European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0200OS00018.16X.0704.000
Spruch:
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten in Ansehung des Schuldspruchs wegen Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes wird nicht Folge gegeben.
Aus Anlass der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird das angefochtene Erkenntnis in seinem Schuldspruch wegen Berufspflichtenverletzung ersatzlos sowie im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Für das ihm weiterhin zur Last fallende Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes wird ***** zu einer Geldbuße von 7.500 Euro verurteilt.
Mit seiner Berufung gegen den aufgehobenen Schuldspruchteil und wegen Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte – ebenso wie der Kammeranwalt mit seiner Strafberufung – auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 1. und 2. Fall DSt schuldig erkannt und hierfür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 15.000 Euro und gemäß § 38 Abs 2 DSt zum gänzlichen Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.
Danach hat er „im Schreiben vom 11. 01. 2016 und durch Verbreitung dieses Schreibens an die Medien und über Facebook als Verfahrenshelfer für einen ausländischen Beschuldigten solche ausländische Beschuldigte als kriminelle Ausländer bezeichnet, dies entgegen der Unschuldsvermutung von Art 6 EMRK und § 8 StPO, er hat ferner zwischen ausländischen und inländischen Beschuldigten und auch zwischen vorbestraften und nicht vorbestraften Beschuldigten in unsachlicher Weise differenziert und damit eine Diskriminierung zu vertreten; er hat in Ansehung seines Verfahrensbeholfenen B***** seine Verschwiegenheitspflicht gröblichst verletzt, indem verbreitet wurde, dieser sei mehrfach vorbestraft; er hat weiter in Ansehung des Verfahrensbeholfenen B***** gegen § 9 RAO verstoßen, weil er zu diesem Zeitpunkt als Verfahrenshelfer gegen seine Verpflichtung mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit das Mandat zu führen, verstoßen hat; darüber hinaus hat er schließlich Ehre und Ansehen des Standes nicht gewahrt und damit gegen § 10 Abs. 2 RAO verstoßen, und in allen angeführten Fällen gefestigte Standesauffassungen verletzt“.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Erkenntnis richten sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen (inhaltlich) Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie die Berufung des Kammeranwalts wegen des Strafausspruchs.
Im angefochtenen Erkenntnis stellte der Disziplinarrat neben wörtlicher Wiedergabe des Inhalts des vom Disziplinarbeschuldigten (unter Nennung des Namens des Verfahrensbeholfenen) an die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer gerichteten Schreibens vom 11. Jänner 2016 gemäß Aktenbeilage ./1 dessen Verbreitung durch den Disziplinarbeschuldigten an Medien, unter anderem an den Kurier und an einen Freund zu dessen Verbreitung über Facebook fest. Der Disziplinarrat ging des Weiteren auf Sachverhaltsebene (RIS‑Justiz RS0092588) – wenn auch formal im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – von der inhaltsgleichen Weiterleitung des inkriminierten Schreibens gemäß Aktenbeilage ./1 an die Medien, wenngleich ohne namentliche Erwähnung der Verfahrenshilfe genießenden Person B***** (ES 6, Aktenbeilage ./2) aus. Die Formulierung des Schreibens ergab die Bezugnahme auf letztere als kriminellen Straftäter („dem kriminellen Ausländer wäre das Unrecht seiner Taten nicht bewusst [fehlendes Schuldbewusstsein]“, „er wird in keiner Weise davon abgehalten, weitere kriminelle Taten in unserem Land zu begehen“,„auch andere kriminelle Ausländer werden massenhaft ermutigt, in unser Land zu reisen, um hier Menschen auszurauben etc“ – ES 6, 7).
Aus Anlass der Berufung des Disziplinarbeschuldigten überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von einer nicht geltend gemachten, daher amtswegig aufzugreifenden Nichtigkeit (Z 9 lit a) des Schuldspruchs nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt.
Die Übernahme der Vertretung eines Verfahrensbeholfenen einschließlich seiner Verteidigung im Strafverfahren verlangt nicht die absolute Neutralität gegenüber dem Beschuldigten oder Angeklagten. Der Rechtsanwalt muss also – speziell im Fall der nicht von ihm selbst gewählten Übernahme der Verteidigung – nicht an die Unschuld des Angeklagten glauben. Demgemäß stellt auch die Tatsache, dass der Verteidiger den Angeklagten für schuldig hält, keinen Grund dar, eine Umbestellung vorzunehmen. Die Treueverpflichtung gegenüber dem Klienten nach § 9 RAO beinhaltet diesfalls nur die Verpflichtung, ihn lege artis zu verteidigen. Der beim Disziplinarbeschuldigten offenbar vorhandene – wenn auch sachlich nicht haltbare – Vorbehalt gegen eine Verteidigung „vorbestrafter Ausländer“ würde nur dann eine Verletzung des § 9 RAO darstellen, wenn dieser innere Vorbehalt auch tatsächlich in der Art der Verteidigung zum Ausdruck gekommen wäre. Derartige Feststellungen fehlen.
Allein der Versuch, eine Umbestellung mit sachlich nicht haltbaren Argumenten zu erreichen, stellt noch keine Verletzung der Treuepflicht dar, sonst müsste jede Form der Bekämpfung der Gewährung der Verfahrenshilfe oder der Bestellung zum Verfahrenshelfer eine Verletzung des § 9 RAO bedeuten. Auf die sachliche Rechtfertigung des Antrags auf Umbestellung kann es dabei nicht ankommen. Die einzige Konsequenz der fehlenden sachlichen Rechtfertigung kann nur darin bestehen, dass es eben zu keiner Umbestellung kommt.
