OGH 7Ob107/17m

OGH7Ob107/17m5.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I* S*, vertreten durch Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, gegen die beklagten Parteien 1. B* T*, 2. G* P*, vertreten durch Dr. Manfred Luger, Rechtsanwalt in Freistadt, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. Februar 2017, GZ 14 R 14/17b‑33, womit das Teilurteil des Bezirksgerichts Freistadt vom 30. November 2016, GZ 2 C 504/15m‑29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118903

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 457,88 EUR (darin enthalten 76,31 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage uneinheitlich sei, ob die Räumungsklägerin die Beweislast für die Behauptung trage, dass kein „Untervertrag“, sondern ein Prekarium vorliege, oder es am Beklagten sei, unter Angabe entsprechender Tatsachen ein Rechtsverhältnis zur Klägerin zu behaupten, das die Nutzung der Sache rechtfertige.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Die Klägerin stützt ihr Räumungsbegehren auch auf eine dem Familienverhältnis entspringende– jederzeit widerrufbare – faktische Wohnraumüberlassung.

2. Ein familienrechtliches Wohnverhältnis im engeren Sinn liegt vor, wenn ein Unterhaltspflichtiger dem Unterhaltsberechtigten, also zB Eltern ihrem Kind, Wohnräume zur Benützung überlässt. Ein solches kann in der Regel erst nach dem Erlöschen der besonderen unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen, also etwa bei einem Kind, erst mit dem Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit durch Einbringung einer Räumungsklage beendet werden (vgl 3 Ob 1565/90). Ein dem Familienverhältnis entsprechender tatsächlicher Wohnzustand ist aber nicht nur dann anzunehmen, wenn aus dem Familienrechtsverhältnis eine Verpflichtung besteht, anderen Familienangehörigen Wohnung zu geben, denn es gibt zahlreiche aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen entspringende Benützungsgewährungen, die rechtlich nicht geregelt, gegen den Willen des Gewährenden nicht rechtlich durchsetzbar und jederzeit widerrufbar sind (RIS‑Justiz RS0020503).

Lassen die konkreten Umstände des Falls auf ein aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen entstehenden Wohnverhältnis schließen, so ist es – nach ständiger oberstgerichtlicher Judikatur – Sache des Benützers der Wohnung, konkrete Umstände darzulegen und zu beweisen, die einen unzweifelhaften Schluss auf das Vorliegen eines Rechtstitels zur Wohnungsbenützung zulassen (RIS‑Justiz RS0020500).

3. Hier steht fest, dass die Liegenschaft ursprünglich den Eltern der Klägerin und des Erstbeklagten gehörte. Der Erstbeklagte bewohnt seit den 1980iger‑Jahren– seit 1987 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Zweitbeklagten – die gegenständliche Wohnung, und zwar ursprünglich „als Sohn der Eigentümer“. Nach der im Jahr 2000 erfolgten Übergabe der Liegenschaft an die Klägerin, beließ diese den faktischen Zustand der Benützung durch ihren Bruder.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, vor diesem Hintergrund eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses hätten die Beklagten einen Rechtstitel zur Wohnungsbenützung darzutun, hält sich im Rahmen der bestehenden oberstgerichtlichen Judikatur.

4. Die Beklagten berufen sich auch darauf, dass kein Fall einer sich nur im Rahmen einer ungeregelten, sich nur aus dem verwandtschaftlichen Naheverhältnis ergebenden tatsächlichen Benützungsmöglichkeit vorliege, sondern ein Wohnrecht vereinbart worden sei.

4.1 Eine von den Beklagten behauptete Einräumung eines Wohnrechts aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung wurde weder mit den Eltern noch mit der Klägerin festgestellt.

4.2 Die Beurteilung der Konkludenz von Willenserklärungen im Einzelfall stellt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0043253 [insbesondere T1]). Im Übrigen ist bei der Annahme der Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen gemäß § 863 ABGB Vorsicht geboten (RIS‑Justiz RS0014157; RS0013947) und ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0014146), was namentlich auch für die Frage der schlüssigen Einräumung eines (vertraglichen) Wohn(‑ungs)‑rechts unter Familienangehörigen gilt (vgl RIS‑Justiz RS0011850 [T5, T14]; insbesondere 5 Ob 214/10x).

Das Berufungsgericht verneinte die (konkludente) Einräumung eines vertraglichen Wohnrechts bereits mangels erstgerichtlicher Behauptungen von Umständen, aus denen auf eine solche geschlossen werden könnte, wogegen die Beklagten keine stichhaltigen Argumente ins Treffen führen.

4.2.1 So geht insbesondere auch das Argument der Beklagten in der Revision, aus den von ihnen behauptetermaßen getätigten Investitionen in den Ausbau der Wohnung, sei auf die (schlüssige) Einräumung des Wohnrechts zu schließen, ins Leere.

4.2.2 Obligatorische Rechtsverhältnisse gehen bei einer Einzelrechtsnachfolge nur bei einer entsprechenden Vereinbarung auf den Rechtsnachfolger über (RIS‑Justiz RS0011871). Ein solches ist selbst dann gegenüber dem Einzelrechtsnachfolger nicht wirksam, wenn er von diesem Recht wusste, der Einzelrechtsnachfolger tritt vielmehr in das obligatorische Schuldverhältnis nur im Wege der Vertragsübernahme ein (RIS‑Justiz RS0011871 [T8, T10]).

Nun steht fest, dass der Ausbau der Wohnung zu einem wesentlichen Teil noch vom Großvater der Klägerin und des Erstbeklagten lange vor der Übergabe der Liegenschaft an die Klägerin erfolgt war. Selbst wenn aus den behauptetermaßen vom Erstbeklagten – ebenfalls noch vor Übergabe – getätigten Investitionen in den weiteren Ausbau der Wohnung eine schlüssige Einräumung eines Wohnrechts durch die damaligen Eigentümer bejaht werden könnte, fehlt es am Vorbringen und auch an Anhaltspunkten zu einer Vertragsübernahme durch die Klägerin. Ganz im Gegenteil, widersprechen die Feststellungen zur fehlenden Einräumung eines solchen Rechts durch die Klägerin einer derartigen Vertragsübernahme.

4.2.3 Die nach der Übergabe der Liegenschaft an die Klägerin erfolgten Investitionen (Verlegen eines Korkfußbodens, Änderung der Beleuchtung, Erneuerung des PVC‑Bodens in der Küche, der durch Hagel beschädigten Verglasung des Spitzdachs und der Armaturen in Bad und Küche) sind gleichermaßen im Rahmen eines ungeregelten, sich aus dem verwandtschaftlichen Naheverhältnis tatsächlichen Zustands denkbar (vgl RIS‑Justiz RS0020507, RS0020511, 1 Ob 172/10s). Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der Judikatur.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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