OGH 22Os8/14p

OGH22Os8/14p11.11.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Mascher und Dr. Waizer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. Erwin W*****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 18. März 2014, AZ D 12‑57, 1 DV 13‑07, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Kammeranwalts Dr. Schmidinger sowie des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt Dr. Erwin W***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er einerseits im Auftrag des Josef B***** und des Peter S***** einen Übergabevertrag vom 25. Oktober 2010 verfasst und grundbücherlich durchgeführt hatte und in weiterer Folge im Verfahren AZ 11 Cg 46/12f des Landesgerichts Innsbruck wegen Aufhebung des genannten Übergabevertrags als Rechtsvertreter des Josef B***** gegen Peter S***** auftrat.

Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 5.000 Euro verurteilt.

Der Disziplinarrat stellte im Wesentlichen fest:

Der Disziplinarbeschuldigte errichtete einen Übergabevertrag zwischen Josef B***** und Peter S*****, welcher von den Vertragsparteien am 25. Oktober 2010 unterfertigt und vom Disziplinarbeschuldigten grundbücherlich durchgeführt wurde. Die Kosten für den Übergabevertrag wurden zur Gänze von Josef B***** getragen. Punkt VI des Vertrags enthält unter anderem folgende Regelung: „Sämtliche Vertragsparteien bevollmächtigen Rechtsanwalt Dr. Erwin W*****, unwiderruflich mit der Errichtung und grundbücherlichen Durchführung dieses Vertrages sowie der Einholung sämtlicher erforderlicher Genehmigungen.

Der Vertrag enthält neben einer detailierten Beschreibung des Grundbuchsstands zum Zeitpunkt der Vertragsunterfertigung sowie der Übergabe‑ und Übernahmeerklärung der Vertragspartner unter anderem auch Regelungen betreffend die grundbücherliche Sicherstellung von Wohnungsgebrauchsrechten und deren Bewertung zu Gebührenzwecken, Erklärungen über die Schad‑ und Klagloshaltung sowie umfassende Aufsandungserklärungen.

Für den Übergabevertrag fand zumindest eine Besprechung in der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten statt, an welcher neben diesem und den Vertragsparteien auch die Ehefrau des Übernehmers Peter S***** teilnahm, der anlässlich des Abschlusses des Vertrags nicht anwaltlich vertreten war.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der Disziplinarbeschuldigte vor Beginn der Vertragsverhandlungen zwischen den Vertragsparteien gegenüber dem Übernehmer ausdrücklich erklärt hätte, nur den Übergeber Josef B***** zu vertreten. Peter S***** war bewusst, dass es sich beim Disziplinarbeschuldigten um den Anwalt Josef B*****s handelte, er ging aber davon aus, dass dieser bei der Vertragserrichtung zumindest sein (Peter S*****s) grundsätzliches Interesse an einer rechtlich dauerhaften Lösung im Sinn einer „wasserdichten“ Vereinbarung wahren werde und damit die Beiziehung eines eigenen rechtlichen Vertreters nicht notwendig wäre.

Zu AZ 11 Cg 46/12f des Landesgerichts Innsbruck vertrat der Disziplinarbeschuldigte den Kläger Josef B***** gegen den Beklagten Peter S***** und begehrte unter anderem die Aufhebung des Übergabevertrags. Mit (nicht rechtskräftigem) Urteil vom 8. Jänner 2014 wurde der Klage stattgegeben. Nach den Feststellungen im genannten Urteil hatte Peter S***** dem Josef B***** zugesichert, über die vertragsgegenständliche Liegenschaft ohne dessen Einverständnis nicht zu verfügen. Auf die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in den Übergabevertrag wurde verzichtet, weil Josef B***** Peter S***** vertraute und ohnehin zugunsten von Johannes S***** (dem Sohn des Peter S*****) ein Belastungs‑ und Veräußerungsverbot vorgesehen war. Dennoch habe Peter S***** über die Liegenschaft am 27. Mai 2011 insofern verfügt, als er Robert B***** mit Übergabevertrag auf den Todesfall die Weitergabe an ihn zusicherte, weshalb das Landesgericht Innsbruck den Übergabevertrag vom 25. Oktober 2010 wegen Arglist aufhob.

