OGH 5Ob110/17p

OGH5Ob110/17p20.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Pertei M***** N*****, vertreten durch die Kueß & Beetz Rechtsanwälte Partnerschaft OG, Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 201.679 EUR sA und Feststellung (3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse [richtig:] 74.376 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2017, GZ 16 R 49/17v‑238, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Jänner 2017, GZ 60 Cg 116/07f‑229, teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00110.17P.0720.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrte zuletzt 138.000 EUR an Schmerzengeld, 63.679 EUR an Kosten für eine Pflegekraft und Haushaltshilfe sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus der Operation vom 26. August 2005. Im nunmehr zweiten Rechtsgang ist nicht mehr strittig, dass zwar die Operation lege artis durchgeführt wurde, die Beklagte der Klägerin jedoch wegen der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht haftet.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es der Klägerin 68.000 EUR an Schmerzengeld zuerkannte, ihr 28.376 EUR an Kosten einer Pflegekraft sowie Haushaltshilfe zusprach und ein Mehrbegehren von 85.917 EUR abwies. In einem Umfang von 19.386 EUR an weiteren Kosten der Haushaltshilfe hob es das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem insofern die Ergänzung des Verfahrens auf.

Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts, soweit darin der Klägerin insgesamt ein Betrag von mehr als 25.000 EUR zu‑ und das Feststellungsbegehren für berechtigt erkannt wurde, richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die darin jedoch keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung anspricht.

Rechtliche Beurteilung

1. Inwieweit das Berufungsgericht „nur einen hypothetischen, nicht aber den vom Erstgericht tatsächlich festgestellten Sachverhalt“ seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt haben soll, wenn es wiederholt auf negative Feststellungen im Ersturteil verwies, ist nicht nachvollziehbar. Der daraus von der Revisionswerberin abgeleitete Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit, weil das Berufungsgericht eine mündliche Berufungsverhandlung nicht durchgeführt habe, liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.1 Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann eine Ausdehnung des Klagebegehrens auf einen höheren Betrag grundsätzlich nicht mehr mit Erfolg vorgenommen werden (vgl M. Bydlinski in Schwimann, ABGB³ § 1497 Rz 6).

2.2 Bei Verbindung einer rechtzeitigen Leistungsklage mit einer später erfolgreichen Feststellungsklage ist die Ausdehnung eines Schmerzengeldbegehrens auch nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist nach ständiger Rechtsprechung nicht nur dann zulässig, wenn die Klageausdehnung auf inzwischen neu eingetretenen Schadenswirkungen beruht, sondern auch dann, wenn sie auf die Ergebnisse eines für den Kläger (unverhofft) günstigen Sachverständigengutachtens über die erlittenen Schmerzen gestützt wird (2 Ob 180/13d; RIS‑Justiz RS0031702 [T3]; M. Bydlinski aaO Rz 7; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 1497 Rz 21 je mwN).

2.3 Diese in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung findet ihre Rechtfertigung darin, dass die endgültige Bezifferung eines Schmerzengeldanspruchs typischerweise erst nach Vorliegen eines Sachverständigengutachtens möglich ist (2 Ob 33/09f). Von ihr abzugehen, bieten die Überlegungen der Revisionswerberin, die sie für nicht sachgerecht erachtet, weil sie dazu führen könne, dass ein Kläger, dem ohnedies das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 ZPO zugute komme, einen niedrigeren Betrag verbunden mit einem Feststellungsbegehren einklagen und dann, wenn seine vorsichtige Bewertung von der Beurteilung des Sachverständigen deutlich übertroffen wird, zur Klageausdehnung schreiten könne, keinen Anlass.

2.4 Soweit die Beklagte im Zusammenhang mit dem von ihr erhobenen Verjährungseinwand letztlich darauf verweist, dass die der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts zugrundegelegten Gutachten am 13. 9. 2012 und am 20. 3. 2013 bzw 19. 3. 2014 abgeschlossen gewesen seien, und dem gegenüberstellt, dass die Klägerin ihr Schmerzengeldbegehren am 28. 5. 2013 und am 29. 2. 2016 ausgedehnt habe, und dazu meint, der Ansicht des Berufungsgerichts könne nur gefolgt werden, wenn man den Zeitpunkt der gutachterlichen Beurteilung und der jeweiligen Klageausdehnung außer Acht lasse, legt sie nicht schlüssig dar, inwieweit eine Verjährung von ausgedehnten Schmerzengeldansprüchen oder auch nur Teilen davon losgelöst von den oben wiedergegebenen Grundsätzen eingetreten sein soll.

