OGH 11Os123/16x

OGH11Os123/16x17.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Jänner 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Oeljeschläger als Schriftführerin in der Strafsache gegen E***** P***** und D***** S***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 30. Juni 2016, GZ 16 Hv 40/16d‑20, weiters über die Beschwerde der E***** P***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 20. September 2016, GZ 16 Hv 40/16d‑30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00123.16X.0117.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde E***** P***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 2, 12 dritter Fall, 206 Abs 1 StGB (B./ iVm A./1./) und D***** S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A./1./) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 2 StGB (A./2./a./) sowie der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Satz, Abs 4 Z 1, Z 3 lit b StGB (A./2./b./) schuldig erkannt.

Danach hat – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant – in K***** und andernorts

A./ D***** S*****

1./ zwischen September 2015 und 14. Februar 2016 mit einer unmündigen Person den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er in zwanzig bis dreißig Angriffen an der am ***** 2002 geborenen L***** P***** wiederholt den vaginalen, analen und oralen Geschlechtsverkehr vollzog und von der Genannten letzteren an sich vornehmen ließ;

2./ …

B./ E***** P***** zwischen November 2015 und 14. Februar 2016 „zu den zu A./1./ genannten Handlungen des S***** beigetragen, indem sie die aus ihrer Obsorgepflicht gegenüber ihrer unmündigen Tochter entspringende Verpflichtung der Verhinderung der Übergriffe durch Anzeigeerstattung oder Kontaktaufnahme mit S***** sowie dem Kindesvater des Opfers und Unterbindung weiterer Treffen zwischen S***** und dem Opfer unterließ“ [und die Tochter überdies bei Erlangung der „Pille“ unterstützte - US 4].

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a, lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten P***** und die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*****.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten P*****:

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfielen die Anträge auf „Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über die Tochter der Angeklagten zum Beweis dafür, dass für die Angeklagte für den Fall des Vertrauensmissbrauches gegenüber ihrer Mutter eine massive Gefährdung des Naheverhältnisses zwischen Mutter und Tochter und eine massive Gefährdung der Tochter zu erwarten war“, auf „Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens über die Erstangeklagte selbst zum Beweis darüber, dass die Angeklagte mit der Situation überfordert und nicht mehr dispositionsfähig war“ und auf „Einvernahme der Zeugen Günther F***** und Alois L***** zum Beweis dafür, dass die Anzeigeerstattung und Kritik durch die beiden Zeugen am Kontakt des Opfers zum Täter zu einer massiven Beschädigung des Naheverhältnisses des Opfers gegenüber diesen Zeugen und damit dazu geführt hat, dass die Möglichkeit der Zeugen, dem Opfer beizustehen, erheblich reduziert bzw nahezu ausgeschlossen sind“ (ON 19 S 12 f) zu Recht.

Eine Beweisaufnahme zu den erst- und letztgenannten Anträgen durfte unterbleiben, weil das Beweisthema als erwiesen galt (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; RIS‑Justiz RS0124908 [T1]; ON 19 S 13, US 6).

Dem die Dispositionsfähigkeit der Angeklagten thematisierenden Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens war nicht zu entnehmen, warum die beantragte Beweisaufnahme das von ihr behauptete Ergebnis erwarten lasse und stellte sich demzufolge mit der bloßen Behauptung mangelnder Handlungsmöglichkeiten als bloße Erkundung dar (RIS‑Justiz RS0118444; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 327, 330). Eine Überforderung der Angeklagten mit der Situation gestand das Gericht zu (neuerlich § 55 Abs 2 Z 3 StPO; ON 19 S 13, US 6).

