European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00197.15G.0831.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.041,50 EUR (darin enthalten 613,25 EUR USt und 1.362 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Mit Testament vom 5. 5. 1999 bestellte der Erblasser seinen Enkel, den Beklagten, zum Alleinerben. Seiner Tochter, der Klägerin und Mutter des Beklagten, vermachte er auf deren Lebensdauer das unentgeltliche Wohnrecht an einer von ihr bereits damals benützten Wohnung in seinem Haus.
Mit Übergabsvertrag vom 24. 2. 2012 übergab der Erblasser unter anderem diese Liegenschaft dem Beklagten. Als Gegenleistung wurde das unentgeltliche Wohnrecht für den Erblasser und die Klägerin vereinbart. Eine Absicht, der Klägerin durch die Einräumung des Wohnrechts den ihr zustehenden Pflichtteil zuzuwenden, konnte das Erstgericht nicht feststellen.
Am 12. 1. 2013 verstarb der Erblasser, die Verlassenschaft war überschuldet und wurde vom Beklagten an Zahlungs statt übernommen.
Die Klägerin begehrt den Klagsbetrag als Pflichtteilsergänzungsanspruch. Ihr Sohn und Alleinerbe habe im Zuge des Übergabsvertrags bereits zu Lebzeiten des Erblassers praktisch dessen gesamtes Vermögen erhalten. Der Klägerin als alleiniger Tochter des Erblassers stehe somit ein Pflichtteilsanspruch in Höhe des halben übergebenen Vermögens des Erblassers zu.
Der Beklagte bestritt und wandte ein, dass mit dem Übergabsvertrag auch der Klägerin ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt worden sei, das wertmindernd bei der Berechnung des Schenkungspflichtteils anzusetzen sei. Darüber hinaus übersteige dessen Wert rechnerisch den Pflichtteil der Klägerin.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es gelangte rechtlich zu dem Ergebnis, dass die Anrechnung des überlassenen Wohnrechts auf den Pflichtteil der Klägerin im Sinne des § 787 Abs 1 ABGB nicht stattzufinden habe, weil sie ihr Wohnrecht nicht aus der Verlassenschaft erhalten habe. Auch eine Anrechnung im Sinne des § 788 ABGB sei nicht vorzunehmen, weil keiner der dort taxativ aufgezählten Fälle vorliege. Eine schon vor dem Tod schenkungsweise überlassene Sache falle nicht mehr in die Verlassenschaft und sei daher auch nicht anzurechnen.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung ab und vertrat die Rechtsansicht, dass sich die Klägerin das Wohnrecht gemäß § 787 Abs 2 ABGB anrechnen lassen müsse. Bei Berechnung des Pflichtteils sei auch das vom Noterben tatsächlich erhaltene Vermögen zu berücksichtigen. Mit dem Wert des Wohnrechts sei aber der Pflichtteilsanspruch der Klägerin rechnerisch mehr als erfüllt. Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage zu, ob der Erbe gegen den Pflichtteilsberechtigten auch dann die Anrechnung verlangen könne, wenn er selbst nicht Pflichtteilsberechtigter sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin. Die Berufungsentscheidung verstoße gegen bestehende höchstgerichtliche Judikatur, insbesondere 1 Ob 103/65, 5 Ob 537/95 und 2 Ob 186/10g. Gemäß § 785 ABGB seien Schenkungen des Erblassers bei der Berechnung des Nachlasses lediglich auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes oder des pflichtteilsberechtigten Ehegatten in Anschlag zu bringen. Der Beklagte sei aber keine solche Person. § 787 Abs 2 ABGB nehme ausdrücklich auf § 785 ABGB Bezug und könne nur so verstanden werden, dass bloß dann, wenn überhaupt die Anrechnung einer Schenkung vorzunehmen sei, also nur auf Verlangen einer in § 785 ABGB genannten Person, der Noterbe sich die durch die Schenkung bewirkte Erhöhung seines Pflichtteils anrechnen lassen müsse. Der Beklagte habe daher hier keinerlei Berechtigung, die Schenkungsanrechnung zu verlangen. Die Klägerin beantragt daher, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben. Die in der Revision angeführten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs seien nicht einschlägig. Vielmehr habe der Oberste Gerichtshof in 3 Ob 47/97a ausgesprochen, dass, wenn der klagende Pflichtteilsberechtigte seinen Schenkungspflichtteil auch aus ihm selbst zugekommenen Schenkungen ableite, der Beklagte unabhängig davon, ob er selbst pflichtteilsberechtigt sei oder nicht, die Anrechnung verlangen könne. Das Gesetz selbst fordere in diesem Punkt nicht einmal das Verlangen auf Anrechnung. Die Gleichstellung aller Noterben innerhalb der Grenzen des Pflichtteilsrechts verlange es, auch Schenkungen, die der Pflichtteilsberechtigte selbst zu Lebzeiten des Erblassers erhalten habe, ebenso wie Schenkungen an Dritte bei der Berechnung des Pflichtteils in Anschlag zu bringen. Aus diesem Gleichbehandlungsgrundsatz folge, dass sich ein begünstigter Noterbe generell seine Schenkungen auf die Pflichtteilserhöhung anrechnen lassen müsse. Gerade diese Gleichbehandlung werde durch § 787 Abs 2 ABGB geschaffen. Auch nach RIS‑Justiz RS0107684 sei jeder Noterbe verpflichtet, sich die ihm gemachten Schenkungen auf die Pflichtteilserhöhung anrechnen zu lassen.
