European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00218.16V.1219.000
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Die Beklagte (Alleineigentümerin und Wohnungseigentumsorganisatorin) begründete im September 2012 mit einer KG, zu der sie in keinem wirtschaftlichen Naheverhältnis stand, Wohnungseigentum an einer Liegenschaft. Im Oktober 2013 verkaufte die Beklagte mit Wohnungseigentum an einer Wohnung verbundene Miteigentumsanteile an den Kläger. In der Folge wurden die Statik des Gebäudes gefährdende Schäden im Keller des Hauses repariert.
Der Kläger begehrt mit seinem Hauptbegehren 9.241,15 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für weitere zukünftige Kosten, die aufgrund von notwendigen größeren Erhaltungsmaßnahmen an allgemeinen Teilen der Liegenschaft im Zeitraum 24. 10. 2013 bis 24. 10. 2023 entstehen. Darüber hinaus erhob er mehrere Eventualbegehren auf Feststellung.
Das Erstgericht wies sämtliche Begehren ab.
Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil zur Verfahrensergänzung auf und bejahte in der rechtlichen Beurteilung die in dritter Instanz ausschließlich umstrittene Anwendbarkeit des § 37 Abs 4 WEG 2002 auf den Fall des sukzessiven Abverkaufs von Wohnungen durch den Wohnungseigentumsorganisator. Es ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil sich der jüngst ergangenen Entscheidung 6 Ob 56/16b nicht eindeutig entnehmen lasse, ob die zitierte Bestimmung auch dann Anwendung finde, wenn die Begründung des Wohnungseigentums ohne Einsatz eines Gründungshelfers iSd § 49 Abs 2 WEG 2002 erfolgt sei.
Der – beantwortete – Rekurs der beklagten Partei ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Vor oder mit der Zusage der Einräumung des Wohnungseigentums an Teilen eines Hauses, dessen Baubewilligung zum Zeitpunkt der Zusage älter als 20 Jahre ist, haben die Wohnungseigentumsorganisatoren dem Wohnungseigentumsbewerber ein Gutachten eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbauwesen über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses, insbesondere über in absehbarer Zeit notwendig werdende Erhaltungsarbeiten, zu übergeben. Das Gutachten darf zum Zeitpunkt der Zusage nicht älter als ein Jahr sein und ist in den Kaufvertrag über den Liegenschaftsanteil, an dem Wohnungseigentum erworben werden soll, einzubeziehen; mit seiner Einbeziehung gilt der darin beschriebene Bauzustand als bedungene Eigenschaft (§ 922 Abs 1 ABGB). Wird in den Kaufvertrag kein solches Gutachten einbezogen, so gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert (§ 37 Abs 4 WEG 2002). Diese Regelung kann zufolge § 37 Abs 6 WEG 2002 nicht vertraglich abbedungen werden.
2. § 37 Abs 4 Satz 3 WEG 2002 ist als gesetzlich typisierte Gewährleistungspflicht zu betrachten (RIS‑Justiz RS0130865; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 37 WEG 2002 Rz 41; Gartner in Illedits/Reich‑Rohrwig Wohnrecht2 § 37 WEG 2002 Rz 20).
3. § 37 Abs 4 WEG 2002 übernimmt den durch die Novelle 1997 in § 23 Abs 3 Z 4 WEG 1975 eingeführten speziellen Schutzmechanismus, der den Erwerber vor überraschenden Belastungen bewahren soll, wie sie beim Erwerb von Wohnungseigentum in einem „Althaus“ in Unkenntnis des Erhaltungszustands des Gebäudes aus der allgemeinen Kostentragungspflicht des (späteren) Wohnungseigentümers resultieren können (Vonkilch aaO Rz 5 und 37).
4. Der Gesetzgeber des WEG 2002 wollte die Fortwirkung dieses Schutzzwecks nach der erstmaligen Begründung von Wohnungseigentum insbesondere für zwei Fälle vorsehen: Zum einen, wenn Wohnungseigentum von einem Wohnungseigentumsorganisator und einem „Gründungshelfer“ iSd § 49 Abs 2 WEG 2002 begründet wurde; zum anderen bei Erwerb von vorläufigem Wohnungseigentum in einem „Althaus“ (Vonkilch aaO § 37 WEG 2002 Rz 38; AB 1050 BlgNR 21.GP 12).
