VfGH B1001/2013

VfGHB1001/201320.2.2014

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung der Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises über einen Rechtsanwalt wegen unzulässiger materieller Doppelvertretung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
RAO §10
RL-BA 1977 §12a
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
RAO §10
RL-BA 1977 §12a

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Graz. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 25. September 2012 wurde der Beschwerdeführer der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach §1 Abs1 erster und zweiter Fall Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl 474/1990 idF BGBl I 71/1999 (im Folgenden: DSt), schuldig erkannt, weil er im August 2011 klagsweise gegen Dr. B. d. P. wegen einer mög­lichen Verpflichtung aus einem Schenkungsvertrag vorgegangen war, obwohl er Dr. B. d. P. im April 2003 diesen Schenkungsvertrag betreffend beraten hätte, und dadurch gegen das Verbot der Doppelvertretung verstoßen habe. Über den Beschwerdeführer wurde die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.

Der Disziplinarrat der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer stellte im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer Dr. B. d. P. insofern rechtsfreundlich ver­treten habe, als er mit ihr den Rohentwurf eines von einem Notar errichteten Schenkungsvertrags zwischen Dr. B. d. P. und ihrer Mutter besprochen und über ihr Ersuchen darauf handschriftliche Anmerkungen gemacht habe, die nicht den Vertragspunkt "Kosten, Steuern und Gebühren" betroffen haben. Für die Beratung habe der Beschwerdeführer keine Kosten verrechnet. Der Vertrag sei in weiterer Folge ohne Zutun des Beschwerdeführers von den Vertragsparteien unterfertigt worden. Schließlich habe die Mutter der Dr. B. d. P. den Beschwerdeführer im Jahr 2010 beauftragt, jene Kosten, zu deren Zahlung sich Dr. B. d. P. vertraglich verpflichtet habe, von dieser einzufordern. In der Folge habe der Be­schwerdeführer im Auftrag der Mutter der Dr. B. d. P. eine Klage gegen Dr. B. d. P. auf Zahlung der Kosten eingebracht.

2. Der gegen den Bescheid des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer erhobenen Berufung wurde mit als Bescheid zu wertendem Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 24. Juni 2013 keine Folge gegeben. Begründend führte die OBDK aus, das vom Disziplinarrat festgestellte Verhalten verwirkliche keine formelle, sondern eine materielle Doppelvertretung gemäß §10 Abs1 erster Satz Rechtsan­waltsordnung (im Folgenden: RAO), bei der ein Rechtsanwalt eine Partei vertrete oder berate, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten oder beraten habe. "Dieselbe Sache" liege vor, weil Rechtsgrundlage der gegen Dr. B. d. P. eingebrachten Klage auf Zahlung von Kosten jener Schenkungsvertrag gewesen sei, der zuvor Gegenstand des Beratungsgesprächs mit Dr. B. d. P. gewesen sei. Aus diesem Grund sei der Diszipli­narrat zu Recht von einer materiellen Doppelvertretung nach §10 Abs1 erster Satz RAO und nicht von einer formellen Doppelvertretung nach §12a der Richt­linien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: RL-BA) ausgegangen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung iVm Art151 Abs51 Z9 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbs­ausübung geltend gemacht wird. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, dass die OBDK fälschlicherweise nicht die neue Bestimmung des §12a RL-BA, sondern die wesentlich strengere und daher für den Beschwerdeführer ungünstigere alte Rechtslage angewendet habe. Unter Berücksichtigung der Bestim­mung des §12a RL-BA sei der angefochtene Bescheid aber nicht haltbar: Es sei zu keinem Interessenkonflikt zwischen den beiden Parteien oder zur Realisierung eines Wissensvorsprunges zu Lasten einer der beiden Parteien gekommen, weil die Kosten nicht Gegenstand der Rechtsberatung gewesen seien und der Beschwerdeführer darüber somit kein "Insiderwissen" erwerben habe können, weil weiters keine Vertragsverhandlungen mit beiden Parteien stattgefunden haben, weil bei einer "08/15-Klausel" über die Kosten ein Interessenkonflikt auszuschließen gewesen sei und weil schließlich Dr. B. d. P. nicht das gültige Zustande­kommen der vertraglichen Verpflichtung, die Kosten zu bezahlen, bestritten habe, sondern behauptet habe, dass ihre Mutter ihr diese Kosten zu einem späteren Zeitpunkt erlassen habe.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer erstattete eine Äußerung, in der er erneut sein Vorbringen darlegt.

II. Rechtslage

1. §10 Abs1 RAO, RGBl. 96/1868 idF BGBl I 111/2007, lautet:

"§10. (1) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, und kann dieselbe ohne Angabe der Gründe ablehnen; allein er ist verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Ertheilung eines Rathes abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammen­hängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt thätig war. Ebenso darf er nicht beiden Theilen in dem nämlichen Rechtsstreite dienen oder Rath ertheilen."

