OGH 8ObA54/16y

OGH8ObA54/16y16.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und ADir. Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Beer & Steinmair Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Plankel, Dr. Herwig Mayrhofer & Partner Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen 9.411,40 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 8.433,50 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 22. Juni 2016, GZ 8 Ra 53/16x‑71, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00054.16Y.1216.000

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 2 ASGG, § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Das Berufungsgericht wies das Begehren der Klägerin auf Rückzahlung von Beträgen, die sie dem Beklagten, einem ihrer ehemaligen Agenten, als „Provisionsvorschüsse“ ausbezahlt hatte, ab.

Rechtliche Beurteilung

1. Der behauptete Verfahrensmangel liegt – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor. In Anbetracht der bereits vorhandenen, der Klägerin bekannten Rechtsprechung zur Unterscheidung von echten Provisionsvorschüssen einerseits und bereits entstandenen (verdienten) Provisionen andererseits (RIS‑Justiz RS0129353) ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht überraschend im Sinn des § 182 ZPO. Der Beklagte hat die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens im erstinstanzlichen Verfahren eingewendet, weshalb eine Anleitungspflicht insofern nicht bestanden hat (RIS‑Justiz RS0122365).

2. Die Revisionswerberin bestreitet, dass ihr Vorbringen unschlüssig sei. Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass sie die dem Beklagten überwiesenen Vorschüsse ohnedies nur anteilig (ausgehend vom Zeitpunkt der Stornierung des Vertrags durch den Kunden) zurückfordere. Soweit im Hinblick auf die bis dahin vom Kunden geleisteten Prämienzahlungen der Provisionsanspruch bereits entstanden sei, sei dem Beklagten die ihm zunächst vorschussweise geleistete Zahlung auch verblieben. Bei den zurückgeforderten Beträgen handle es sich daher ausschließlich um echte Vorschüsse, sodass insoweit Behauptungen über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs 3 HVertrG (und damit insbesondere darüber, aus welcher Sphäre die Gründe für die Stornierung stammten) gar nicht erforderlich seien.

2.1 Dem sind allerdings jene in der Revision ohnedies zitierten Überlegungen entgegenzuhalten, die der erkennende Senat bereits in der Entscheidung 8 ObA 19/15z angestellt hat:

Auch im damals zu beurteilenden, ebenfalls die Klägerin betreffenden Fall wurde der Klägerin bei erfolgreicher Vermittlung nach Zahlung der ersten Prämie durch den Kunden von ihrem jeweiligen Produktpartner eine (die gesamte) Provision gutgeschrieben, worauf die Klägerin die gesamte (Abschluss‑)Provision dem Verrechnungskonto des Agenten zuschrieb.

Diese Vorgangsweise entsprach auch Punkt I.2 der Vergütungsordnung über das „Entstehen des Vergütungsanspruchs“, der allerdings die weitere, (mittlerweile unstrittig) gegen § 9 Abs 2 HVertrG verstoßende Bedingung des Ablaufs der festgelegten Stornohaftungszeit enthielt. Der Oberste Gerichtshof billigte die Rechtsauffassung des damaligen Berufungsgerichts, dass Punkt I.2 der Vergütungsordnung wegen Verstoßes gegen die einseitig zwingenden Vorgaben des § 9 Abs 3 HVertrG bzw des § 26b Abs 2 letzter Satz HVertrG insoweit teilnichtig sei, dass aber die verbleibende Bestimmung, wonach das Entstehen des Provisionsanspruchs (nur) die Rechtswirksamkeit des (vermittelten) Geschäfts und die Zahlung der Provision dafür an die Beklagte durch die Produktgesellschaft vorsehe, nach dem Günstigkeitsprinzip von der Nichtigkeitssanktion nicht betroffen sei. Dies gelte allerdings mit der Maßgabe, dass es für das Entstehen des Provisionsanspruchs auf die Zahlung der Provision an die Klägerin (dort: Beklagte) dann nicht ankommt, wenn die Prämienzahlung des Kunden an die Produktgesellschaft zeitlich früher erfolgt (8 ObA 19/15z).

An dieser Rechtsauffassung, der die Revisionswerberin keine inhaltlichen Argumente entgegen hält, ist festzuhalten.

