European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00056.16S.0914.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. März 2015, GZ 095 Hv 59/14p‑109, wurde – soweit hier wesentlich – Almuth G***** mehrerer Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 zweiter Fall StGB (A/II) und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (D/II/2) schuldig erkannt und hiefür zu einer bedingt nachgesehenen sechsmonatigen Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe verurteilt.
Ihrer dagegen erhobenen Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 18. Dezember 2015, AZ 32 Bs 223/15a, keine Folge, erhöhte jedoch die verhängte Freiheitsstrafe in Stattgebung einer gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung der Staatsanwaltschaft „unter Beibehaltung bedingter Nachsicht“ auf neun Monate (ON 131).
Mit Eingabe vom 14. Juni 2016 beantragte die Verurteilte (nominell in Bezug auf beide Urteile) die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO, wobei sie Verletzungen der Art 2, 3, 6, 7, 8, 10, 13 und 14 MRK behauptet.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag ist nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof eröffnet in ständiger Rechtsprechung zwar die Möglichkeit – auch ohne vorheriges Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – Verletzungen von Grund- und Menschenrechten durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts im Weg eines auf § 363a Abs 1 StPO gestützten Antrags geltend zu machen. Dieser hat aber unter anderem die in Art 34 und 35 Abs 1 MRK normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen zu erfüllen (
RIS‑Justiz RS0122737 [va T34]).
Der Großteil des Antrags lässt bereits die (konkrete) Bezugnahme auf eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts vermissen, indem er – mit der Behauptung entsprechender Absprachen der einschreitenden Beamten – die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes vom 19. Oktober 2013 (aus dessen Anlass die dem Schuldspruch A/II zugrunde liegenden Taten gesetzt wurden) bestreitet, eine – „Art 6 Abs 2, Art 8 Abs 1 und Art 14 MRK“ verletzende – Veröffentlichung falscher Nachrichten über den Vorfall in einer Tageszeitung moniert und einem namentlich genannten Polizeibeamten vorwirft, er habe ohne Einwilligung der Antragstellerin ein Einsatzprotokoll der Rettungszentrale mit Daten zu ihrer Person und Diagnosen sowie ihre komplette Krankengeschichte angefordert, wobei der – in weiterer Folge vom Polizeiarzt sinnentstellend wiedergegebene – Arztbrief außerdem eine Vorverurteilung enthalte, worin insgesamt eine Verletzung von „Art 8, Art 13 und Art 6 Abs 2 MRK“ zu erblicken sei.
Gleiches gilt für die unter Berufung auf Art 6 Abs 2 und Art 14 MRK geäußerte Kritik an der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die an der Amtshandlung beteiligten Polizeibeamten (wegen § 83 Abs 1 iVm § 313 StGB, § 312 StGB zum Nachteil der Antragstellerin) durch die Staatsanwaltschaft Wien, weil § 363a StPO nicht auf Verfügungen einer
Staatsanwaltschaft abstellt (RIS‑Justiz RS0128957 [T5]). Überdies sind Anzeiger oder Opfer einer Straftat zu einem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens nicht legitimiert (RIS‑Justiz RS0126176; vgl auch RS0126446, RS0123644 [T9, T10]).
Mit der mehrfachen Behauptung von Verstößen gegen Art 2 und 3 MRK und in diesem Zusammenhang erfolgten Verweisen auf die Rechtsprechung des EGMR zu den Untersuchungspflichten nationaler Behörden bei Verdacht einer diesen Garantien widersprechenden Behandlung (vgl dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 20 Rz 55 ff; RIS‑Justiz RS0129899) wird demzufolge erneut keine im gegenständlichen Verfahren ergangene Entscheidung oder getroffene Verfügung eines Strafgerichts angesprochen.