5. Im Schrifttum vertritt Call (Wie lange sind Gewährleistungs‑ und/oder Schadenersatzansprüche aus Mängeln an allgemeinen Teilen der Liegenschaft bei sukzessiver Begründung von Wohnungseigentum gerichtlich durchsetzbar, wobl 2006, 69 [70, 72]) bei sukzessivem Verkauf von Wohnungen durch den Wohnungseigentumsorganisator die Auffassung, der Schutz des § 37 Abs 4 WEG 2002 könne nicht mit dem Argument ausgehebelt werden, es liege keine sukzessive neue Wohnungseigentumsbegründung, sondern in Wahrheit bloß derivativer, also abgeleiteter Erwerb von Wohnungseigentum (des Wohnungseigentumsorganisators) vor. Der Oberste Gerichtshof hat diesen Überlegungen folgend in den Entscheidungen 6 Ob 56/16b und 6 Ob 141/16b den Schutz des § 37 Abs 4 WEG 2002 auf spätere Wohnungseigentümer erstreckt, die nach Begründung von Wohnungseigentum ihre mit Wohnungseigentum verbundenen Miteigentumsanteile vom Wohnungseigentumsorganisator erworben haben. Entgegen der Meinung der Beklagten lässt sich die Aussage des Obersten Gerichtshofs zur (analogen) Anwendung des § 37 Abs 4 WEG 2002 nicht auf den – hier nach den Feststellungen nicht verwirklichten – Fall der erstmaligen Begründung des Wohnungseigentums mit einem „Gründungshelfer“ iSd § 49 Abs 2 WEG 2002 beschränken. In 6 Ob 56/16b qualifizierte er jene Vertragspartner des dortigen Wohnungseigentumsorganisators, mit denen dieser erstmals Wohnungseigentum begründete, nicht ausdrücklich als Gründungshelfer iSd § 49 Abs 2 WEG 2002. Diese Bestimmung setzt voraus, dass zwischen dem Wohnungseigentumsorganisator und dem einzigen weiteren Mitglied der Eigentümergemeinschaft ein familiäres oder wirtschaftliches Naheverhältnis besteht. Ob ein solches Verhältnis vorlag, ließ sich nach den Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts in diesem Verfahren auch nicht beurteilen.
7. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat bereits andere Schutzbestimmungen zugunsten des Wohnungseigentumsbewerbers gegenüber dem Wohungseigentumsorganisator auf das Stadium nach erstmaliger Wohnungseigentumsbegründung angewendet.
7.1 Als Wohnungseigentumsbewerber nach § 23 Abs 1 WEG 1975 wurde auch eine Person angesehen, deren Wohnungseigentum bereits verbüchert war, deren Wohnung aber noch nicht übergeben worden war (RIS‑Justiz RS0083182). Zu 5 Ob 228/99m wendete der Oberste Gerichtshof § 24 Abs 1 WEG 1975 (nunmehr § 38 Abs 1 WEG 2002) auf das Verhältnis zwischen dem Wohnungseigentumsorganisator (Verkäufer) und einem Erwerber an, der mit dem Wohnungseigentum an einer Dachwohnung verbundenen Miteigentumsanteile vom Wohnungseigentumsorganisator mit einer Vereinbarung eines Wiederkaufsrechts zu dessen Gunsten erworben hatte.
7.2 Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits mehrfach die Anmerkung der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum nach § 40 Abs 2 WEG 2002 zugelassen, obwohl an dem betroffenen Objekt das Wohnungseigentum des Wohnungseigentumsorganisators oder Bauträgers (erstmals) einverleibt worden war (5 Ob 96/16b; 5 Ob 97/16z). Zu 5 Ob 6/16t (wobl 2016/97, 328 [zust Bittner], NZ 2016/131, 379 [zust Hoyer]) billigte er einer Erwerberin, die über eine Anmerkung nach § 40 Abs 2 WEG 2002 verfügte, das Recht zu, die Einverleibung ihres Eigentums am Mindestanteil und des Wohnungseigentums im Rang der Anmerkung zu beantragen, wenn das Eigentumsrecht des Wohnungseigentumsorganisators anlässlich der erstmaligen Wohnungseigentumsbegründung im laufenden Rang eingetragen worden war. Der Schutzgedanke des § 40 Abs 2 WEG 2002 (frühzeitige grundbücherliche Sicherung des Wohnungseigentumsbewerbers) komme auch zum Tragen, wenn ein Alleineigentümer und Wohnungseigentumsorganisator einen Wohnungseigentumsvertrag nur mit einem Wohnungseigentumsbewerber schließe und Mindestanteil und Wohnungseigentum an dem (den) zugesicherten Wohnungseigentumsobjekt(en) zugunsten seines Vertragspartners im Rang der Anmerkung eingetragen werden, während hinsichtlich sämtlicher anderer Wohnungseigentumsobjekte, für die Anmerkungen zugunsten der übrigen Wohnungseigentumsbewerber bestünden, das Eigentum des Organisators am Mindestanteil und Wohnungseigentum jeweils im laufenden Rang eingetragen werde. Ansonsten könnte ein Wohnungseigentumsorganisator die rangwahrende Wirkung einer Anmerkung zugunsten der anderen Wohnungseigentumsbewerber beseitigen.
