European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00215.16B.1219.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Der Kläger begehrte im wiederaufzunehmenden Verfahren mit der am 13. Juli 2011 eingebrachten Klage 790.000 EUR sA. Er habe von 2004 bis 2010 in von der Beklagten betriebenen Automatensalons zumindest 1 Million, vermutlich sogar 1,5 Millionen EUR verspielt. Sein Spielverhalten sei von Anfang an pathologisch gewesen. Seine Diskretions‑ und Dispositionsfähigkeit sei während des Spiels regelmäßig vollkommen aufgehoben gewesen. Die Spielverträge seien daher rückabzuwickeln.
Das Landesgericht Wiener Neustadt verpflichtet die Beklagte mit Urteil vom 9. 10. 2014 zur Zahlung von 437.950 EUR sA und wies das Mehrbegehren (unbekämpft) ab. Es stellte insbesondere fest, dass der Kläger von 2006 bis 2010 beinahe täglich bzw praktisch täglich in Spielhallen der Beklagten gespielt habe, und zwar sehr oft bis zu zehn Stunden am Tag und auf mehreren Automaten gleichzeitig. Spätestens ab dem Jahr 2006 sei er im Bezug auf Glücksspiele nicht mehr im Stande gewesen, die Folgen seines Handelns einzusehen und sich gemäß dieser Einsicht zu verhalten. Rechtlich folgerte es, dass die geschlossenen Glücksspielverträge nach § 865 Satz 1 ABGB unwirksam gewesen seien.
Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht führte eine teilweise Wiederholung und eine Ergänzung des Beweisverfahrens durch. Es traf negative Feststellungen zu Häufigkeit und Dauer des Spielverhaltens sowie zum Ausmaß der Spielverluste. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger die diagnostischen Kriterien nach ICD‑10 der Weltgesundheitsorganisation für „Pathologisches Glücksspiel F63.0“ erfüllte und in diesem Zeitraum im Bezug auf Glücksspiel außer Stande war, die Folgen seines Handelns einzusehen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten. Ausgehend von diesen Feststellungen änderte das Berufungsgericht das angefochtene Urteil in eine gänzliche Abweisung des Klagebegehrens ab. Die außerordentliche Revision des Klägers wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 25. 8. 2015 zurück.
Der Kläger brachte beim Oberlandesgericht Wien, als Berufungsgericht des Vorprozesses fristgerecht eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage ein. Es seien ihm jetzt vier Zeugen bekannt geworden, die beweisen könnten, dass er in dem von ihm vorgebrachten und vom Erstgericht festgestellten Ausmaß in Spielstätten der Beklagten an Automaten gespielt und die klagsgegenständliche Summe verspielt habe. Es handle sich um Mitarbeiter der Beklagten und einen Spieler, der gleichzeitig mit dem Kläger gespielt habe und daher eigene Wahrnehmungen über die Spielfrequenz und über die verspielten Summen habe. Er habe diese Zeugen nicht früher beantragen können, weil er bis zum 15. 3. 2016 keine Kenntnis von den genauen Identitäten, den vollständigen Namen und den Kontaktdaten dieser Zeugen gehabt habe. Am 15. 3. 2016 sei es zu einem zufälligen Zusammentreffen mit einem der Zeugen, einem ehemaligen Mitarbeiter der Beklagten gekommen. Der Kläger und dieser Zeuge hätten einander erkannt, es sei zu einem Gespräch gekommen und dabei habe der Kläger erstmals dessen vollständigen Namen und dann die Namen der anderen Zeugen, welche seine Angaben bestätigen könnten, erfahren.
