OGH 12Os41/17x

OGH12Os41/17x21.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen David F***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 29. November 2016, GZ 39 Hv 63/16i‑52, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00041.17X.0921.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde David F***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB jeweils idF BGBl I 1998/153 (1./), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB jeweils idF BGBl I 2001/130 (2./) sowie mehrerer Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (3./) schuldig erkannt.

Danach hat er im Zeitraum von 17. August 2011 bis 3. Februar 2012 in D*****

1. außer dem Fall des § 206 StGB

a) von einer unmündigen Person eine Vielzahl von geschlechtlichen Handlungen an sich vornehmen lassen, indem er sich von der am 21. Mai 2000 geborenen Sarah K***** mehrfach mit der Hand befriedigen ließ,

b) an einer unmündigen Person eine Vielzahl von geschlechtlichen Handlungen vorgenommen, indem er einmal die am 23. September 1999 geborene Lena H***** vor Vollendung ihres 13. Lebensjahres und wiederholt (mindestens zehn Mal) die am 21. Mai 2000 geborene Sarah K***** sich bäuchlings auf die Couch legen ließ, sich auf ihren Rücken legte und dabei sein Becken auf und ab bewegte, bis er zur Ejakulation kam,

wobei die Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Sarah K*****, nämlich psychische Folgen im Sinn eines Traumas II bestehend aus Depressivität, latenter Suizidalität, Ängstlichkeit, gestörtem Selbstwertbild etc zur Folge hatten,

2. mit der am 21. Mai 2000 geborenen, somit unmündigen Sarah K***** den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar

a) indem er zweimal Oralverkehr an sich vornehmen ließ,

b) indem er mehrere Finger in ihre Vagina einführte,

c) „indem er vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog, wobei die Tat beim Versuch blieb“,

wobei die Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Sarah K*****, nämlich psychische Folgen im Sinne eines Traumas II bestehend aus Depressivität, latenter Suizidalität, Ängstlichkeit, gestörtem Selbstwertbild etc zur Folge hatten,

3. am 22. Oktober 2011 und zu anderen, nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkten Sarah K***** durch die per Facebook übermittelten Nachrichten des Inhalts, wenn sie nicht zu ihm komme, werde er jene Fotos, die er von ihr habe, ins Facebook stellen, sodass sie jeder sehen könne, somit durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs, dazu genötigt, ihn aufzusuchen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, Z 5, Z 5a, Z 9 lit b und Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Zutreffend zeigt der Nichtigkeitswerber zu den Schuldsprüchen 1./ und 2./ eine Aktenwidrigkeit der Begründung (Z 5 fünfter Fall) der Feststellungen zu dem mit der Vollendung des 14. Lebensjahres des Angeklagten beginnenden und lediglich einen Zeitraum von knapp sechs Monaten umfassenden Tatzeitraum auf. Entgegen der Darstellung im Urteil, wonach die Zeugin Laura Hi***** ausgesagt habe, Sarah K***** hätte ihr erzählt, dass sie bereits „die Regel“ hatte und befürchtete, schwanger zu sein, als das Kondom des Angeklagten beim Sex geplatzt sei (US 14), hatte diese Zeugin vielmehr angegeben, dass die Genannte ihr davon berichtet hätte, dass sie „damals“ in Wahrheit zwar noch nicht ihre Periode hatte, dies dem Angeklagten gegenüber aber behauptet habe (ON 3 S 49). Im Hinblick darauf, dass die Tatrichter die Feststellungen zum Tatzeitraum auch auf die Angaben der Sarah K***** zum Beginn ihrer Periode in zeitlicher Relation zu den festgestellten Tathandlungen stützten (insbes US 11 f), ist dieser Widerspruch erheblich, weil er, auf derselben Ebene gelegen, erörterungsbedürftig im Sinn des zweiten Falles der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO wäre, sich also auf die Feststellungen über entscheidende Tatsachen, nämlich die Begehung der inkriminierten Taten nach Vollendung des 14. Lebensjahres auswirken kann (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 466).

Da schon dieser Begründungsmangel die Aufhebung der Schuldsprüche 1./ und 2./ erfordert (§ 285e StPO), erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere bezughabende Beschwerdevorbringen.

Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang ist jedoch hinzuzufügen:

1./ Dem Urteil sind – worauf auch die Rechtsrüge (Z 9 lit b) zutreffend hinweist – zu Schuldspruch 1./b./ keine Feststellungen dahingehend zu entnehmen, ob der persönliche Strafausschließungsgrund des § 207 Abs 4 StGB in Bezug auf Lena H***** zum Tragen kommt: Übersteigt nämlich– soweit hier relevant – das Alter des Täters das der unmündigen Person nicht um mehr als vier Jahre, so ist der Täter nach § 207 Abs 1 und Abs 2 StGB nicht zu bestrafen, es sei denn, die unmündige Person hätte das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet.