Soweit sich der Antrag inhaltlich gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. März 2015, GZ 095 Hv 59/14p‑109, richtet, war er gleichfalls unzulässig. Eine Entscheidung, die mit Berufung angefochten werden kann (und hier auch wurde), ist nämlich kein Gegenstand eines – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten – Erneuerungsantrags (Art 35 Abs 1 MRK;
17 Os 4/16s [17 Os 5/16p, 17 Os 11/16w]; vgl RIS‑Justiz RS0124739 [T2]).
Mit der – teilweise nicht nur das Erstgericht, sondern undifferenziert „die Gerichte“ betreffenden – Kritik an der Beurteilung von Zeugenaussagen als (un‑)glaubwürdig wird im Übrigen ein – neben der gänzlich unbegründeten Berufung auf „Art 6 … Abs 3 sowie Art 10 und Art 13“ MRK primär geltend gemachter – Verstoß gegen die Unschuldsvermutung (vgl dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 139 ff) nicht substantiiert dargelegt, mit eigenständigen Beweiswerterwägungen auf Basis der These, Polizisten seien „in einem solchen Verfahren als Zeugen eigentlich ungeeignet, weil von vornherein eine Selbstbelastung ebenso wie die Belastung eines Kollegen – beides ist offensichtlich lebensfremd – unvermeidlich wäre“, und Hinweisen auf einen Bericht des UN-CCPR sowie Zitaten aus der parlamentarischen Anfrage eines Abgeordneten vielmehr bloß die Beweiswürdigung (auch) des Berufungsgerichts nach Art einer Schuldberufung bekämpft.
Mit dem – im Hauptverfahren abgewiesenen (ON 108 S 8 f) und im Rahmen der Schuldberufung (ON 120 S 10) wiederholten – Antrag der Angeklagten auf Durchführung eines Lokalaugenscheins hat sich das Oberlandesgericht Wien auseinandergesetzt und diesem – mit zutreffender Begründung (§ 55 Abs 1 und 2 StPO) – Relevanz für das Verfahren abgesprochen (ON 131 S 32 f iVm S 22 ff, 42, 45 f). Indem die Antragstellerin diese Erwägungen gänzlich ignoriert und eine „sachliche Begründung“ der Ablehnung vermisst, legt sie einerseits nicht deutlich und bestimmt dar, worin die – vom Obersten Gerichtshof dann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei, und setzt sich andererseits nicht mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinander (RIS‑Justiz RS0124359; vgl im Übrigen auch RIS-Justiz
RS0105692; Frowein/Peukert EMRK³ Art 6 Rz 313).
„Von G***** … nicht veranlasste Medienberichte“ über die verfahrensgegenständlichen Vorfälle wurden der weiteren Antragsbehauptung zuwider nicht als „strafverschärfend gewertet“. Das Oberlandesgericht hat vielmehr – in Übereinstimmung mit den Berufungsausführungen der Staatsanwaltschaft (ON 113 S 2), aber entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Angeklagten (ON 120 S 22) – den Umstand, dass Almuth G***** die dem Schuldspruch D/II/2 zugrunde liegenden verleumderischen Anschuldigungen gegen Polizeibeamte in einer Fernsehsendung wiederholte, sodass diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurden und das Ansehen der Polizei in erheblichem Maß Schaden davontrug, als die Schuld aggravierend beurteilt (§ 32 Abs 2 StGB; ON 131 S 47). Aus welchem Grund darin ein unzulässiger
Eingriff in das Recht der freien
Meinungsäußerung nach Art 10 MRK oder ein Verstoß gegen „Art 6 Abs 2 und Abs 3 lit a, b und c“ MRK gelegen sein sollte, wird ein weiteres Mal nicht begründet dargelegt.
Ebensowenig inwieferne das Berufungsgericht durch die – auf das Gesamtverhalten der Angeklagten während der verfahrensgegenständlichen Vorfälle gestützte – Ablehnung deren Berufungseinwands, ihre Taten hätten „keinen besonderen Handlungsunwert“ und „keinen auffälligen Gesinnungsunwert“ aufgewiesen (ON 120 S 22; ON 131 S 49), gegen Art 7 Abs 1 oder „Art 6 Abs 3“ MRK verstoßen haben sollte.
Der unter bloß scheinbarer Berufung auf ein Grundrecht gestellte Erneuerungsantrag ist daher in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK unzulässig und war – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0128394 [T1]).
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