OGH 3Ob157/17k

OGH3Ob157/17k20.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Karl Klein, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Wagner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.566,33 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 27. Juni 2017, GZ 18 R 34/17d‑13, womit das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 7. März 2017, GZ 9 C 410/16b‑9, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00157.17K.0920.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Kläger war (Mit‑)Leasingnehmer eines Pkws. Da der Leasingvertrag infolge schuldhaften Zahlungsverzugs der Leasingnehmer mit den Leasingraten vorzeitig aufgelöst wurde, hatte die Leasinggeberin nach den Bedingungen des Leasingvertrags Anspruch auf die bis zum Ablauf der kalkulatorischen Laufzeit noch ausstehenden Leasingentgelte abzüglich des Verkehrswerts des Fahrzeugs. Vereinbarungsgemäß hatte die Leasinggeberin den Verkehrswert von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen, der nicht ihrem Einflussbereich unterliegt, feststellen zu lassen. Die (hier) Beklagte ermittelte den Verkehrswert des Leasingfahrzeugs im Auftrag der Leasinggeberin mit 25.000 EUR netto.

Die Leasinggeberin klagte daraufhin (ua) den Kläger auf Zahlung des von ihr unter Abzug dieses Verkehrswerts ermittelten Ersatzbetrags. Der in diesem Vorverfahren bestellte Sachverständige ermittelte in seinem Gutachten vom 2. Mai 2011 den Verkehrswert des Fahrzeugs mit 30.000 EUR netto.

Das (dortige) Erstgericht vertrat in seinem Urteil die Auffassung, dass bei der Errechnung des der Leasinggeberin zustehenden Betrags vom „richtigen“ Verkehrswert (also laut dem im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten) auszugehen sei.

Das (dortige) Berufungsgericht gab der Berufung der Leasinggeberin mit Urteil vom 26. September 2013 Folge und führte aus, dass die im Leasingvertrag enthaltene Vereinbarung hinsichtlich der Schätzung des Verkehrswerts eine Schiedsgutachterabrede darstelle, mit der die Vertragsparteien es einem Dritten überlassen hätten, den Verkehrswert für sie bindend festzusetzen. Das Ergebnis dieser Schätzung sei deshalb für die Streitteile und das Gericht materiell-rechtlich bindend, sodass nur eine Gutschrift von 25.000 EUR netto zu Gunsten des (hier) Klägers zu berücksichtigen sei.

Im Hinblick darauf hatte der (hier) Kläger einen um 5.000 EUR samt 15,6 % Zinsen seit 19. April 2009 höheren Betrag an die Leasinggeberin zu zahlen. Das Berufungsurteil wurde dem (hier) Kläger am 8. Oktober 2013 zugestellt.

Der Kläger begehrt mit seiner am 8. Juli 2016 eingebrachten Klage 8.566,33 EUR sA als jenen Betrag, den er aufgrund des Gutachtens der Beklagten, das sich im Vorverfahren als falsch herausgestellt habe, zu viel an die Leasinggeberin habe zahlen müssen (5.000 EUR zuzüglich kapitalisierte 15,6 % Zinsen aus 5.000 EUR vom 19. April 2009 bis zum Einlangen des Berufungsurteils am 21. Oktober 2013 in Höhe von 3.566,33 EUR).

Die Beklagte wendete insbesondere Verjährung ein. Der Kläger stütze sein Begehren im Wesentlichen auf das im Vorverfahren eingeholte Sachverständigengutachten, das ihm bereits im Jahr 2011 bekannt gewesen sei. Im Übrigen sei das von ihr erstattete Gutachten ohnehin richtig gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bei Berechnung des der Leasinggeberin zustehenden Anspruchs sei auf jenen Verkehrswert abzustellen gewesen, den der von ihr beauftragte Sachverständige ermittelt habe. Dies ergebe sich bereits aus dem Leasingvertrag und nicht erst aus der Entscheidung des Berufungsgerichts im Vorverfahren. Dem Kläger sei bereits aufgrund des im Jahr 2011 eingeholten Sachverständigengutachtens bekannt gewesen, dass die Beklagte einen um 5.000 EUR zu geringen Verkehrswert ermittelt habe. Angesichts der Vertragslage sei aber seit damals klar, dass sich diese Differenz von 5.000 EUR zum Nachteil des Klägers auswirken werde. Dem Kläger sei also bereits im Jahr 2011 sowohl der Schädiger als auch der Schaden dem Grunde nach bekannt gewesen und sein (allfälliger) Schadenersatzanspruch daher jedenfalls verjährt.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung des Klägers in ein Zwischenurteil dahin ab, dass das Klagebegehren nicht verjährt sei. Der Kläger habe zwar sämtliche Tatsachengrundlagen, auf die er seinen Schadenersatzanspruch stützen wolle, nämlich den tatsächlichen Verkehrswert des Fahrzeugs und die Vertragslage, spätestens mit Zustellung des Urteils des Erstgerichts im Vorverfahren im Oktober 2011 gekannt. Auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts im Vorverfahren sei aber letztlich nicht irrelevant für den Beginn der Verjährungsfrist. Nach der im Ersturteil des Vorverfahrens vertretenen Auffassung, wonach auf den wahren Verkehrswert abzustellen sei, wäre dem Kläger nämlich kein Schaden entstanden, weil er die Differenz von 5.000 EUR samt Zinsen nicht hätte zahlen müssen. In dieser Situation vom Kläger die präventive Geltendmachung seiner Ansprüche gegen die Beklagte zu verlangen, sei nicht sachgerecht; wäre nämlich das Urteil des Erstgerichts im Vorverfahren unbekämpft geblieben oder aber vom Berufungsgericht bestätigt worden, hätte der Kläger den zweiten Prozess mangels eingetretenen Schadens verloren.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob es für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 1489 erster Satz ABGB ausreiche, wenn aus einem Vorprozess der anspruchsbegründende Sachverhalt bereits vollständig ersichtlich sei, das dortige Erstgericht aber aufgrund einer letztlich unrichtigen Rechtsansicht eine für den nunmehrigen Kläger günstige (keinen Schaden bewirkende) Entscheidung treffe, die erst später im Instanzenzug abgeändert werde.

