OGH 9Ob29/17f

OGH9Ob29/17f24.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr in der Pflegschaftssache der mj K* und K* G*, beide geboren am * 2005, * vertreten durch die Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Am Spitz 1, 1210 Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 31. August 2016, GZ 48 R 30/16s‑76, mit dem dem Rekurs des Vaters M* B*, vertreten durch Mag. Joachim Pfeiler, Rechtsanwalt in Brunn am Gebirge, gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 22. Dezember 2015, GZ 16 PU 20/14h‑65, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118405

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Antrag des Vaters, ihn für den Zeitraum von 1. 10. 2014 bis 31. 1. 2015 von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber den antragstellenden Kindern zu entheben und ab 1. 2. 2015 die Unterhaltsleistung auf monatlich 140 EUR je Kind herabzusetzen, abgewiesen wird.

 

Begründung:

Die am * 2005 geborenen Kinder K* und K* G* beantragten am 30. 1. 2014 die (erstmalige) Festsetzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht ihres Vaters ab 1. 1. 2014. Er sei aktuell arbeitslos, könne aber im Hinblick auf den Anspannungsgrundsatz zumindest 1.400 EUR verdienen.

Der Kinder‑ und Jugendwohlfahrtsträger konkretisierte am 21. 2. 2014 den Antrag dahin, dass der Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 210 EUR je Kind und zu vorläufigen Unterhaltsleistungen zu verpflichten sei. Er sei seit zumindest drei Jahren als Saisonkellner in den Sommermonaten für 30 Stunden mit einem Bruttobezug von 1.003,50 EUR zuzüglich Trinkgeld beschäftigt, beziehe in den Wintermonaten Arbeitslosengeld und ein Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung und seit 6. 1. 2014 nur mehr Arbeitslosengeld.

Nachdem der Vater mit einstweiliger Verfügung zur Leistung eines vorläufigen monatlichen Unterhalts von 112,70 EUR je Kind, beginnend mit 24. 2. 2014, verpflichtet worden war, erhob er dagegen zunächst „Einspruch“, gab aber am 1. 4. 2014 zu Protokoll, dass er Ende März 2014 den Betrag nicht zur Verfügung gehabt habe, es ihm mittlerweile jedoch wieder möglich sei, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen. Er ziehe seinen Einspruch zurück.

Das Erstgericht setzte mit Beschluss vom 1. 4. 2014 die Unterhaltspflicht des Vaters beginnend mit 1. 1. 2014 mit 210 EUR je Kind fest und hob die einstweilige Verfügung auf. Zur Begründung verwies es auf das Einvernehmen der Parteien. Der Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Am 27. 10. 2014 beantragte der Vater die Herabsetzung der Unterhaltspflicht. Er sei seit Oktober 2014 ohne Beschäftigung und beziehe Arbeitslosengeld von täglich 24,41 EUR, monatlich sohin 744 EUR. Seine Versuche, eine dauerhafte Beschäftigung zu erlangen, seien erfolglos geblieben. Er sei zudem für eine weitere Tochter sorgepflichtig.

Der Kinder- und Jugendhilfeträger sprach sich dagegen aus.

Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht mit Beschluss vom 18. 11. 2014 den Herabsetzungsantrag mangels geänderter Verhältnisse ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und trug dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung zu den Initiativen des Vaters zur Erlangung eines dauerhaften Arbeitsplatzes auf (ON 37).

Nachdem der Vater bekanntgegeben hatte, seit Februar 2015 einer Vollzeitschäftigung mit einem Verdienst von 1.087,29 EUR netto 14x jährlich nachzugehen, modifizierte er am 5. 10. 2015 seinen Herabsetzungsantrag dahin, dass er von 1. 10. 2014 bis 31. 10. 2015 keinen Unterhalt und ab 1. 2. 2015 einen Unterhalt von 140 EUR monatlich zu leisten habe.

Dem Versicherungsdatenauszug (ON 64) ist zu entnehmen, dass der Vater jedenfalls seit 1. 4. 2011 über die Sommermonate (April bis Oktober bzw November) in der Gastwirtschaft tätig war und in den Wintermonaten – davon bis Jänner 2014 beim selben Arbeitgeber – geringfügig beschäftigt war und Arbeitslosengeld bezog.

