OGH 9ObA116/16y

OGH9ObA116/16y24.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und Werner Krachler in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. ***** W***** als Treuhänder im Schuldenregulierungsverfahren des ***** G***** (Bezirksgericht *****, GZ *****), *****, vertreten durch Dr. Susanne Kuen, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 224.854,82 EUR sA (Revisionsinteresse: 59.275,56 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2016, GZ 9 Ra 51/16k‑101, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 5. Oktober 2015, GZ 29 Cga 31/12h‑93, teilweise Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00116.16Y.0524.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.259,72 EUR (darin 376,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger ist Treuhänder im über das Vermögen des Schuldners eröffneten Schuldenregulierungsverfahren des Bezirksgerichts *****, GZ *****. Der Schuldner betrieb von 1992 bis 15. 4. 2010 auf Grundlage eines Tankstellenpachtvertrages eine Tankstelle der Beklagten in S*****. Das Pachtverhältnis wurde von der Beklagten vorzeitig beendet. Mit Zwischenurteil des Erstgerichts vom 13. 1. 2014 wurde rechtskräftig festgestellt, dass die vom Kläger iSd § 24 Abs 1 HVertrG 1993 begehrte Ausgleichszahlung dem Grunde nach zurecht besteht. Revisionsgegenständlich ist der im Rahmen des Endurteils von den Vorinstanzen vorgenommene Billigkeitsabschlag des Ausgleichsanspruchs.

Ausgehend von einem Rohausgleich von 196.267 EUR bemaß das Erstgericht den Billigkeitsabschlag mit 50 %, verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 117.760,20 EUR sA und wies das Mehrbegehren von 107.094,62 EUR ab. Die Rechtsprechung gehe in der Regel von einem Billigkeitsabschlag von 50 % aus. Es sei daher nach besonderen Gründen für eine Abweichung von diesem Grundwert zu fragen. Die jeweils zuzuordnenden Faktoren würden sich die Waage halten.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers teilweise Folge. Es hielt einen Billigkeitsabschlag von 20 % für angemessen, verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 177.035,76 EUR sA und wies das Mehrbegehren von 47.819,06 EUR sA ab. Unter Erörterung der verschiedenen Billigkeitskriterien erwog das Berufungsgericht, der Standort der Tankstelle sei zwar verkehrsgünstig gelegen, aber von hoher Konkurrenz durch andere Anbieter gekennzeichnet. Die Beklagte habe eine auf neuestem Stand eingerichtete Tankstelle mit Shop‑ und Gastronomiebereich zur Verfügung gestellt. Dies sei zu ihren Gunsten zu berücksichtigen. Hingegen sei kein weiterer Abschlag wegen der Tankkarten, der Sogwirkung der Marke oder eines Verschuldens des Schuldners an der Auflösung des Vertrags vorzunehmen. Mit ihrer Vorgangsweise, dem Schuldner Vertragsbedingungen aufzuerlegen, die ihm ein wirtschaftliches Überleben unmöglich machten, habe die Beklagte ihre Fürsorgepflicht verletzt. Dieser Umstand sei zu Gunsten des Schuldners zu berücksichtigen. Die Revision sei zur Frage der Verringerung des Billigkeitsabschlags wegen der Unmöglichkeit der wirtschaftlichen Führung der Tankstelle unter zumutbaren Voraussetzungen zulässig.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte im Ergebnis die Wiederherstellung des Ersturteils; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bleibt auch bei Selbstkündigung durch den Tankstellenpächter dessen Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs 3 HVertrG 1993 gewahrt, wenn die vom Unternehmer vorgegebenen Bedingungen eines Tankstellenpachtvertrags derart sind, dass ein wirtschaftlicher Betrieb unter zumutbaren Voraussetzungen von vornherein nicht möglich ist. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Pächter unter Einsatz eigener Ressourcen vorerst versucht, einen entsprechenden Ertrag zu erwirtschaften und erst nach angemessener, nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilender Zeit das Scheitern seiner Bemühungen zur Kenntnis nehmen muss (RIS‑Justiz RS0124725). Im vorliegenden Fall ist auch nicht weiter fraglich, dass die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung in einem – für die Wahrung des Ausgleichsanspruchs erforderlichen (RIS‑Justiz RS0124725 [T3]) – kausalen Zusammenhang mit den Bedingungen des Tankstellenpachtvertrags steht.