3. Die zum Schmerzengeld vertretenen Grundsätze gelten nicht auch für die Verjährung von Beträgen, die – wie etwa Kosten der Angehörigenpflege oder Haushaltshilfe – nicht durch Bemessung, sondern durch Berechnung eruiert werden (2 Ob 33/09f; 2 Ob 180/13d). Die Klägerin hat die begehrten Kosten für Pflege und Haushaltshilfe nach Einbringung der Klage wiederholt für im Einzelnen bestimmte Zeiträume geltend gemacht und ihr Begehren ausgedehnt. Die Ausführungen der Revisionswerberin bleiben aber gänzlich unklar, wenn sie im Anschluss an die Darlegung ihres Standpunkts zum Schmerzengeld meint, gleiches gelte für die Kosten der Haushaltshilfe bzw Pflege, und daraus schließt, der darauf beruhende Anspruch der Klägerin sei verjährt. Ob der Anspruch der Klägerin im Umfang der mit dem Schriftsatz vom 6. 3. 2012 vorgenommenen Ausdehnung um eine zusätzliche halbe Stunde an Haushaltshilfe (auch) für den Zeitraum vom 5. 9. 2008 bis 5. 3. 2009 allenfalls verjährt ist, wie die Revisionswerberin durch Bezugnahme auf diesen Zeitraum offensichtlich meint, kann hier nicht geprüft werden, weil dieser Teil des Klagebegehrens vom Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erfasst ist, und dieses den Rekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht zugelassen hat (vgl RIS‑Justiz RS0043854; RS0043898).

4.1 Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin bewegte sich das Berufungsgericht auch bei der Ausmessung des Schmerzengeldes im Rahmen gesicherter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs:

4.2 Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist der Gesamtkomplex der Schmerzempfindung unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung sowie das Maß der psychischen und physischen Beeinträchtigung zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0031040). Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für alles Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu dulden hat, und den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch soweit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RIS‑Justiz RS0031307).

4.3 Ausgehend von diesen Grundsätzen kann das Schmerzengeld nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach freier Überzeugung des Richters festgesetzt werden (8 Ob 15/15m; RIS‑Justiz RS0031415). Ermessensentscheidungen kommt aber grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Eine eklatante Fehlbemessung, die auch im Einzelfall als Ergebnis einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung aufzugreifen wäre, vermag die Revisionswerberin, die sich mit der Argumentation des Berufungsgerichts letztlich gar nicht auseinandersetzt, auch nicht aufzuzeigen.

4.4 Das Berufungsgericht hat ausdrücklich auf die Intensität insbesondere der zukünftigen Schmerzen der Klägerin Bedacht genommen und berücksichtigt, dass keine Aussicht auf Besserung besteht. Dem setzt die Revisionswerberin nichts entgegen, sondern meint, das Berufungsgericht habe die Feststellungen im Ersturteil nur dahingehend verwertet, dass es die Kausalität bejahte, den Beweis einer überholenden Kausalität aber nicht als erbracht ansah, und missversteht dabei die erstgerichtlichen Feststellungen, wonach nicht festgestellt werden konnte, wie sich die Schmerzsymptomatik bei der Klägerin ohne die Operation entwickelt hätte. Damit begründet es aber auch keine Fehlbeurteilung, wenn das Berufungsgericht den Beweis, dass es ohne die der Beklagten zuzurechnende Operation mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer vergleichbaren ängstlich‑depressiven Anpassungsstörung bei der Klägerin gekommen wäre, als nicht erbracht ansah. Im Übrigen lässt die Beklagte außer Acht, dass die Vorinstanzen die präoperativ bei der Klägerin bestandene Schmerzsymtomatik ohnedies berücksichtigten, indem sie von dem ziffernmäßig bemessenen Gesamtschmerzengeld ein Drittel in Abzug brachten.

5. Das Rechtsmittel der Beklagten, die der Ansicht der Vorinstanzen, dass es der Klägerin nach den besonderen Umständen des Einzelfalls nicht als Verletzung der Schadensminderungspflicht angelastet werden könne, wenn sie die ihr verordnete Behandlung abbrach und die eingetretene Anpassungsstörung nicht behandelte, nicht mehr entgegen tritt, zeigt damit insgesamt keine Rechtsfragen von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf.

6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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