OGH 2Ob112/17k

OGH2Ob112/17k20.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr.

 Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach H***** S*****, geboren am *****, verstorben am 12. April 2016, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin Dr. R***** C*****, vertreten durch Dr. Emilio Stock, Mag. Gerhard Endstrasser, Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 27. April 2017, GZ 78 R 12/17p‑81, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00112.17K.0620.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Der Erblasser starb am 12. 4. 2016. Die Antragsgegnerin, die Witwe nach dem Erblasser, ist alleinige Testamentserbin. Der Erblasser hinterließ auch eine Tochter, die Antragstellerin.

Diese beantragte am 22. 8. 2016 die Nachlassseparation gemäß § 812 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87). Sie begründete ihren Antrag damit, es sei aufgrund einer auf einer der Antragsgegnerin gehörenden inländischen Eigentumswohnung eingetragenen Höchstbetragshypothek (238.000 EUR; Pfandurkunde vom 22. 5. 2014) davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin zumindest Schulden in dieser Höhe habe. Lokale Bauträger hätten eine in den Nachlass gehörige inländische Liegenschaft besichtigt. Die Antragstellerin befürchte daher, dass nach erfolgter Einantwortung Gläubiger der Antragsgegnerin auf das Nachlassvermögen greifen könnten und in der Folge die Pflichtteilsansprüche der Antragstellerin nicht mehr befriedigt werden. Sie befürchte weiter, dass die Antragsgegnerin die nachlassgegenständliche Liegenschaft veräußern und mit dem Erlös zurück in ihr Heimatland Russland zurückkehren werde. Auch in diesem Falle wären die Pflichtteilsansprüche der Antragstellerin wohl auf Dauer uneinbringlich.

Der Erstrichter trug der Antragsgegnerin auf, sich bis 7. 9. 2016 schriftlich zum Antrag zu äußern oder hilfsweise bei Gericht am 8. 9. 2016 mündlich Stellung zu nehmen.

Am 6. 9. 2016 langte elektronisch beim Erstgericht die schriftliche Stellungnahme der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin ein. Darin brachte sie im Wesentlichen vor, der hinter der Höchstbetragshypothek stehende Kredit sei vollständig getilgt worden. Sie habe keinerlei Schulden. Besichtigungen der nachlass-gegenständlichen Liegenschaft durch Bauträger hätten nicht stattgefunden. Sie lebe seit mehr als 20 Jahren in Österreich, sei österreichische Staatsbürgerin und habe keine Absicht, nach Russland zurückzukehren, was auch dadurch dokumentiert werde, dass sie erst 2014 die inländische Eigentumswohnung gekauft habe. Aus dem Erbe nach ihrer 2012 in Russland verstorbenen Mutter habe die Antragsgegnerin den Kredit zurückzahlen können. Dem Schriftsatz waren ua zwei Schreiben der Kreditgeberin (vom 5. 9. 2016 und vom 6. 9. 2016) in Fotokopie angeschlossen, aus denen sich ergibt, dass das Kreditkonto der Antragsgegnerin per 30. 6. 2016 getilgt wurde, das Konto gelöscht worden sei und die erwähnte Höchstbetragshypothek gelöscht werden könne.

Auf dem Schriftsatz war die Zustellung gemäß § 112 ZPO an den Antragstellervertreter vermerkt.

Ungeachtet ihrer schriftlichen Stellungnahme erschien die Antragsgegnerin am 8. 9. 2016 beim Erstgericht, bestätigte ihre schriftlichen Angaben und wies das Darlehen betreffende Kontoauszüge vor, die die schriftlichen Angaben bestätigten. Sie belegte außerdem, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter die ihr zugefallenen Gegenstände (im Wesentlichen Einrichtungen) von Moskau nach K***** in Tirol gesandt hat.

Dies hielt der Erstrichter in einem Aktenvermerk fest.

Die Kontoauszüge wurden offenbar nicht zum Akt genommen, sondern der Antragsgegnerin zurückgegeben.

Mit Beschluss vom 9. 9. 2016 wies das Erstgericht den Separationsantrag ab. Die Antragsgegnerin sei schuldenfrei und habe im Inland Liegenschaftsvermögen. Sie habe nach dem Tod ihrer Mutter in Russland 2012 die ihr zugefallenen Gegenstände (im Wesentlichen Einrichtungen) von Moskau nach K***** (an die inländische Adresse des Verstorbenen) gesandt. Sie habe aufgrund der langen und intensiven Beziehungen zum Verstorbenen in Österreich hier ihre Heimat und keine Absicht, Österreich zu verlassen.