Das Erstgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. 12. 2015 (ON 65) den Herabsetzungsantrag neuerlich ab. Es stellte fest, dass der Vater mit Beschluss vom 1. 4. 2014 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von 210 EUR je Kind verpflichtet worden sei. Der Beschluss gründe sich auf das Einvernehmen der Parteien. Der Unterhaltsbemessung sei ein fiktives Einkommen im Gastgewerbe von 1.250 EUR zuzüglich Trinkgeld von 150 EUR, gesamt somit 1.400 EUR zugrunde gelegen. Nach dem Versicherungsdatenauszug und den Einkommensnachweisen habe der Vater von 8. 10. 2014 bis 5. 12. 2015 Arbeitslosengeld in Höhe von 24,41 EUR täglich, somit 745 EUR monatlich, von 6. 12. 2014 bis 31. 1. 2015 Notstandshilfe von 23,39 EUR täglich, somit 710 EUR monatlich, und für die Zeit von 1. 12. 2014 bis 31. 1. 2015 Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung von durchschnittlich 422 EUR monatlich bezogen. Er habe somit im Dezember 2014 ein Einkommen in Höhe von 1.164,35 EUR und im Jänner 2015 von 1.099,47 EUR gehabt. Seit 1. 2. 2015 beziehe er ein Nettodurchschnittseinkommen von 1.269 EUR inkl anteiliger Sonderzahlungen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen hätte es ihm ab 1. 10. 2014 mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich sein können, im Anschluss an eine Arbeitsplatzsuchdauer von bis zu vier Monaten als Restaurantfachkraft einen Nettolohn von 1.303 EUR, ab Mai 2015 von 1.395 EUR inkl Sonderzahlungen anzutreten. Er habe lediglich Bewerbungen für den Zeitraum Oktober 2014 bis Februar 2015 vorlegen können. Er verfüge über eine abgeschlossene Ausbildung und viele Jahre Berufserfahrung in einem stark nachgefragten Segment, da gerade im Hotel- und Gastgewerbe laufend Mitarbeiter gesucht würden und keineswegs ausreichend Personal zur Verfügung stehe. Nach dem Versicherungsdatenauszug sei er für einige Monate bei einer Firma geringfügig angestellt, wechsle auf eine Vollzeitbeschäftigung in derselben Firma und beziehe anschließend Arbeitslosengeld oder Notstand. Das Verhalten des Vaters entspreche nicht jenem eines pflichtbewussten Familienvaters im Bezug auf das Bewerbungsprofil. Es sei nicht nachvollziehbar, warum er sich mit einer Beschäftigung ohne Trinkgeldzahlung begnüge. Bei intensiven Bemühungen hätte es ihm möglich sein müssen, ab 1. 10. 2014 ein monatliches Nettodurchschnittseinkommen inkl anteiliger Sonderzahlungen von 1.395 EUR zu beziehen. Es komme der Anspannungsgrundsatz zum Tragen. Dieses Einkommen werde der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt. Es sei nicht von einer Verhältnisänderung auszugehen. Der Enthebungs- und Herabsetzungsantrag des Vaters sei abzuweisen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge, enthob ihn von der Unterhaltspflicht für den Zeitraum von 1. 10. bis 30. 11. 2014, verpflichtete ihn zur Zahlung von monatlich 175 EUR (Dezember 2014), 165 EUR (Jänner 2015), 195 EUR (Februar bis April 2015) und 210 EUR (ab Mai 2015) je Kind und wies das Mehrbegehren des Vaters ab. Die Anspannung sei keine Fiktion. Unter Berücksichtigung einer viermonatigen Frist für eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche sei er nicht schon ab 1. 10. 2014, sondern erst ab 1. 2. 2015 anzuspannen. Die Enthebung von der Unterhaltspflicht für Oktober und November 2014 gründete es darauf, dass sein Einkommen für Oktober und November 2014 von durchschnittlich 745 EUR Arbeitslosengeld unter der absoluten Belastungsgrenze von 750 EUR gelegen sei und der Familienzuschlag dem Vertreter der Kinder überwiesen worden sei.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nachträglich zur Prüfung einer möglichen Fehlbeurteilung hinsichtlich des Familienzuschlags für Oktober und November 2014 zugelassen.

In seinem gegen den angefochtenen Beschluss des Rekursgerichts gerichteten Revisionsrekurs beantragt der Kinder‑ und Jugendhilfeträger in Vertretung der mj Kinder die Abänderung des Beschlusses im Sinn einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses. Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Das Rechtsmittel richtet sich gegen die Annahme geänderter Verhältnisse und die irrige Ausführung des Rekursgerichts, dass der Familienzuschlag dem Vertreter der Kinder überwiesen worden sei.

Nach § 231 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung von dessen Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten anteilig nach ihren Kräften beizutragen.

