OGH 10ObS107/16g

OGH10ObS107/16g11.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Juni 2016, GZ 8 Rs 46/16t‑36, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00107.16G.1111.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der 1988 geborene Kläger, dem Berufsschutz als Kfz‑Techniker zukommt, leidet unter einer massiven, schwer behandelbaren Hauterkrankung.

Mit Bescheid vom 20. 1. 2014 lehnte die beklagte Partei seinen Antrag auf Weitergewährung der bis 31. 12. 2013 befristet gewährten Invaliditätspension mit der Begründung ab, dass Invalidität nicht dauerhaft vorliege. Es wurde festgestellt, dass weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege, Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation bestehe und Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig seien.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1. 1. 2014 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß auf Dauer zu gewähren, und stellte fest, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig seien.

Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

„Im Hinblick auf die schwere Hauterkrankung sind dem Kläger Arbeiten in Hitze und unter massiver Staubeinwirkung nicht mehr möglich; infolge Narbenzügen ist das Heben der Arme über Schulterniveau ausgeschlossen. Diese Einschränkungen des medizinischen Leistungskalküls sind selbst durch Operation und/oder Fortsetzung der (bisherigen) Therapie niemals mehr besserbar. Dem Kläger ist es nicht mehr möglich, den Beruf des Kfz‑Technikers in jeglicher qualifizierter Ausprägung auszuüben. Selbst bei– grundsätzlich möglicher – zukünftiger Besserung der Hauterkrankung ist ihm keine Tätigkeit im erlernten Beruf mehr möglich. Wie sich aus dem – im Rahmen des Prognose- und Berufsfindungsverfahrens erstellten – Ergebnisbericht ergibt, war der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz beruflich nicht rehabilitierbar.“

Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt dahingehend, dass die Voraussetzungen für den Zuspruch der dauernden Invaliditätspension erfüllt seien, weil der Kläger als dauerhaft invalid iSd § 254 Abs 1 ASVG anzusehen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit der Maßgabe, dass eine vorläufige Leistung aufgetragen wurde. Da der Kläger auch bei medizinischer Besserung seines Zustands nie wieder in der Lage sein werde, die vom Verweisungsfeld des Kfz‑Technikers abgesteckten Berufe auszuüben, sei er als dauerhaft invalid anzusehen. Sollte sich in Zukunft sein Gesundheitszustand so weit bessern, dass er eine nach § 303 Abs 3 und 4 ASVG zumutbare Umschulung in Form einer beruflichen Rehabilitation absolvieren könne, bestehe die Möglichkeit der Entziehung der Invaliditätspension gemäß § 99 Abs 1 ASVG.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der beklagten Partei ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

1. Für Versicherte im Anwendungsbereich des

SRÄG 2012 besteht ein Anspruch auf Invaliditätspension– bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – nur mehr dann, wenn Invalidität (§ 255 ASVG) aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands voraussichtlich dauerhaft vorliegt (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG idF

SRÄG 2012) und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) sind (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG idF

SRÄG 2012).

2. Die Arbeitsfähigkeit ist voraussichtlich dauerhaft gemindert, wenn eine Besserung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24). Nach ständiger Rechtsprechung muss der Versicherte unter dem Regime des SRÄG 2012 demnach nicht mehr beweisen, dass eine Besserung des Gesundheitszustands mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (eine Besserung unmöglich oder an Gewissheit grenzend unwahrscheinlich ist), sondern nur, dass sie nicht sehr wahrscheinlich ist, damit feststeht, dass Invalidität „voraussichtlich dauerhaft vorliegt“. Es genügt daher, wenn eine die Invalidität beseitigende Besserung des Gesundheitszustands der versicherten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit (im Sinne des Regelbeweismaßes der ZPO) nicht zu erwarten ist. Diesen Beweis einer anspruchsbegründenden Tatsache hat die versicherte Person zu erbringen (RIS‑Justiz RS0130217 [T3]). Es reicht nicht aus, dass irgendeine Besserungsmöglichkeit des Gesundheitszustands des Versicherten besteht, sondern entscheidend ist eine kalkülsrelevante, die Invalidität beseitigende Besserung (10 ObS 111/15v unter Hinweis auf Panhölzl, Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 88/10d, DRdA 2011/18, 153 [156 f]).

3. Beim Kläger müsste sich daher das medizinische Leistungskalkül so weit bessern können, dass er in der Lage wäre, irgendeine seinen Berufsschutz als Kfz-Techniker erhaltende Tätigkeit zu verrichten. Nach dem festgestellten Sachverhalt kann er aber die Tätigkeit eines Kfz-Technikers ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht mehr ausüben, dies selbst unter Berücksichtigung einer zukünftigen Besserung seines Gesundheitszustands (etwa infolge neu erfundener Therapien). Dem Kläger bleibt somit auf medizinischem Weg weder durch Krankenbehandlung noch durch medizinische Rehabilitation eine Möglichkeit, den bisherigen Beruf auszuüben. Eine kalkülsrelevante, die Invalidität beseitigende Besserungsmöglichkeit ist nicht gegeben. Die Ansicht des Berufungsgerichts, es liege voraussichtlich dauerhafte Invalidität iSd § 254 Abs 1 Z 1 ASVG vor, weicht demnach nicht von der bisherigen Rechtsprechung ab.

4.1 Stellt sich im sozialgerichtlichen Verfahren heraus, dass der Kläger dauerhaft invalid ist, so muss das Sozialgericht von Amts wegen das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG prüfen, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension erfüllt sind. Danach ist weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Invaliditätspension, dass die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) sind (Födermayr in SV‑Komm [139. Lfg] § 254 ASVG Rz 6). Dazu hat das erstinstanzliche Verfahren erbracht, dass der Kläger bis Schluss der mündlichen Verhandlung (erster Instanz) beruflich nicht rehabilitierbar war.

4.2 Logische Abfolge bei Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension ist zuerst die Prüfung des Vorliegens dauernder Invalidität, dann erst die Prüfung, ob eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24; vgl auch Födermayr in SV‑Komm [139. Lfg] § 254 ASVG Rz 14, 15). Durchaus vertretbar war das Berufungsgericht der Ansicht, nach Besserung des Gesundheitszustands allenfalls künftig (nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) mögliche Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation (§ 303 Abs 2 ASVG) im Sinn einer Umschulung zu Tätigkeiten außerhalb des bisherigen Verweisungsfeldes seien bei der Prüfung des Vorliegens voraussichtlich dauerhafter Invalidität nicht zu berücksichtigen.

5. Mit ihren Revisionsausführungen, Anspruch auf dauernde Invaliditätspension solle nach der Intention des Gesetzgebers nur dann zustehen, wenn berufliche Rehabilitationsmaßnahmen in absehbarer Zukunft „gar nicht“ in Frage kommen, sodass der Kläger (nur) als vorübergehend invalid anzusehen und ihm medizinische Rehabilitation und Rehabilitationsgeld zu gewähren seien, gelingt es der Revisionswerberin nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Diese Ansicht findet auch keine Stütze in § 99 Abs 3 lit b sub lit bb) und cc) ASVG (idF BGBl I 2015/2), dessen Regelungsinhalt sich auf die zeitliche Wirksamkeit der Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen Wegfalls der ursprünglich vorhandenen Leistungsvoraussetzungen beschränkt (Besserung des Gesundheitszustands, Eintritt der beruflichen Rehabilitierbarkeit und Eintritt voraussichtlich dauernder Invalidität/Berufsunfähigkeit – siehe ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 1, 4).

Mangels einer erheblichen Rechtsfrage ist die außerordentliche Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.

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