OGH 2Ob4/17b

OGH2Ob4/17b28.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin M***** GmbH, *****, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin W***** L***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Norbert Wiesinger, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Amtsparteien Bundeswettbewerbsbehörde, Radetzkystraße 2, 1030 Wien, und Bundeskartellanwalt, Schmerlingplatz 11, 1011 Wien, wegen § 26 KartG, betreffenden Ablehnung einer Richterin infolge Rekurses der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 30. November 2016, GZ 11 Nc 25/16k‑3, mit dem der Ablehnungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00004.17B.0328.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die abgelehnte Richterin ist die Senatsvorsitzende in der dem Ablehnungsverfahren zugrundeliegenden Kartellrechtssache.

Mit Beschluss vom 10. 2. 2016 (ON 248, Band VII) trug sie dem Sachverständigen auf, binnen fünf Monaten ein Ergänzungsgutachten über diverse Fragen zu erstatten. Gleichzeitig stellte sie den Parteien frei, binnen zwei Wochen Vorschläge für wesentliche Präzisierungen des Gutachtensergänzungsauftrags zu unterbreiten, und wies sie an, den Sachverständigen „auf jede erforderliche Weise zu unterstützen“.

Am 23. 2. 2016 (ON 249) beantragte die Antragsgegnerin die Erstreckung der eingeräumten Frist bis 11. 3. 2016; dem Antrag gab die Vorsitzende statt (ON 250).

Die Antragstellerin sprach sich in ihrer Stellungnahme im Wesentlichen gegen die Einholung eines Ergänzungsgutachtens aus (ON 251). Die Antragsgegnerin beantragte Präzisierungen, denen die Vorsitzende teilweise Folge gab (ON 253, 254).

In einem E‑Mmail vom 2. 6. 2016 ersuchte der Sachverständige um eine Verlängerung der Gutachtensfrist bis 10. 10. 2016. Die Antragstellerin habe die Übermittlung relevanter Unterlagen bis spätestens 23. 6. 2016 in Aussicht gestellt. Die Vorsitzende kam dem Ersuchen nach und informierte den Vertreter der Antragstellerin davon am 13. 7. 2016 telefonisch (ON 258, 260).

Daraufhin stellte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 15. 7. 2016 (ON 259) einen Eventualantrag auf Feststellung, einen Antrag auf Widerruf des Gutachtensauftrags und einen Antrag auf Kostenersatz.

Am 15. 9. 2016 ersuchte der Sachverständige neuerlich um Fristerstreckung bis 10. 12. 2016 (ON 265). Die Antragstellerin sprach sich in einer eingeräumten Stellungnahme gegen die Fristerstreckung aus (ON 267).

Die Vorsitzende gab dem Fristerstreckungs-ersuchen mit Beschluss vom 7. 10. 2016 statt (ON 268).

Daraufhin lehnte die Antragstellerin die Vorsitzende mit Schriftsatz vom 18. 10. 2016 (ON 269) als befangen ab. Das Verfahren werde durch Beauftragung eines offenkundig unnotwendigen Ergänzungsgutachtens im Interesse der Antragsgegnerin verschleppt und deren Erstreckungsanträgen ebenso wie jenen des Sachverständigen (der überdies von der Antragstellerin als befangen abgelehnt worden sei) zu Unrecht stattgegeben.

Die Antragsgegnerin sprach sich gegen den Ablehnungsantrag aus, die Amtsparteien äußerten sich nicht. Die Senatsvorsitzende stellte ihre Befangenheit in Abrede (ON 271 und 273).

Das Oberlandesgericht wies mit dem nunmehr bekämpften Beschluss den Ablehnungsantrag zurück. Bei der Antragstellung vom 15. 7. 2016 (ON 259) seien der Antragstellerin alle nunmehr als Ablehnungsgründe beanstandeten Verfahrensschritte der Vorsitzenden bis zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen. Insoweit sei der Ablehnungsantrag daher verspätet. Zu prüfen bleibe daher die zweite Fristerstreckung mit Beschluss vom 7. 10. 2016 (ON 268). Selbst wenn man die Ansicht vertrete, dieser hätte zugunsten der Verfahrensbeschleunigung abgewiesen werden müssen, liege in der dennoch erfolgten Stattgebung kein schwerwiegender Verstoß gegen Verfahrensgrundsätze, zumal rechtliches Gehör gewährt worden und die Frist um nur zwei Monate verlängert worden sei, was keine gravierende Verfahrensverzögerung bewirke. Der Ablehnungsgrund liege daher nicht vor.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Rekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, dem Ablehnungsantrag stattzugeben.

Die Antragsgegnerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt .

1. Die Rekurswerberin macht eine Reihe von unterlassenen Feststellungen, insbesondere betreffend den gesamten Verlauf des seit 2009 anhängigen Verfahrens, sowie sekundäre Feststellungsmängel wegen der Nichtberücksichtigung der Verfahrensführung der Vorsitzenden vor den Anträgen vom 15. 7. 2016 geltend. Die Rechtsrüge wendet sich gegen die angenommene Verfristung des Ablehnungsgrundes in Bezug auf die Verfahrensführung vor diesem Zeitpunkt. Die Rekurswerberin listet eine Reihe von Verfahrensmängeln mit verfahrensverlängerndem Effekt auf und ortet letztlich in deren aufgezeigter Häufung einen eindeutigen Hinweis auf die mangelnde Objektivität der Senatsvorsitzenden.

2. Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive (RIS‑Justiz RS0045975). Der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, soll jedenfalls vermieden werden (RIS‑Justiz RS0046052). Bei Prüfung der Unbefangenheit ist zwar im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen, die Ablehnung soll jedoch nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien eines ihnen nicht genehmen Richters entledigen können (RIS‑Justiz RS0046087; RS0109379 und RS0111290).

3. Weder die (angebliche) Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung noch das Vertreten einer bestimmten Rechtsmeinung durch den Richter bildet einen Ablehnungsgrund; dies selbst dann, wenn die Rechtsansicht von der herrschenden Rechtsprechung abgelehnt wird (RIS‑Justiz RS0045916). Meinungsverschiedenheiten in Rechtsfragen sind nicht im Ablehnungsverfahren auszutragen (RIS‑Justiz RS0111290). Bei einem unterlaufenen Fehler kann eine Entscheidung unrichtig sein, ohne dass jedoch eine unsachliche Entscheidung vorliegt. Eine unrichtige Entscheidung kann nur im Rechtsmittelweg bekämpft werden, womit bezweckt wird, die gefällte Entscheidung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, während das Ablehnungsverfahren darauf abzielt, den abgelehnten Richter aus dem Verfahren überhaupt auszuschalten (RIS‑Justiz RS0046019).

Es kann nicht Aufgabe des zur Beurteilung eines aus der Entscheidung eines Richters abgeleiteten Ablehnungsantrags berufenen gerichtlichen Organs sein, die Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (RIS‑Justiz RS0046047 sowie RS0111290 [T7 und T14]).

4. Auch Verfahrensmängel vermögen in der Regel nicht die Befangenheit des Gerichts darzutun (RIS‑Justiz RS0046090). Sie können den Anschein der Befangenheit dann begründen, wenn es sich dabei um schwerwiegende Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze handelt, die an der Objektivität des Richters mit Grund zweifeln lassen (RIS‑Justiz RS0045916 und RS0046090 [T7]).

5. Das Kartellgericht entscheidet in Kartellangelegenheiten gemäß § 38 KartG im Verfahren außer Streitsachen mit den im KartG vorgesehenen Modifikationen. Mangels spezifischer Regelungen über die Beweisaufnahme gilt § 13 AußStrG, der seinerseits keinen bestimmten gegliederten Verfahrensablauf vorsieht, sondern lediglich anordnet, dass das Verfahren so zu gestalten ist, dass eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung des Verfahrensgegenstands und eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet werden, wobei die Parteien das Gericht zu unterstützen haben (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 176). Als Beweismittel kommt im Außerstreitverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhalts geeignet und zweckdienlich ist (Fucik/Kloiber, AußStrG § 31 Rz 1; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 31 Rz 8: „Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel“).

Die Tätigkeit des Sachverständigen ist aufgrund der Komplexität der zu beurteilenden Sachverhalte gerade im Kartellverfahren von großer Bedeutung. Notwendig wird seine Bestellung immer dann, wenn der Richter die zur Beurteilung des Gegenstands der Erhebung erforderlichen Sachkenntnisse nicht besitzt. Dies kann aber letztlich nur der Richter selbst beurteilen, weshalb sogar nach § 183 Abs 2 ZPO der Sachverständigenbeweis uneingeschränkt – also auch gegen den Willen der Parteien – zulässig ist (Solé aaO Rz 201; vgl auch Hainz‑Sator in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005, § 38 Rz 26). Auch nach § 31 Abs 3 AußStrG – auf den mangels spezieller Regelungen im KartG wiederum zurückzugreifen ist – kann das Gericht Sachverständige bestellen, ohne vorher die Parteien über die Person zu vernehmen; lediglich der Bestellungsbeschluss ist zuzustellen (Fucik/Kloiber, AußStrG § 31 Rz 3; Rechberger in Rechberger, AußStrG2 § 31 Rz 5).

6. Das Kartellgericht hat daher sowohl bei der Frage der Bestellung eines Sachverständigen als auch bei jener, ob Verlängerungen der Frist für die Gutachtenserstattung gewährt werden können, jeweils zwischen der Notwendigkeit, nicht vorhandenes, aber für die gründliche Beurteilung notwendiges Sachwissen zu ermitteln, und jener, eine möglichst kurze Verfahrensdauer zu gewährleisten, abzuwägen.

Wenn diese Abwägung hier – mag dies auch gegen den Willen einer Partei und sogar wiederholt erfolgt sein – zugunsten der Fristverlängerungen ausfiel, kann darin kein die Objektivität der Richterin in Zweifel ziehender, gravierender Verfahrensverstoß erblickt werden. Damit fallen aber auch die weiter monierten Fehler der Verfahrensführung, insbesondere die Fristverlängerungen gegenüber der Antragsgegnerin, nicht in entscheidungsrelevanter Weise ins Gewicht und sind die in diese Richtung als fehlend erachteten Feststellungen, ebenso wie jene zu Verfahrensumständen aus der Zeit vor der Vorsitzübernahme durch die abgelehnte Richterin sowie die Frage, ob diese als Einheit mit der späteren Verfahrensführung oder für sich – und damit als verfristet – anzusehen sind, nicht mehr entscheidungswesentlich.

Die Frage des Vorgehens der Vorsitzenden in Zusammenhang mit der Marktdefinition des Sachverständigen und seinem Umgang mit anonymisierten Daten ist eine solche, die gegebenenfalls im kartellgerichtlichen Rechtsmittelverfahren, nicht aber im Ablehnungsverfahren zu klären ist. Eine daraus einen Ablehnungsgrund der vorsitzenden Richterin konstruierende mangelnde Objektivität ist auch insoweit nicht ersichtlich.

Dem Rekurs war daher der Erfolg zu versagen.

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