OGH 9ObA55/17d

OGH9ObA55/17d28.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** R*****, vertreten durch Forcher-Mayr & Kantner Rechtsanwältepartnerschaft in Innsbruck, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Marschitz-Petzer-Bodner-Telser, Rechtsanwälte in Kufstein, wegen Feststellung des aufrechten Bestands eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. März 2017, GZ 13 Ra 55/16k‑24, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00055.17D.0628.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Ob eine Kündigung sittenwidrig ist, richtet sich nach ihrem Beweggrund. Ob dieser sittenwidrig ist, ist nach den zu § 879 ABGB herausgebildeten Grundsätzen zu beurteilen. Eine sittenwidrige Kündigung kann nur dann angenommen werden, wenn der Dienstgeber von seinem Kündigungsrecht aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven Gebrauch gemacht hätte (RIS‑Justiz RS0016680). Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls, die nicht aufzugreifen ist, wenn das Berufungsgericht bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten hat (9 ObA 83/14t). Dies ist hier nach den maßgeblichen Feststellungen (vgl RIS‑Justiz RS0042881 [T6]) nicht der Fall.

Kündigungsgrund nach § 94 Abs 2 lit b Tiroler G‑VBG war die von der Beklagten zum Kündigungszeitpunkt angenommene Dienstunfähigkeit der Klägerin wegen überlanger Krankenstände. Dass die von der Beklagten im zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung (vgl 8 ObA 53/11v; 9 ObA 119/12h) erstellte negative Zukunftsprognose über die Dienstfähigkeit der Klägerin wider besseres Wissens der Beklagten erfolgte, steht nicht fest. Eine allenfalls von der Beklagten – ex post betrachtet – unrichtig erstellte Zukunftsprognose führt nicht schon per se zur Sittenwidrigkeit der Kündigung.

Auch wurde nicht festgestellt, dass die Klägerin lediglich Nachtdienste auf der Intensivstation nicht durchführen konnte. Vielmehr war die bei der Beklagten mit einem Beschäftigungsausmaß von rund 12 Wochenstunden (zwei Nachtdienste in Folge, zweimal pro Monat, jeweils am Freitag und Samstag) teilzeitbeschäftigte Klägerin über einen Zeitraum von knapp mehr als einem Jahr nur in einem von 21 möglichen Fällen in der Lage, ihre Dienstpflichten zu erfüllen, 20‑mal war sie daran jedoch durch Krankheit gehindert. Dass dem Berufungsgericht bei Bejahung der Frage der Dienstunfähigkeit der Klägerin im vorliegenden Einzelfall (RIS‑Justiz RS0081880 [T9]) unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Kündigungsgrund der Dienstunfähigkeit (9 ObA 133/13v; 8 ObA 21/14t; RIS‑Justiz RS0081880 [T6, T12]) eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, behauptet die Revision in ihrer Zulassungsbegründung ohnehin nicht.

Schließlich ist die Kündigung selbst dann nicht sittenwidrig, wenn die Klägerin wegen von ihr behaupteter, von der Beklagten aber nicht bezahlter Entgeltansprüche ihre Arbeitsleistung zurückhalten hätte dürfen. Beweggrund der Kündigung durch die Beklagte war, wie bereits oben erwähnt, die Dienstunfähigkeit der Klägerin.

Die Entscheidung des EuGH C‑335, 337/11, Ring und Werge , ist nicht einschlägig. Nach dieser Entscheidung wird eine Person, die von ihrem Arbeitgeber ausschließlich wegen Krankheit gekündigt worden ist, nicht von dem durch die RL 2000/78/EG zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen einer Behinderung geschaffenen allgemeinen Rahmen erfasst. Krankheit als solche kann nämlich nicht als ein weiterer Grund neben den Gründen angesehen werden, derentwegen Personen zu diskriminieren verboten ist ( Ring und Werge , Rn 42, 73). Die Richtlinie RL 2000/78/EG hat nicht zum Ziel, dienstunfähige Dienstnehmer in Dienstverhältnissen zu halten; sie verlangt nicht die Weiterbeschäftigung von Personen, die zur Erfüllung der wesentlichen Funktionen ihres Arbeitsplatzes nicht mehr fähig sind (9 ObA 165/13z).

Soweit die Klägerin ausführt, dass die Kündigung rechtsunwirksam sei, weil sie nicht von ihrer Dienstgeberin ausgesprochen worden sei, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt. Festgestellt wurde, dass die Kündigung mit Schreiben der Beklagten erfolgte (vgl RIS‑Justiz RS0043312).

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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