Der Disziplinarbeschuldigte vertritt den Übergeber Josef B***** nach wie vor im anhängigen (Rechtsmittel‑)Verfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft dieses Erkenntnis mit einer Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 4 und 9 lit a StPO; RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) sowie der Aussprüche über die Schuld und die Strafe, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Der mit der Rüge, das Mitglied des Disziplinarrats Rechtsanwalt Dr. Ba***** habe an der Disziplinarverhandlung vom 18. März 2014, nicht aber an jener vom 25. Februar dieses Jahres teilgenommen und daher keine Möglichkeit gehabt, sich „ein direktes Bild vom (am 25. Februar 2014 vernommenen) Disziplinarbeschuldigten, insbesondere über dessen Glaubwürdigkeit“ zu machen, angesprochene Vorgang, dass in der zufolge geänderter Senatszusammensetzung gemäß § 276a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt wiederholten Disziplinarverhandlung vom 18. März 2014 (ON 25 S 1) der Disziplinarbeschuldigte nicht vernommen, sondern die Niederschrift über die mündliche Disziplinarverhandlung vom 25. Februar 2014 dargetan wurde (ON 25 S 11), begründet keine Nichtigkeit.

Denn § 252 Abs 1 und Abs 4 StPO stellt auf die Verlesung von Protokollen über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen (sowie von Sachverständigengutachten) ab; das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Verlesung von Protokollen über frühere Aussagen des Angeklagten gemäß § 245 Abs 1 letzter Satz StPO ist hingegen nicht mit Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO) bedroht.

Ein auf die Sicherung vermeintlich beeinträchtigter Verteidigungsrechte abzielender Antrag des Disziplinarbeschuldigten, etwa auf Abstandnahme von der Verlesung (oder dem zusammenfassenden Vortrag) seiner Aussage in der Verhandlung vom 25. Februar 2014 und seine neuerliche Vernehmung, wurde nicht gestellt (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO).

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf (ergänzende) Vernehmung des Zeugen Josef B***** zum Beweis einer bereits vor Befassung des Disziplinarbeschuldigten in direkten Gesprächen erzielten „vollständigen Einigung über die (näher beschriebenen) wesentlichen Punkte des Übergabevertrags, sodass der Disziplinarbeschuldigte nur mehr die Einigung niedergeschrieben hat“ (ON 25 S 10 f), Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt.

Denn zum einen war eine Vorwegeinigung der Parteien über den Vertragsinhalt nach den Verfahrensergebnissen keineswegs indiziert. Nach der Aussage des Zeugen Josef B***** (ON 18 S 5) sei nämlich in der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten „der Vertrag an sich, also die Übergabe besprochen“ worden; nach den Depositionen des Disziplinarbeschuldigten (ON 18 S 2 f) habe die erste Besprechung in seiner Kanzlei „länger, ca eine Stunde gedauert“, wobei zunächst mit den Vertragsparteien nur die grundsätzliche Vorgangsweise besprochen worden sei und er in der Folge den Vertrag verfasst habe. Solcherart bedurfte es, um dem Beweisantrag den Charakter eines Erkundungsbeweises zu nehmen (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330), eines vorliegend aber unterbliebenen Vorbringens, weshalb das behauptete Beweisergebnis trotz der dargestellten Verfahrensergebnisse zu erwarten sei. Hat doch der Disziplinarrat zutreffend ausgeführt, dass die im Übergabevertrag vorgesehenen detaillierten Regelungen weit über das hinaus gehen, was nach allgemeiner Lebenserfahrung von rechtlich unkundigen Parteien ohne Beiziehung eines Rechtsberaters selbständig vereinbart werden kann.

Demgemäß betrifft der Beweisantrag ohnehin keine entscheidenden Tatsachen: Denn der mangels Vertragserrichtung (vgl § 13 RL‑BA) eine Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 RAO) nicht verwirklichende Ausnahmefall der bloßen Formgebung eines von den Parteien schon ausgehandelten Vertrags (vgl Feil/Wennig Anwaltsrecht8 § 10 RAO Rz 16) setzt das Vorliegen eines bereits perfekten Vertrags voraus (13 Bkd 3/93 = AnwBl 1994/4788, 703; 7 Bkd 8/99). Davon kann vorliegend keine Rede sein, weil (zumindest) die wesentlichen Regelungen des Übergabevertrags vom 25. Oktober 2010 betreffend die grundbücherliche Sicherstellung von Wohnungsgebrauchsrechten und deren Bewertung zu Gebührenzwecken (Punkt II), Erklärungen über die Schad‑ und Klagloshaltung (Punkt IV) sowie die umfassenden Aufsandungserklärungen (Punkt VIII) nach dem Beweisantrag nicht Gegenstand der erzielten vertraglichen Einigung waren (ES 7).

Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vermag mit einer eigenständigen Würdigung der ‑ vom Disziplinarrat mit logisch und empirisch einwandfreier Begründung erörterten (ES 4 f) ‑ gegenläufigen Aussagen der Zeugen Josef B*****, Peter S***** und Ida S***** sowie des Disziplinarbeschuldigten keine Bedenken gegen die Richtigkeit der ‑ entscheidenden (vgl etwa 16 Bkd 8/04 = AnwBl 2005/7986, 248) ‑ Sachverhaltsannahme des Diszi-plinarrats hervorzurufen, wonach eine ausdrückliche Erklärung des Disziplinarbeschuldigten vor Beginn der Vertragsverhandlungen zwischen den Vertragsparteien gegenüber dem Übernehmer Peter S*****, nur den Übergeber Josef B***** zu vertreten, nicht festgestellt werden konnte (ES 3). Nach § 13 RL‑BA ist der Rechtsanwalt selbst im Fall der Übernahme der Führung von Vertragsverhandlungen oder der Vertragsverfassung von nur einer Partei zu deren Vertretung in einem Rechtsstreit aus diesem Vertrag nur dann berechtigt, wenn er ‑ hier von Bedeutung ‑ sogleich ausdrücklich erklärt hatte, nur seine Partei zu vertreten. Da diese Voraussetzung nach den soeben angeführten Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats nicht vorlag, betraf die weitere in der Schuldberufung bekämpfte Feststellung, wonach der Disziplinarbeschuldigte nach dem Inhalt des Übergabevertrags von beiden Vertragsparteien unwiderruflich mit dessen Errichtung und grundbücherlichen Durchführung sowie der Einholung sämtlicher erforderlicher Genehmigungen bevollmächtigt wurde (ES 3 f), keine entscheidenden Tatsachen.

Dies gilt auch für die ‑ bloß semantische ‑ Frage, ob der Disziplinarbeschuldigte von den Parteien mit der Vertragserrichtung beauftragt wurde ‑ wie im Spruch des Erkenntnisses formuliert ‑ oder wie jedenfalls den Feststellungen klar zu entnehmen eine beidseitige Bevollmächtigung vorlag.

Angesichts der im Interesse beider Vertragsparteien durchzuführenden umfangreichen juristischen Handlungen vermag der Rekurs des Rechtsmittelwerbers auf das „Übersehen eines Textbausteins“ nicht zu überzeugen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt mit der Bestreitung der zuvor bezeichneten Sachverhaltsannahme des Disziplinarrats, wonach eine ausdrückliche und vor Beginn der Vertragsverhandlungen abgegebene Erklärung des Disziplinarbeschuldigten, nur Josef B***** zu vertreten, nicht festgestellt werden konnte, die zur gesetzmäßigen Ausführung materiell-rechtlicher Nichtigkeitsgründe gebotene Orientierung an den Sachverhaltsfeststellungen des Erkenntnisses (RIS‑Justiz RS0099748).

Im Übrigen gerügte Feststellungsmängel zu einer vermeintlich erzielten Vorwegeinigung über den Vertragsinhalt werden nicht aus Verfahrensergebnissen, sondern aus einer erst nach dem Erkenntnis des Disziplinarrats abgegebenen eidesstattlichen Erklärung Josef B*****s vom 6. Juni 2014 abgeleitet und betreffen im Übrigen aus den bereits zur Verfahrensrüge dargelegten Erwägungen ohnehin keine entscheidenden Tatsachen.

Schließlich ist auch das Vorbringen, wonach Gegenstand des zivilgerichtlichen Verfahrens vor dem Landesgericht Innsbruck nicht ein „Streit aus dem Übergabevertrag“, sondern die auf eine zwischen den Streitteilen vor dessen Unterfertigung getroffene Abrede gestützte Vertragsaufhebung war, nicht entscheidungswesentlich: Nach den Feststellungen des Disziplinarrats (ES 4) war Verfahrensgegenstand die Aufhebung des Übergabevertrags wegen Verletzung der außervertraglichen Zusicherung Peter S*****s gegenüber Josef B*****, über die vertragsgegenständliche Liegenschaft ohne dessen Einverständnis nicht zu verfügen. Das zivilgerichtliche Verfahren betraf somit den nämlichen Übergabevertrag und die von diesem umfasste Liegenschaft und damit eine bezogen auf den Vertragsgegenstand zusammenhängende Sache iSd § 10 Abs 1 erster Satz RAO (vgl zum Gegenstand „derselben Sache“ im Sinn dieser Bestimmung 13 Bkd 2/13 = AnwBl 2013/8364, 663; VfGH B 1001/213).

Was die implizierte (§ 49 letzter Satz DSt) Berufung gegen den Strafausspruch betrifft, sieht sich der Oberste Gerichtshof mit Blick auf die vom Disziplinarrat zutreffend als mildernd in Anschlag gebrachte lange Verfahrensdauer, der allerdings als erschwerend eine disziplinäre Vorverurteilung gegenübersteht, zu keiner Änderung der auch in Bezug auf die durchschnittliche finanzielle Situation eines Rechtsanwalts angemessenen, im unteren Bereich des Strafrahmens liegenden Sanktion bestimmt.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.

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