2. Die in § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG 1993 „unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provision, nach Billigkeit“ festzusetzende Ausgleichszahlung ist geradezu ein Musterbeispiel für eine nach dem jeweiligen Einzelfall zu treffende Billigkeitsentscheidung, weshalb sie – abgesehen von einer krassen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht – regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage ist (RIS‑Justiz RS0112590). Eine Abkehr von den bisher entwickelten Ansätzen zur Bemessung des Ausgleichsanspruchs und seiner allfälligen Reduktion aus Billigkeitserwägungen (vgl Nocker, HVertrG2 § 24 Rz 711) ist mit dieser Rechtsprechung nicht verbunden. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 123/13y einen Billigkeitsabschlag von 50 % nicht schon „im Allgemeinen“, sondern aufgrund der konkreten Umstände des Falles (Lage und Ausstattung der Tankstelle, dem Kläger gemachte Vorgaben, Marketing der Beklagten, dort als erheblich festgestellte Sogwirkung der Marke) als vertretbar erachtet hat.

3. Dass die Ausgleichszahlung nach dem Wortlaut des § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG 1993 „unter Berücksichtigung aller Umstände“ der Billigkeit zu entsprechen hat, wird dahin einschränkend ausgelegt, dass nur die im Handelsvertreterverhältnis begründeten Umstände für den Grund und die Höhe des Ausgleichsanspruchs ausschlaggebend sein können (Nocker aaO Rz 585, 712). Das entspricht dem schon in der Entscheidung 6 Ob 104/03t dargelegten Zweck des Ausgleichsanspruchs, „für den Fall der Beendigung des Handelsvertretervertrages einen Wertausgleich dafür zu schaffen, dass der vom Handelsvertreter geschaffene Kundenstamm nach Ende des Vertragsverhältnisses nur vom Unternehmer allein genutzt werden kann, während in der Zeit des aufrechten Vertrages sowohl der Unternehmer als auch der Handelsvertreter ihren Vorteil aus ihm ziehen können“. Der Ausgleichsanspruch soll daher jene Aufbauarbeit des Handelsvertreters abgelten, die nicht schon während des aufrechten Handelsvertreterverhältnisses durch die laufenden Vermittlungs‑ und Abschlussprovisionen vergütet worden ist (Nocker aaO Rz 712).

4. Im vorliegenden Fall stellt die Beklagte die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass ihre Vertragskonditionen gegenüber dem Schuldner eine Verletzung ihrer Fürsorgepflicht bedeuteten, nicht mehr weiter in Frage. Ihre Vertragsgestaltung stellte hier einen Umstand dar, der dem Erfolg einer gewöhnlichen Aufbauarbeit des Schuldners entgegenwirkte, ihm das wirtschaftliche Überleben massiv erschwerte und letztlich selbst durch Personalabbau und übermäßigen eigenen Arbeitseinsatz nicht wettzumachen war. Danach ist es nicht weiter zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht in der Unmöglichkeit einer wirtschaftlichen Betriebsführung nach den vorgegebenen Vertragskonditionen keinen Grund für eine Schmälerung des Ausgleichsanspruchs sehen konnte.