In ihrer Revision vertritt die Beklagte zusammengefasst den Standpunkt, es könne jeweils nur eine einzige richtige rechtliche Beurteilung geben, weshalb es nicht darauf ankomme, dass das Erstgericht im Vorverfahren den Sachverhalt rechtlich unrichtig gewertet habe. Maßgeblich sei die Kenntnis des Geschädigten vom objektiven Sachverhalt, nicht aber die rechtlich richtige Qualifikation dieses Sachverhalts. Der behauptete Schaden des Klägers sei daher bereits mit Vorliegen des Sachverständigengutachtens im Vorverfahren eingetreten.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Die Verjährung von Schadenersatzansprüchen beginnt schon mit Kenntnis des Schadens und des Schädigers zu laufen, auch wenn der Geschädigte die Höhe des Schadens noch nicht beziffern kann, ihm nicht alle Schadensfolgen bekannt oder diese noch nicht zur Gänze eingetreten sind (RIS‑Justiz RS0034440; RS0083144 [T15]). Allerdings beginnt die Verjährungsfrist nach ständiger Rechtsprechung nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des (Primär‑)Schadens zu laufen (RIS‑Justiz RS0083144 [T19]).

2. Der Geschädigte darf zwar mit seiner Schadenersatzklage nicht solange zuwarten, bis er sich seines Prozesserfolgs gewiss ist oder glaubt, es zu sein. Wenn aber Ungewissheit darüber besteht, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist und hierüber ein Rechtsstreit anhängig ist, ist dem Geschädigten in der Regel zuzubilligen, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten, weil er erst dann über ausreichend sichere Information für seine Schadenersatzklage verfügt bzw erst dann der Schadenseintritt „unverrückbar“ feststeht (RIS‑Justiz RS0083144 [T11, T14, T17, T31]; 6 Ob 221/15s mwN). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung (nur) dann, wenn schon vor Beendigung des Rechtsstreits

gesicherte Verfahrensergebnisse vorliegen oder der Geschädigte erdrückende Beweise ignoriert (RIS‑Justiz RS0083144 [T22, T32]; 9 Ob 53/14f mwN), bzw wenn er sich aus anderen, allenfalls ganz unsachlichen Gründen auf das Verfahren einlässt (RIS‑Justiz RS0083144 [T28]).

3. Diesen Rechtsprechungsgrundsätzen folgend hat das Berufungsgericht den Verjährungseinwand der Beklagten zu Recht verneint:

Bis zur Zustellung der Berufungsentscheidung im Vorprozess musste der Kläger auf Basis des eingeholten Sachverständigengutachtens nur davon ausgehen, dass ihm für den Fall, dass die Leasinggeberin letztlich mit ihrer Rechtsansicht, der Ermittlung ihres Anspruchs sei jedenfalls der Verkehrswert laut dem von ihr eingeholten Gutachten (und nicht der vom Gerichtssachverständigen ermittelte höhere Wert) zugrunde zu legen, durchdringen sollte, ein Schaden in Höhe der Differenz zwischen den beiden Bewertungen entstehen würde.

Da sich das Erstgericht im Vorprozess der Rechtsansicht des Klägers bereits dadurch implizit anschloss, dass es ein – unter Zugrundelegung der gegenteiligen, von der Leasinggeberin und letztlich auch vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsauffassung sinnloses – Sachverständigen-gutachten zum Verkehrswert des Leasingfahrzeugs einholte, kann keine Rede davon sein, dem Kläger hätte angesichts der vertraglichen Regelung von vornherein klar sein müssen, dass ihm der nun eingeklagte Schaden (zumindest dem Grunde nach) unter allen Umständen entstehen werde. Dieser Schaden manifestierte sich vielmehr erst mit Zustellung der das Ersturteil abändernden Berufungsentscheidung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Der Kläger hat zwar die Zurückweisung der Revision beantragt, deren Unzulässigkeit aber weder behauptet noch begründet. Seine Rechtsmittelbeantwortung diente deshalb nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (RIS‑Justiz RS0035979 [T25], RS0035962 [T30]; jüngst 2 Ob 79/17g).

Stichworte