OGH 5Ob198/16b

OGH5Ob198/16b22.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** A*****, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei G***** G*****, vertreten durch Dr. Gernot Gasser und Dr. Sonja Schneeberger, Rechtsanwälte in Lienz, wegen Herausgabe, in eventu Unterlassung, in eventu Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Juni 2016, GZ 1 R 115/16t‑17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Lienz vom 17. Februar 2016, GZ 6 C 191/15f‑13, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00198.16B.1122.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revision des Beklagten ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

2. Seit dem Inkrafttreten des WEG 2002 mit 1. 7. 2002 ist eine Benützungsregelung schriftlich abzuschließen (§ 17 Abs 1 WEG 2002). Bis dahin konnten Benutzungsvereinbarungen aller Wohnungseigentümer auch konkludent durch jahrelange Beibehaltung einer bestimmten Nutzungsart geschlossen werden (RIS‑Justiz RS0013638 [T8]). Das Formerfordernis der Schriftlichkeit verhindert das Zustandekommen schlüssiger Benützungsvereinbarungen und die damit in aller Regel verbundenen Beweisprobleme und Rechtsunsicherheiten (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht23 § 17 WEG Rz 4).

3. Im Fall eines gesetzlichen Schriftformgebots ist eine ergänzende Auslegung von Urkunden durch den Formzweck beschränkt (Rummel in Rummel 3 § 886 Rz 13; RIS‑Justiz RS0117165). Nach der wohnrechtlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind der Wohnungseigentumsvertrag (5 Ob 181/02g), Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft (5 Ob 29/15y) und Vereinbarungen nach § 32 Abs 2 WEG 2002 (5 Ob 17/16k) nur nach dem einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut auszulegen, während die Feststellung des Willens der Parteien unmaßgeblich ist. Fehlt eine besondere Regelung im Wohnungseigentumsvertrag, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung infolge des Schriftlichkeitsgebots nicht in Betracht, wenn sie nicht eindeutig aus anderen Vertragsbestimmungen abgeleitet werden kann (5 Ob 182/02g).

4. Die beiden (einzigen) Wohnungseigentümer schlossen im März 2014 schriftlich eine Benützungsregelung, welche die Benutzung des umstrittenen „Heizraumes“ (der unstrittig nie als solcher ausgestattet oder verwendet wurde und mangels Wohnungseigentumstauglichkeit als gewidmet allgemeiner Teil des Hauses im Sinn des § 2 Abs 4 erster Fall WEG 2002 anzusehen ist) nicht explizit regelte. Das Berufungsgericht hat eine ergänzende Vertragsauslegung im Sinn einer Zuweisung dieses Raums an den Beklagten zufolge der in § 17 Abs 1 WEG 2002 geregelten Schriftform abgelehnt. Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der bisherigen Judikatur zum Schriftlichkeitsgebot bei Vereinbarungen oder Willensbildungen zwischen Wohnungseigentümern.

5. Der Kläger begehrt mit seinem Hauptbegehren die Herausgabe eines Schlüssels zu dem umstrittenen „Heizraum“. Das Berufungsgericht gab diesem Begehren statt. Der Beklagte meint in seiner Revision, dem Kläger stehe nicht die Wahl zu, wie er seinen Anspruch auf Mitbenützung eines allgemeinen Teils der Liegenschaft durchsetze. Er könne lediglich verlangen, dass der Beklagte es unterlasse, die von ihm eingebaute Tür zu versperren.

6. Mit der vorliegenden Klage wehrt sich der Kläger iSd § 523 ABGB gegen einen eigenmächtigen Eingriff des anderen Wohnungseigentümers, der ihn von der Benutzung eines allgemeinen Teils der Liegenschaft ausschließt. Es steht ihm nicht nur ein Anspruch auf Unterlassung künftiger Störungen, sondern auch ein solcher auf Wiederherstellung des vorigen Zustands zu (RIS‑Justiz RS0005944; vgl RS0112687 [T1]; RS0012112 [T3]). Der Wiederherstellungsanspruch ist nach den Kriterien des § 1323 ABGB zu beurteilen: Es genügt die Herstellung einer wirtschaftlich gleichwertigen oder gleichartigen Ersatzlage (5 Ob 143/04x; 1 Ob 62/16y mwN; RIS‑Justiz RS0015036 [T1]). Der Kläger fordert als „gelinderes Mittel“ nicht die Wiederherstellung des früheren Zustands durch bauliche Maßnahmen, sondern lediglich die Ausfolgung eines Schlüssels, um ihm Zutritt zum „Heizraum“ und dessen Mitbenützung zu verschaffen. Es ist den Revisionsausführungen nicht zu entnehmen, wieso diese Verpflichtung den Beklagten mehr beschwert als ein Begehren auf Wiederherstellung des früheren Bauzustands.

7. Die Rechtsprechung sieht in der Abwehr des eigenmächtigen Eingriffs eines Wohnungseigentümers durch einen anderen Wohnungseigentümer keine Schikane (RIS‑Justiz RS0012138). Diesem ist vielmehr ein Interesse an der Abwehr eines derartigen Eingriffs zuzubilligen (RIS‑Justiz RS0013203).