5. Die Revision der Beklagten stellt diesen Punkt so auch nicht in Frage. Sie bringt vielmehr vor, dass es zu einem nicht zu rechtfertigenden „Strafzuschlag“ führen würde, wenn bei einer unberechtigten vorzeitigen Auflösung des Handelsvertreterverhältnisses durch den Unternehmer neben dem Zuspruch einer allfälligen Kündigungs-entschädigung auch noch bei der Berechnung des Rohausgleichs im Rahmen der Billigkeitsprüfung der Billigkeitsabschlag gemindert würde. Für eine solche „Doppelverwertung“ bietet der festgestellte Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte. Die von der Beklagten in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, inwieweit die unberechtigte vorzeitige Auflösung eines Unternehmers im Rahmen der Billigkeitserwägungen zu berücksichtigen sei, ist für ihren Standpunkt nicht relevant, wurde dieser Umstand vom Berufungsgericht doch nicht zu ihrem Nachteil gewertet. Entgegen der Revision führt das Fehlen eines wichtigen Kündigungsgrundes insoweit nicht zu einer „enormen Erhöhung des Ausgleichsanspruchs“, sondern nur dazu, dass kein weiterer Faktor für eine Reduktion des Anspruchs des Handelsvertreters gegeben ist. Das weitere Argument, dass sich der Handelsvertreter durch die vorzeitige Beendigung weitere (Un‑)Kosten und negative Auswirkungen auf sein Betriebsergebnis erspart habe, ist grundsätzlich nicht berücksichtigungswürdig (vgl Nocker aaO Rz 727 mwN). Eine Berücksichtigung widerspräche erst recht der Billigkeit, wenn die (Un‑)Kosten und negativen Auswirkungen – wiehier – aus der Verletzung der Fürsorgepflicht des Unternehmers rühren.

6. Im Hinblick auf die Tankkartenkunden hat bereits das Erstgericht (unter Hinweis auf BGH 12. 2. 2003, VI ZR 13001) ausgeführt, dass die Verträge über die Ausgabe und Verwendung von Kundenkarten lediglich Rahmenverträge darstellen, in denen die Vertragskonditionen, Zahlungsmodalitäten uä festgelegt werden, die Kunden aber nicht dazu verpflichten, Waren oder sonstige Leistungen der Beklagten zu beziehen. Die entsprechenden Kauf- und Werkverträge kommen erst in dem vom Pächter geführten Betrieb unter dessen Mitwirkung zustande, sodass seine Tätigkeit für die Geschäftsabschlüsse mitursächlich ist. Die Beklagte gestand schon im erstinstanzlichen Verfahren zu, dass die „Cards“ nicht standortgebunden sind, womit sie per se auch keine Bindung an eine bestimmte Tankstelle vermitteln. Davon ausgehend ist hier nicht ersichtlich, warum Flottenkartenkunden schon bei der Ermittlung des Stammkundenanteils außer Acht zu lassen gewesen wären. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können Tankkartenkunden – ähnlich der Sogwirkung der Marke – allenfalls aus Billigkeitsgesichtspunkten eine Minderung des Ausgleichsanspruchs rechtfertigen (9 Ob 21/13y mwN), wofür es aber – wie vom Berufungsgericht unter Hinweis auf Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts II9, Kap VIII Rz 91 mwN, zutreffend ausgeführt – auf substantiiertes Vorbringen und damit auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Ersteres wurde vom Berufungsgericht verneint. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten (Replik vom 12. 11. 2014, S 5 f, ON 56) bezog sich auch nur auf die Frage der Einbeziehung der Flottenkartenkunden in den Stammkundenanteil.

7. Die Beklagte weist darauf hin, dass die pächterbezogenen Faktoren Service, Freundlichkeit und Sauberkeit nicht festgestellt wurden. Die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getätigten Ausführungen des Erstgerichts lassen allerdings keinen Zweifel daran, dass es auch für den konkreten Fall von einer üblichen Serviceleistung, Freundlichkeit und Sauberkeit beim Betrieb der Tankstelle durch den Schuldner ausging. Gründe für einen höheren Billigkeitsabschlag liegen in diesem Zusammenhang nicht vor.

8. Auch dass das Berufungsgericht die Nichteinrichtung des Anderkontos nicht zum Nachteil des Schuldners berücksichtigt hat, ist hier vertretbar, steht doch fest, dass der Schuldner daran schuldlos war.

9. Der von der Beklagten begehrten Berücksichtigung der Markenloyalität und des Bekanntheitsgrades ihrer Marke steht im vorliegenden Fall die Negativfeststellung des Erstgerichts zur Sogwirkung der Marke entgegen.

10. Da die Revision der Beklagten zusammenfassend keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (s RIS‑Justiz RS0035979).

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