2.2 Die Revisionswerberin beruft sich allerdings auf die Entscheidung 9 ObA 47/15z, aus der sich ergebe, dass der 9. Senat des Obersten Gerichtshofs die eben wiedergegebene Rechtsauffassung nicht teile. Die zitierte Entscheidung des 9. Senats nimmt aber auf die Entscheidung 8 ObA 19/15z überhaupt nicht Bezug. Richtig ist lediglich, dass dem Vorbringen des Agenten, die Provision sei aus den eben genannten Gründen bereits mit jenem Zeitpunkt entstanden, in dem die Klägerin (dort Beklagte) die Provision von der Produktgesellschaft erhalten habe, die Entscheidung 8 ObA 20/14w entgegengehalten wird, die allerdings verkürzt zitiert wird und in Wahrheit der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht entgegensteht. Dort wird nämlich ausgeführt, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs 2 HVertrG der (unbedingte) Provisionsanspruch einseitig zwingend spätestens mit Ausführung des (abgeschlossenen) Geschäfts, also mit Erbringung der vertragsgemäßen Leistung, durch den Dritten (Kunden) entsteht. Bei (periodisch) wiederkehrenden Leistungen liegt ab der erstmaligen Prämienzahlung durch den Kunden eine teilweise Ausführung des Geschäfts vor, was dazu führt, dass damit zumindest und jedenfalls (mehr musste damals nicht geklärt werden) der zeitlich anteilsmäßige Provisionsanspruch bereits entsteht. § 9 Abs 2 HVertrG steht daher einer günstigeren vertraglichen Regelung nicht entgegen, die sich hier nach der Reduktion des Punktes I.2 der Vergütungsordnung um die teilnichtige Bestimmung (Ablauf der Stornohaftungszeit) ergibt.

2.3 Damit ist aber der gesamte Provisionsanspruch des Beklagten bereits mit der nach Vertragsabschluss und erster Prämienzahlung erfolgten Zahlung der Provision durch die Produktgesellschaft an die Klägerin in vollem Umfang entstanden, sodass eine Rückforderung von Teilen der Provision nur nach den einseitig zwingenden Vorgaben des § 9 Abs 3 bzw des § 26b Abs 2 letzter Satz HVertrG zulässig ist.

2.4 Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass diese Vorgaben hier nicht erfüllt sind, entspricht ebenfalls der in einem Verfahren der hier klagenden Partei (dort als Beklagte) ergangenen Entscheidung 8 ObA 19/15z: Danach ist bei einer Kündigung eines Vertrags durch den Kunden (auch „auf Wunsch eines Kunden“) nicht zu vermuten, dass die Umstände dafür nicht in der Sphäre des Unternehmers liegen. Vielmehr müsste der Unternehmer einen konkreten Sachverhalt behaupten, aus dem sich diese Konsequenz schlüssig ableiten lässt. Dies gilt gleichermaßen für die Fälle einer „Ablaufkündigung“. Auch die Behauptung, eine Prämienfreistellung oder eine Prämienreduktion liege objektiv nicht in der Sphäre der Beklagten (hier: der Klägerin) oder der Produktgesellschaft, begründet keine Vermutung und enthebt daher die Klägerin nicht von ihrer Behauptungslast. Die allgemeine Behauptung, dass die Produktgesellschaft jeweils alle zumutbaren Schritte zur Einbringung der Prämien unternommen habe, genügt ebenfalls nicht, um nachvollziehbar darzulegen, dass (in jedem einzelnen Fall einer Stornierung) der Rettungspflicht entsprochen worden wäre.

Auch insofern ist der Entscheidung 9 ObA 47/15z nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Der Oberste Gerichtshof begründet in dieser Entscheidung die Schlüssigkeit des Vorbringens der Unternehmerin mit übertriebenen Zusagen des Agenten an seine Kunden, die überwiegend aus seinem Verwandten- und Bekanntenkreis gestammt hätten. Diese seien nicht der Sphäre der Unternehmerin zurechenbar. Damit hält die Entscheidung ausdrücklich an der Notwendigkeit von Vorbringen darüber, wessen Sphäre der Auflösungsgrund zuzurechnen ist, fest. Ob diese Voraussetzungen – wie die Revisionswerberin nun geltend macht – damals nicht bei allen Kunden vorgelegen seien, ändert an diesem Rechtsstandpunkt nichts, sondern ist eine Frage der Tatsachenebene.

3. Das vom Berufungsgericht erzielte Ergebnis ist somit durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt und nicht zu beanstanden.

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