Das Oberlandesgericht Wien wies die Wiederaufnahmsklage wegen eines Verstoßes gegen die prozessuale Diligenzpflicht (§ 530 Abs 2 ZPO) im Vorprüfungsverfahren zurück. Es sei von Beginn an im Vorverfahren klar gewesen, dass der Kläger nicht nur zu beweisen habe, wie von ihm behauptet, in den Spielhallen der Beklagten insgesamt (zumindest) 790.000 EUR verloren zu haben, sondern auch dass er tatsächlich jahrelang fast täglich an den Spielautomaten der Beklagten gespielt habe. Das Ausmaß und die Frequenz des Spielens sei unzweifelhaft und offensichtlich von maßgeblicher Bedeutung für die Frage, ob der Kläger (wie von ihm im Vorverfahren vorgebracht) beim Automatenspiel partiell geschäftsunfähig gewesen sei. Der Kläger habe sich im gesamten Vorverfahren zum Beweis für seine Behauptungen, in den Spielhallen der Beklagten von 2006 bis 2010 fast täglich an Spielautomaten gespielt und dabei insgesamt zumindest 790.000 EUR verloren zu haben, lediglich auf seine Parteienvernehmung und auf von der Beklagten vorzulegende Aufzeichnungen über die Häufigkeit seiner Anwesenheit berufen. Weitere Beweisanträge zu diesem Thema habe er nicht gestellt, obwohl die Beklagte schon in ihrem Schriftsatz vom 29. 1. 2012 klargestellt habe, dass es solche Aufzeichnungen nicht gebe, und der Kläger selbst eingeräumt habe, dass ihm eine vollständige und exakte Darstellung, wann er an welchen Standorten der Beklagten wie viel verspielt habe, naturgemäß nicht möglich sei. Dem Kläger hätte klar sein müssen, dass er Zeugen suchen müsse, die sein Sachverhaltsvorbringen beweisen könnten. Nach seinem Vorbringen habe er erst im September 2010 mit dem Automatenglücksspiel in den Spielhallen der Beklagten aufgehört. Die Klage habe er schon im Juli 2011 eingebracht. In seiner Wiederaufnahmsklage bringe er nicht einmal vor, dass er versucht habe, schon während des Vorverfahrens Zeugen für das Ausmaß seines Spielens und für die Höhe seiner Verluste zu finden. Er erkläre bloß, er habe die jetzt genannten Zeugen im Vorprozess nicht namhaft machen können, weil er deren vollständigen Namen und Kontaktdaten nicht gewusst habe. Er wäre aber verpflichtet gewesen, die ihm zumutbaren Erhebungen anzustellen, um solche Zeugen auszuforschen bzw deren Namen und Adressen festzustellen. Somit fehlten ausreichende Tatsachenbehauptungen, aus welchen sich ableiten ließe, dass dem Kläger die Geltendmachung der als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittel im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger einen Rekurs an den Obersten Gerichtshof. Sein Rechtsmittel ist zulässig aber nicht berechtigt.
1. Nach § 532 Abs 2 ZPO ist eine Wiederaufnahmsklage, die (wie hier) auf einen anderen Wiederaufnahmsgrund als den des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gestützt ist, beim Gericht höherer Instanz einzubringen, wenn nur dessen Entscheidung von den geltend gemachten Anfechtungsgründen betroffen ist. Im vorliegenden Fall ist das Berufungsgericht von den erstgerichtlichen Feststellungen zu dem Spielverhalten des Klägers, seinen Verlusten sowie der partiellen Geschäftsunfähigkeit in Bezug auf das Glücksspiel nach Beweiswiederholung und ‑ergänzung abgegangen und es hat andere für die rechtliche Beurteilung entscheidende Feststellungen getroffen. Es war daher zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage funktionell in erster Instanz zuständig (RIS‑Justiz RS0044571 [T2, T3]).
2. Nach § 535 ZPO sind, wenn die Klage nicht bei dem Gericht erhoben wird, das im Vorprozess in erster Instanz erkannt hat, in Ansehung der Anfechtbarkeit der Entscheidung diejenigen Bestimmungen maßgebend, welche für das höhere Gericht als Rechtsmittelinstanz maßgebend wären. Wenn das Berufungsgericht – wie hier – als in erster Instanz zuständiges Gericht die Wiederaufnahmsklage zurückweist, ist dagegen der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig (RIS‑Justiz RS0044597), weil dies dem Fall des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO gleich zu halten ist (6 Ob 189/16m mwN).
3. Rechtsmittel gegen die im Verfahren über eine Wiederaufnahmsklage ergehenden Entscheidungen sind stets bei dem Gericht einzubringen, das im Vorprozess in erster Instanz eingeschritten ist, auch wenn das Berufungsgericht des Vorprozesses in erster Instanz entscheidet (RIS‑Justiz RS0045877 [T3]).
