OGH 9Ob52/11d

OGH9Ob52/11d25.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Georg Mayer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei C***** S*****, vertreten durch Dr. Michael Krautzer, Rechtsanwalt in Villach, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens des Bezirksgerichts Villach, AZ 6 C 240/08p, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 3. August 2011, GZ 2 R 165/11h-7, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 8. Juni 2011, GZ 6 C 403/11p-4, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erließ im Verfahren 6 C 240/08p am 7. 5. 2008 gegen die nunmehrige Wiederaufnahmsklägerin einen Zahlungsbefehl, dem behauptete Mietzinsrückstände für angemietete Büroräume zugrunde lagen. Der Zahlungsbefehl erwuchs nach mehreren Zustellanständen in Rechtskraft. Ein Wiedereinsetzungsantrag der Wiederaufnahmsklägerin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 26. 2. 2009, bestätigt mit Beschluss des Rekursgerichts vom 25. 5. 2009, aufgrund eines nicht mehr als bloßes Versehen anzusehenden Verhaltens der Wiederaufnahmsklägerin abgewiesen.

Mit Wiederaufnahmsklage vom 21. 5. 2011 begehrte sie die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO mit der Behauptung, die seinerzeitige Geschäftsführerin habe bei Durchsicht der Buchhaltungsunterlagen durch Zufall zwei Schreiben der nun Beklagten gefunden, die die Unrichtigkeit ihres seinerzeitigen Standpunkts belegten. Nach diesen sei zwischen den Streitteilen ein geringerer Mietzins als jener vereinbart worden, der im Mahnverfahren angegeben worden sei.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage zurück.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Wiederaufnahmsklägerin keine Folge. Es bestünden zwar keine Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Wiederaufnahmsklage, wenn im Vorprozess ein Zahlungsbefehl rechtskräftig geworden sei. Bei Geltendmachung neuer Beweismittel im Wege der Wiederaufnahmsklage sei aber zu untersuchen, ob der Wiederaufnahmskläger bei Anwendung gebührender Sorgfalt schon früher in der Lage gewesen sei, das neue Beweismittel anzubieten. Den Umstand, dass die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande gewesen sei, die neuen Tatsachen oder Beweismittel im Vorverfahren geltend zu machen, habe die Wiederaufnahmsklägerin schon in der Wiederaufnahmsklage konkret darzulegen. Die bloße Behauptung der Tatsache des Auffindens von Urkunden reiche allerdings nicht aus, um ein Wiederaufnahmsverfahren durchzuführen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu diesen Erwägungen höchstgerichtliche Judikatur fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichtete Revisionsrekurs der Wiederaufnahmsklägerin ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig, weil die Gesetzmäßigkeit der Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage anhand der bestehenden Rechtsprechung geprüft werden kann.

1. Die Möglichkeit der Erhebung einer Wiederaufnahmsklage gegen den rechtskräftig gewordenen Zahlungsbefehl wurde vom Rekursgericht zurecht bejaht (Jelinek in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 530 ZPO Rz 12; Kodek in Fasching/Konecny 2 III § 247 ZPO Rz 18 mwA; Kodek in Rechberger 3 § 530 Rz 2).

2. Gemäß § 530 Abs 2 ZPO ist die Wiederaufnahme aus dem Grund des Abs 1 Z 7 leg cit nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen. Die Behauptungs- und Beweislast für den Mangel des Verschuldens trägt der Wiederaufnahmskläger (RIS-Justiz RS0044558 [T11]; RS0044633).

Ein Verschulden kann auch in einem Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht liegen. Er ist gegeben, wenn eine Partei nicht die ihr zumutbaren Erhebungen pflegt, um die zur Dartuung ihres Prozessstandpunkts erforderlichen Zeugen und Beweismittel auszuforschen (RIS-Justiz RS0109743 [T3]). Eine Wiederaufnahmsklage ist dann ausgeschlossen, wenn die Partei die Beweismittel bei Anwendung ordnungsgemäßer Aufmerksamkeit hätte finden können (RIS-Justiz RS0044533 [T12]; Kodek in Rechberger³ § 530 Rz 16 mwA). Allerdings ist nicht zu verlangen, dass sie Urkunden auch an Orten zu suchen hätte, an denen sie nicht vermutet werden können (RIS-Justiz RS0044533 [T13]). Ein Vergessen kann nur in Ausnahmefällen nicht als Verschulden angesehen werden (8 Ob 350/65 = JBl 1966/527).

3. Die Wiederaufnahmsklägerin meint, dass die Frage, ob sie ein Verschulden treffe, nicht im Vorprüfungs-, sondern im Hauptverfahren zu klären sei. Die Wiederaufnahmsklage hätte daher keinesfalls a limine zurückgewiesen werden dürfen.

Das trifft zwar grundsätzlich zu (RIS-Justiz RS0044639; Jelinek in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 538 ZPO Rz 24 mwN). Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verschuldens des Wiederaufnahmsklägers ist allerdings dann möglich, wenn sich das Verschulden bereits aus den - als richtig angenommenen - Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt (RIS-Justiz RS0044558 [T1]; Jelinek in Fasching/Konecny 2 V/1 § 530 ZPO Rz 220 mwN). Die Beurteilung, ob die Klagsangaben geeignet sind, ein mangelndes Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO darzulegen, ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig, vermag daher idR keine erhebliche Rechtsfrage zu begründen (RIS-Justiz RS0044633 [T7]).

4. Nach dem Klagsvorbringen hat die ehemalige Geschäftsführerin der Wiederaufnahmsklägerin die gegenständlichen Urkunden „durch Zufall in den Buchhaltungsunterlagen gefunden“. Da von einem sorgfältigen Unternehmer jedoch zu verlangen ist, geschäftswesentliche Unterlagen wie jene über den Mietzins für die angemieteten Büroräume so aufzubewahren, dass sie im Prozessfall auffindbar sind (vgl auch § 190 UGB zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung), kann die mangelnde Auffindbarkeit der klagsgegenständlichen Schreiben im Prozess - ungeachtet dessen, ob sie „zufällig“ in die Buchhaltungsunterlagen geraten sind oder dort bewusst abgelegt, jedoch vielleicht vergessen wurden - die Wiederaufnahmsklägerin nicht vom Vorwurf fehlender Sorgfalt befreien.

Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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