OGH 20Ds1/17b

OGH20Ds1/17b30.5.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 30. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Haslinger als Anwaltsrichter in Gegenwart des Richters Dr. Mann‑Kommenda, MSc, als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwältin in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Berufungen der Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 5. September 2016, AZ D 31/15 (DV 27/15), TZ 24, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur Generalanwältin MMag. Jenichl, des Kammeranwalt-Stellvertreters Mag. Kammler, der Disziplinarbeschuldigten und deren Verteidigers Mag. Hengstschläger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0200DS00001.17B.0530.000

 

Spruch:

 

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Der Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Disziplinarbeschuldigte Rechtsanwältin ***** des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung (nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt) schuldig erkannt und gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 1.500 Euro und gemäß § 38 Abs 2 DSt zum gänzlichen Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt,

weil sie – nachdem sie zuvor als Vertragsverfasserin des Kaufvertrags über eine Liegenschaft sowohl die W***** GmbH (nunmehr C***** GmbH) als Käuferin als auch die Bauunternehmen E***** GmbH als Verkäuferin vertreten und die „Treuhandschaft für die treuhändige Abwicklung des Leistungsaustausches im Kaufvertrag vom 8. Februar 2012“ übernommen hatte – die Käuferin C***** GmbH im Rahmen der („insbesondere mit Schreiben vom 24. Jänner 2013“ erfolgten) Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen aus dem Kaufvertrag gegen die Verkäuferin Bauunternehmen E***** GmbH vertreten, „sohin in der nämlichen Rechtssache vorerst beide Vertragsparteien und in weiterer Folge eine Vertragspartei gegen die andere Vertragspartei […] vertreten“ (und solcherart „gegen § 10 RAO, § 1 DSt und gefestigte Standesauffassungen verstoßen“) hat.

Nach den wesentlichen Feststellungen hatte die Disziplinarbeschuldigte über Auftrag der W***** GmbH (später: C***** GmbH) „zwischen dieser Gesellschaft als Käuferin und der Bauunternehmen E***** GmbH als Verkäuferin“ den am (richtig:) 8. Februar 2012 abgeschlossenen Kaufvertrag betreffend eine Liegenschaft errichtet, welcher in seinem mit „Kaufpreiszahlung und Treuhandabwicklung“ übertitelten Punkt III. vorsah, dass der Leistungsaustausch über die Disziplinarbeschuldigte abgewickelt wird. Nach Einverleibung des Eigentumsrechts der Käuferin sowie Kaufpreiszahlung an die Verkäuferin machte die Disziplinarbeschuldigte mit Schreiben vom 24. Jänner 2013 im Namen der C***** GmbH Gewährleistungsansprüche gegen die Verkäuferin Bauunternehmen E***** GmbH geltend (ES 6).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richten sich die Berufungen des Kammeranwalts wegen Strafe (TZ 25) mit dem Antrag, über die Disziplinarbeschuldigte eine schuld- und tatangemessene (höhere) Strafe zu verhängen, und der Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen s RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und – implizit (vgl § 49 letzter Satz DSt) – auch wegen Strafe (TZ 28).

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen liegt – der Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) zuwider – sehr wohl eine unzulässige Doppelvertretung vor:

Aus der Treuepflicht zum eigenen Mandanten (§ 9 Abs 1 RAO, [hier noch:] § 10 RL‑BA 1977) resultiert für den Anwalt ua das Verbot der Doppelvertretung, wobei zwischen der echten (materiellen) und der unechten (formellen) Doppelvertretung zu unterscheiden ist. Erstere liegt nach § 10 Abs 1 RAO ua dann vor, wenn ein Anwalt gegen die Verbote verstößt, eine Vertretung zu übernehmen oder auch nur einen Rat zu erteilen, sofern er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat (RIS‑Justiz RS0054995). Schon allein die bloße Gefahr einer Interessenskollision, insbesondere aber eines Vertrauensbruchs, begründet das Vorliegen von „zusammenhängenden Sachen“ im Sinne des § 10 Abs 1 RAO, der Begriff ist also dem Regelungszweck entsprechend weit auszulegen (RIS‑Justiz RS0055534 [T2 und T3], RS0117715).

Entgegen dem Vorbringen der Rechtsrüge, wonach der (im Kaufvertrag enthaltene) „Treuhandvertrag“ losgelöst vom dahinter stehenden Kaufvertrag zu betrachten sei und die Berufungswerberin daher nur hinsichtlich der Treuhandvereinbarung – jedoch nicht hinsichtlich des Kaufvertrags – beide Vertragsparteien vertreten habe, hat ein Rechtsanwalt dann, wenn ein Vertrag unter seiner alleinigen Intervention abgeschlossen und formuliert wird, beide Vertragsteile unparteiisch mit gleicher Sorgfalt und Treue zu behandeln und vor Interessengefährdungen zu bewahren. Er darf dann auch in der Folge anlässlich eines Streits aus einem solchen Vertrag nicht die eine Partei gegen die andere vertreten, weil die (vorangegangene) Vertragserrichtung (mag sie – wie hier – auch bloß „über Auftrag“ der W***** GmbH erfolgt sein) stets die Interessen beider Vertragspartner berührt (RIS‑Justiz RS0054994 [T1, T3, T4, T7, T8 und T10]; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 10 RAO Rz 16; zu Treuhandschaften vgl Rohregger in Engelhart et al RAO9 § 10 Rz 24 und Feil/Wennig Anwaltsrecht8 § 10 RAO Rz 12). Ein Schadenseintritt ist im Übrigen nicht erforderlich, um ein gegen diese Pflichten verstoßendes Handeln disziplinär strafbar zu machen.