2. Der von der Vertreterversammlung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages am 6. Mai 2011 beschlossene §12a RL-BA, kundgemacht im Anwalts­blatt 2011, 281, und auf der Homepage des Österreichischen Rechtsanwalts­kammertages (http://www.rechtsanwaelte.at ) am 10. Mai 2011, lautet:

"Wenn dies die Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Parteien in den jeweils anvertrauten Mandaten beeinträchtigt, darf der Rechtsanwalt – in Wahrung seiner Treuepflicht – ein neues Mandat dann nicht übernehmen und muss ein bestehendes Mandat gegenüber allen betroffenen Parteien unverzüglich niederlegen, insbesondere wenn und sobald

(1) die Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einer früheren Partei anvertrauten oder im Zuge der Vertretung sonst erlangten Information besteht oder

(2) die Kenntnisse der belange einer früheren Partei der neuen Partei zu einem unlauteren Vorteil gereichen würden oder

(3) es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen Parteien kommt oder

(4) die Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes bei der Mandatsausübung auch nur gegenüber einer der Parteien nicht gesichert erscheint."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften wurden weder in der Beschwerde vorgebracht noch sind solche beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdefalles entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

2. Die Beschwerde macht eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleis­teten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend, weil die belangte Behörde nicht die Bestimmung des §12a RL-BA, sondern die "alte" Rechtslage angewendet habe. Bei Berücksichtigung dieser Bestimmung hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass kein Disziplinarvergehen vorliege, weil es geradezu denkunmöglich sei, dass das Vorgehen des Beschwerdeführers zu einer Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht, zu einem Interessenkonflikt zwischen den Parteien oder zu einem Wissensvorsprung des Be­schwerdeführers zu Lasten einer der Parteien führen hätte können.

Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, dass Dr. B. d. P. nicht das rechtswirksame Zustandekommen der Verpflichtung zur Tragung der Kosten bestritten habe, sondern den Einwand erhoben habe, dass ihr diese Kosten von ihrer Mutter zu einem späteren Zeitpunkt erlassen worden seien. Im Zivilverfahren sei es daher um einen Sachverhalt gegangen, der sich lange nach Abschluss des Schenkungsvertrages zugetragen habe; der Schenkungsvertrag selbst sei nicht verfah­rensgegenständlich gewesen. Mit diesem Umstand habe sich die belangte Be­hörde jedoch nicht auseinandergesetzt und somit jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen.

2.1. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor­bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.2. Ein derartiger Fehler ist der belangten Behörde jedoch nicht unterlaufen:

2.2.1. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zu Recht ausführt übersieht der Beschwerdeführer, dass durch die Verordnungsbestimmung des §12a RL‑BA nicht der im Gesetzesrang stehenden Bestimmung des §10 Abs1 RAO derogiert werden kann. Die beiden Bestimmungen erfassen unterschiedliche Fälle der Doppelvertretung und stehen daher nebeneinander in Geltung: Mit §12a RL-BA wurde eine Konkretisierung der sogenannten formellen Doppelvertretung getroffen, welche vorliegt, wenn derselbe Rechtsanwalt einmal für und ein anderes Mal gegen denselben Mandanten tätig wird. §12a RL-BA knüpft die Unzulässigkeit dieser Form der Doppelvertretung an das Vorliegen näher bestimmter Voraussetzungen.

Demgegenüber regelt §10 Abs1 RAO einerseits die eigentliche Doppelvertretung, bei welcher ein Rechtsanwalt beide Teile im selben Rechtsstreit vertritt oder ihnen auch nur einen Rat erteilt (§10 Abs1 zweiter Satz RAO), und anderseits die uneigentliche Doppelvertretung, bei der ein Rechtsanwalt eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten oder beraten hat (§10 Abs1 erster Satz RAO).

2.2.2. Dem Beschwerdeführer wurde die uneigentliche Doppelvertretung gemäß §10 Abs1 erster Satz RAO vorgeworfen: Der Beschwerdeführer hat die Ge­schenknehmerin im Jahr 2003 beraten und dann im Jahr 2011 Ansprüche aus diesem Schenkungsvertrag für die Geschenkgeberin gegen die Geschenkneh­merin gerichtlich geltend gemacht. Die von der belangten Behörde vorgenom­mene Beurteilung, dass es sich dabei um einen Frontenwechsel in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache handelt, ist aus verfassungsrecht­licher Sicht nicht zu beanstanden, zumal die Rechtsgrundlage der Klage die Kostentragungsregelung des Schenkungsvertrages war. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Dr. B. d. P. das Klagebegehren mit der Begründung bestritten hat, dass ihr die Kosten von ihrer Mutter zu einem späteren Zeitpunkt erlassen worden seien.

Der zeitliche Rahmen zwischen der Raterteilung an den einen Streitteil und der Vertretung des anderen Streitteils spielt bei der Doppelvertretung nach §10 Abs1 erster Satz RAO ebenso wenig eine Rolle wie der Umstand, dass der Punkt "Kosten, Steuern und Gebühren" zwar im Rohentwurf des Schenkungsvertrags enthalten, nicht aber Gegenstand des Beratungsgesprächs war. Schließlich geht auch die Behauptung des Beschwerdeführers, dass keine Möglichkeit der Inter­essenbeeinträchtigung der früheren Mandantin bestanden habe, ins Leere, weil ein Verstoß gegen §10 Abs1 RAO keine konkrete Gefahr einer Interessen­kollision voraussetzt (VfSlg 19.405/2011; vgl. auch RIS-Justiz RS0118082).

2.2.3. Da die belangte Behörde §10 Abs1 RAO denkmöglich angewendet hat, ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Ge­setz verletzt worden.

2.3. Das zur Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz Gesagte gilt auch für das Vorbringen, der angefochtene Bescheid verletze den Beschwerdeführer in dem durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid daher auch nicht in diesem verfassungs­gesetzlich gewährleisteten Recht verletzt.

2.4. Die behauptete Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

3. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde – wie im vorliegenden Fall – gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B‑VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung iVm Art151 Abs51 Z9 B-VG richtet, die beim Verwaltungsge­richtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne münd­liche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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