Letztlich sei auf die Wertung des noch nicht anwendbaren ErbRÄG 2015 Bedacht zu nehmen. In dessen § 783 ABGB werde aber nicht nur der Pflichtteilsberechtigte, sondern jeder Erbe berechtigt, die Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte zu verlangen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.
1. Gemäß § 787 Abs 2 ABGB muss sich jeder Noterbe, wenn bei der Bestimmung des Pflichtteils Schenkungen in Anschlag zu bringen sind, auf die dadurch bewirkte Erhöhung des Pflichtteils die nach § 785 ABGB zum Nachlass hinzuzurechnenden Geschenke anrechnen lassen, die er selbst vom Erblasser erhalten hat.
Solche Schenkungen muss sich der Noterbe daher unter den Voraussetzungen des § 785 ABGB nur auf die Pflichtteilserhöhung (Schenkungspflichtteil), nicht aber auf den Nachlasspflichtteil anrechnen lassen (2 Ob 186/10g = SZ 2011/122; 2 Ob 219/12p = NZ 2013, 272 = EF‑Z 2013/122 [Tschugguel]; RIS‑Justiz RS0107684; RS0127346; Apathy in KBB4 § 787 Rz 3).
Hier macht die Klägerin gerade den Schenkungspflichtteil geltend, sodass die Anrechnung von ihr gemachten Schenkungen grundsätzlich in Frage kommt (vgl konkret zum Übergabsvertrag RIS‑Justiz RS0012893).
2. Wie der erkennende Senat bereits in 2 Ob 186/10g (SZ 2011/122) ausgeführt hat, kann die Schenkungsanrechnung gemäß § 785 Abs 1 ABGB nur der pflichtteilsberechtigte Nachkomme in gerader Linie und der Ehegatte, nicht aber der Erbe (bzw die Verlassenschaft) begehren. Der Grund liegt darin, dass die Schenkungsanrechnung niemals zu einer Begünstigung des Erben führen kann (vgl dazu auch Jud, Entwicklungen im Recht der Anrechnung beim Pflichtteil, AnwBl 2000, 716 [721]; RIS‑Justiz RS0127348; RS0012903).
Soweit in RIS‑Justiz RS0012882 ausgeführt wird, dass auch der gesetzliche Erbe einen Pflichtteilsanspruch erheben und somit die Einrechnung von Schenkungen gemäß § 785 ABGB begehren kann, bezieht sich diese Formulierung lediglich auf Erben, die auch pflichtteilsberechtigt sind. In diesem Sinne hat auch die Entscheidung 1 Ob 895/30 SZ 12/214 einen Streit unter Pflichtteilsberechtigten betroffen. Sie ist daher mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar.
Bereits der Entscheidung 1 Ob 103/65 (SZ 38/98), in der ebenfalls pflichtteilsberechtigte Kinder der Erblasserin den Enkel der Erblasserin als testamentarischen Erben belangten, dessen Pflichtteilsrecht durch einen lebenden Elternteil ausgeschlossen war, wurde ausgesprochen, dass einem solchen Abkömmling das Recht, gemäß § 785 ABGB die Anrechnung von Schenkungen des Erblassers zu fordern, nicht zusteht. Dem folgend hat der Oberste Gerichtshof auch in 5 Ob 537/95 (JBl 1996, 468) dargelegt, dass Schenkungen des Erblassers nur auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes – und nicht der dort beklagten Arbeitskraft und zeitweisen Lebensgefährtin des Erblassers, die er testamentarisch zur Alleinerbin bestimmt hatte – in Anschlag zu bringen sind.
