OGH 10Ob59/16y

OGH10Ob59/16y13.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes Ö*, geboren am * 2011, *, vertreten durch das Land Wien als Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 2, 20), 1200 Wien, Dresdner Straße 43/1. OG, Vater: M*, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Juni 2016, GZ 44 R 250/16i‑52, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 8. April 2016, GZ 32 Pu 29/14v‑46, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E116132

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Mit gerichtlichem Vergleich vom 25. 3. 2014 (Vereinbarung gemäß § 55a EheG) verpflichtete sich der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 350 EUR für seinen damals etwa 2 ½ Jahre alten Sohn. Der Vater ging damals einer geringfügigen Beschäftigung nach und bezog zusätzlich Arbeitslosengeld. Der – nicht strittige – Inhalt dieses Scheidungsfolgenvergleichs lautet auszugsweise (ON 2):

„Vergleichsgrundlage ist ein monatliches Nettodurchschnittseinkommen des Unterhaltsschuldners von 1.400 EUR inkl. Sonderzahlungen. Der Unterhaltsschuldner hat keine weiteren Sorgepflichten. Festgehalten wird, dass der Vater weiß, dass der gerichtlich geschuldete Unterhaltsbetrag für [den Sohn] geringer wäre. Er möchte einen höheren Betrag bezahlen. Ihm ist bewusst, dass bei gleichbleibenden Verhältnissen er keine Herabsetzung des Unterhalts verlangen kann.“

Der Vater beantragte zuletzt, den Unterhaltsanspruch des Sohnes ab 1. 3. 2015 bis auf einen Teilbetrag von monatlich 215 EUR herabzusetzen bzw teilweise für erloschen zu erklären. Er habe gehofft, aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit ab 23. 10. 2014 künftig mehr verdienen zu können, habe aber monatlich nur einen Verdienst von 1.000 EUR bis 1.200 EUR erzielt. Aus einer nach Beendigung der selbständigen Tätigkeit wieder aufgenommenen unselbständigen Beschäftigung verdiene er monatlich 1.088,27 EUR und erhalte Trinkgelder von durchschnittlich 130 EUR bis 170 EUR pro Monat.

Der Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe sprach sich als gesetzlicher Vertreter des Sohnes in Unterhaltsangelegenheiten gegen diesen Antrag aus. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei seit dem Abschluss des Unterhaltsvergleichs nicht eingetreten, weil der Vater auch nach Beginn seiner selbständigen Tätigkeit ein annähernd gleiches Einkommen wie zuvor bezogen habe.

Das Erstgericht gelangte, soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung, zu dem Ergebnis, dass der Vater ab 1. 3. 2015 bis auf weiteres nur noch einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 224 EUR für den Sohn schulde und die darüber hinausgehenden Ansprüche erloschen seien. Es traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch folgende weitere Feststellungen:

Der Vater war von 23. 10. 2014 bis 31. 8. 2015 als gewerblich selbständig Erwerbstätiger gemeldet. Zusätzlich ging er bis 27. 11. 2014 einer Vollzeitbeschäftigung bei einem Taxiunternehmen nach. Er erzielte von Oktober 2014 bis Dezember 2014 ein monatliches Nettoeinkommen von ‑1.574 EUR (Negativeinkommen) bei einem Arbeitseinsatz von 25 Stunden pro Woche. Diesem Einkommen standen Entnahmen in Höhe von monatlich 306 EUR und geschätzte Entnahmen von monatlich 1.340 EUR gegenüber.

Von 1. 9. 2015 bis einschließlich November 2015 war der Vater geringfügig beschäftigt und erzielte ein monatliches Durchschnittseinkommen von 468,18 EUR.

Seit Dezember 2015 arbeitet der Vater unselbständig im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung und bezieht ein Einkommen von monatlich 1.088,27 EUR inklusive Sonderzahlungen zuzüglich Trinkgelder von monatlich durchschnittlich 150 EUR.