Das Rekursgericht hat die Rechtsprechung zur dazu entwickelten Anspannung eines Unterhaltspflichtigen ausführlich dargestellt, sodass darauf verwiesen werden kann. Hervorzuheben ist, dass die Anspannungspflicht auch dann verletzt wird, wenn Anzeichen dafür gegeben sind, dass der Unterhaltspflichtige weniger verdient als seiner Leistungsfähigkeit entsprechen würde oder wenn er grundlos keinem Erwerb nachgeht oder sich mit einem geringeren Einkommen begnügt als ihm möglich wäre. Maßstab der Anspannungstheorie ist das Verhalten eines pflichtbewussten, rechtschaffenen Familienvaters (s RIS‑Justiz RS0113751).

Ausgehend von dieser Anspannungspflicht wurde die Unterhaltspflicht des Vaters ursprünglich beginnend mit 1. 1. 2014 – sohin ab einem Zeitpunkt, in dem der Vater vorerst noch ein Arbeitsloseneinkommen von 24,41 EUR täglich (durchschnittlich ca 745 EUR monatlich) bezog – auf Basis eines fiktiven monatlichen Einkommens von 1.400 EUR netto mit 210 EUR je Kind festgesetzt. Der Beschluss gründete sich auf das Einvernehmen der Parteien und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Nach der Rechtsprechung ist eine derartige Zustimmung im Außerstreitverfahren, die nur dem Gericht gegenüber abgegeben wird, dem Tatsachenbereich zuzuordnen und als Außerstreitstellung der dem Antrag zugrundeliegenden, maßgebenden Tatsachenbehauptungen anzusehen (2 Ob 556/97d; 2 Ob 84/03x). Im Zeitpunkt der Unterhaltsfestsetzung (1. 4. 2014), die beginnend mit 1. 1. 2014 erfolgte, war daher auch von geringfügigen Tätigkeiten des Vaters im Gastgewerbe, ab 6. 1. 2014 von Arbeitslosigkeit und von einem bei Anspannung aller Kräfte möglichen Verdienst von zumindest 1.400 EUR netto auszugehen.

Eine Neufestsetzung des Unterhalts kann nur bei geänderter Sachlage oder bei Änderung der dem Unterhaltsanspruch zugrundeliegenden Gesetzesregelungen erfolgen (RIS‑Justiz RS0047398). Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist auch dann anzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine Anspannung wegfallen (RIS‑Justiz RS0106229; 10 Ob 59/16y mwN). Der Vater begründet sie mit seiner Arbeitslosigkeit ab 8. 10. 2014.

Richtig ist zwar, dass der mit dem typischen Fall des Arbeitsplatzverlustes verbundene Einkommensentfall auch bei verschuldetem Arbeitsplatzverlust in der Regel nur die Obliegenheit auslöst, alle nach den konkreten persönlichen und Arbeitsmarktverhältnissen sinnvollen Anstrengungen zu unternehmen, wieder einen Arbeitsplatz mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten zu finden (RIS‑Justiz RS0047503). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich um keine unvorhersehbare Arbeitslosigkeit des Vaters handelte, sondern er – wie aus dem Gutachten des berufskundigen Sachverständigen ON 54 und dem Versicherungsdatenauszug ON 64 hervorgeht – seit 1. 4. 2011 jedes Jahr lediglich über die Sommermonate (April bis Oktober bzw November) einer Saisonarbeit im Gastgewerbe nachging, sodann geringfügig beschäftigt und arbeitslos gemeldet war, um im Folgejahr wieder die Saisonarbeit aufzunehmen. Diese Umstände waren bereits im Zeitpunkt der Unterhaltsfestsetzung gegeben, als der Vater auch für die Phase des – offenbar saisonbedingten – Arbeitslosengeldbezuges zu einer Unterhaltsleistung auf Basis eines fiktiven Einkommens von 1.400 EUR angespannt wurde. Dass bei entsprechend vorausschauender Postensuche ab 1. 10. 2014 keine Arbeitsstelle zu erlangen gewesen wäre, geht aus dem Gutachten des berufskundigen Sachverständigen nicht hervor.

Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters weggefallen wären. Das Erstgericht ist daher zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten war, die eine Herabsetzung des festgesetzten Unterhalts rechtfertigen hätte können.

Da der Revisionsrekurs schon deshalb berechtigt ist, erübrigt es sich, auf das Vorbringen zur Berücksichtigung des Familienzuschlags bei Feststellung der Unterhaltsbemessungsgrundlage einzugehen.

Dem Revisionsrekurs war danach Folge zu geben und der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

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