7.3 Der Oberste Gerichtshof beschränkte in den zu Punkt 7.2 zitierten Entscheidungen den Grundsatz, dass der Schutz eines Wohnungseigentumsbewerbers bei derivativem Erwerb von mit Wohnungseigentum verbundenen Miteigentumsanteilen vom Wohnungseigentumsorganisator fortwirkt, nicht auf Fälle der erstmaligen Begründung von Wohnungseigentum mit einem Gründungshelfer oder der vorläufigen Begründung von Wohnungseigentum zugunsten des Alleineigentümers.
8. Die dem Zulassungsausspruch zugrunde gelegte Frage ist somit durch die jüngere Rechtsprechung bereits im Sinn der Entscheidung des Berufungsgerichts beantwortet worden: § 37 Abs 4 WEG 2002 ist bei sukzessivem Abverkauf von Wohnungen durch den Wohnungseigentumsorganisator auch dann anzuwenden, wenn die erstmalige Begründung des Wohnungseigentums ohne Einsatz eines Gründungshelfers im Sinn des § 49 Abs 2 WEG 2002 erfolgte oder kein vorläufiges Wohnungseigentum des Alleineigentümers begründet wurde. Die Beklagte als frühere Alleineigentümerin und Wohnungseigentumsorganisatorin (die am 10. 8. 2015 noch als Mehrheitseigentümerin im Grundbuch eingetragen war [Beilage ./B]) traf im Verhältnis zum klagenden Käufer die Verpflichtung des § 37 Abs 4 WEG 2002.
9. Diesem Ergebnis steht die Tatsache nicht entgegen, dass der Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanzen seit 2004 Mieter des Wohnungseigentumsobjekts gewesen war. Die Gewährleistungsvorschriften des § 37 Abs 4 WEG 2002 sind zwingend und können nach § 37 Abs 6 WEG 2002 nicht vertraglich ausgeschlossen werden. Zufolge § 37 Abs 4 letzter Satz WEG 2002 galt ein Erhaltungszustand des Hauses vereinbart, der in den nächsten 10 Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert. Dies gilt auch gegenüber einem Erwerber, der bereits seit mehreren Jahren Mieter im Haus war. Dass ein solcher Mieter den Erhaltungszustand des Hauses vielleicht besser beurteilen kann als ein Erwerber nach einer oder mehreren Besichtigungen, rechtfertigt nicht den Entfall jener zwingenden Pflichten, die den Wohnungseigentumsorganisator nach § 37 Abs 4 WEG 2002 treffen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen gibt es übrigens keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger die Schäden im Keller, die Anlass seiner Klage waren, kannte. Er verfügte nämlich über gar kein Kellerabteil.
10. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass nachträgliche Verschlechterung des Gebäudezustands nicht unter § 37 Abs 4 WEG 2002 fallen (Vonkilch aaO Rz 43 mwN) wird im Rekursverfahren nicht in Zweifel gezogen. Das Berufungsgericht hat ausgehend von dieser Rechtsansicht eine Verfahrensergänzung für notwendig erachtet. Dieser Einschätzung kann der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten (RIS‑Justiz RS0042179).
11. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Es handelt sich zwar um einen Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO (RIS‑Justiz RS0123222). Der Kläger hat dennoch keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Rekursbeantwortung, weil er nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat (10 Ob 36/16s mwN).
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