Aus dieser Sicht erfolgten die festgestellten Vertretungshandlungen der Disziplinarbeschuldigten für die Bauunternehmen E***** GmbH im Rahmen der Durchführung des unter ihrer alleinigen Intervention errichteten Kaufvertrags einerseits und jene für die C***** GmbH gegen die Bauunternehmen E***** GmbH (Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen mit Schreiben vom 24. Jänner 2013) in einer „zusammenhängenden Sache“, in der die Disziplinar-beschuldigte Vertretungshandlungen zum einen für, zum anderen gegen die Bauunternehmen E***** GmbH setzte, wodurch sie gegen das Verbot der materiellen Doppelvertretung verstieß und schuldhaft (vgl ES 9) die Pflichten ihres Berufs verletzte (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt).

Mit Blick auf das Vorbringen der Rechtsrüge zu § 13 RL‑BA 1977 bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass – von der Disziplinarbeschuldigten im Übrigen zugestanden – den Erkenntnisannahmen weder zu entnehmen ist, dass die Bauunternehmen E***** GmbH ihrerseits von einem berufsmäßigen Parteienvertreter beraten war, noch dass die (von Käuferseite beauftragte) Disziplinarbeschuldigte der eben genannten Verkäuferin sogleich ausdrücklich (welcher Warnhinweis in Punkt VIII des Kaufvertrags gerade nicht enthalten ist) erklärte, nur ihre Partei zu vertreten (§ 13 RL‑BA 1977; jetzt § 11 RL‑BA 2015). Ebensowenig hatten die beiden Parteien den Vertrag „augenscheinlich“ bereits mündlich errichtet, sodass die Berufungswerberin – wie in der Berufungsverhandlung von ihr betont – diesen bloß in eine entsprechende juristische Form zu bringen hatte (vgl 22 Os 8/14p mwN). Im Übrigen verfehlt die Rüge insoweit die prozessordnungsgemäße Darstellung eines Feststellungsmangels, sie bleibt nämlich jegliche Darlegung schuldig, welche Konstatierung(en) ihrer Ansicht nach aus welchen – konkret anzuführenden (und in der mündlichen Verhandlung vorgekommenen [§ 37 DSt]) – Verfahrensergebnissen abzuleiten gewesen wären (vgl RIS‑Justiz RS0118580; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 600 f).

Der – im Schlussantrag enthaltenen – Behauptung (dSn § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) mangelnder Strafwürdigkeit der Tat (§ 3 DSt) zuwider ist das Verschulden der Disziplinarbeschuldigten in concreto nicht bloß als geringfügig im Sinn von erheblich hinter den typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibend (RIS‑Justiz RS0056585, RS0089974; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 3 DSt S 883) anzusehen (vgl RIS‑Justiz RS0054998 [T1]), sodass die begehrte Privilegierung des – grundsätzlich ein schweres Disziplinardelikt darstellenden (RIS‑Justiz RS0054993) – Verstoßes gegen das Doppelvertretungsverbot nicht in Frage kommt.

Der Berufung der Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über Schuld war – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte – nicht Folge zu geben. Gleiches trifft auf ihre argumentationslos eine Herabsetzung der verhängten Geldbuße begehrenden Berufung wegen Strafe zu.

Bei der Strafbemessung hat der Disziplinarrat das Vorliegen von Erschwerungsgründen verneint (ES 9 am Ende) und angenommen, dass der Disziplinarbeschuldigten die Milderungsgründe des § 34 Abs 1 Z 2, 13, 17 und 18 zugute kommen. Zum vorletzten der angenommenen Milderungsgründe ist dem Kammeranwalt beizupflichten, dass die Disziplinarbeschuldigte weder ein reumütiges Geständnis ablegte noch durch ihre Aussage irgend einen Beitrag zur Wahrheitsfindung machte und auch nicht machen konnte, weil der festgestellte und disziplinarrechtlich zu beurteilende Sachverhalt vom Anfang des Verfahrens an durch Urkunden unterlegt feststand.

Im Hinblick auf die bloß fahrlässige Tatbegehung erweist sich insgesamt die vom Disziplinarrat gefundene Sanktion als nicht erhöhungsbedürftig und war daher der Berufung des Kammeranwalts der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

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