OGH 8ObA31/17t

OGH8ObA31/17t29.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der wiederaufnahmsklagenden Partei Dr. S***** Z*****, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, gegen die wiederaufnahmsbeklagte Partei G***** eing. GenmbH, *****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens zu AZ ***** des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der wiederaufnahmsklagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. April 2017, GZ 7 Ra 111/16v‑5, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00031.17T.0629.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 ASGG).

 

Begründung:

Der Wiederaufnahmskläger war bei der Wiederaufnahmsbeklagten beschäftigt; am 29. 10. 2013 wurde die fristlose Entlassung des Dienstverhältnisses ausgesprochen. Im Vorverfahren begehrte der Wiederaufnahmskläger die Feststellung, dass das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen weiterhin ungelöst aufrecht bestehe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht wies die Klage hingegen (rechtskräftig) ab. Der Oberste Gerichtshof wies mit Beschluss vom 28. 6. 2016, 8 ObA 41/16m, die außerordentliche Revision des (hier) Wiederaufnahmsklägers zurück.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Wiederaufnahmskläger die Wiederaufnahme des Vorverfahrens, die Aufhebung des Berufungsurteils im Vorverfahren und die Feststellung, dass das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen ungeachtet der von der Beklagten am 29. 10. 2013 ausgesprochenen fristlosen Entlassung nach wie vor ungelöst aufrecht bestehe.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage im Vorprüfungsverfahren zurück. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Zum außerordentlichen Revisionsrekurs des Wiederaufnahmsklägers hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1.1  Der Wiederaufnahmskläger stützt die Wiederaufnahmsklage auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Die Wiederaufnahme aus diesem Grund ist nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses geltend zu machen (§ 530 Abs 2 ZPO). Die Verschuldensfrage ist insoweit bereits im Vorprüfungsverfahren zu klären, als sich schon aus der Wiederaufnahmsklage ein Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht ergibt oder diese konkrete Behauptungen dazu vermissen lässt, dass die Verwendung der als Wiederaufnahmsgrund angeführten neuen Beweismittel im Vorverfahren ohne Verschulden unmöglich war (RIS‑Justiz RS0044558; RS0044639). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt ein Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht vor, wenn eine Partei nicht die ihr zumutbaren Erhebungen pflegt, um die zur Dartuung ihres Prozessstandpunkts erforderlichen Zeugen und Beweismittel auszuforschen, etwa wenn sie im Vorprozess Zeugen zu führen unterlässt, von denen sie voraussetzen musste, dass ihnen die zu erweisenden Tatsachen bekannt sind (3 Ob 231/14p; 5 Ob 215/16b). Die prozessuale Diligenzpflicht findet ihre Grenze in der Anwendung der zumutbaren Sorgfalt.

In Bezug auf Urkunden ist eine Wiederaufnahmsklage dann ausgeschlossen, wenn die Partei die neuen Beweismittel bei Anwendung ordnungsgemäßer Aufmerksamkeit hätte ausfindig machen können (9 Ob 52/11d).

1.2  Ob der Kläger in seiner privaten Angelegenheit Druck auf den Versicherungsvertreter ausgeübt hat und dieser daraufhin bei der Fachabteilung intervenierte, war bereits zentrales Thema im Vorprozess. Der Standpunkt des Klägers bestand darin, dass seine Vorgangsweise rechtskonform gewesen sei und keine Vertrauensunwürdigkeit begründet habe. In dieser Situation musste für den Kläger naheliegend sein, dass der Schadensreferent und der Schadensleiter der Fachabteilung bzw sonst informierte Vertreter der Versicherung konkrete Angaben über deren Gespräche mit dem Versicherungsvertreter machen konnten. Der Kläger ist offenbar davon ausgegangen, die genannten Personen würden die Angaben des Versicherungsvertreters bestätigen. Eine allfällige, erst nachträglich erkannte Fehleinschätzung des Beweiswerts der möglichen, aber unterbliebenen Zeugenaussagen vermag die Wiederaufnahme gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO aber nicht zu begründen (10 Ob 37/15m). Schon benützbare Beweismittel dürfen nicht dem Wiederaufnahmsverfahren vorbehalten werden (RIS‑Justiz RS0117483).

Ähnlich verhält es sich mit dem Schadensakt bzw den Unterlagen der Versicherung. Dem Kläger musste bekannt sein, dass zu seinem privaten Versicherungsfall ein Schadensakt mit den entsprechenden relevanten Unterlagen geführt wird. Es war daher aus seiner Sicht ein Beweisanbot zur Klärung der Frage naheliegend, ob sich die mit dem eigenen Vorbringen und Angaben im Widerspruch stehende Aussage des Versicherungsvertreters mit dem Schadensakt bzw den einschlägigen Unterlagen allenfalls widerlegen lässt.

1.3  Ob die Parteien in Bezug auf bereits verfügbare Beweismittel und das darauf gerichtete mögliche Beweisanbot die zumutbare Sorgfalt aufgewendet haben, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0044533 [T9]). Mit seiner Beurteilung, der Kläger habe im Vorprozess die ihm (leicht) möglichen Beweismöglichkeiten vor allem zur Widerlegung der Aussage des Versicherungsvertreters nicht voll ausgeschöpft und die Erfüllung seiner prozessualen Diligenzpflicht nicht nachgewiesen, hat das Berufungsgericht den ihm eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten. Auch das Vorbringen des Klägers, er habe nachträglich über eine andere Versicherung erfahren, dass sich die Beklagte aktiv nach seinen Versicherungsfällen erkundigt habe, reicht für die Darlegung seines mangelnden Verschuldens nicht aus.

2.  Die Zurückweisung der Klage im Vorprüfungsverfahren ist darüber hinaus auch dann gerechtfertigt, wenn sich der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund unter keinen der im Gesetz angeführten Wiederaufnahmsgründe einordnen lässt oder der Wiederaufnahmswerber auch bei Zutreffen der Behauptungen zum Wiederaufnahmsgrund eine Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung nicht erreichen könnte (8 Ob 107/09g; 8 Ob 1/10w). Selbst wenn eine strafbare Handlung behauptet wird, liegt ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund nur dann vor, wenn das Delikt für die Entscheidung kausal war (RIS‑Justiz RS0044529).

Eine objektive Falschaussage ist eine abweichende Zeugenaussage, die auf einer bewiesenen Behauptung beruhen muss. Der Kläger stützt sich in dieser Hinsicht abgesehen von den – zufolge Verstoßes gegen die prozessuale Diligenzpflicht – nicht beachtlichen Beweismitteln aus dem Bereich seiner Versicherung auf einen Zeugen einer anderen Versicherung. Selbst wenn sich der Vertreter der Beklagten bei dieser anderen Versicherung über Versicherungsfälle des Klägers aktiv erkundigt haben sollte, folgt daraus nicht eine objektive Unrichtigkeit in der Aussage des Versicherungsvertreters im Vorverfahren. Zu dieser anderen Versicherung konnte dieser nichts aussagen.

3.  Mit seinen übrigen Ausführungen im außerordentlichen Revisionsrekurs lässt der Kläger weiterhin außer acht, dass es nicht darauf ankommt, ob ein realer Versicherungsfall vorlag und wie hoch der Schaden war, ob die Höhe der Prozesskostenablöse objektiv berechtigt bzw üblich war und ob der Versicherungsvertreter aufgrund seiner Stellung die (rechtlich durchsetzbare) Möglichkeit hatte, eine unberechtigte Prozesskostenablöse zu erhalten.

4.  Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht, mit seinen Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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