Im Rekurs gegen diesen Beschluss rügte die Antragstellerin unter anderem die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Erstgericht, weil das Erstgericht in seinem Beschluss Verfahrensergebnisse (mündliche Vorsprache der Antragsgegnerin vor Gericht am 8. 9. 2016) verwertet habe, die der Antragstellerin nicht zur Kenntnis gebracht worden seien. Bei ordnungsgemäßer Erörterung des Vorbringens der Antragsgegnerin hätte sie jedenfalls im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Gelegenheit gehabt aufzuzeigen, dass sie begründete Besorgnis habe, dass die Witwe plane, die nachlassgegenständliche Liegenschaft zu verkaufen. Durch mehrere Wochen hindurch hätten sich Immobilienmakler und Kaufinteressenten bei dem Haus ein Stelldichein gegeben. Ebenso hätte sie aufzeigen können, dass sie aufgrund der Umstände annehmen müsse, dass Geldmittel oder Vermögenswerte aus dem Nachlass zur Rückzahlung verwendet worden seien. Wie aus dem Verlassenschaftsakt hervorgehe, habe die Antragsgegnerin nach dem Tod des Verstorbenen drei Goldbarren aus dem Safe entnommen und behauptet, diese würden ihr gehören. Trotz eines klarstellenden Schreibens seitens des Gerichtskommissärs, dass diese zu inventarisieren seien, habe die Antragsgegnerin nicht darauf reagiert. Weiters habe die Antragsgegnerin trotz Aufforderung seitens des Gerichtskommissärs das Sparbuch des Verstorbenen nicht vorgelegt.

Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluss und ließ den Revisionsrekurs nicht zu. Es verneinte den relevierten Gehörverstoß: Laut dem Aktenvermerk seien die schriftlichen, der Antragstellerin bekannten Angaben am 8. 9. 2016 lediglich wiederholt worden. Die Antragsgegnerin habe Kontoauszüge vorgelegt, die bestätigt hätten, dass das Darlehen getilgt sei. Diese Informationen seien aber nicht neu gewesen, da die Tilgung und Möglichkeit, das Pfand zu löschen, bereits in den Unterlagen zur schriftlichen Stellungnahme bestätigt worden seien. Neu sei in der mündlichen Stellungnahme lediglich gewesen, dass die Antragsgegnerin belegt habe, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter die ihr zugefallenen Gegenstände von Moskau nach K***** gesandt habe. Dabei handle es sich aber um keinen wesentlichen Umstand. Im Rekurs werde auch gar nicht dargelegt, dass die Angaben der Antragsgegnerin zur Tilgung ihrer Kreditverbindlichkeit, ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft und zum Umstand, dass sie nicht daran denke, nach Russland zurückzukehren, unrichtig seien, und dass die Rekurswerberin dies bei entsprechender Zurverfügungstellung der mündlichen Stellungnahme hätte darlegen können. Auch im Rahmen des Rekurses wäre ihr eine derartige Stellungnahme noch möglich gewesen, was die Rekurswerberin aber unterlassen habe. Sie führe nur aus, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung hätte sie aufzeigen können, sie habe begründete Besorgnis, dass die Witwe plane, die Liegenschaft zu verkaufen. Ebenso hätte sie aufzeigen können, dass sie aufgrund der Umstände annehmen müsse, dass Geldmittel oder Vermögenswerte aus dem Nachlass zur Rückzahlung verwendet worden seien. Die in der mündlichen Vorsprache thematisierten Umstände hätten mit diesen Argumenten aber nichts zu tun gehabt. Das Vorbringen, die Antragsgegnerin habe drei Goldbarren aus dem Safe des Verstorbenen entnommen und ein Sparbuch nicht vorgelegt, verstoße gegen das Neuerungsverbot gemäß § 49 AußStrG, zumal auch nicht iSd Abs 2 der genannten Bestimmung dargelegt worden sei, warum diese Behauptung nicht bereits im Separationsantrag aufgestellt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Aus der im Revisionsrekurs aufgezeigten Judikaturdivergenz im Hinblick auf die Frage, ob für die subjektive Besorgnis iSd § 812 ABGB (aF) die abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung ausreicht, ergibt sich keine erhebliche Rechtsfrage. Richtig ist zwar, dass nach dem Rechtssatz RIS‑Justiz RS0013069 für die subjektive Besorgnis die abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung genügte. Die Entscheidungen 1 Ob 1/13y und 10 Ob 35/13i wurden diesem Rechtssatz aber bereits mit der Verknüpfung „Gegenteilig“ gleichgestellt und auf den Rechtssatz RIS‑Justiz RS0013072 hingewiesen, wonach die abstrakte Möglichkeit, die Testamentserben könnten Verfügungen über den Nachlass treffen, in jedem Fall gegeben ist und daher für sich allein noch nicht die Absonderung der Verlassenschaft von dem Vermögen der Erben rechtfertigen kann. In den beiden genannten Entscheidungen wird festgehalten, dass die früher teilweise vertretene gegenteilige Auffassung (RIS‑Justiz RS0013069) in jüngerer Zeit nicht aufrechterhalten wurde. Wenn sich aber seit etlichen Jahren eine von der früheren Rechtsprechung abweichende neue Rechtsprechung gefestigt hat, liegt eine neue einheitliche Rechtsprechung vor. Von einer uneinheitlichen Rechtsprechung kann dann nicht mehr gesprochen werden (RIS‑Justiz RS0042668 [T4]; RS0123569).

