OGH 7Ob50/11w

OGH7Ob50/11w21.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Kurt Bayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterhalt, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. Oktober 2010, GZ 4 R 307/10s-21, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. Mai 2010, GZ 3 C 45/09i-13, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 445,82 EUR (darin 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, die Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig; diesen Ausspruch änderte es mit Beschluss vom 2. 2. 2011 auf Antrag des Beklagten gemäß § 508 ZPO dahin ab, dass es die ordentliche Revision mit folgender Begründung doch für zulässig erklärte:

Der Antragsteller bringe zutreffend vor, dass grundsätzlich bei der Unterhaltsbemessung auf ein unentgeltliches Wohnungsrecht des Unterhaltsberechtigten Bedacht zu nehmen sei, auch wenn vertraglich vereinbarte Wohnungsrechte des Unterhaltsberechtigten nicht als Einkommen im unterhaltsrechtlichen Sinn zu werten seien, da es sich nicht um Einkünfte oder Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit im Sinn des § 66 EheG, sondern nur um Vermögen handle. Damit sei aber „nicht auszuschließen“, dass auch das Fruchtgenussrecht der Klägerin bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen gewesen wäre. Außerdem lasse sich aus den Revisionsausführungen der Standpunkt des Beklagten „erkennen“, dass das vereinbarte Fruchtgenussrecht auch nach dem Parteiwillen der Streitteile Unterhaltscharakter haben sollte. Zu dieser Behauptung fehlten allerdings jegliche Feststellungen. Auch deshalb habe die beantragte Abänderung der Zulassungsentscheidung zu erfolgen.

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Im Revisionsverfahren ist allein strittig, ob das im Scheidungsvergleich zugunsten der Klägerin vereinbarte lebenslängliche unentgeltliche Fruchtgenussrecht an der bis zur Scheidung von den Streitteilen gemeinsam benützten Ehewohnung als Naturalunterhalt auf ihre im vorliegenden Verfahren geltend gemachte Unterhaltsforderung anzurechnen ist; oder ob dieses vergleichsweise eingeräumte Recht - nach der getroffenen Vereinbarung - eine Gegenleistung des Revisionswerbers im Aufteilungsverfahren darstellen sollte, die sich die Klägerin im Rahmen der Unterhaltsbemessung nicht anrechnen lassen muss.

Der Oberste Gerichtshof hat - auch zu solchen Fallkonstellationen - bereits ausgesprochen, dass es nicht in jedem Fall, in welchem dem Unterhaltsberechtigten eine kostenlose Wohngelegenheit zur Verfügung gestellt wird, zur Anrechnung fiktiver Mietkosten kommen muss. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0080373 [T12; T19]; RS0047254 [T8; T13]).

Es geht also um eine Frage der Vertragsauslegung im Einzelfall, der typischerweise keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, selbst wenn nach dem Sachverhalt auch eine andere Auslegung vertretbar wäre (RIS-Justiz RS0112106 [T3]; RS0042555 [T1, T4]; RS0042776 [T2]; RS0044298 [T39]; 6 Ob 251/11x; 5 Ob 121/11x mwN).

Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht nicht vorzuwerfen.

Richtig ist, dass sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach den Grundsätzen der jüngeren Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0047254 [insb T11 und T15]; vgl RS0080373) schon infolge Deckung ihres Wohnbedarfs reduzieren könnte (vgl Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] § 94 ABGB Rz 6 mwN; RIS-Justiz RS0047254); wobei sich ihr Unterhalt - unter Berücksichtigung des fiktiven Mietwerts ihrer Wohngelegenheit - um bis zu ein Viertel mindern könnte (6 Ob 94/11h mit Hinweis auf 4 Ob 42/10w; LG Wels EFSlg 122.627 und Gitschthaler aaO Rz 260).

Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 75/06m aber auch die Ausnahmen von dieser Beurteilung aufgezeigt: Es ist „grundsätzlich“ eine Anrechnung von anteiligen Wohnungskosten vorzunehmen, außer es würde dem Recht, die bisherige Ehewohnung weiter zu benützen, eine Gegenleistung des betreuenden Elternteils gegenüberstehen (insbesondere auch im Zusammenhang mit einem Aufteilungsverfahren) oder wenn sich aus einem Vergleich ergäbe, dass die Wohnversorgung des Kindes zusätzlich zur eingegangenen Geldunterhaltsverpflichtung geleistet werden sollte. Genau dieser Ausnahmefall liegt hier vor:

Nach den in der Revision nicht mehr angreifbaren Feststellungen der Tatsacheninstanzen wurde die von den Streitteilen im Jahr 1966 geschlossene Ehe am 20. 7. 1977 aus dem Verschulden des Beklagten geschieden (§ 49 EheG) und noch in derselben Tagsatzung - nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelverzicht - folgender gerichtlicher Vergleich abgeschlossen:

1. Der Beklagte räumt der Klägerin an der Wohnung ... [Ehewohnung] das alleinige und ausschließliche unentgeltliche Fruchtgenussrecht auf Lebenszeit ein und verpflichtet sich, die für die Wohnung anfallenden Betriebskosten und sonstigen Kosten außer Telefonkosten zu bezahlen.

2. Die ehelichen Kinder B*****, geboren am *****, und C*****, geboren am *****, verbleiben in Pflege und Erziehung der Klägerin.

3. Der Beklagte verpflichtet sich, zum Unterhalt der mj. B***** monatlich 1.700 ATS, der mj. C***** monatlich 1.300 ATS jeweils zuzüglich Familienbeihilfe und der Klägerin monatlich 2.000 ATS zu bezahlen, insgesamt daher monatlich einen Betrag von 5.000 ATS zuzüglich der Familienbeihilfe, und zwar vierzehnmal jährlich (dreizehnte Zahlung im Juni, vierzehnte Zahlung im Dezember eines jeden Jahres) wertgesichert nach dem Verbraucherpreisindex 1976 (Basis Juli 1977) und zwar am 1. eines jeden Monats im Vorhinein.

4. Der Hausrat der ehelichen Wohnung verbleibt der Klägerin.

Der Vergleich wurde vom Beklagten mit der Absicht einer „sozusagen einvernehmlichen Scheidung“ unter Berücksichtigung der Interessen beider Seiten abgeschlossen. Der Beklagte war bestrebt, „dass die Kinder ordentliche Wohnverhältnisse“ haben. Er hat vor diesem Hintergrund die Wohnung samt Einrichtung und Zubehör „zurückgelassen“ und zusätzlich Geldunterhalt für „alle drei (Kinder und Klägerin)“ vereinbart.

Das Berufungsgericht hat den Vergleich und die dazu getroffenen Feststellungen dahin „interpretiert“, das der Klägerin eingeräumte unentgeltliche Fruchtgenussrecht sei ein „Ausfluss“ der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens gewesen; und zwar mit dem Hintergrund, dass die vom Beklagten - teilweise auch während der Ehe - finanzierte Wohnung in seinem alleinigen Eigentum verbleiben sollte, obwohl es sich um die Ehewohnung im Sinn des § 81 EheG handelte. Mit der Einräumung des Fruchtgenussrechts sei diesem Umstand Rechnung getragen worden. Das eingeräumte Recht sei daher als Teil der Aufteilungsvereinbarung zu betrachten und habe im Rahmen der Unterhaltsbemessung unberücksichtigt zu bleiben.

Nach den Grundsätzen der dargelegten Judikatur ist die Nichtberücksichtigung des der Klägerin eingeräumten Fruchtgenussrechts mit der Begründung, dass es als vermögenswerte Zuwendung im Aufteilungsverfahren anzusehen sei, im vorliegenden Fall jedenfalls vertretbar; muss doch auch nach der jüngeren Rechtsprechung zwischen dem Auseinandersetzungsanspruch hinsichtlich der früheren gemeinsamen Ehewohnung und dem Unterhaltsanspruch der Klägerin unterschieden werden, wobei die (auch im Rahmen der Aufteilung getroffenen) Vereinbarungen im Vergleich vom 20. 7. 1977 weiterhin maßgebend sind. Es ist daher keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende Fehlbeurteilung zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung (auch) - nämlich „zusammenfassend“ - auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und ausgeführt, das Rechtsmittel sei zu Unrecht (nachträglich) für zulässig erklärt worden.

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