Der Umstand, dass der Disziplinarbeschuldigte im Rahmen des Antrags auf Umbestellung Gründe für seine „Befangenheit“ angegeben und den Namen des Verfahrensbeholfenen genannt hat, verletzt weder die Treuepflicht noch das Vertraulichkeitsgebot. Dem zuständigen Ausschuss waren sowohl das Strafverfahren als auch der Name des Verfahrensbeholfenen bekannt. Der auf eine innere Befangenheit gegenüber letzterem gestützte Antrag musste vom Disziplinarbeschuldigten auf die konkrete Bestellung gestützt werden. Dass die Begründung für die Umbestellung gegenüber dem Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer sachlich nicht gerechtfertigt war, hat die Rechte des Verfahrensbeholfenen als solche (noch) nicht beeinträchtigt.
Der – mit dem weiteren Schuldvorwurf ideal konkurrierende – Schuldspruch wegen Berufspflichten-verletzung war daher mangels Vorliegens einer solchen ersatzlos aufzuheben, ohne auf das dagegen erhobene Rechtsmittel inhaltlich eingehen zu müssen.
Dem auf den Schuldspruch nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt bezogenen Vorbringen ist entgegenzuhalten:
Zu behaupteten Verfahrensmängeln (inhaltlich § 281 Abs 1 Z 2–4 StPO) zeigt das Rechtsmittel derartige nicht auf (§ 285a Z 2 StPO).
Mit dem nicht näher substantiierten Vorwurf unrichtiger Tatsachenfeststellungen und falscher Beweiswürdigung werden die Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats nicht nach den Anfechtungskriterien der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO gerügt.
Die weiteren Ausführungen im Rechtsmittel zeigen keine Umstände auf, die geeignet wären, Zweifel zu wecken an der Beweiswürdigung des Disziplinarrats, der sich mit den vorliegenden Verfahrensergebnissen (vgl ES 2 f) auseinandergesetzt und nachvollziehbar dargelegt hat, aus welchen Gründen er den Schuldspruch tragende Feststellungen traf.
Soweit sich der Disziplinarbeschuldigte auf sein– vermeintlich schrankenloses – Recht auf freie Meinungsäußerung (vgl aber Art 10 Abs 2 MRK) beruft, verkennt er, dass unsachliche, nicht der Anspruchsdurchsetzung dienliche – und demnach nicht durch § 9 Abs 1 RAO gedeckte (vgl dazu Engelhart et al, RAO9, § 9 Rz 16 mwN) – Äußerungen keinen Schutz genießen (RIS‑Justiz RS0056312). Im Übrigen haben Rechtsanwälte schon aufgrund ihrer Funktion im Rechtsstaat weitergehende Beschränkungen bei Meinungsäußerungen hinzunehmen (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 23 Rz 30 und 32 jeweils mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0107101). Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit eines Rechtsanwalts in – wiehier – den Medien zwecks Veröffentlichung zugeleiteten Schreiben bestehen insbesondere dann, wenn sie dem Schutz der Unschuldsvermutung dienen (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 23 Rz 32; vgl auch RIS‑Justiz RS0031746). Genau diese hat der Disziplinarbeschuldigte durch die Gleichsetzung „beschuldigter Ausländer = Straftäter“ verletzt – genau dies macht ihn (aufgrund der alle Verteidigungsfälle umfassenden Anwaltspflichten) disziplinarrechtlich verantwortlich.
Der Disziplinarbeschuldigte hat nämlich mit seiner an die Öffentlichkeit getragenen Begründung für die von ihm angestrebte Umbestellung die Ehre und das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes beeinträchtigt. Die Übernahme von Verfahrenshilfen und die Wahrnehmung der Rechte der Verfahrensbeholfenen stellen wichtige Aufgaben der Rechtsanwaltschaft dar, denen sich der einzelne Rechtsanwalt mit seinem ganzen beruflichen Können zu widmen hat. Sich dieser Verpflichtung unter Berufung auf nicht im gegenständlichen Verfahren begründete Argumente entziehen zu wollen, erweckt den dem Ansehen dieses Berufungsstandes abträglichen Eindruck, die Rechtsanwaltschaft nähme ihre Verpflichtung, sich für die Rechte der Verfahrensbeholfenen– unabhängig von deren Nationalität – einzusetzen, nicht im sachlich gebotenen Ausmaß wahr.
Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld zum Schuldspruch wegen § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt musste daher – in diesem Umfang in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – der Erfolg versagt bleiben.
Bei der nach Beseitigung des Strafausspruchs als Folge der ersatzlosen Kaution eines Teils des Schuldspruchs notwendigen Strafbemessung waren keine besonderen Umstände im Sinne der §§ 33, 34 StGB zu veranschlagen.
Die verhängte Geldbuße entspricht Unrechts‑ und Schuldgehalt des Disziplinarvergehens.
Einer formellen Behandlung der beidseitigen Strafberufungen bedurfte es zufolge Wegfalls deren Bezugspunkts nicht.
Die Anwendung von § 16 Abs 1 Z 3, Abs 2, Abs 3 DSt – wie vom Kammeranwalt gefordert – ist indes nicht notwendig, weil die (wenngleich in concreto unangebrachten) Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten weder rassistisch noch menschenverachtend sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt (und bezieht sich nur auf den erfolglos gebliebenen Rechtsmittelteil).
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