2. Ob im jeweils zu beurteilenden Fall konkrete Umstände vorliegen, die eine subjektive Besorgnis für die Einbringlichmachung der Forderung (hier der Forderung der Antragstellerin auf den Pflichtteil) begründen können, richtet sich nach den konkret behaupteten Umständen. Ihrer Beurteilung kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0013068 [T17]). Der Oberste Gerichtshof hat daher nur eine die Kriterien nach § 62 Abs 1 AußStrG erfüllende und damit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzugreifen. Eine solche liegt hier nicht vor.

2.1. Gehörverstoß

Im Revisionsrekurs rügt die Rechtsmittelwerberin neuerlich einen (vom Rekursgericht verneinten) Gehörverstoß: Die Rechtsmittelwerberin habe sich zu den Kontoauszügen nicht äußern können. Die Kontoauszüge seien für die Frage des Vorliegens einer subjektiven Besorgnis iSd § 812 ABGB von Bedeutung, weil sie einen zeitlichen Konnex zwischen der Tilgung der Darlehensvaluta mit dem Erbfall und der Verwendung von Nachlassvermögen durch die Antragsgegnerin plausibel machen könnten. Die Antragstellerin habe auch nicht überprüfen können, ob es sich dabei etwa um Zahlungen vom Konto des Verstorbenen gehandelt habe, die potenziell zu einer Schmälerung der Verlassenschaft geführt haben könnten und welche Vorgänge auf den Kontoauszügen abgebildet waren.

Richtig ist zwar, dass die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Mängel (somit gemäß dem verwiesenen § 58 [Abs 1 Z 1] AußStrG auch Gehörverstöße) auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden können, wenn sie vom Rekursgericht verneint worden sind (RIS‑Justiz RS0121265).

Das Vorbringen im Revisionsrekurs verstößt aber gegen das Neuerungsverbot gemäß § 66 Abs 2 AußStrG. Danach können neue Tatsachen und Beweismittel nur zur Unterstützung oder Bekämpfung der Revisionsrekursgründe vorgebracht werden. Solche Neuerungen sind denknotwendig solche, die bei Beschlussfassung bereits vorhanden waren, aber nicht früher geltend gemacht werden konnten (Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 66 Rz 37). Das Vorbringen, die Antragstellerin hätte sich zu den Kontoauszügen nicht äußern können, hätte sie bereits im Rekurs erstatten können und müssen; ebenso was sie daraus vermeintlich schließen hätte können.

2.2. Dass die Öffentlichkeit gesetzwidrig ausgeschlossen worden wäre (§ 57 Z 2 AußStrG), hat die Antragstellerin bereits im Rekurs gerügt. Das Rekursgericht hat diesen Verfahrensmangel verneint. Im Revisionsrekursverfahren kann dieser Aspekt nicht mehr geltend gemacht werden, weil er keinen Revisionsrekursgrund bildet: Es liegt kein Fall nach § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG vor, weil diese Bestimmung nicht auf § 57 Z 2 AußStrG verweist. Es liegt auch kein Fall nach § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG vor, weil dort nur Mängel des Rekursverfahrens genannt sind, die Rechtsmittelwerberin jedoch den Ausschluss der Öffentlichkeit im erstinstanzlichen Verfahren rügt. Überdies kann nach ständiger Rechtsprechung ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des

außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS‑Justiz RS0050037).

2.3. Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens

Die Rechtsmittelwerberin meint, ihr Rekursvorbringen von den von der Antragsgegnerin zurückbehaltenen Goldbarren und dem Sparbuch des Verstorbenen sei eine zulässige Neuerung, das Rekursgericht hätte kraft des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 16 AußStrG diesen Umständen nachgehen müssen.

Die Beurteilung des Rekursgerichts, dies seien unzulässige Neuerungen gewesen (§ 49 Abs 2 AußStrG), ist zutreffend.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber das Verfahren zur Bewilligung der Nachlassseparation (§ 812 ABGB, hier idF vor dem ErbRÄG 2015) als reines Antragsverfahren ausgestaltet und es somit dem Dispositionsgrundsatz unterworfen (2 Ob 144/15p mwN).

2.4. Die Revisionsrekurswerberin rügt eine Aktenwidrigkeit der erstgerichtlichen Entscheidung. Auch dies bildet keinen Revisionsrekursgrund, da gemäß § 66 Abs 1 Z 3 AußStrG nur Aktenwidrigkeiten des Beschlusses des Rekursgerichts erfasst.

2.5. Die Rechtsrüge geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn es heißt, Gläubiger könnten nach der Einantwortung auf den Nachlass greifen. Es steht fest, dass die Antragsgegnerin schuldenfrei ist. Auch die Gefahr der Verbringung von Vermögen ins Ausland besteht nach den Feststellungen nicht. Das noch näher spezifizierte Vorbringen vom feindseligen Verhältnis zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin ist eine im Revisionsrekursverfahren unzulässige Neuerung (§ 66 Abs 2 AußStrG).

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