Die die Beweisanträge ergänzenden Beschwerdeausführungen sind unbeachtlich, weil die Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (RIS‑Justiz RS0099618, RS0091117; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 325); soweit die Beschwerde die Begründung der Abweisungen kritisiert, verfehlt sie den gebotenen Bezugspunkt (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 318).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) will nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Unter– teilweise nominell nach Z 5 dargelegtem – Hinweis auf die eigene Verantwortung zu ihrer Annahme der Beendigung der sexuellen Beziehung sowie zur Verschreibung der „Pille“ versucht die Beschwerdeführerin lediglich ihrer Einlassung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zum Durchbruch zu verhelfen, ohne beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) hält – wie bereits aus dem Vorbringen „in Abänderung zu den Tatsachenfeststellungen ist auch festzuhalten“, ersichtlich – nicht an den getroffenen Feststellungen fest (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584, 593). Danach konfrontierte die Angeklagte den S***** nicht persönlich, sah von einer Anzeigeerstattung ab, verhalf unter falschen Angaben ihrer Tochter zur Verschreibung der „Pille“ und unternahm – insbesondere – keine „massiveren Maßnahmen zur Verhinderung der verbotenen Sexualkontakte“, zu denen sie aufgrund ihrer Obsorgepflicht gegenüber ihrer unmündigen Tochter verpflichtet gewesen wäre (US 4 f). Weshalb dennoch Feststellungen zum von der Beschwerdeführerin ausgesprochenen Verbot einer sexuellen Beziehung und dem diesbezüglichen Versprechen ihrer Tochter zur rechtsrichtigen Unterstellung der Taten erforderlich sein sollen, leitet die Beschwerde nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588).

Ebenso erklärt die den Schuldausschließungsgrund des entschuldigenden Notstands behauptende Rechtsrüge (Z 9 lit b) nicht, dass die Verletzung der sexuellen Integrität der Tochter der Beschwerdeführerin nicht unverhältnismäßig schwerer als der (temporäre) Bruch des Vertrauensverhältnisses wiegen sollte und von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen, der sich in derselben Lage befindet, kein anderes Verhalten zu erwarten wäre (vgl § 10 Abs 1 StGB).

Weshalb eine Einstellung wegen Geringfügigkeit gemäß § 191 Abs 2 StPO bei dem mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB möglich sein soll, obwohl ein solches Vorgehen eine Straftat, die nur mit Geldstrafe, mit einer Freiheitsstrafe, deren Höchstmaß drei Jahre nicht übersteigt, oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedroht ist, voraussetzt, leitet die Beschwerdeführerin (dSn § 281 Abs 1 Z 10a StPO) ebenfalls nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*****:

D***** S***** erklärte nach Urteilsverkündung „drei Tage Bedenkzeit“ (ON 19 S 16) und meldete rechtzeitig ausdrücklich (bloß) Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe an (ON 23 S 7). Eine Anmeldung des Rechtsmittels der Nichtigkeitsbeschwerde binnen drei Tagen nach Verkündung des Urteils erfolgte nicht.

Der unmissverständlich bekundete Wille des Angeklagten, den Schuldspruch zu akzeptieren und lediglich das Strafausmaß zu bekämpfen, genügt dem Erfordernis einer deutlichen und bestimmten Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht (RIS‑Justiz RS0100007 [T1, T8]). Vielmehr ist darin ein ausdrücklicher und unwiderruflicher Verzicht (RIS-Justiz RS0099945) auf das gegen den Schuldspruch gerichtete Rechtsmittel zu erblicken, sodass sich die ohne Anmeldung ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 1 StPO als unzulässig erweist (RIS‑Justiz RS0100132, RS0099992, RS0099056).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Anzumerken bleibt, dass das Erstgericht bei der Strafbemessung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 39a StGB (US 6) ausging, obwohl die den Angeklagten zur Last liegenden Taten nach den getroffenen Feststellungen nicht unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung begangen wurden. Diese Urteilsnichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StGB; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 666) bietet keinen Anlass für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO, weil sie sich – als im Rahmen der Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten korrigierbar – noch nicht zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt hat.

Die Beschwerde der Erstangeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Schöffensenats vom 30. Juni 2016 (ON 30), mit dem der Antrag auf Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung abgewiesen wurde, bezieht sich auf Vorgänge oder Umstände (angebliche Auslassungen und Fehlen des Urteilsspruchs mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO bezeichneten Angaben), die nicht im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde als Urteilsanfechtungsgründe geltend gemacht werden. Sie ist damit – ohne einer inhaltlichen Erwiderung zu bedürfen – erledigt (RIS‑Justiz RS0126057, RS0120683).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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