3. Die Bestimmung des § 787 Abs 2 ABGB selbst sieht zwar die Anrechnung von Geschenken, die der Noterbe selbst vom Erblasser erhalten hat vor, allerdings nur wenn bei Bestimmung des Pflichtteils Schenkungen in Anschlag zu bringen sind. Die Bestimmung schafft daher keinen Anspruch, Schenkungen in Anschlag bringen zu lassen, sondern setzt diesen voraus. Eine solche Berechtigung der Anrechnung gibt vielmehr § 785 Abs 1 ABGB, sie ist dort aber nur für pflichtteilsberechtigte Kinder und Ehegatten – und nicht einmal für sonstige Pflichtteilsberechtigte – vorgesehen.
4. Soweit sich die Revisionsbeantwortung auf RIS‑Justiz RS0107684 bezieht und dadurch die hier zu entscheidende Rechtsfrage als geklärt erachtet, kann dem nicht gefolgt werden. Nach diesem Rechtssatz muss sich jeder Noterbe die ihm gemachte Schenkung auf die Pflichtteilserhöhung, also nicht auf den ganzen Pflichtteil, anrechnen lassen und wird weiters die genauere Vorgangsweise bei dieser Anrechnung dargelegt. Dieser Rechtssatz behandelt aber nicht, wer eine solche Schenkungsanrechnung verlangen kann.
Soweit die Revisionsbeantwortung auf Zankl (Anm: tatsächlich Brigitta Jud), Zur Entwicklung der Schenkungsanrechnung im ABGB, NZ 1998, 16, verweist, wird in diesem Artikel ausdrücklich ausgeführt, dass die Anrechnung nach der Neuregelung durch die dritte Teilnovelle nur einem pflichtteilsberechtigten Noterben zusteht (vgl Punkt III.4.).
5. Soweit sich die Revisionsbeantwortung erkennbar auf Eccher in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 787 Rz 8 bezieht, der differenzierend meint, dass dann, wenn der klagende Pflichtteilsberechtigte seinen Schenkungspflichtteil auch aus ihm selbst zugekommenen Schenkungen ableite, der Beklagte unabhängig davon, ob er selbst pflichtteilsberechtigt sei oder nicht, die Anrechnung verlangen könne, ist nicht näher einzugehen, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt.
6. Wenn die Revisionsbeantwortung weiters 3 Ob 47/97a ins Treffen führt, wo ebenfalls die Tochter des Erblassers ein Enkelkind in Anspruch nahm, das selbst nicht pflichtteilsberechtigt war, und ausgeführt wurde, dass die Klägerin keinen Schenkungspflichtteil geltend mache, auf den sie sich gemäß § 787 Abs 2 ABGB auch Schenkungen anrechnen lassen müsste, ist darauf zu verweisen, dass damit offensichtlich dennoch nicht zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass eine derartige Anrechnung jeder Erbe – also auch der nicht Pflichtteilsberechtigte – verlangen könnte, weist die Entscheidung doch unmittelbar nach diesen Ausführungen darauf hin, dass Schenkungen nur auf Verlangen eines pflichtteilberechtigten Kindes oder Ehegatten in Anschlag gebracht werden müssten, was im dort vorliegenden Fall nicht in Betracht kam. Auch aus dieser Entscheidung lässt sich daher für den Standpunkt der Revisionsbeantwortung – und damit die Entscheidung des Berufungsgerichts – nichts ableiten.
7. Wie die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung weiter darlegt, ist das ErbRÄG 2015 BGBl I 2015/87 noch nicht anzuwenden (§ 1503 Abs 7 ABGB idF Abs 1 Z 49 leg cit). Seine bewusst neu geschaffenen Regelungen, insbesondere in Zusammenhang mit der Schenkungsanrechnung, sind daher nicht geeignet, eine Änderung der Rechtsprechung zur derzeit geltenden und daher hier ausschließlich anzuwendenden Rechtslage herbeizuführen.
8. Insgesamt ist daher zu konstatieren, dass das Berufungsgericht, soweit es bei seiner Entscheidung von einer Anrechnung des an die Klägerin überlassenen Wohnrechts auf ihren Pflichtteil ausgegangen ist, von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, weil der hier in Anspruch genommene Erbe selbst nicht pflichtteilsberechtigt ist und daher eine derartige Anrechnung nicht verlangen kann.
Es war daher die die Anrechnung verneinende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
9. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO begründet.
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