3.1 Der Kläger hat den Rekurs nicht beim Erstgericht, sondern beim Berufungsgericht des Vorprozesses eingebracht. Der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels schadet dies nicht. Wird ein Rechtsmittel beim falschen Gericht eingebracht, ist auch im elektronischen Rechtsverkehr für seine Rechtzeitigkeit das Einlangen beim richtigen Gericht maßgebend (RIS‑Justiz RS0041608 [T8, T22]; RS0041584). Der Rekurs ist hier innerhalb der 14‑tägigen Rechtsmittelfrist (§ 521 Abs 1 Satz 1 ZPO) beim zuständigen Erstgericht eingelangt.
4. Die Wiederaufnahme aus dem Grund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ist nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses geltend zu machen (§ 530 Abs 2 ZPO). Die Behauptungs‑ und Beweislast für den Mangel des Verschuldens trägt der Wiederaufnahmskläger (RIS‑Justiz RS0044558 [T11]; RS0044633). Dazu sind konkrete Tatsachenbehauptungen aufzustellen (1 Ob 15/15a).
4.1 Ob den Kläger ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Kenntnis von den neuen Beweismitteln trifft, ist grundsätzlich nicht im Vorprüfungsverfahren zu klären. Dies gilt jedoch nach der Rechtsprechung dann nicht, wenn sich das Verschulden bereits aus den – als richtig angenommenen – Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt oder diese jegliche (konkrete) Behauptung vermissen lassen, dass die Verwendung der als Wiederaufnahmsgrund angeführten neuen Beweismittel im Vorverfahren ohne Verschulden unmöglich war (RIS‑Justiz RS0044558; RS0044639 [T1, T2]).
4.2 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt ein Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht vor, wenn eine Partei nicht die ihr zumutbaren Erhebungen pflegt, um die zur Dartuung ihres Prozessstandpunkts erforderlichen Zeugen und Beweismittel auszuforschen, etwa wenn sie im Hauptprozess Zeugen zu führen unterlässt, von denen sie voraussetzen musste, dass ihnen die zu erweisenden Tatsachen bekannt sind, ebenso wenn die Partei nichts unternommen hat, um während des Verfahrens den Aufenthalt eines Zeugen zu ermitteln (RIS‑Justiz RS0044619 [T7]; RS0109743). Schon benützbare Beweismittel dürfen nicht einem Wiederaufnahmsverfahren vorbehalten werden (RIS‑Justiz RS0117483). Die prozessuale Diligenzpflicht findet ihre Grenze in der Anwendung der zumutbaren Sorgfalt, wobei sich die Zumutbarkeit nach den Umständen des Einzelfalls richtet (RIS‑Justiz RS0044533 [T9]). Es ist nicht Sinn und Zweck der Wiederaufnahmsklage nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, Fehler der Partei bei der Führung des Vorprozesses zu korrigieren (RIS‑Justiz RS0039991 [T1]).
4.3 Der Kläger hat in seiner Wiederaufnahmsklage nicht behauptet, dass ihm die Existenz der genannten vier Zeugen, die sein Spielverhalten und seine Verluste bezeugen könnten, gar nicht bekannt gewesen sei. Er rechtfertigte seine Unterlassung im Vorprozess lediglich damit, dass er die Einvernahme nicht beantragen habe können, weil er bis zu einem zufälligen Treffen mit einem der Zeugen keine Kenntnis von den genauen Identitäten und Kontaktdaten gehabt habe. Bei den vier Zeugen handelt es sich nach seinem Vorbringen um drei (ehemalige) Mitarbeiter der Beklagten und einen Spieler, deren Aussagen Aufschluss über das Spielverhalten des Klägers von 2006 bis 2010 geben und eine andere Einschätzung seiner angeblich vorliegenden partiellen Geschäftsunfähigkeit als Grundlage für den bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch ermöglichen sollten. Der Kläger lässt jede Behauptung vermissen, wieso es ihm in dem bereits 2011 eingeleiteten Vorprozess unmöglich gewesen sei, solche Zeugen auszuforschen und namhaft zu machen. Das Vorbringen zum zufälligen Treffen mit einem der nunmehr namhaft gemachten Zeugen reicht nicht aus (vgl 3 Ob 121/09d), wie das Oberlandesgericht Wien zutreffend dargelegt hat.
5. Dem unberechtigten Rekurs ist aus diesem Grund ein Erfolg zu versagen.
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