In Ansehung der Feststellung zum Tatzeitraum, wonach der inkriminierte sexuelle Übergriff zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Zeitraum von 17. August 2011 bis 3. Februar 2012 stattfand (US 6), ist allerdings nicht auszumachen, ob dieser vor oder nach dem 23. September 2011, also jenem Tag, an dem Lena H***** das 12. Lebensjahr vollendete, erfolgte. Die für die Beurteilung des Vorliegens des persönlichen Strafausschließungsgrundes des § 207 Abs 4 StGB relevanten Konstatierungen sind daher als nicht getroffen anzusehen ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 570 f, vgl 11 Os 118/12f).

2./ Bei ungleichartiger Realkonkurrenz erfolgsqualifizierter strafbarer Handlungen begründet – wie auch die Subsumtionsrüge (Z 10) zutreffend geltend macht – ein‑ und derselbe Erfolg (rechtlich) die entsprechende Qualifikation nur bei einer der zusammentreffenden Taten, und zwar bei jener mit dem strengsten Strafsatz (14 Os 172/11t [verst Senat]; RIS‑Justiz RS0128224, RS0120828 [T5]).

Die Anlastung der durch die „geschlechtlichen Handlungen des Angeklagten“ ausgelösten, als schwere Körperverletzung beurteilten psychischen Beeinträchtigungen der Sarah K***** sowohl zu 1./ als Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB als auch zu 2./ als Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB ist daher verfehlt. Vielmehr wäre dem Angeklagten zu 2./ ein Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehrere Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB sowie zu 1./ mehrere Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB anzulasten gewesen.

3./ Die zu Schuldspruch 1./ genannten Taten wurden verfehlt weder dem nach Durchführung eines streng fallbezogen anzustellenden (RIS‑Justiz RS0119545) Günstigkeitsvergleichs (§ 61 StGB) richtigerweise anzuwendenden Urteilszeitrecht (§ 207 StGB idF BGBl I 2013/116) noch dem Tatzeitrecht (§ 207 StGB idF BGBl I 2009/40), sondern dem § 207 StGB in der bis 31. Mai 2009 geltenden Fassung BGBl I 1998/153 unterstellt.

4./ Gleichermaßen erfolgte die Unterstellung der zu Schuldspruch 2./ genannten Taten unter den im Tatzeitraum in Geltung stehenden § 206 StGB idF BGBl I 2001/130 anstelle des richtigerweise anzuwendenden Urteilszeitrechts (§ 206 StGB idF BGBl I 2013/116) rechtlich verfehlt. Zudem unverständlich bleibt die Verurteilung „nach dem Strafsatz des § 206 Abs 3 StGB idF BGBl 1998/153“ (US 3).

5./ Nach den tatrichterlichen Feststellungen zu Schuldspruch 2./c./ war der Angeklagte gerade dabei, mit seinem Glied in die Vagina der Sarah K***** einzudringen (US 5). Da der Beischlaf im Sinn des § 206 StGB bereits dann „unternommen“ ist, wenn unter Berührung der Geschlechtsteile von Täter und Opfer zu einer Vereinigung angesetzt wurde, während eine Penetration nicht erforderlich ist (RIS-Justiz RS0095118 [T1]), erfolgte die – wenn auch nicht in die Subsumtion übernommene (vgl US 2 f) – Beurteilung dieses Tatverhaltens als Versuch (US 2) rechtsirrig.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zudem, dass – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Die zu Schuldspruch 3./ inkriminierte Drohung mit einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs ist erst seit Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes 2015 (BGBl I 2015/112) am 1. Jänner 2016 eine gefährliche Drohung im Sinn des § 74 Abs 1 Z 5 StGB. Eine Nötigung durch eine solche Drohung war daher zu den urteilsgegenständlichen Tatzeitpunkten am 22. Oktober 2011 und an anderen nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkten zwischen 17. August 2011 und 3. Februar 2012 (US 6 f iVm US 1 f) nach § 105 Abs 1 StGB per se nicht tatbildlich. Zwar vermag die festgestellte Drohung des Angeklagten gegenüber Sarah K*****, vorgeblich bei inkriminierten geschlechtlichen Handlungen mit dieser aufgenommene kompromittierende Fotos „ins Facebook zu stellen“ (US 6 f), in objektiver Hinsicht eine Drohung mit einer Ehrverletzung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) zu verwirklichen (vgl 12 Os 56/14y = RIS‑Justiz RS0129613; RS0092856 [T2, T3], RS0092529 [T1]), ein darauf gerichteter Vorsatz des Angeklagten, dem es nach den Urteilskonstatierungen darauf ankam, Sarah K***** ernsthaft mit einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs zu bedrohen (US 7), wurde jedoch nicht festgestellt.

Der angefochtenen Entscheidung haftet daher insoweit ein Rechtsfehler mangels Feststellungen an, der zur Aufhebung des Schuldspruchs 3./ zwingt (§ 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Das angefochtene Urteil war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung zur Gänze aufzuheben (§ 285e StPO teils iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Zufolge Kassation des gesamten Urteils entfällt eine Kostenentscheidung ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 7).

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