkaufen, wobei es sich bei der sodann übergebenen Substanz um ein Gewürz handelte, zur Übergabe von Bargeld verleitet, was die Getäuschten entsprechend am Vermögen schädigte, nämlich

  1. 1) Michael H***** mit 20 Euro und Stefan N***** mit 10 Euro sowie
  2. 2) einen unbekannt gebliebenen Geschädigten mit 50 Euro, weiters (II) im Anschluss an die zu I/1 dargestellte Tat Michael H***** und Stefan N***** durch die Abgabe eines Warnschusses aus einer Gaspistole sowie durch die Äußerung, sie sollen „sich schleichen, ansonsten würden sie umgebracht werden", zum Verlassen der Örtlichkeit und zur Abstandnahme von (weiteren) Versuchen, das betrügerisch herausgelockte Geld zurück zu erlangen, genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Reginald D***** geht fehl. Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) erfolgte die Abweisung (S 165) des Antrags auf Vertagung der Hauptverhandlung im Hinblick auf die in dieser vorgenommene Änderung der Anklage (S 163 f), um es der Verteidigung zu ermöglichen, „sich nunmehr auf die Suche nach allfälligen weiteren Beweismitteln" zu machen, „etwa jenen sieben Personen, von denen die Rede ist", und um „neue Beweismittel, die aktuell noch nicht bekannt sind", beizubringen (S 164 f), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten.

Vorauszuschicken ist, dass die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 11. Jänner 2008 (ON 2) zur Last gelegt hat, am 31. Dezember 2007 im einverständlichen Zusammenwirken mit einem Mittäter Michael H***** 20 Euro Bargeld und Stefan N***** 10 Euro Bargeld mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen zu haben, wobei, bei diesem Diebstahl auf frischer Tat betreten, der Mittäter Gewalt geübt und der Beschwerdeführer durch Gebärden sowie durch die Abgabe eines Warnschusses aus einer Gaspistole mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gedroht habe, um beiden die weggenommenen Bargeldbeträge zu erhalten. Im Rahmen der Hauptverhandlung (ON 24) modifizierte der Staatsanwalt die Anklage im Hinblick auf die Verantwortung der Angeklagten (S 144, 149) sowie der Zeugen H***** (S 154) und N***** (S 159 f) wie aus der Wiedergabe der Punkte I/1 und II des Tenors der angefochtenen Entscheidung ersichtlich (S 163 f). In Ansehung der Deposition der Angeklagten, einem weiteren Geschädigten 50 Euro Bargeld unter der wahrheitswidrigen Behauptung, ihm Marihuana zu verkaufen, betrügerisch herausgelockt zu haben (S 146, 150 f), wurde die Anklage zudem entsprechend ausgedehnt (S 164; I/2). Ein Antrag auf Vertagung der Hauptverhandlung zwecks besserer Vorbereitung ist im Licht des Art 6 Abs 3 lit b MRK zu prüfen (Danek, WK-StPO § 221 Rz 11; 15 Os 48/05f). Dieser konventionsrechtlichen Garantie wurde hier Rechnung getragen:

Hinsichtlich der zum Nachteil der Geschädigten H***** und N***** gesetzten Tathandlungen wurde die Anklage in der Hauptverhandlung nur rechtlich umqualifiziert, was im Übrigen nach dem Gesetz nicht erforderlich war, weil das Gericht bei der Urteilsfindung nicht an die in der Anklageschrift enthaltene Bezeichnung der Tat gebunden ist (§ 262 letzter Satz StPO). Die Strafprozessordnung stellt insoweit auf den sog prozessualen Tatbegriff, also darauf ab, ob Anklage und Urteil den selben Lebenssachverhalt meinen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502; RIS-Justiz RS0113142). Da durch die Modifikation der Anklage sohin keine Änderung in dem zu beurteilenden Sachverhaltssubstrat eingetreten ist, geht das Antragsvorbringen, Zeit zu benötigen, um weitere Beweismittel beibringen zu können, schon im Ansatz fehl. Dass allein der geänderte rechtliche Blickwinkel zusätzliche Vorbereitungszeit erfordert hätte, wurde inhaltlich nicht einmal behauptet.

Aber auch in Bezug auf den in der Hauptverhandlung hinzugekommenen Vorwurf (I/2) ist dem Vertagungsantrag das Erfordernis weiterer Vorbereitung der Verteidigung nicht zu entnehmen, weil er - insbesonders im Hinblick darauf, dass die Anklageausdehnung der Verantwortung des Beschwerdeführers folgte - nicht einmal die prozessuale Zielrichtung erkennen ließ.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass das Erstgericht dem Beschwerdeführer nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 24) - durch eine fünfzehnminütige Verhandlungsunterbrechung - Gelegenheit bot, sich ungestört (vgl Grabenwarter, EMRK³ § 24 Rz 101) mit seiner Verteidigerin zu besprechen, und dieser hierauf erklärte, sich (mit der Einschränkung, nicht mit dem „Umbringen" gedroht zu haben) im Sinn der in der Hauptverhandlung erhobenen Anklagevorwürfe schuldig zu bekennen (S 165 f).

Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat aufgrund des im Nichtigkeitsverfahren geltenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen. Soweit sich die Beschwerde hilfsweise auf den Nichtigkeitsgrund der Z 3 stützt, ist ihr zu entgegnen, dass die in § 221 Abs 2 StPO normierte Mindestvorbereitungsfrist nur für die Vorladung zum ersten Hauptverhandlungstermin und demnach weder im Fall der Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung (Danek, WK-StPO § 221 Rz 9) noch bei geänderter rechtlicher Beurteilung des der schriftlichen Anklage zu Grunde liegenden Sachverhaltssubstrats (RIS-Justiz RS0097981) gilt. Dies folgt schon aus den Bestimmungen des § 263 Abs 1 erster Satz StPO und des § 262 erster Satz StPO, die in beiden Fällen die Möglichkeit der sofortigen Urteilsfällung vorsehen. Indem die Mängelrüge (Z 5) hinsichtlich der Begründung der Feststellungen zur gewerbsmäßigen Tatbegehung (§ 148 StGB) die Unvollständigkeit der angefochtenen Entscheidung einwendet, verfehlt sie in Bezug auf die Schlussfolgerungen aus dem objektiven Tatgeschehen die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes. Unvollständig iS der Z 5 zweiter Fall ist ein Urteil nämlich nur dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ, was insoweit nicht einmal behauptet wird.

Mit dem isolierten Angriff auf einzelne Elemente der die diesbezüglichen Konstatierungen tragenden erstgerichtlichen Argumentationskette (US 11) unterlässt die Beschwerde die gebotene Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe (zuletzt 13 Os 39/08x). Soweit die Rüge danach trachtet, das Urteilsargument der Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Beschwerdeführers zu relativieren und aus dessen Fluchtverhalten anhand eigener Beweiswerterwägungen für ihn günstige Schlüsse abzuleiten, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Die den Vorwurf gewerbsmäßiger Tatbegehung leugnende Verantwortung der Angeklagten ist nicht übergangen, sondern in logisch und empirisch einwandfreier Beweiswürdigung abgelehnt worden (US 11). Auch die Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Zeugen H***** und N***** haben die Tatrichter kritisch erörtert (US 12). Indem die Beschwerde die Interpretation der Aussage des Zeugen Ermes M***** (US 13) in Frage stellt, erschöpft sie sich erneut in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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