8. Zubehör‑Wohnungseigentum ist nach § 2 Abs 3 Satz 1 WEG 2002 das mit dem Wohnungseigentum verbundene Recht, andere, mit dem Wohnungseigentums-objekt baulich nicht verbundene Teile der Liegenschaft, wie Keller- und Dachbodenräume, Hausgärten oder Lagerplätze ausschließlich zu nutzen. Diese rechtliche Verbindung setzt– neben der in § 2 Abs 3 Satz 2 umschriebenen Zubehörtauglichkeit – eine entsprechende Widmung voraus (vgl T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch Österreichisches Wohnrecht³ § 2 WEG Rz 25; 5 Ob 218/13i; RIS‑Justiz RS0118149). Zufolge § 5 Abs 3 Satz 3 WEG 2002 idF WRN 2015, BGBl I 2014/100, erstreckt sich die Eintragung des Wohnungseigentums an einem Wohnungseigentumsobjekt auch auf dessen Zubehörobjekte, wenn sich die Zuordnung zum Wohnungseigentumsobjekt (ua) aus dem Wohnungseigentumsvertrag im Zusammenhalt mit der Nutzwertermittlung eindeutig ergibt. Nach den Übergangsbestimmungen in § 58c Abs 1 Satz 1 und 2 WEG 2002 gilt diese Neuregelung auch für Eintragungen, die vor ihrem Inkrafttreten mit 1. 1. 2015 vorgenommen wurden. Vorbringen und Festellungen zur Eintragung von Zubehörobjekten im Grundbuch fehlen hier zwar, diese Frage ist aber bei eindeutiger Zuordnung ohnehin nicht relevant.

9. Entscheidend für die Widmung eines Wohnungseigentums‑Zubehörobjekts (§ 2 Abs 3 WEG 2002) ist die privatrechtliche Einigung der Wohnungseigentümer, die in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag erfolgt (vgl RIS‑Justiz RS0120725). Die Beschreibung des Objekts oder die Bezeichnung der betreffenden Räume und der daraus resultierende Verwendungszweck in einem Nutzwertgutachten ist nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen, wenn diese Umstände in die Widmungsvereinbarung eingeflossen sind (vgl 5 Ob 105/16a mwN).

10. Das Nutzwertgutachten war samt Plänen Teil des Wohnungseigentumsvertrags. Es hielt fest, dass das Kellergeschoß aus den – den Wohnungseigentumsobjekten Top 1 und Top 2 als „Zubehör“ zugeordneten – Kellerräumen sowie einem der allgemeinen Benutzung verbleibenden Heizraum bestehe. Dieser wurde auch im Wohnungseigentumsvertrag selbst als allgemeiner Teil der Liegenschaft gewidmet. Auf dem Plan des Kellergeschosses wurden Kellerraum Nr 1 („Vorrat“) dem Wohnungseigentumsobjekt W1 (des Beklagten) und Kellerraum Nr 3 („Werkraum“) dem Wohnungseigentums-objekt W2 (des Klägers) zugeordnet. Die Widmung/Zuordnung als Zubehör zu einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt ist demnach unzweifelhaft und eindeutig erfolgt. Vorratsraum und „Heizraum“ wurden jedoch entgegen den Plänen nicht durch einen beide Räumlichkeiten erschließenden, zum allgemeinen Teil des Hauses gehörenden Gangbereich samt Trennwänden voneinander getrennt, sondern als ein großer Raum mit einer Zugangsmöglichkeit errichtet.

10. Der Beklagte schließt aus diesen tatsächlichen baulichen Gegebenheiten darauf, dass der Kläger nicht begehren dürfe, sich Zugang zu einem Raum zu verschaffen, der zum Teil Zubehörsobjekt des Beklagten sei. Sein Zubehörsobjekt müsste aber nach der Rechtsprechung deutlich im Sinn sinnlicher Wahrnehmbarkeit auch von allgemeinen Teilen der Liegenschaft abgegrenzt sein, um überhaupt zubehörstauglich zu sein (RIS‑Justiz RS0118605), Das ist nach den Festellungen der Vorinstanzen zur tatsächlichen baulichen Gestaltung eindeutig nicht der Fall. Die räumliche Zuordnung des in den Plänen als Zubehör zum Wohnungseigentumsobjekt des Beklagten eingezeichneten Kellerraums Nr 1 erstreckt sich nicht auf den gesamten Bereich des Zugangs zum „Heizraum“ als allgemeiner Teil der Liegenschaft, weshalb das Begehren des Klägers nicht nur auf die Verschaffung eines Zugangs zu einem, der ausschließlichen Nutzung des Beklagten vorbehaltenen Raum gerichtet ist. Die vom Beklagten als einzig möglich angesehene Alternative, nämlich ein Begehren des anderen Wohnungseigentümers auf Herstellung eines dem Bauplan, Baubescheid und Nutzwertgutachten entsprechenden Baubestands nutzt dem Revisionswerber wirtschaftlich gesehen wohl wenig.

11. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit wurde geprüft, er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

12. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

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