OGH 13Os43/17y

OGH13Os43/17y28.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Plesser als Schriftführer in der Strafsache gegen Hermann B***** wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 23. Februar 2017, GZ 23 Hv 113/16y‑15, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00043.17Y.0628.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hermann B***** des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 22. August 2016 in I***** Thomas M***** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB), nämlich durch die ihm gegenüber getätigten Äußerungen „Jetzt gibst du mir die Kohle, sonst erschieß ich dich!“ und „Du hast schon richtig gehört, gib mir jetzt das Geld!“, fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz abzunötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung nachangeführter Beweisanträge Verteidigungsrechte nicht verletzt:

Die Beiziehung von Sachverständigen bei der Beurteilung von Verfahrensergebnissen setzt Umstände voraus, die bei den zur Beweiswürdigung berufenen Tatrichtern (§ 258 Abs 2 StPO) nicht vorhandene Fachkenntnis erfordern (RIS‑Justiz RS0099536). Solche Umstände wurden durch den Antrag auf Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens und eines Gutachtens aus dem Fachbereich der Psychiatrie zum Beweis dafür, dass „der Angeklagte zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig war und die Voraussetzungen nach § 287 Abs 1 StGB vorlagen“ (ON 11 S 8), nicht dargetan.

Hinzugefügt sei, dass die Beantwortung der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit zwar in abstracto ein besonderes Fachwissen erfordern kann. Ob insoweit in concreto ein Sachverständiger beizuziehen ist, muss aber stets anhand der Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO) beurteilt werden (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 347). Hier gingen die Tatrichter – nach „Vorhalt der Ausführungen im amtsärztlichen Gutachten AS 23 in ON 3 sowie der Ausführungen im Abschlussbericht, wonach der Angeklagte örtlich und zeitlich orientiert gewesen wäre“ (ON 11 S 4), und nach der Einvernahme des Zeugen Thomas M*****, nach welcher eine Unterhaltung mit dem Angeklagten unmittelbar vor dem Vorfall problemlos möglich gewesen sei (ON 11S 7) – ausdrücklich davon aus, es gebe keine Hinweise darauf, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand gehabt hätte (ON 11 S 8).

Auf das diesen Beweisantrag unzulässig ergänzende (RIS‑Justiz RS0099618, RS0099117) Vorbringen der Verfahrensrüge ist nicht einzugehen.

Der Antrag auf Einvernahme des Christian L***** als Zeugen zum Beweis dafür, dass das „hier inkriminierte und angeklagte Verhalten des Angeklagten mit dessen Lebenswandel nicht in Einklang zu bringen ist“ (ON 14 S 6), verfiel ebenso zu Recht der Abweisung. Denn Gegenstand des Zeugenbeweises sind nicht Einschätzungen oder Meinungen, sondern Wahrnehmungen von Tatsachen (RIS‑Justiz RS0097540 [insbes T9, T10]).

Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO setzt voraus, dass über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinn des Antragstellers entschieden wurde. Wurde der Beweisantrag nur in einem vor der Hauptverhandlung eingebrachten schriftlichen Beweisantrag, nicht aber in der Verhandlung selbst gestellt, ist dem Beschwerdeführer die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO verwehrt (RIS‑Justiz RS0099178). Die Verweisung auf einen vor der Hauptverhandlung eingebrachten Schriftsatz vermag eine der Verfahrensordnung entsprechende Antragstellung in der Hauptverhandlung ebenso wenig zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0099178 [T13], RS0099511 [T5]) wie die Erklärung, schriftlich gestellte Anträge aufrecht zu halten (RIS‑Justiz RS0099178 [T11, T14]). In Ansehung des mit Schriftsatz vom 15. Februar 2017 (ON 13) neuerlich gestellten Antrags auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, hinsichtlich dessen der Verteidiger in der Hauptverhandlung am 23. Februar 2017 lediglich erklärt hatte „den Beweisantrag wie schriftlich gestellt zu wiederholen“ (ON 14 S 6), mangelt es daher an einer aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO relevanten Antragstellung.

Die aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO vorgetragene Kritik, das Protokoll lasse nicht erkennen, welche Beweismittel in der Hauptverhandlung vorgekommen seien, scheitert am Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung nach § 285a Z 2 StPO. Aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO könnte nur gerügt werden, ein bestimmtes Beweismittel sei in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 462).

Der Einwand der Mängelrüge (Z 5), die Tatrichter hätten in der Beweiswürdigung bloß pauschal auf den „gesamten Akteninhalt“ verwiesen, orientiert sich nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (vgl US 5 ff) und verfehlt solcherart die prozessordnungsgemäße Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0119370).

Die von der Beschwerde vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellung des Bedeutungsinhalts der Äußerungen des Angeklagten, wonach dieser das Opfer mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben bedrohte, indem der Angeklagte in Aussicht stellte, dass er es im Fall der Weigerung, Geld herauszugeben, allenfalls durch eine Schussabgabe, am Körper verletzen würde, findet sich auf US 6.

Die Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen (US 6) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden. Dass aus den Beweismitteln auch andere Schlüsse gezogen werden könnten, stellt keinen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO dar (RIS‑Justiz RS0099455).

Der Sache nach wendet sich der Beschwerdeführer bloß mit eigenen Erwägungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810). Diesen Anforderungen wird die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die entgegen der Urteilsfeststellungen (US 4) von einer „Volltrunkenheit zur Tatzeit“ sowie einer „Lokal/Nachtlokal bedingte(n) launische(n)“ Äußerung (siehe aber US 3) ausgeht, nicht gerecht.

Soweit die Beschwerde (Z 9 lit a) in Ansehung der Feststellungen zum Bereicherungsvorsatz einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia behauptet, legt sie nicht dar, warum es den auf US 3 f getroffenen Konstatierungen am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090).

Im Übrigen beschränkt sich der Nichtigkeitswerber auch insoweit darauf, die tatrichterliche Beweiswürdigung anzugreifen, indem er sich mit eigenen Erwägungen gegen die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung sowie zum Bereicherungsvorsatz wendet.

Die Diversionsrüge (Z 10a) legt nicht dar, weshalb diese Form der Verfahrensbeendigung bei dem hier in Rede stehenden Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, das mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht ist, zulässig sein soll (§ 198 Abs 2 Z 1 StPO).

Mit dem weiteren Vorbringen, es wären „ausreichend Tatsachen vorhanden …, hier nicht von einem Raub“, sondern „allenfalls von einer Drohung“ auszugehen, erschöpft sie sich in der Bestreitung der tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellungen und verlässt solcherart den Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes.

Ein Urteil ist nämlich nur dann nichtig aus Z 10a des § 281 Abs 1 StPO, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hinweisen, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gebe, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat (RIS‑Justiz RS0119091, RS0117211, RS0116823; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 659).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO ebenso wie die im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung gegen den Strafausspruch kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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