Im Sinn des Anspannungsgrundsatzes könnte der Vater ab 1. 3. 2015 ein monatliches Durchschnittseinkommen in Höhe von 1.400 EUR inklusive Sonderzahlungen und Trinkgeldern erzielen.

Rechtlich führte das Erstgericht, soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung, aus, dass der Sohn gemäß § 231 Abs 1 ABGB einen Anspruch auf 16 % des anrechenbaren Einkommens des Vaters habe. Auch während seiner selbständigen Tätigkeit habe der Vater über geschätzte Entnahmen von mindestens 1.340 EUR verfügt, um seinen Lebensaufwand zu bestreiten. Auch wenn er während seiner in weiterer Folge angenommenen Vollzeitbeschäftigung derzeit über ein geringeres Einkommen verfüge, wäre es dem Vater im Sinn des Anspannungsgrundsatzes zumutbar und möglich gewesen, auch ab dem 1. 3. 2015 weiterhin ein Einkommen von 1.400 EUR monatlich zu erzielen, welches bereits dem Scheidungsvergleich vom 25. 3. 2014 zugrunde gelegen sei. Allerdings sei vom Vorliegen seither geänderter Verhältnisse auszugehen: Der Vater sei bei Vergleichsabschluss lediglich einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen und habe Arbeitslosengeld bezogen, während er im entscheidungsrelevanten Zeitraum zunächst selbständig, danach geringfügig unselbständig und schließlich unselbständig vollzeitbeschäftigt gewesen sei. Daher schulde der Vater dem Sohn nur mehr den gesetzlich vorgesehenen Unterhalt, weil im Vergleich ausdrücklich festgehalten worden sei, dass lediglich bei gleichen Verhältnissen keine Unterhaltsneufestsetzung begehrt werden könne.

Das Rekursgericht gab dem vom Kind, vertreten durch den Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe, gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs – mit Maßgabe einer im Revisionsrekursverfahren nicht mehr zu behandelnden teilweisen ersatzlosen Behebung des angefochtenen Beschlusses – nicht Folge. Es führte, soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung, aus, dass jede Unterhaltsvereinbarung unter der Umstandsklausel stehe, deren Einsatz durch eine wesentliche, nicht bloß geringfügige Änderung der Unterhaltsvoraussetzungen ausgelöst werde. Dies sei hier der Fall, weil der Vater zum Zeitpunkt des Abschlusses des Unterhaltsvergleichs tatsächlich ein Einkommen von 1.400 EUR erzielt habe. Im relevanten Zeitraum habe er hingegen weniger verdient. Ein Einkommen von 1.400 EUR könne er nur mehr hypothetisch, unter Anspannung seiner Kräfte erzielen. Für diesen Fall enthalte der Vergleich vom 25. 3. 2014 keine Regelung, sodass eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich sei. Da sich der Vater im Vergleich nur bereit erklärt hat, „bei gleichbleibenden Verhältnissen“ keine Unterhalts-herabsetzung zu begehren, könne daraus keine Bereitschaft des Vaters geschlossen werden, weiterhin einen Unterhalt von 350 EUR an den Sohn zu zahlen, obwohl er tatsächlich weniger als 1.400 EUR monatlich verdiene.

Der Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 1 AußStrG sei zulässig, „weil bisher keine Rechtsprechung zur Frage einer wesentlichen Umstandsänderung bei Aufrechterhaltung der Bemessungsgrundlage, jedoch bei gleichzeitiger Änderung der tatsächlichen Verfügbarkeit der Mittel ergangen“ sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der– unbeantwortet gebliebene – Revisionsrekurs des Sohnes, mit dem er das Aufrechtbleiben der bisherigen Unterhaltshöhe anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem gemäß § 71 Abs 1 AußStrG den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Der Revisionsrekurswerber wendet sich lediglich gegen die Anwendung der Umstandsklausel durch das Rekursgericht, weil seiner Meinung nach eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht stattgefunden habe. Er zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:

1. Jede Unterhaltsregelung, ob durch gerichtliche Entscheidung oder (gerichtlichen) Vergleich, unterliegt der Umstandsklausel, sodass wesentliche Änderungen der Verhältnisse über Antrag zu einer Neufestsetzung des Unterhaltsanspruchs führen (stRsp RIS‑Justiz RS0053297; RS0018984 [Unterhaltsvergleich]; vgl RS0047398; Barth/Neumayr in Klang³ § 140 Rz 66 mwN). Eine wesentliche Änderung der Umstände ist eine solche, die über bloß unbedeutende oder unerhebliche Veränderungen hinausgeht und sich in einer merkbaren Unterhaltsdifferenz niederschlägt (1 Ob 5/00t; 8 Ob 75/10b ua; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8 153 mwH in FN 321). Die Umstandsklausel umfasst jede Änderung der Sachlage; sie ist bei Unterhaltsvereinbarungen nicht nur auf die Veränderung vermögensrechtlicher Verhältnisse beider Vertragsteile und die Sorgepflichten des Unterhaltspflichtigen beschränkt (RIS‑Justiz RS0009636 [T1]). Eine allgemein gültige Regel, ab wann von einer solchen Änderung der Verhältnisse auszugehen ist oder nicht, lässt sich nicht aufstellen, weil die Umstände des Einzelfalls von wesentlicher Bedeutung sind (RIS‑Justiz RS0007161 [T12]).

2. Das Rekursgericht hat diese Rechtsprechung bei seiner Entscheidung beachtet und in vertretbarer Weise begründet, warum im konkreten Fall vom Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse auszugehen ist. Es kommt im vorliegenden Fall entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs nicht entscheidend darauf an, dass die Bemessungsgrundlage rechnerisch unverändert geblieben ist, sondern darauf, dass dies nur infolge der Anwendung des Anspannungsgrundsatzes (vgl RIS‑Justiz RS0047686; RS0113751) der Fall war, weil der Vater tatsächlich im relevanten Zeitraum weniger verdiente als zum Zeitpunkt der Unterhaltsvereinbarung. Ebenso wie nach der Rechtsprechung eine Änderung der Verhältnisse anzunehmen ist, wenn die Voraussetzungen für eine Anspannung wegfallen (9 Ob 23/98t; 1 Ob 7/04t), kann dies auch im umgekehrten Fall in vertretbarer Weise angenommen werden.

3. Die Frage, ob der Vater auch bei geringerem tatsächlichen Verdienst als zum Zeitpunkt des Scheidungsfolgenvergleichs bereit gewesen wäre, einen– dennoch – höheren als den gesetzlich gebührenden Unterhalt zu zahlen, hat das Rekursgericht durch Auslegung des Scheidungsfolgenvergleichs gelöst. Dabei geht es um die Auslegung eines Vertrags im Einzelfall, die typischerweise keine erhebliche Rechtsfrage begründet, es sei denn, es läge infolge wesentlicher Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis vor (vgl 2 Ob 1/13f; RIS‑Justiz RS0042776, RS0112106). Eine derartige Verkennung der Rechtslage ist dem Rekursgericht, das sich bei seiner Auslegung am Wortlaut dieser Vereinbarung orientiert hat, nicht vorwerfbar. Mit dem Argument, dass aus dem Scheidungsfolgenvergleich die Motivation des Vaters hervorgehe, einen höheren Unterhaltsbetrag für den Sohn zu zahlen, was ihm auch bei Anwendung der Anspannungstheorie weiterhin möglich sein müsse, wünscht der Revisionsrekurswerber lediglich eine andere Auslegung dieser Vereinbarung, womit er aber keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt (7 Ob 50/11w mwN).

Mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG war der Revisionsrekurs des Sohnes daher zurückzuweisen (§ 71 Abs 2 Satz 1 AußStrG).

Stichworte